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Die Wirtschaft der USA unter George W. Bush | USA | bpb.de

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Die Wirtschaft der USA unter George W. Bush

Stephan Bierling

/ 15 Minuten zu lesen

Trotz "9/11", der Immobilienkrise und der hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise entwickelte sich die Wirtschaft erstaunlich gut. Eine Ursache dafür lag in der expansiven Ausgaben- und der Steuersenkungspolitik.

Einleitung

Bei seinen beiden Wahlsiegen gegen Al Gore und John Kerry hatte George W. Bush großes Glück, weil er sie mit äußerst knappem Vorsprung errang. Wirtschaftspolitisch gesehen war er jedoch eher ein Pechvogel: Als er im Januar 2001 ins Weiße Haus einzog, war die High-Tech-Blase an den Aktienmärkten gerade geplatzt, und es endete die längste ununterbrochene Wachstumsphase der amerikanischen Geschichte, die im Frühjahr 1991 begonnen hatte. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 trübten die Konjunkturaussichten weiter ein.



Am Ende von Bushs achtjähriger Amtszeit bedroht eine schwere Immobilien- und Bankenkrise nicht nur das US-Finanzsystem, sondern - zusammen mit den explodierenden Ölpreisen - auch die Realwirtschaft. Peace and Prosperity lautete einst ein Wahlkampfslogan der Republikaner. Bushs Vermächtnis, so halten ihm die Demokraten im Präsidentschaftswahlkampf 2008 vor, seien dagegen (Irak-)Krieg und Rezession. Aber ist Bushs ökonomische Bilanz wirklich so schlecht, wie seine Kritiker behaupten? Was waren die Folgen seiner Politik für die Wirtschaftsentwicklung? Und welche Auswirkungen hat der Zustand der Wirtschaft auf die Präsidentschaftswahlen im November 2008?

Will man die binnenwirtschaftliche Leistung einer Volkswirtschaft in einem bestimmten Zeitraum beurteilen, so eignet sich dazu am besten eine Überprüfung der vier Bereiche Wachstum, Haushalt, Inflation und Arbeitsplätze, indem man sie in Relation zu langfristigen Trends setzt. Dabei fällt die Bilanz der Jahre 2001 bis 2008 gemischt aus.

Wachstum. Wie unter seinem Vorgänger Bill Clinton wuchs die amerikanische Volkswirtschaft auch unter Bush jedes Jahr. Die Rezession des Jahres 2001 fiel kurz aus, und selbst im Krisenjahr 2008 blieben die USA bisher von einer Rezession verschont. Mit mehr als 80 Monaten ununterbrochenen Wachstums zählt die Expansionsphase unter Bush zu den längsten der amerikanischen Geschichte. Lag die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts (BIP) unter Clinton jedoch bei 3,5 Prozent, so fiel sie unter Bush um einen Prozentpunkt niedriger aus (s. Tabelle der PDF-Version). Das war der zweitlangsamste Aufschwung nach einer Rezession seit den 1950er Jahren. Angesichts der massiven ökonomischen Belastungen durch das Platzen der Internetblase, durch "9/11", die Immobilienkrise und den Ölpreisschock ist dies allerdings ein erstaunlich hoher Wert. Auch im Vergleich mit Europa sind die Zahlen bemerkenswert. In den Jahren 2001 bis 2007 wuchs die Wirtschaft in den USA pro Jahr um 2,5 Prozent, im Euro-Raum dagegen nur um 2,0 Prozent. Die Ursachen dafür sind primär das stärkere Bevölkerungs- und Produktivitätswachstum der USA. Das Einkommensniveau pro Kopf lag in den Vereinigten Staaten 2007 insbesondere wegen der deutlich längeren Jahresarbeitszeit der Amerikaner um 27 Prozent höher als in Deutschland. Der Abstand war damit genauso hoch wie Ende der 1990er Jahre.

