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Perspektiven eines alternativen Internet

Rainer Winter

/ 14 Minuten zu lesen

Gegenstand der Analyse sind die alternativen Dimensionen des Internet. Es wird u.a. die Internetnutzung in den neuen sozialen Bewegungen und in Fangemeinschaften behandelt. Auch die Schaffung neuer Räume durch den Einsatz taktischer Medien wird diskutiert.

Einleitung

Seit seinen Anfängen ermöglicht das Internet die Herausbildung von spezialisierten Kulturen und Gemeinschaften bzw. die Verdichtung bereits existierender sozialer und kultureller Formationen. Eine besondere Bedeutung kommt in jüngster Zeit den politischen und kulturellen Alternativen zu, die durch soziale und kulturelle Praktiken im Kontext des Internet entstehen. Dieses offeriert durch seine technischen Möglichkeiten radikale Weisen der Produktion, Distribution und Organisation von Medien, die an die experimentelle Politik der Alternativpresse, der freien Radios und anderer Formen aktivistischer Medien anknüpfen. Dabei lässt sich die Bedeutung alternativer Medien und der Perspektiven, die sie artikulieren, nur in dem gesellschaftlichen und kulturellen Kontext verstehen, auf den sie antworten und in dem sie produziert und rezipiert werden.


Zum einen stehen alternative Medien in Opposition zu den Produkten der dominanten Medien: Sie bringen differente Sichtweisen zum Ausdruck, so zum Beispiel, wenn sie für soziale Veränderungen eintreten. Zum anderen folgen ihre Organisation und Operationsweise in der Regel nicht den kapitalistischen Geschäftsmodellen. So sind etwa die von (jugendlichen) Fans produzierten Fanzines - wie Fanpraktiken generell - nicht auf Profit ausgerichet, lehnen diese Orientierung sogar explizit ab. Dies gilt selbstverständlich auch für die politisch motivierten alternativen Medien, die in der neueren Diskussion bisweilen als citizens' media bezeichnet werden, weil sie auf offenem Zugang, Freiwilligkeit und Non-Profit basieren. Zudem treten sie für Diversität, Pluralität und progressiven sozialen Wandel ein.

So betrachten viele Aktivisten das Internet als ein Werkzeug, um sich eigene offene Räume zu schaffen, welche die Grundlage für eine bessere Zukunft sein sollen. Gerade das social web, das auf Web 2.0 basiert, schafft die Bedingungen für neue digitale Taktiken, die auf eine radikale Demokratisierung des Wissens und auf die Pluralisierung von Stimmen, Perspektiven und Quellen zielen. So wird die Wirklichkeit auf vielfältige Weise neu und anders definiert und gerahmt, als dies die dominanten Medien tun. Damit verbunden sind Hoffnungen auf eine Demokratisierung der globalen Gesellschaft, die sich in der Konzeption einer transnationalen Öffentlichkeit verdichten.

Nach einer kurzen theoretischen Betrachtung des Verhältnisses von Alltagsleben, Kultur und Medien werde ich die alternativen Dimensionen des Internet genauer betrachten. Zunächst wird es um die Internetnutzung durch die neuen sozialen Bewegungen und Gemeinschaften gehen, die sich für eine demokratische Globalisierung einsetzen. Anschließend werde ich die Schaffung neuer Räume durch den Einsatz taktischer Medien und die Möglichkeiten des elektronischen Widerstands diskutieren. Eine Analyse der Bedeutung des Internet für (jugendliche) Fangemeinschaften schließt sich an. Hierbei werde ich vor allem die Rolle von Ezines behandeln. Eine Schlussbetrachtung, welche die Frage nach der Bedeutung einer transnationalen Öffentlichkeit stellt, steht am Ende des Beitrags.

