Einleitung
Das Internet durchdringt viele Bereiche des täglichen Lebens. Inzwischen greifen über 42 Millionen Menschen in Deutschland auf das Medium zu. Das entspricht einem Verbreitungsgrad von rund 65 Prozent der Bevölkerung im Alter von über 14 Jahren.
Ungeachtet dieser aktuellen Fragen gibt es nach wie vor nur wenige Informationen darüber, auf welche Art und Weise Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland das Internet nutzen. Erstmals wurde im Frühjahr 2007 im Auftrag von ARD und ZDF eine repräsentative Erhebung
Rund 3000 Personen mit türkischem, italienischem, polnischem und griechischem Migrationshintergrund sowie Spätaussiedler ab 14 Jahren wurden dabei zu ihrer Mediennutzung befragt. Im Durchschnitt nutzten 22 Prozent der Befragten täglich das Internet, während dies 28 Prozent der deutschen Vergleichsgruppe ohne Migrationshintergrund taten. Dieses Medium spielt also auch im Alltag vieler Menschen mit Migrationshintergrund eine ganz selbstverständliche und immer wichtigere Rolle. Zugleich geben diese Zahlen einen Hinweis darauf, dass es quantitative Unterschiede im Zugang und der Nutzung neuer Medien zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen gibt.
Relevanz der Internetnutzung
Die weltweit geführte Diskussion um die "digitale Kluft"
Untersuchungen weisen auch für die Bundesrepublik auf die Existenz einer ethnischen digitalen Spaltung hin: "Die oft zitierte ,digitale Spaltung` verläuft auch entlang ethnischer Grenzen, denn Benachteiligungen im Zugang zu Medien und in der Möglichkeit zum Medienkompetenzerwerb sind Folgen sozialer Benachteiligungen."
Nicht nur der Zugang zum Internet, sondern auch die Art und Weise der Nutzung ist entscheidend, wenn es um gesellschaftliche Teilhabe geht. Deshalb werden im Folgenden einige Nutzungsformen und -inhalte dargestellt, die für die Integration von Nutzern mit Migrationshintergrund von besonderer Bedeutung sind.
Integration durch das Internet
Information: Wie kein anderes Massenmedium zuvor stellt das Internet vielfältige und umfangreiche Informationen über aktuelle Ereignisse, Innovationen oder auch über gesellschaftliche Werte bereit.
Das Internet kann für Migranten ein Instrument darstellen, dieser Situation zu entkommen und selbstbestimmte Entscheidungen auf Basis eigener Recherchen zu treffen. So können etwa im Internet bereitgestellte, auch mehrsprachige Informationen sehr hilfreich sein. Dieses Empowerment macht Migranten zu gleichberechtigteren Mitgliedern der Gesellschaft und führt dabei gleichzeitig zu einer Entlastung der staatlichen und sozialen Beratungsstellen.
Eine Umfrage des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Münster zur Internetnutzung von Migranten aus der Türkei und Russland in Deutschland belegt, dass eine diesem Potential entsprechende Informationssuche sowie -bereitstellung das zentrale Motiv der Internetnutzung von Migranten ist.
Das Internet bietet aber auch der Bevölkerung der Aufnahmegesellschaft gute Möglichkeiten, sich über die Herkunft, Sitten und Gebräuche der Zuwanderer zu informieren. Wechselseitiges Wissen über Kultur und Geschichte kann dazu beitragen, soziale Distanz abzubauen und damit den Intergrationsprozess zu fördern.
Kommunikation: Neben der Information sind die mediale sowie die persönliche Kommunikation entscheidend für die Anpassung von Migranten an die neue Umgebung im Aufnahmeland.
Befragungen von Migranten in Deutschland haben gezeigt, dass sie das Internet eher dazu nutzen, Beziehungen zu anderen Migranten zu pflegen oder aufzubauen als Kontakt zu Deutschen aufzunehmen, wobei es Unterschiede zwischen verschiedenen Migrantengruppen gibt: Türkischstämmige Nutzer haben im Vergleich zu Nutzern aus Russland häufiger Kontakt zu Deutschen und nutzen auch das Internet eher in deutscher Sprache.
Gesellschaftliche Partizipation: Im Internet sind - neben der eher "einfachen" Nutzung von Informationen oder der Kommunikation mit Bekannten - auch oder gerade die aktive Teilhabe und ein öffentliches Engagement möglich. So verändert das Internet die Partizipationsmöglichkeiten von Migranten dahingehend, dass die bislang unzureichende Repräsentation ihrer Interessen in der deutschen Öffentlichkeit durch direkte, interaktive Formen der Einflussnahme ergänzt werden kann.
Ein Teil der Migranten greift auch auf diese Partizipationsformen zurück, um sich an politischen Prozessen in ihren Herkunftsländern zu beteiligen - ein Engagement, das beispielsweise insbesondere bei kurdischen Migranten zu beobachten ist, während die politischen Aktivitäten anderer türkeistämmiger Nutzer vorrangig auf Deutschland ausgerichtet sind.