Haushalt. Getragen wurde die positive Wirtschaftsentwicklung zum Teil von einer deutlichen Erhöhung der Staatsausgaben. Im Jahr 2000, dem letzten Amtsjahr Clintons, lagen die Bundesausgaben bei 18,4 und die Einnahmen bei 20,9 Prozent des BIP. Für das Jahr 2008 lauten die vom Haushaltsbüro des Kongresses prognostizierten Zahlen 20,4 bzw. 17,9 Prozent. Aus einem Haushaltsüberschuss von 2,5 Prozent ist ein Minus von 2,5 Prozent geworden. Diese Rückkehr zu hoher Neuverschuldung stimulierte die Konjunktur. Dabei wurden vor allem innen- und sozialpolitische Programme ausgeweitet. Der Anteil des Verteidigungshaushalts am BIP stieg nur um einen Prozentpunkt, von 3 auf 4 Prozent. Er lag damit nach wie vor deutlich unter den 6,2 Prozent, welche die US-Regierung auf dem Höhepunkt der Reagan'schen Aufrüstungspolitik 1986 für diesen Bereich aufgewendet hatte. Nach einer drastischen Verschlechterung der Budgetzahlen von 2001 bis 2004 verbesserte sich die Lage in den Jahren 2005 bis 2007, um infolge der Finanzkrise 2008 und eines kostspieligen Konjunkturprogramms wieder abzusacken.

Inflation. Eine weitere Stütze der Wirtschaft waren die niedrigen Zinsen der Jahre 2001 bis 2005. Um eine Rezession infolge der High-Tech-Krise und der Terroranschläge abzuwenden, senkte die US-Notenbank unter Präsident Alan Greenspan den Leitzins von Januar 2001 bis Juni 2003 in 13 Schritten von 6,5 auf ein Prozent und damit auf den niedrigsten Zinssatz seit den 1950er Jahren. Tatsächlich gelang es, die Konjunktur anzukurbeln und eine befürchtete Deflation zu verhindern. Erst Mitte Juni 2004 begann die Notenbank, die Zinsen wieder anzuheben, sie lagen Ende Juni 2006 bei 5,25 Prozent. Von September 2007 an reduzierte der seit 1. Februar 2006 als Greenspans Nachfolger amtierende Ben Bernanke sie jedoch in schnellen und großen Schritten wieder auf zwei Prozent Ende April 2008, um die Immobilien- und Finanzkrise zu bekämpfen. Mit den beiden Zinssenkungsrunden, die in ihrer Spitze zu negativen Realzinsen führten, fluteten die Notenbankchefs das amerikanische Finanzsystem mit extrem billigem Geld und konnten so eine schwere Rezession verhindern. Allerdings trug diese Politik zu einem Anstieg der Inflationsrate bei: Im Sommer 2008 erreichte diese auch wegen der hohen Energie- und Nahrungsmittelpreise und des schwachen Dollars mit fünf Prozent den höchsten Wert seit 16 Jahren. Einige Auguren beschwören bereits die Gefahr einer "Stagflation" ähnlich jener der 1970er Jahre, als Stagnation beim Wachstum mit hoher Inflation einherging.

Arbeitsplätze. Auf den ersten Blick ist die Arbeitsmarktentwicklung unter Bush eine Erfolgsgeschichte. Nach der Rezession von 2001, welche die Arbeitslosenquote auf 6 Prozent trieb, fiel die Quote danach konstant, um im Jahr 2007 4,6 Prozent zu erreichen. Mit Ausnahme Japans und Großbritanniens kann keine andere vergleichbare Industrienation eine ähnlich niedrige Arbeitslosenquote aufweisen. Im Zuge der Immobilienkrise und der explodierenden Energiepreise stieg die Erwerbslosigkeit im Mai 2008 auf 5,5 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit Oktober 2004. Vor allem Schulabgänger (19,7 %), Schwarze (9,7 %) und Hispanics (6,9 %) waren überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Asiaten (3,8 %) und Weiße (4,9 %) waren dagegen seltener erwerbslos.

