Einleitung
Seit seinen Anfängen ermöglicht das Internet die Herausbildung von spezialisierten Kulturen und Gemeinschaften bzw. die Verdichtung bereits existierender sozialer und kultureller Formationen.
Zum einen stehen alternative Medien in Opposition zu den Produkten der dominanten Medien: Sie bringen differente Sichtweisen zum Ausdruck, so zum Beispiel, wenn sie für soziale Veränderungen eintreten. Zum anderen folgen ihre Organisation und Operationsweise in der Regel nicht den kapitalistischen Geschäftsmodellen. So sind etwa die von (jugendlichen) Fans produzierten Fanzines - wie Fanpraktiken generell - nicht auf Profit ausgerichet, lehnen diese Orientierung sogar explizit ab.
So betrachten viele Aktivisten das Internet als ein Werkzeug, um sich eigene offene Räume zu schaffen, welche die Grundlage für eine bessere Zukunft sein sollen. Gerade das social web, das auf Web 2.0 basiert, schafft die Bedingungen für neue digitale Taktiken, die auf eine radikale Demokratisierung des Wissens und auf die Pluralisierung von Stimmen, Perspektiven und Quellen zielen. So wird die Wirklichkeit auf vielfältige Weise neu und anders definiert und gerahmt, als dies die dominanten Medien tun. Damit verbunden sind Hoffnungen auf eine Demokratisierung der globalen Gesellschaft,
Nach einer kurzen theoretischen Betrachtung des Verhältnisses von Alltagsleben, Kultur und Medien werde ich die alternativen Dimensionen des Internet genauer betrachten. Zunächst wird es um die Internetnutzung durch die neuen sozialen Bewegungen und Gemeinschaften gehen, die sich für eine demokratische Globalisierung einsetzen. Anschließend werde ich die Schaffung neuer Räume durch den Einsatz taktischer Medien und die Möglichkeiten des elektronischen Widerstands diskutieren. Eine Analyse der Bedeutung des Internet für (jugendliche) Fangemeinschaften schließt sich an. Hierbei werde ich vor allem die Rolle von Ezines
Cultural Studies und alternative Medien
Es war vor allem der in den 1960er Jahren in Großbritannien entstandene Ansatz der Cultural Studies, der die Rezeption und Aneignung von Medien in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten zu einem wichtigen Forschungsthema machte. Ihre Studien zu jugendlichen Subkulturen, zur Fernsehrezeption und zu Fankulturen zeigen, dass die Mediennutzung, die oft gemeinschaftlich erfolgt, produktive, kreative und bisweilen subversive Aspekte haben kann.
Offen bleibt bei dieser eher optimistischen Lesart der Populärkultur, ob und inwiefern auf die ermächtigenden Akte der Medienrezeption, in denen um Bedeutungen sowie Vergnügen gerungen wird und in denen sich ein Eigensinn entfaltet, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen folgen, die über die Momente von Rezeption und Aneignung hinausgehen. Die kreativen Alltagspraktiken im Umgang mit Medien können sich in ihrer Wirkung auch darauf beschränken, den Handelnden zu helfen, sich besser zurechtzufinden oder die Banalität des Alltagslebens leichter zu ertragen, indem man sich zeitweilig von einschränkenden Erwartungen distanziert, sich in Machtstrukturen taktisch verhält oder kleine Fluchten ergreift.
Dagegen lassen sich alternative Medien, zu denen ich die Medien von Protestgruppen, Aktivisten und Aktivistinnen, sozialen Bewegungen, Subkulturen, aber manchmal auch von Fans und Hobbyisten zähle, von vornherein als "channels of resistance" begreifen, die explizit, absichtlich und mit Engagement hegemoniale Strukturen in Frage stellen und in einem symbolischen Kampf um Bedeutung herausfordern.
Somit wird im Bereich der Cultural Studies ein neues Forschungsfeld eröffnet, das zum einen (digitale) Medienkulturen innerhalb sozialer Bewegungen und alternativer Gemeinschaften untersucht, zum anderen erforscht, wie sie durch die Kommunikationen in Gemeinschaften und Bewegungen erst geschaffen werden.