Cultural Studies und alternative Medien

Es war vor allem der in den 1960er Jahren in Großbritannien entstandene Ansatz der Cultural Studies, der die Rezeption und Aneignung von Medien in unterschiedlichen kulturellen und sozialen Kontexten zu einem wichtigen Forschungsthema machte. Ihre Studien zu jugendlichen Subkulturen, zur Fernsehrezeption und zu Fankulturen zeigen, dass die Mediennutzung, die oft gemeinschaftlich erfolgt, produktive, kreative und bisweilen subversive Aspekte haben kann. Diese entfalten sich gerade in Abgrenzung bzw. in Opposition zur dominanten Kultur und ihren Machtstrukturen. So kann die Aneignung von Fernsehserien, ihre Integration in das alltägliche Leben, bisweilen als Widerstand gegen hegemoniale Sinnstrukturen begriffen werden, wenn etwa soziale Rollendefinitionen, Identitätsmuster oder Normalitätserwartungen subversiv unterlaufen, parodiert oder abgelehnt werden. Den Cultural Studies geht es um alltägliche Veränderungen von Bedeutungen, Einstellungen und Wertorientierungen, um die Entfaltung des produktiven und kreativen Potentials der Lebenswelt, um die Kritik an Machtverhältnissen, um Momente der Selbstermächtigung, die vielleicht schnell vergehen, aber trotzdem prägend und einflussreich sein können.

Offen bleibt bei dieser eher optimistischen Lesart der Populärkultur, ob und inwiefern auf die ermächtigenden Akte der Medienrezeption, in denen um Bedeutungen sowie Vergnügen gerungen wird und in denen sich ein Eigensinn entfaltet, kulturelle und gesellschaftliche Veränderungen folgen, die über die Momente von Rezeption und Aneignung hinausgehen. Die kreativen Alltagspraktiken im Umgang mit Medien können sich in ihrer Wirkung auch darauf beschränken, den Handelnden zu helfen, sich besser zurechtzufinden oder die Banalität des Alltagslebens leichter zu ertragen, indem man sich zeitweilig von einschränkenden Erwartungen distanziert, sich in Machtstrukturen taktisch verhält oder kleine Fluchten ergreift.

Dagegen lassen sich alternative Medien, zu denen ich die Medien von Protestgruppen, Aktivisten und Aktivistinnen, sozialen Bewegungen, Subkulturen, aber manchmal auch von Fans und Hobbyisten zähle, von vornherein als "channels of resistance" begreifen, die explizit, absichtlich und mit Engagement hegemoniale Strukturen in Frage stellen und in einem symbolischen Kampf um Bedeutung herausfordern. Sie sind weder den Gesetzen der Marktlogik unterworfen noch vom Staat abhängig. Sie operieren im Bereich der sich konstituierenden (transnationalen) Zivilgesellschaft. Nick Couldry weist daraufhin, dass alternative Medien es einer "community of citizens" erlauben, sich in einer demokratischen Praxis zu engagieren, die auf Dialog, weitgehender Kontrolle über symbolische Ressourcen und Repräsentationen der Wirklichkeit sowie auf Offenheit beruht.

Somit wird im Bereich der Cultural Studies ein neues Forschungsfeld eröffnet, das zum einen (digitale) Medienkulturen innerhalb sozialer Bewegungen und alternativer Gemeinschaften untersucht, zum anderen erforscht, wie sie durch die Kommunikationen in Gemeinschaften und Bewegungen erst geschaffen werden. Im Sinne von James Carey, einem Begründer der amerikanischen Cultural Studies, wird Kommunikation als Kultur und Kultur als Kommunikation begriffen.

Um das kommunikative Potential alternativer digitaler Medien nutzen und entfalten zu können, sind allerdings vielfältige mediale Kompetenzen erforderlich, die technische und kulturelle Fertigkeiten beinhalten. Der amerikanische Medienpädagoge und Kulturtheoretiker Douglas Kellner fordert deshalb einen erweiterten Bildungsbegriff, der die neuen Medien beinhaltet und zur Förderung multipler Kompetenzen, insbesondere bei Jugendlichen und sozial benachteiligten Gruppen, beitragen soll. So soll es zu einer Ermächtigung von Individuen und Gruppen kommen, indem sie Informations- und Kommunikationstechnologien kompetent und effektiv einsetzen lernen. Auf diese Weise können sie ihre Problemlagen und Interessen darstellen, die in den traditionellen Medien oft nicht repräsentiert werden. Im nächsten Schritt werde ich diesen Prozess am Beispiel der neuen sozialen Bewegungen veranschaulichen.