Die Arbeitslosenquote ist nur ein Indikator für die Entwicklung des Arbeitsmarkts. Ein anderer und wichtigerer - die Zahl der netto neu geschaffenen Stellen - fällt weniger positiv aus. Im Vergleich zur Ära Clinton lag der Zuwachs an neuen Stellen in den Jahren der Bush-Regierung deutlich niedriger. Während vom Februar 1993 bis zum Januar 2001 netto 27,7 Millionen Arbeitsplätze neu entstanden, waren es vom Februar 2001 bis zum Juni 2008 nur rund 7 Millionen (s. Graphik 1 der PDF-Version).

Allerdings dürfte der Druck auf den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren eher zurückgehen: Nach einer jährlichen Wachstumsrate des Arbeitskräftepotentials von 1,2 Prozent pro Jahr zwischen 1997 und 2006 wird diese in den nächsten zehn Jahren um ein Drittel auf 0,8 Prozent fallen. Ein Grund dafür ist, dass die "Baby-Boomer"-Generation der Nachkriegsjahre nun den Ruhestand erreicht, ein anderer, dass die Beschäftigungsquote von Frauen ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint. Auch hat sowohl die legale als auch die illegale Immigration abgenommen, weil nach "9/11" die Einwanderungsbestimmungen verschärft wurden.

Steuersenkungen und Mehrausgaben

Im Präsidentschaftswahlkampf 2000 war Bush mit den Versprechen angetreten, die Steuern zu senken und das Ausgabenwachstum zu begrenzen. Während er ersteres einhielt, erhöhten sich in seinen beiden Amtszeiten die Staatsausgaben stärker als unter jedem Präsidenten seit Lyndon B. Johnson, der in den 1960er Jahren den Vietnamkrieg führte und die wohlfahrtsstaatlichen "Great-Society"-Programme auflegte. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 schwenkte Bush auf einen keynesianischen Kurs ein und erhöhte massiv die Ausgaben. Mit real 3,8 Prozent stiegen sie unter ihm doppelt so schnell wie unter seinem Vorgänger Clinton. 40 Prozent der Steigerungen kamen dem Militär und der Heimatverteidigung zugute, 60 Prozent innen- und sozialpolitischen Maßnahmen.

Überproportional stark wuchsen das Verteidigungsbudget (7,4 %) sowie die Ausgaben für die Krankenversicherung der Rentner und für Schulen (je 6 %). Teure Einzelmaßnahmen waren der No Child Left Behind Act (2001), das Landwirtschaftsgesetz (2002), die Kostenübernahme für Medikamente von Rentnern (2003) und das Straßenbaugesetz (2005). Trotz aller Bekenntnisse zu einem ausgeglichenen Haushalt arbeiteten der republikanisch dominierte Kongress und der Präsident Hand in Hand bei der stärksten Ausgabensteigerung des Bundes seit mehr als einer Generation. Nicht ein Mal setzte Bush in seinen ersten sechs Amtsjahren sein Veto gegen ein ausgabenwirksames Gesetz ein - auch dies ein Rekord in der jüngeren Geschichte der USA. Damit öffnete er die Schleusen für die 535 Parlamentarier, die Haushaltsgesetze mit unzähligen Ausgabenposten anzureichern, die allein ihrer Wahlkreisklientel oder Interessengruppen zu Gute kamen (pork barrel spending).

Die Republikaner haben also entgegen ihren Ankündigungen in den Jahren 2001 bis 2006, als sie fast durchweg über Mehrheiten in beiden Häusern des Kongresses verfügten und das Weiße Haus kontrollierten, keinen schlanken Staat geschaffen. Wenn in Kongress und Administration dieselbe Partei das Sagen hat, steigen die Bundesausgaben offenbar besonders schnell. Es überrascht deshalb kaum, dass Bush und die Kongressführung zur Zielscheibe fiskalkonservativer Republikaner wurden. Erst nach der Machtübernahme der Demokraten im Kongress im Januar 2007 drohte Bush, ein Budgetgesetz wegen zu hoher Ausgaben mit seinem Veto zu verhindern, und kehrte damit kurzfristig auf den Pfad der haushälterischen Solidität zurück.