Insgesamt kann das Internet dazu dienen, gesellschaftlichen Gruppen, deren Möglichkeiten der Interessendurchsetzung aufgrund eingeschränkter politischer Rechte oder geringer gesellschaftlicher Selbstorganisation ansonsten eher gering sind, Teilhabechancen zu bieten. Solche Partizipationsmöglichkeiten wirken integrierend, tragen sie doch dazu bei, dass "politische Entscheidungsträger Positionen, Ansprüche und Interessenlagen innerhalb der Bürgerschaft als solche erkennen und bei der Herstellung allgemeiner Verbindlichkeiten berücksichtigen".
In gewisser Hinsicht befördert das Internet auf diese Weise auch die Mobilisierung der Nutzer mit Migrationshintergrund. Denn in dem Maße, in dem durch das Internet der Aufwand für gesellschaftliche Teilhabe "im wirklichen Leben" abnimmt und die Chancen, tatsächlich Einfluss nehmen zu können steigen, wächst sicher auch die Bereitschaft zur politischen Teilhabe und zum gesellschaftlichen Engagement. So gab etwa jeder zweite türkischstämmige Nutzer an, dass er/sie sich viel mehr mit politischen Themen sowohl in Deutschland als auch in der Türkei beschäftigt, seitdem er/sie das Internet nutzt.
Online-Offline: Schließlich stellt sich die Frage, wie sich das virtuelle Leben in den Alltag der Migranten außerhalb des Internet einfügt. Aufgrund der Ähnlichkeit des sozialen Raums im Internet mit dem des realen Lebens wird davon ausgegangen, dass virtuelle und reale Räume miteinander verbunden sind: Soziale Kontakte im Internet werden häufig durch reale Begegnungen ergänzt - und umgekehrt.
Insgesamt erweitert und verändert das Internet schon heute das reale Lebensumfeld von Migranten. Im Internet gesammelte Erfahrungen, gefundene Informationen, erworbene Sprachkenntnisse oder geknüpfte soziale Kontakte beeinflussen das Leben der Migranten auch außerhalb dieser virtuellen Sphäre.
Integration
In welchem Zusammenhang steht nun die beschriebene Nutzung des Internet durch Personen mit Migrationshintergrund zu ihrer Integration in Deutschland?
In Informations- oder Mediengesellschaften findet Integration formal über die Einbindung in den medialen Informations- und Kommunikationsprozess statt. Das heißt, dass Menschen mit Migrationshintergrund durch die Nutzung des Internet an gesellschaftlichen Prozessen teilhaben können, die vielfach online stattfinden. Da Online- und Offline-Welten miteinander verbunden sind, wirkt sich die gesellschaftliche Teilhabe im Internet auch auf das Leben außerhalb dieses Mediums aus.
Im Internet wird durch den individuellen Austausch der Nutzer und die Vernetzung der Angebote ein gesellschaftliches Netzwerk geschaffen, das eine integrierende Kraft besitzt. Aus diesem Grund ist die individualisierte Alltagsgestaltung und Internetnutzung des Einzelnen auch keine Gefahr für die gesellschaftliche Integration, und führt auch nicht zu einer sozialen Fragmentierung. Vielmehr verändern sich die grundsätzlichen Strukturprinzipien von gesellschaftlicher Integration in feste, abgrenzbare Gruppen hin zu einer Integration in flexible Netzwerke.
Das Internet spielt insgesamt für die Integration von Migranten eine wichtige Rolle, indem es diese Gesellschaftsmitglieder über die im Internet möglichen Prozesse der Information, Kommunikation und Partizipation in die Informationsgesellschaft Deutschland einbindet. Der Zusammenhang zwischen Online-Prozessen und gesellschaftlicher Integration wurde von der Autorin im "Triavis-Modell" beschrieben, wonach Information, Kommunikation und Partizipation erfolgreich zur Integration führen.
Abschließend soll noch einmal auf die festgestellte vorrangige Nutzung des Internet durch Migranten zur Kontaktaufnahme zum Herkunftsland und zu anderen Migranten sowie auf die Nutzung des Internet in der Muttersprache eingegangen werden. In einer von der Globalisierung, den neuen Medien und preisgünstigen Reisemöglichkeiten geprägten Gesellschaft erscheint ein Integrationsverständnis angemessen, das die zunehmende transnationale Vernetzung sowie die langfristige Beibehaltung von persönlichen Beziehungen zur Herkunftskultur der Migranten positiv und nicht als integrationshinderlich bewertet .
Von einer vollständigen Hinwendung zum Aufnahmeland bei gleichzeitiger Abwendung vom Herkunftsland kann nicht mehr ausgegangen werden. Mehrfache nationale Zugehörigkeiten von Menschen mit bi-kulturellen Identitäten sowie transnationalen Lebensstilen, wie sie heute oftmals anzutreffen sind, verweisen auf differenzierte Integrationsprozesse. Die Nutzung des Internet durch Migrantinnen und Migranten besitzt so das Potential, ihre Integration im Aufnahmeland zu fördern und gleichzeitig die Kontakte zum Herkunftsland weiter zu pflegen, ohne dass diese doppelte Orientierung ihre Integration in beide Gesellschaften behindern würde. Vielmehr stellt die virtuelle Sphäre des Internet einen Raum dar, innerhalb dessen diese zweifachen Interessensrichtungen und Identitäten ausgehandelt und ausgelebt werden können.