Globalisierung und neue soziale Bewegungen

Die Globalisierung, die unsere Gegenwart prägt, ist ein umkämpfter Prozess. Das haben spätestens die Proteste gegen das Treffen der World Trade Organization 1999 in Seattle deutlich gemacht, die mittels neuer Medien organisiert und koordiniert wurden. Der neoliberalen Vorstellung von Globalisierung, die von einem transnationalen Netzwerk von Politikern, Wirtschaftsbossen und Wissenschaftlern propagiert wird, steht zunehmend eine alternative, demokratische Vorstellung gegenüber, die auf Kooperation, Inklusion, Transparenz und Partizipation aufbaut. Ihre Anhänger kritisieren unter anderem, dass die globale Ökonomie demokratische Institutionen unterhöhle und die Macht sich in einer kleinen Anzahl von Ländern und Konzernen konzentriere. Zum einen stützt sich die demokratische Globalisierung auf Gruppen und Bewegungen der Zivilgesellschaft, zum anderen auf unabhängige (nichtkommerzielle) Medienorganisationen und auf Internetwebpages.

Ein sehr gutes Beispiel für alternative Medien ist die Schaffung von Independent Media Center (Indymedia/IMC), kollektive, egalitäre und nicht hierarchische Netzwerke von Aktivisten und Aktivistinnen, die mittels Berichten, Fotos und Filmen die Wirklichkeitsrepräsentationen der dominanten Medien in Frage stellen, kritisieren und alternative Perspektiven offerieren, die der demokratischen Globalisierung verpflichtet sind. So versuchen sie beispielsweise öffentliche Aufmerksamkeit für die Folgen der globalen Erderwärmung zu gewinnen und damit Druck auf Politiker und Regierungen auszuüben. Das Internet wird zu einem performativen Raum. Handlungen werden vollzogen, indem sie geäußert werden. Auf diese Weise ermöglichen digitale Technologien auch weniger dichten und organisierten Netzwerken, Themen zu setzen, alternative Perspektiven zu entfalten und ihnen eigenständige Bedeutung zu geben.

Dabei geht es vor allem darum, oft lange bestehende, chronisch gewordene Problemlagen, Gefahren und Risiken in dringende und drängende Angelegenheiten zu verwandeln, die erledigt werden müssen, indem sie diesen mediale Aufmerksamkeit verschaffen. Hierzu setzen soziale Bewegungen - etwa Protestereignisse wie Demonstrationen, öffentliche Spektakel oder Aktionen im Internet - ein. Kommerzielle Medien, die der Kultur des Konsums verpflichtet sind, berichten in der Regel nicht über diese Proteste, die durchaus auch antikapitalistischen Charakter haben können. Der Logik des Konsums, die das neoliberale Netzwerk stärkt und aufrechterhält, stellen die neuen sozialen Bewegungen die Menschenrechte und die Demokratie gegenüber, die universal gelten sollen.

Die Aufgabe der IMCs, deren Zentrum die Webpage ist, besteht nun gerade darin, über politischen Aktivismus und globale Kampagnen zu berichten. Sie verknüpfen die lokale Arbeit mit globalen Auseinandersetzungen, wobei der globale Kontext für die Wahrnehmung der Bewegung entscheidend ist. In einem weiteren Schritt können die Kampagnen dazu dienen, transnationale Koalitionen zu schmieden. Daneben sollen sie Aktivisten und Aktivistinnen helfen, Fertigkeiten und Kompetenzen in der Medienproduktion und der elektronischen Kommunikation zu erwerben und zu verfeinern. IMCs sind dem "open publishing"-Prinzip verpflichtet und versuchen, autonome Online-Zonen zu schaffen. Sie knüpfen damit an die Tradition der Fanzines und der von Jugendlichen geprägten DIY-Culture ("Do-it-yourself") an, die grünen Radikalismus mit direkten politischen Aktionen, neuen musikalischen Sounds und Erfahrungen verband. Den IMCs gelingt es, ein anderes, vor allem komplexeres Bild von sozialen Bewegungen als die Mainstreammedien zu zeichnen, sie anders und differenzierter zu rahmen.