Aber schon zwölf Monate später war es mit der Fiskaldisziplin angesichts der bevorstehenden Wahlen und der Rezessionsgefahr vorbei. In die Haushaltsbewilligungsgesetze für 2008 gingen 11 737 lokale Projekte mit einem Gesamtumfang von 16,9 Milliarden US-Dollar ein. Im Februar 2008 einigten sich Präsident und Kongress zudem auf eines der größten Konjunkturprogramme in der Geschichte. Allein für das laufende Jahr sind Steuergutschriften für private Haushalte und Investitionsanreize für Unternehmen in Höhe von 152 Milliarden US-Dollar und damit von mehr als einem Prozent des BIP vorgesehen. Vor allem die 117 Millionen Haushalte mittleren und unteren Einkommens profitieren davon: Alleinstehende mit einem Einkommen von bis zu 75 000 Dollar im Jahr erhalten 300 bis 600 Dollar, Ehepaare mit einem Einkommen bis 150 000 Dollar erhalten 1200 Dollar plus 300 Dollar pro Kind. Der Versand entsprechender Schecks im Umfang von 9 Milliarden Dollar pro Woche dauerte bis Mitte Juli. Den davon ausgehenden Wachstumseffekt veranschlagen Ökonomen auf 0,5 bis 3 Prozent des BIP im Jahr 2008.

Klein gehalten wurde der Staat dagegen auf der Einnahmenseite. Die Steuerquote fiel unter Bush deutlich, und zwar um drei Prozentpunkte. Vor allem die beiden Steuersenkungsrunden 2001 und 2003 waren verantwortlich dafür, dass allein der Anteil der Einkommensteuer am BIP von 10,3 im Jahr 2000 auf 8,5 Prozent 2007 zurückging. Profitiert haben von diesen Steuersenkungen zwar die meisten Haushalte, aber die Spitzenverdiener erfuhren eine überproportionale Entlastung. Damit verstärkte Bushs Steuerpolitik einen Trend, der bereits seit den 1970er Jahren zu erkennen ist: den Anstieg der Ungleichheit bei den Einkommen. Wichtigste Ursache dafür sind Entwicklungen, die weitgehend außerhalb der Steuerungsfähigkeit der Politik liegen. So hat vor allem der rasante technologische Wandel etwa in der Informationstechnik dazu geführt, dass Personen mit guter Ausbildung heute stärker nachgefragt werden als Personen mit geringer Qualifikation. Aber auch die Konkurrenz der asiatischen Schwellenländer und die Schwäche der Industriegewerkschaften drückten die Löhne gering Qualifizierter.

Die Wirtschaft und die Präsidentschaftswahlen 2008

Mit der Beruhigung der Lage im Irak nach der Entsendung weiterer US-Truppen im Sommer 2007 rückten wirtschaftliche Fragen wieder ganz nach oben auf der Agenda der Amerikaner. So nannten in einer Umfrage von CNN/Opinion Research Corporation Poll Anfang Juni 2008 42 Prozent der befragten Wähler die Wirtschaft als wichtigstes Kriterium für ihre Wahlentscheidung. Auf den Plätzen folgten der Irakkrieg (24 %), das Gesundheitssystem (12 %) und der Terrorismus (11 %). Nach drei Jahren hoher Zufriedenheit beurteilt seit Mitte 2007 eine Mehrheit der Wähler die Wirtschaftslage negativ. Dies trifft insbesondere für Anhänger der Demokratischen Partei zu; aber auch Unabhängige und Republikaner sind zunehmend pessimistisch (s. Graphik 2 der PDF-Version). Die insgesamt bessere Einschätzung der Wirtschaftslage durch die Republikaner dürfte primär damit zusammenhängen, dass sie stärker in den höheren Einkommensgruppen vertreten sind, die überproportional an der Einkommensentwicklung und den Steuersenkungen partizipierten. Seit einem Jahr gleicht sich ihre Einschätzung jedoch jener der Demokraten und Unabhängigen an.