Um das kommunikative Potential alternativer digitaler Medien nutzen und entfalten zu können, sind allerdings vielfältige mediale Kompetenzen erforderlich, die technische und kulturelle Fertigkeiten beinhalten. Der amerikanische Medienpädagoge und Kulturtheoretiker Douglas Kellner
Globalisierung und neue soziale Bewegungen
Die Globalisierung, die unsere Gegenwart prägt, ist ein umkämpfter Prozess. Das haben spätestens die Proteste gegen das Treffen der World Trade Organization 1999 in Seattle deutlich gemacht, die mittels neuer Medien organisiert und koordiniert wurden. Der neoliberalen Vorstellung von Globalisierung, die von einem transnationalen Netzwerk von Politikern, Wirtschaftsbossen und Wissenschaftlern propagiert wird, steht zunehmend eine alternative, demokratische Vorstellung gegenüber, die auf Kooperation, Inklusion, Transparenz und Partizipation aufbaut.
Ein sehr gutes Beispiel für alternative Medien ist die Schaffung von Independent Media Center (Indymedia/IMC
Dabei geht es vor allem darum, oft lange bestehende, chronisch gewordene Problemlagen, Gefahren und Risiken in dringende und drängende Angelegenheiten zu verwandeln, die erledigt werden müssen, indem sie diesen mediale Aufmerksamkeit verschaffen. Hierzu setzen soziale Bewegungen - etwa Protestereignisse wie Demonstrationen, öffentliche Spektakel oder Aktionen im Internet - ein. Kommerzielle Medien, die der Kultur des Konsums
Die Aufgabe der IMCs, deren Zentrum die Webpage ist, besteht nun gerade darin, über politischen Aktivismus und globale Kampagnen zu berichten. Sie verknüpfen die lokale Arbeit mit globalen Auseinandersetzungen, wobei der globale Kontext für die Wahrnehmung der Bewegung entscheidend ist. In einem weiteren Schritt können die Kampagnen dazu dienen, transnationale Koalitionen zu schmieden. Daneben sollen sie Aktivisten und Aktivistinnen helfen, Fertigkeiten und Kompetenzen in der Medienproduktion und der elektronischen Kommunikation zu erwerben und zu verfeinern. IMCs sind dem "open publishing"-Prinzip verpflichtet und versuchen, autonome Online-Zonen zu schaffen. Sie knüpfen damit an die Tradition der Fanzines und der von Jugendlichen geprägten DIY-Culture ("Do-it-yourself") an, die grünen Radikalismus mit direkten politischen Aktionen, neuen musikalischen Sounds und Erfahrungen verband.
Die neuen sozialen Bewegungen nutzen also das Internet in ihrem Netzwerk "aktiver Beziehungen", die auf kommunikativen sowie interaktiven Praktiken, auf Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen beruhen.
Taktische Medien und Social Software
Ein weiteres Beispiel, auf das ich eingehen möchte und das mit der Internetnutzung in sozialen Bewegungen verknüpft ist, ist die Konzeption der taktischen Medien, die mittels künstlerischer Praktiken und "do it yourself"-Medien Dissens artikulieren.
Anders als politische Aktionen haben Taktiken deshalb nicht unbedingt eine Zukunftsorientierung oder einen klar identifizierbaren Gegner. So sind sie auch nicht in der kollektiven Identität einer sozialen Bewegung verankert. Eher stellen sie im Sinne Michel Foucaults Widerstandspunkte im Feld der Machtbeziehungen dar.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die Temporary Media Labs hinzuweisen, die bei Kunstausstellungen wie der Documenta, aber auch in anderen Bereichen eingerichtet werden, um transnationale Kooperationen zu initiieren und zu fördern sowie zu einer medialen Ermächtigung der Nutzer und Nutzerinnen beizutragen. Sie schaffen einen Raum für Experimente und Aushandlungen. Darüber hinaus ermöglichen taktische Medien die Ausbildung neuer Subjektivitäten und neuer Formen der Kritik, wie die Arbeit des Critical Art Ensemble zum elektronischen Widerstand veranschaulicht.
Internet und Fangemeinschaften
Weniger spektakulär als die TM-Aktivisten und Aktivistinnen, aber dennoch von großer Bedeutung sind die (jugendlichen) Fangemeinschaften und sozialen Welten, die sich mittels des Internet verdichtet haben bzw. erst herausbilden. Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass Fans - und dies gilt auch für jugendliche Fans - entgegen weit verbreiteter Vorurteile aktive und kreative Konsumenten und Konsumentinnen sind, die oft ihr erworbenes Wissen in eigene Produktionen von Texten, Filmen oder Kunstobjekten umsetzen möchten.