Die neuen sozialen Bewegungen nutzen also das Internet in ihrem Netzwerk "aktiver Beziehungen", die auf kommunikativen sowie interaktiven Praktiken, auf Aushandlungs- und Entscheidungsprozessen beruhen. Darüber hinaus zielen die Praktiken von Indymedia auf eine Demokratisierung des Journalismus, weil jeder dazu aufgefordert wird, als Journalist tätig zu sein und die technischen Möglichkeiten hierfür zur Verfügung gestellt werden. Darüber hinaus werden die Praktiken der traditionellen Journalisten und ihre positivistischen Konzeptionen von Objektivität und Unparteilichkeit radikal in Frage gestellt. Dem gegenüber entwirft der alternative Online-Journalismus eine der Gemeinschaft verpflichtete Ethik, die parteiisch, eingreifend und verbindend ist. In seiner sozial kontextuellen und selbstreflexiven Orientierung stellt er den traditionellen Journalismus auf diese Weise grundsätzlich in Frage.

Taktische Medien und Social Software

Ein weiteres Beispiel, auf das ich eingehen möchte und das mit der Internetnutzung in sozialen Bewegungen verknüpft ist, ist die Konzeption der taktischen Medien, die mittels künstlerischer Praktiken und "do it yourself"-Medien Dissens artikulieren. Im Sinne Michel de Certeaus sind Taktiken von den Gelegenheiten abhängig, die sich in den durch Strategien organisierten Räumen und Zeiten auftun. Sie zeichnen sich durch Heterogenität, Erfindungsgeist, Kunstfertigkeit und das Kombinieren von Möglichkeiten aus. Der Autor schreibt: "Im Gegensatz zu den Strategien (...) bezeichne ich als Taktik ein Handeln aus Berechnung, das durch das Fehlen von etwas Eigenem bestimmt ist (...) Die Taktik hat nur den Ort des Anderen (...) Dieser Nicht-Ort ermöglicht ihr zweifellos die Mobilität - aber immer in Abhängigkeit von den Zeitumständen -, um im Fluge die Möglichkeiten zu ergreifen, die der Augenblick bietet. Sie muss wachsam die Lücken nutzen, die sich in besonderen Situationen der Überwachung durch die Macht der Eigentümer auftun. Sie wildert darin und sorgt für Überraschungen".

Anders als politische Aktionen haben Taktiken deshalb nicht unbedingt eine Zukunftsorientierung oder einen klar identifizierbaren Gegner. So sind sie auch nicht in der kollektiven Identität einer sozialen Bewegung verankert. Eher stellen sie im Sinne Michel Foucaults Widerstandspunkte im Feld der Machtbeziehungen dar. Taktische Medien (TM) bringen sozial konstruierte Räume hervor, in denen mittels kommunikativer Ressourcen, einem Austausch von Ideen und imaginativer Kräfte zumindest temporär widerständige Diskurse und Subjektivitäten entfaltet werden. Sie lassen sich auch als Kontaktzonen begreifen, wie Alessandra Renzi zeigt. So kann das Zusammentreffen von Künstlern und Aktivisten auf einer Mailingliste zu neuen TM-Projekten führen. Geert Lovink stellt fest: "Taktische Medien sind niemals perfekt, immer im Entstehen begriffen, performativ und pragmatisch, involviert in einem ständigen Prozess, die Voraussetzungen der Kanäle, mit denen sie arbeiten, zu hinterfragen."

In diesem Zusammenhang ist auch auf die Temporary Media Labs hinzuweisen, die bei Kunstausstellungen wie der Documenta, aber auch in anderen Bereichen eingerichtet werden, um transnationale Kooperationen zu initiieren und zu fördern sowie zu einer medialen Ermächtigung der Nutzer und Nutzerinnen beizutragen. Sie schaffen einen Raum für Experimente und Aushandlungen. Darüber hinaus ermöglichen taktische Medien die Ausbildung neuer Subjektivitäten und neuer Formen der Kritik, wie die Arbeit des Critical Art Ensemble zum elektronischen Widerstand veranschaulicht. So inszenieren sie beispielsweise einen elektronischen zivilen Ungehorsam oder zelebrieren die utopischen Möglichkeiten des Plagiats im Zeitalter des Internet.