Grund für die schlechte Stimmungslage ist die schwere Krise am Hypotheken- und Finanzmarkt, deren Folgen zunehmend in der Realwirtschaft sichtbar werden. Ihre Ursache hat die Krise zu einem Gutteil in Greenspans Niedrigzinspolitik nach 2001, die es vielen Amerikanern ermöglichte, Häuser und Apartments mit günstigen Darlehen zu kaufen. Als Folge stieg der Anteil von Haushalten, die in den eigenen vier Wänden lebten, zwischen 2004 und 2006 von 64 auf 69 Prozent (zum Vergleich: in Deutschland liegt die Wohneigentumsquote bei 46 Prozent). Dies heizte zwar die schwächelnde Konjunktur an, trieb aber gleichzeitig die Wohnimmobilienpreise rasant in die Höhe.

In der Erwartung stetiger Wertzuwächse und dauerhaft niedriger Zinsen begannen sich viele Haushalte und die Finanzbranche unvernünftig zu verhalten. Mehr und mehr Bürger verschuldeten sich, auch Personen ohne nennenswertes Eigenkapital und geringer Bonität nahmen Hypothekenkredite auf. Die Zinsen für diese zweitklassigen Kredite (subprime loans) liegen über denen, die normalerweise zu bezahlen sind. Viele US-Banken vergaben sie leichtfertig mit dem Ziel, sie gebündelt und verbrieft an nationale und internationale Geldinstitute zu verkaufen und damit die Risiken zu diversifizieren. Sie konnten dies tun, weil durch die Deregulierung des Finanzsektors in den 1990er Jahren immer mehr Immobilienkredite ohne Überwachung der Aufsichtsbehörden vergeben wurden. 2006 war dies in drei Vierteln aller Anträge der Fall.

Als die Zinsen Mitte 2004 wieder stiegen, geriet der gesamte Wohnimmobilienmarkt unter Druck. In den USA werden Zinsen auf Immobiliendarlehen anders als etwa in Deutschland nicht auf längere Dauer fixiert, sondern mit einer kleinen Verzögerung den Marktraten angepasst. Im Sommer 2007 konnten viele Eigentümer ihre Zahlungen an die Kreditinstitute nicht mehr leisten, und die Banken stürzten in die Krise. Nur die schnelle Senkung des Leitzinses milderte die schwerste Belastung des internationalen Finanzsystems seit der Großen Depression. Die Gefahr von Bernankes Rettungsaktion liegt jedoch darin, dass er durch die Politik des billigen Geldes wie sein Vorgänger eine neue sektorale Überhitzung und eine inflationäre Entwicklung riskiert.

Im November 2004 war Bush die Wiederwahl auch wegen der insgesamt positiven Einschätzung der Wirtschaftslage gelungen. Heute sind die entsprechenden Werte negativ. Nach offiziellen Statistiken mag in den USA noch keine Rezession, oft definiert als zwei aufeinander folgende Quartale mit negativem Wachstum, vorliegen. Aber die Bevölkerung verhält sich schon so, als ob sie sich in einer befände, und schränkt ihre Konsumausgaben ein. Zudem sind drei Viertel der Wähler unzufrieden mit der Wirtschaftspolitik des Präsidenten. Insbesondere die mittleren und unteren Einkommensschichten haben an der ökonomischen Entwicklung der vergangenen Jahre unterproportional partizipiert. So stieg der Anteil des obersten Einkommensfünftels aller Haushalte am Gesamteinkommen vor Steuern zwischen 2001 und 2005 von 52,3 auf 55,1 Prozent, des obersten einen Prozents sogar von 14,7 auf 18,1 Prozent. Dagegen ging der Anteil der unteren drei Einkommensfünftel von 27,7 auf 25,8 Prozent zurück. Auch nach Anrechnung der Einkommensteuern, die ihren stark progressiven Charakter verloren haben, liegen die Werte ähnlich.