Eine große Bedeutung kommt in der Gegenöffentlichkeit der Fans Fanzines und Newslettern zu, die auf der Basis textueller Produktivität eine überlokale Kommunikation und auch die Koordination von Fanaktivitäten bewerkstelligen. Sie werden von "kompetenten" Fans für Fans gemacht. Mit ihren Artikeln, die auf einem detaillierten und spezialisierten Wissen beruhen, bewerten, kritisieren und feiern sie ihre jeweiligen Kultobjekte wie etwa Fernsehserien, Science-Fiction-Filme oder progressiven Rock. Dabei ist für Fans die Produktion und Zirkulation von neuen und alternativen Bedeutungen mit Vergnügen verbunden und kann gemeinschaftsstiftend wirken.
Das Ezine, die Internetausgabe des Fanzine, erleichtert zum einen den Zugang zu Informationen, weil Fanzines nun weltweit zugänglich sind. Zum anderen werden Vergemeinschaftungen von Fans auf der Basis ihres spezialisierten Interesses und ihres geteilten Wissens leichter möglich. Ezines tragen so zur Reproduktion und Ausdehnung von minoritären Spezialisierungen und Geschmacksrichtungen bei, die von den Mainstreammedien nicht oder kaum bedient werden.
Zudem verbessert das Internet die Bedingungen für Fans, ihr angeeignetes Wissen, das auch über ihren Status in ihrer Sozialwelt bestimmt, in gemeinsame Projekte umzusetzen. Fans schätzen beispielsweise Enzyklopädien, in die sie ihr Wissen als Liebhaber, Sammler und Experten einbringen können. So gibt es Webpages, die für diesen Zweck entwickelt wurden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Gibraltar Encyclopedia of Progressive Rock (Externer Link: No Titel ), in der alle Einträge von Fans geschrieben werden. Ihr erklärtes Ziel ist es, nicht nur bekannte Gruppen aufzunehmen, sondern auch Entdeckungen in diesem Bereich zu beschreiben. Viele Künstler haben auch unterschiedliche Einträge, so dass eine Vielfalt von Kommentaren und Kritiken zur Verfügung steht, mit der herkömmliche Rock-Enzyklopädien nicht mithalten können.
Dabei ist zu beachten, dass die Fans in der Regel Autodidakten sind, die ihr Wissen nicht durch eine formale Ausbildung, sondern durch leidenschaftliches Engagement und langjähriges Interesse erworben haben. Wenn ihr Wissen innerhalb einer Fangemeinschaft zirkuliert, erhöht dies ihr Ansehen und ihr (populär-)kulturelles Kapital. Im Idealfall vertiefen die Fans sich im Internet in ein demokratisches Gespräch, in dem das Objekt ihrer Begierde gefeiert wird. Dies war auch schon vorher in Fangemeinschaften möglich,
Schlussfolgerungen
Das Internet erlaubt die Artikulation unterschiedlicher alternativer Stimmen, Positionen und Perspektiven. Es können marginalisierte und minoritäre Individuen und Gruppen sein, aber auch soziale Bewegungen, die für einen neuen demokratischen Raum kämpfen, oder ästhetische Gemeinschaften wie Fans. Das Beispiel der TM-Praktiken zeigt, dass auch neue Möglichkeiten für Akteure entstehen, sich Freiheitsräume zu erkämpfen und traditionelle Vorstellungen von Copyright und Kreativität in Frage zu stellen, indem sie für ein "digital commons", für eine "freie Kultur",
Es scheint deshalb gerade aus soziologischer Sicht problematisch zu sein, nur den Bereich des Virtuellen zu betonen und von einer Online-Vergemeinschaftung oder von einer Online-Vergesellschaftung zu sprechen.
Die Zukunft wird zeigen, ob sich neben bereits bestehenden Gegenöffentlichkeiten eine funktionsfähige transnationale Öffentlichkeit herausbildet, an der alle Individuen und Gruppen weltweit partizipieren können, und welche Rolle das Internet dabei spielen wird.