Internet und Fangemeinschaften

Weniger spektakulär als die TM-Aktivisten und Aktivistinnen, aber dennoch von großer Bedeutung sind die (jugendlichen) Fangemeinschaften und sozialen Welten, die sich mittels des Internet verdichtet haben bzw. erst herausbilden. Die bisherige Forschung hat gezeigt, dass Fans - und dies gilt auch für jugendliche Fans - entgegen weit verbreiteter Vorurteile aktive und kreative Konsumenten und Konsumentinnen sind, die oft ihr erworbenes Wissen in eigene Produktionen von Texten, Filmen oder Kunstobjekten umsetzen möchten. So lässt sich bei Fans zwischen verschiedenen Formen von Produktivität unterscheiden: zwischen semiotischer, expressiver und textueller Produktivität

Eine große Bedeutung kommt in der Gegenöffentlichkeit der Fans Fanzines und Newslettern zu, die auf der Basis textueller Produktivität eine überlokale Kommunikation und auch die Koordination von Fanaktivitäten bewerkstelligen. Sie werden von "kompetenten" Fans für Fans gemacht. Mit ihren Artikeln, die auf einem detaillierten und spezialisierten Wissen beruhen, bewerten, kritisieren und feiern sie ihre jeweiligen Kultobjekte wie etwa Fernsehserien, Science-Fiction-Filme oder progressiven Rock. Dabei ist für Fans die Produktion und Zirkulation von neuen und alternativen Bedeutungen mit Vergnügen verbunden und kann gemeinschaftsstiftend wirken.

Das Ezine, die Internetausgabe des Fanzine, erleichtert zum einen den Zugang zu Informationen, weil Fanzines nun weltweit zugänglich sind. Zum anderen werden Vergemeinschaftungen von Fans auf der Basis ihres spezialisierten Interesses und ihres geteilten Wissens leichter möglich. Ezines tragen so zur Reproduktion und Ausdehnung von minoritären Spezialisierungen und Geschmacksrichtungen bei, die von den Mainstreammedien nicht oder kaum bedient werden.

Zudem verbessert das Internet die Bedingungen für Fans, ihr angeeignetes Wissen, das auch über ihren Status in ihrer Sozialwelt bestimmt, in gemeinsame Projekte umzusetzen. Fans schätzen beispielsweise Enzyklopädien, in die sie ihr Wissen als Liebhaber, Sammler und Experten einbringen können. So gibt es Webpages, die für diesen Zweck entwickelt wurden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Gibraltar Encyclopedia of Progressive Rock (Externer Link: No Titel ), in der alle Einträge von Fans geschrieben werden. Ihr erklärtes Ziel ist es, nicht nur bekannte Gruppen aufzunehmen, sondern auch Entdeckungen in diesem Bereich zu beschreiben. Viele Künstler haben auch unterschiedliche Einträge, so dass eine Vielfalt von Kommentaren und Kritiken zur Verfügung steht, mit der herkömmliche Rock-Enzyklopädien nicht mithalten können.

Dabei ist zu beachten, dass die Fans in der Regel Autodidakten sind, die ihr Wissen nicht durch eine formale Ausbildung, sondern durch leidenschaftliches Engagement und langjähriges Interesse erworben haben. Wenn ihr Wissen innerhalb einer Fangemeinschaft zirkuliert, erhöht dies ihr Ansehen und ihr (populär-)kulturelles Kapital. Im Idealfall vertiefen die Fans sich im Internet in ein demokratisches Gespräch, in dem das Objekt ihrer Begierde gefeiert wird. Dies war auch schon vorher in Fangemeinschaften möglich, aber das Internet trägt zu einer Verbesserung und Erleichterung dieser Form von Kommunikation bei.