Viele linke Kritiker, darunter der Ökonom und "New York Times"-Kolumnist Paul Krugman, machen die wachsende Einkommensungleichheit für die Zunahme der parteipolitischen Polarisierung verantwortlich. Krugman spricht sogar von einer "Abkoppelung des Schicksals normaler Amerikaner vom allgemeinen Wirtschaftswachstum, (die) in der neueren Geschichte der Vereinigten Staaten ohne Beispiel" sei. Präsident Bush gestand am 31. Januar 2007 die Einkommensschere zwischen Spitzenverdienern und der Mittelklasse erstmals ein: "I know some of our citizens worry about the fact that our dynamic economy is leaving working people behind. (...) The fact is that income inequality is real." Er verwies darauf, dass dieser Trend seit 25 Jahren anhalte und primär eine Folge der Tatsache sei, dass eine Hochtechnologie-Wirtschaft gut ausgebildete Arbeiter zunehmend höher bezahle als schlecht ausgebildete. Ebenso richtig ist aber, dass die Steuerpolitik der Administration nichts dazu beigetragen hat, um diesem Prozess entgegenzuwirken - im Gegenteil. Auch nach seiner Rede korrigierte Bush die Marktkräfte nicht, welche wachsende Einkommensungleichheit produzieren.

Krugman fordert deshalb eine hoch progressive Besteuerung der Einkommen, was zu mehr Gleichheit führen soll. Nur durch die Stärkung der Egalität könne auch die politische Polarisierung überwunden werden, glaubt der Ökonom an der Universität Princeton. Andere Wirtschaftswissenschaftler stehen solchen Staatsinterventionen skeptisch gegenüber. So argumentiert Edward Lazear, Arbeitsmarktökonom an der Universität Stanford und Vorsitzender von Bushs Wirtschaftsrat, eine höhere Besteuerung der Spitzenverdiener würde den Anreiz verringern, mehr in die eigene Ausbildung zu investieren. Die Fachleute mögen sich in dieser Frage unversöhnlich gegenüberstehen, politisch ist der Streit entschieden: Eine wachsende Mehrheit der Amerikaner betrachtet die Einkommenskluft als Problem und macht dafür die Globalisierung und die angebliche Gier der Spitzenverdiener verantwortlich. Die Lösung sehen sie in Protektionismus und staatlichen Umverteilungsmaßnahmen. Beide Forderungen liegen näher an den interventionistischen Vorstellungen der Demokraten und dürften deshalb die Wahlchancen des republikanischen Präsidentschaftsbewerbers John McCain und der Kandidaten seiner Partei für den Kongress am 4.November 2008 beeinträchtigen.

Die Wirtschaftsprogramme John McCains und Barack Obamas

Beide Bewerber um das Präsidentenamt, so außergewöhnlich und unorthodox sie persönlich auch sein mögen, halten sich wirtschaftspolitisch an das jeweilige Mantra ihrer Parteien. McCain setzt auf die von den Republikanern seit der Amtszeit von Ronald Reagan propagierten Instrumente der Angebotspolitik (supply-side economics), die das Wirtschaftswachstum primär über Steuersenkungen ankurbeln will. So fordert er, Bushs Steuersenkungen, die Ende 2010 auslaufen, unbegrenzt zu verlängern. Das ist nicht zuletzt deshalb pikant, weil der Senator aus Arizona 2001 und 2003 gegen ebendiese Steuersenkungen mit dem Argument gestimmt hatte, sie gefährdeten den Staatshaushalt und begünstigten die Reichen.