Schlussfolgerungen

Das Internet erlaubt die Artikulation unterschiedlicher alternativer Stimmen, Positionen und Perspektiven. Es können marginalisierte und minoritäre Individuen und Gruppen sein, aber auch soziale Bewegungen, die für einen neuen demokratischen Raum kämpfen, oder ästhetische Gemeinschaften wie Fans. Das Beispiel der TM-Praktiken zeigt, dass auch neue Möglichkeiten für Akteure entstehen, sich Freiheitsräume zu erkämpfen und traditionelle Vorstellungen von Copyright und Kreativität in Frage zu stellen, indem sie für ein "digital commons", für eine "freie Kultur", kämpfen, die vor Staat und Wirtschaft geschützt werden muss. Es ist deutlich geworden, dass es im Internet kreative Widerstandspraktiken im Sinne der Cultural Studies gibt. Deren Ausgangspunkte, Perspektiven und Ziele sind in der Regel aber nicht auf das Internet beschränkt.

Es scheint deshalb gerade aus soziologischer Sicht problematisch zu sein, nur den Bereich des Virtuellen zu betonen und von einer Online-Vergemeinschaftung oder von einer Online-Vergesellschaftung zu sprechen. Die alternativen Praktiken im Kontext des Internet veranschaulichen auch, dass das Internet unterschiedlich und komplex gebraucht werden kann. Es gibt nicht das Internet, sondern unterschiedliche Artikulationsweisen, die ihren Ursprung offline haben.

Die Zukunft wird zeigen, ob sich neben bereits bestehenden Gegenöffentlichkeiten eine funktionsfähige transnationale Öffentlichkeit herausbildet, an der alle Individuen und Gruppen weltweit partizipieren können, und welche Rolle das Internet dabei spielen wird. Kann es dazu beitragen, dass eine transnationale Öffentlichkeit entsteht, in der emanzipatorische politische Möglichkeiten entfaltet werden und die eine Gegenmacht zur neoliberal organisierten Weltwirtschaft darstellt? Die Hoffnung auf demokratische und soziale Transformationen im 21. Jahrhundert bleibt eng mit den neuen digitalen Praktiken verknüpft. Im Sinne der Cultural Studies geht es darum, in der Gewöhnlichkeit des Alltagslebens, in seinen sozialen und kulturellen Praktiken, diesen Veränderungen nachzuspüren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Rainer Winter/Roland Eckert, Mediengeschichte und kulturelle Differenzierung. Zur Herausbildung von Wahlnachbarschaften, Opladen 1990; Roland Eckert/Waldemar Vogelgesang/Thomas A. Wetzstein/Rainer Winter, Auf digitalen Pfaden. Die Kulturen von Hackern, Programmierern, Crackern und Spielern, Opladen 1991.

  2. Vgl. John D.H. Downing mit Tamara Villareal Ford, Genève Gil und Laura Stein, Radical Media. Rebellious Communication and Social Movements, Thousand Oaks et al. 2001; Lawrence Grossberg, Was sind Cultural Studies?, in: Karl H. Hörning/Rainer Winter (Hrsg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung, Frankfurt/M. 1999.

  3. Fanzines sind Magazine, die von Fans für Fans gemacht werden. Vgl. Rainer Winter, Der produktive Zuschauer. Medienaneignung als kultureller und ästhetischer Prozess, München-Köln 1995.

  4. Clemencia Rodriguez, Fissures in the Mediascape. An International Study of Citizens' Media, Cresskill/NJ 2001.

  5. Vgl. Megan Boler, Introduction, in: dies. (Hrsg.) Digital Media and Democracy. Tactics in Hard Times, Cambridge/MA 2008.

  6. Ezines oder Webzines sind Internetportale im Magazinstil.

  7. Vgl. K. H. Hörning/R.Winter (Anm. 2); R. Winter (Anm. 3).

  8. Vgl. John Fiske, Die britischen Cultural Studies und das Fernsehen, in: Rainer Winter/Lothar Mikos (Hrsg.), Die Fabrikation des Populären. Der John Fiske-Reader, Bielefeld 2001; Rainer Winter, Die Kunst des Eigensinns. Cultural Studies als Kritik der Macht, Weilerswist 2001.