Zudem plädiert er dafür, die Unternehmenssteuern um zehn Prozentpunkte zu kürzen, den Kinderfreibetrag zu verdoppeln sowie die "Alternative Minimalsteuer" zu reduzieren, die verhindern soll, dass Bezieher hoher Einkommen wegen geschickter Nutzung von Schlupflöchern keine Steuern bezahlen. Trotz des zu erwartenden Minus bei den Staatseinnahmen verspricht McCain bis zum Ende seiner ersten Amtszeit 2013 einen Haushaltsausgleich, indem er überflüssige Ausgaben zusammenstreicht. Unabhängige Finanzexperten gehen davon aus, dass seine Pläne die oberen Einkommensgruppen bevorzugen und das Budgetdefizit erhöhen würden.

Obama dagegen hält an den wirtschaftspolitischen Rezepten der traditionellen Linken fest und plädiert für staatliche Eingriffe, um die Einkommensungleichheit zu bekämpfen. Er steht damit in markantem Gegensatz zum letzten demokratischen Präsidenten Bill Clinton, der sich marktfreundlich zeigte, die Globalisierung begrüßte und den Haushalt ausglich. Obama will die Steuern auf Einkommen über 250 000 Dollar von 35 auf 39,8 Prozent heraufsetzen. Außerdem sieht sein Wirtschaftsplan eine Erhöhung der Kapitalertragssteuer von 15 auf 25 Prozent und der Steuer auf Zufallsprofite für Ölunternehmen vor. Mit den zusätzlichen Einnahmen will Obama Bushs Kürzungen der Einkommensteuer für die Mittelklasse dauerhaft festschreiben und die Einkommensteuer für Rentner abschaffen. Auch diese Vorschläge würden das Haushaltsdefizit weiter aufblähen, allerdings kämen die Vergünstigungen primär den unteren und mittleren Einkommensschichten zugute.

Beide Kandidaten wollen Steuern senken und bleiben überzeugende Vorschläge zur aufkommensneutralen Finanzierung schuldig. Über die Belastungen, die mit der Verrentung der "Baby-Boomer" und den steigenden Gesundheitskosten auf den Staatshaushalt zukommen, sprechen weder McCain noch Obama. Diese Fragen werden den nächsten Präsidenten unweigerlich einholen.

Fazit

Trotz der Schocks, die vom Platzen der High-Tech-Blase über 9/11 und die Immobilienkrise bis hin zu den explodierenden Energie- und Nahrungsmittelpreisen reichten, entwickelte sich die US-Wirtschaft in den vergangenen acht Jahren erstaunlich gut. Ursache dafür waren neben den niedrigen Zinsen vor allem die expansive Ausgaben- und ehrgeizige Steuersenkungspolitik der Regierung Bush.

Allerdings führte diese Politik auch zu einem Anstieg des Haushaltsdefizits und der Einkommensungleichheit. Gepaart mit Konjunkturabschwung und hoher Inflation verbessern diese Faktoren die Wahlchancen des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers. Im Gegensatz zu Bush vor acht Jahren wird sein Nachfolger eine Wirtschaft übernehmen, deren Zustand ihm wenig Spielraum für kostspielige Initiativen lässt. Amerika sieht schwierigen Zeiten entgegen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Für eine detaillierte Erörterung der Wirtschaftsentwicklung in der ersten Bush-Amtszeit siehe Stephan Bierling, Die US-Wirtschaft unter George W. Bush, in: APuZ, (2004) 45, S. 33 - 39.

  2. Vgl. Deutsche Bundesbank, Internationales und Europäisches Umfeld, in: Monatsbericht Mai 2008, S. 13 - 24, hier S. 18.

  3. Vgl. Congressional Budget Office, Budget Projections, www.cbo.gov/ftpdocs/90xx/doc9015/Selected_ Tables.pdf (13.6. 2008); dass., Historical Data, www.cbo.gov/budget/data/historical.pdf (13.6. 2008).

  4. Vgl. Alan Greenspan, Mein Leben für die Wirtschaft, Frankfurt/M. 2007, S. 262ff.

  5. Vgl. U.S. Frets a Visit From '70s Foe: Stagflation, in: Wall Street Journal Europe (WSJ-E) vom 21.2. 2008, S. 3. Der Begriff "Stagflation" wurde 1965 in Großbritannien geprägt und in den USA zur Kennzeichnung der Periode von 1970 bis 1981 gebraucht.

  6. Vgl. Bureau of Labor Statistics, Employment Situation Summary, May 2008, www.bls.gov/news.release/empsit.nr0.htm (13.6. 2008).

  7. Vgl. Mitra Toossi, Labor Force Projections to 2016: More Workers in Their Golden Years, in: Monthly Labor Review, (2007) 11, S. 33 - 52.

  8. Siehe z.B. Brian Riedl, Federal Spending by theNumbers, Heritage Foundation, 25.2. 2008, www.heritage.org/Research/Taxes/upload/
    FederalSpendingByTheNumbers2008.pdf (13.6. 2008).

  9. Vgl. Brian Friel, Spending Split, in: National Journal (NJ), 31.5. 2008, S. 38f.

  10. Vgl. Henrik Enderlein/Stormy Mildner, Angstszenario US-Rezession (SWP-Aktuell 17), Berlin, Februar 2008, S. 3.

  11. Vgl. CNN/Opinion Research Corporation Poll, June 4 - 5, 2008, www.pollingreport.com/prioriti.htm (14.6. 2008).

  12. Zur Krise des Immobilien- und Finanzsystems siehe Charles Morris, The Trillion Dollar Meltdown. Easy Money, High Rollers, and the Great Credit Crash, New York 2008, und Martin Nail Baily/ DouglasW. Elmendorf/Robert E. Litan, The Great Credit Squeeze: How it Happened, How to Prevent Another (Brookings Discussion Paper), Washington, D.C. 21.5. 2008.

  13. Letztlich stellt das National Bureau of Economic Research eine Rezession verbindlich fest. Es definiert sie als "a significant decline in economic activity spread across the economy, lasting more than a few months, normally visible in real GDP, real income, employment, industrial production, and wholesale-retail sales". Vgl. Floyd Norris, A Turn Towards Recession, in: International Herald Tribune vom 14./15.6. 2008, S. 13.

  14. Vgl. Quinnipiac University Poll. May 8 - 12, 2008, www.pollingreport.com/budget.htm (14.6. 2008).

  15. Vgl. die Erhebungen des Congressional Budget Office unter www.cbo.gov/publications/collections/tax/pre-tax_income_shares.pdf und www.cbo.gov/publications/collections/tax/after-tax_income_shares.pdf (29.6. 2008).

  16. Paul Krugman, Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten, Frankfurt/M. 2008, S. 221.

  17. President Bush Delivers State of the Economy Report, 31.1. 2007, www.whitehouse.gov/news/releases/2007/01/
    20070131 - 1.html (29.6. 2008).

  18. Vgl. Greg Ip/John D. McKinnon, Bush Reorients Rhetoric, Acknowledges Income Gap, in: WSJ vom 26.3. 2007.

  19. Vgl. John Maggs, Sharp Contrast, in: NJ vom 31.5. 2008, S. 32 - 36; Michael Cooper/Larry Rohter, 2 New-Style Candidates Hit Old Notes on the Economy, in: New York Times vom 11.6. 2008; The battle of the pockets is joined, in: The Economist vom 14.6. 2008, S. 50f.

Dr. phil., geb. 1962; Professor für Internationale Politik an der Universität Regensburg, Institut für Politikwissenschaft, Universitätsstraße 31, 93040 Regensburg.
E-Mail: E-Mail Link: stephan.bierling@politik.uni-regensburg.de