  9. Vgl. R. Winter (Anm. 8).

  10. Vgl. Dick Hebdige, Subculture. The Meaning of Style, London-New York 1979; Chris Atton, An Alternative Internet. Radical Media, Politics and Creativity, Edinburgh 2004; Douglas Kellner, Für eine kritische, multikulturelle und multiperspektivische Dimension in den Cultural Studies, in: Rainer Winter (Hrsg.), Medienkultur, Kritik und Demokratie. Der Douglas Kellner-Reader, Köln 2005.

  11. Vgl. Ulrich Beck, Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter. Neue weltpolitische Ökonomie, Frankfurt/M. 2002.

  12. Nick Couldry, Inside Culture, Reimagining the Method of Cultural Studies, London 2000.

  13. Vgl. C. Atton (Anm. 10), S. 3f.

  14. Vgl. James Carey, Communication as Culture, London et al. 1989.

  15. Vgl. Douglas Kellner, Neue Medien und neue Kompetenzen. Zur Bedeutung von Bildung im 21. Jahrhundert, in: R. Winter (Anm. 10), S. 264ff.

  16. Vgl. Jackie Smith, Social Movements for Global Democracy, Baltimore 2008.

  17. Indymedia liegt das Konzept eines open publishing-Prinzips zugrunde, demzufolge prinzipiell alle Ansichten, Meinungen etc. - ggf. auch radikal vom Mainstream abweichende Auffassungen - gleichwertig nebeneinander publiziert werden können.

  18. Vgl. Leslie Sklair, Social Movements and Global Capitalism, in: Fredric Jameson/Masao Miyoshi (Hrsg.), The Cultures of Globalization, Durham/NC 1998.

  19. Vgl. Trebor Scholz, Where the Activism Is, in: M. Boler (Anm. 5).

  20. Vgl. Graham Meikle, Future Active. Media Activism and the Internet, New York-London 2002, S. 92ff.

  21. Vgl. Alberto Melucchi, Challenging Codes. Collective Action in the Information Age, Cambridge 1996.

  22. Vgl. C. Atton (Anm. 10), S. 37ff.

  23. Vgl. Geert Lovink, Dark Fiber. Auf den Spuren einer kritischen Internetkultur, Opladen 2004.

  24. Vgl. Michel de Certeau, Kunst des Handelns, Berlin 1988.

  25. Ebd., S. 89.

  26. Michel Foucault, Das Subjekt und die Macht, in: Hubert Dreyfus/Paul Rabinow, Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Frankfurt/M. 1987.

  27. Vgl. Alessandra Renzi, The Space of Tactical Media, in: M. Boler (Anm. 5), S. 77.

  28. G. Lovink (Anm. 23), S. 232.

  29. Vgl. Critical Art Ensemble, Elektronischer Widerstand, Wien 2007.

  30. Vgl. R. Winter (Anm. 3), S. 199 - 211.

  31. Vgl. John Fiske, The Cultural Economy of Fandom, in: Lisa A. Lewis (Hrsg.), The Adoring Audience. Fan Culture and Popular Media, London-New York 1992.

  32. Vgl. C. Atton (Anm. 10), S. 149.

  33. Vgl. R. Winter (Anm. 3), S. 127ff.

  34. Lawrence Lessig, Freie Kultur. Wesen und Zukunft der Kreativität, München 2006.

  35. Vgl. Michael Jäckel/Manfred Mai (Hrsg.), Online-Vergesellschaftung? Mediensoziologische Perspektiven auf neue Kommunikationstechnologien, Wiesbaden 2005.

  36. Vgl. Rainer Winter, Widerstand im Netz. Zur Herausbildung einer transnationalen Öffentlichkeit durch netzbasierte Kommunikation, Bielefeld 2008.

  37. Vgl. Nancy Fraser, Transnationalising the Public Sphere. On the Legitimacy and Efficacy of Public Opinion in a Post-Westphalian World, in: Theory, Culture & Society, 24 (2007) 4, S. 7 - 30.

  38. Vgl. R. Winter (Anm. 8).

Dr. phil. habil., Soziologe und Psychologe, geb. 1960; Professor für Medien- und Kulturtheorie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Österreich.
E-Mail: E-Mail Link: rainer.winter@uni-klu.ac.at
Internet: Externer Link: www.rainer-winter.net