Einleitung
Die Ausgrenzung vom Arbeitsprozess durch Arbeitslosigkeit verweist auf psychosoziale Folgen, welche - ausgenommen populistische Attacken gegen Arbeitslose - die Psychopathologie der Arbeitsgesellschaft kennzeichnen.
Um die Bedeutung der Arbeit für den Menschen besser zu verstehen, wird im Folgenden ein salutogenetischer
Freiwilligenarbeit als Tätigkeitsform
"Wenn ich das bezahlt bekäme, was ich hier tue, würd' ich es nicht mehr tun". Diese und ähnlich lautende Aussagen in Interviews zur Freiwilligenarbeit haben bestätigt, was wir vermuteten, als wir damit begannen, das Tätigsein jenseits der Erwerbsarbeit zu erforschen:
Das Bedürfnis zum Tätigsein folgt einem eigenen Antrieb
Umgekehrt formuliert gehen wir davon aus, dass das Bedürfnis zum Tätigsein intrinsisch - aus eigenem Antrieb heraus - motiviert ist, auch dann, wenn es extrinsisch - durch Geld, Ansehen oder Machtzuwachs - verstärkt bzw. instrumentalisiert, wenn nicht gar ausgebeutet werden kann.
Wenn dies die forschungsleitende Ausgangsthese einer erweiterten Arbeitsforschung ist, beinhaltet sie gleichzeitig eine konstruktiv gemeinte Kritik am Mainstream herkömmlicher arbeitswissenschaftlicher Studien: Da diese sich - ihre Praxisfelder berücksichtigend
Damit der Tenor des eingangs gewählten Zitats nicht singulär bleibt oder der Eindruck entsteht, ein Hinweis auf ein intrinsisches Tätigkeitsbedürfnis scheine nur in der Freiwilligenforschung auf, sei auf einen weiteren Befund verwiesen: In einer wiederholt durchgeführten europäischen Studie zur Bedeutung der Arbeit sollten sich die Befragten auf folgendes Gedankenexperiment einlassen: "Wenn Sie einen Riesengewinn in der Lotterie erzielt hätten und zur Existenzsicherung nicht mehr arbeiten müssten; was würden Sie tun"?
Bis hierher können wir festhalten: Ein Großteil der Menschen ist, soweit existenziell abgesichert - was jene in dem Gedankenexperiment annehmen sollten und was für die Freiwilligen der Mittelschicht und damit für den größten Prozentsatz dieser Gruppe gilt - intrinsisch motiviert, zu arbeiten. Darüber hinaus würden viele - ohne Not - auch dann in der Erwerbsarbeit verbleiben, wenn sie die Bedingungen entsprechend ihren Bedürfnissen beeinflussen könnten. Im Laufe der vergangenen 20 Jahre - so unsere Nachfragen - variierten die zu verändernden Bedingungen, unter denen 66 Prozent bereit wären, auch dann weiterzuarbeiten, wenn sie dies nicht aus finanziellen Gründen müssten: Waren es in der Vergangenheit Bedürfnisse zu mehr Weiterbildung oder Abwechslung bezüglich der Aufgaben, so bestehen diese heute mehrheitlich darin, Zeitsouveränität zu erlangen und weniger quantitativen Arbeitsanforderungen ausgesetzt zu sein.
Der Autonomieanspruch ist nicht käuflich
Warum eine mögliche Bezahlung die Motive frei-gemeinnütziger Tätigkeit in Frage stellt, liegt - so die Ausführungen der Interviewten - im jeweiligen Autonomieanspruch
Dies zeigt sich auch in einer quantitativen Studie zum Stellenwert des Autonomieanspruchs bei frei-gemeinnützig Tätigen, im Gegensatz zu Erwerbstätigen: Die Arbeits- und Organisationspsychologie hat - in langer Tradition und großer Übereinstimmung zwischen verschiedenen Forschergruppen - Humankriterien guter Arbeit bestimmt und im Hinblick auf ihre Wirkungen erforscht. Wir legten die folgenden sieben Kriterien zur Bildung einer Rangreihe vor; selbstverständlich nach deren Definition und Diskussion zum persönlichen Erfahrungshintergrund.
Sinnhaftigkeit (Übereinstimmung gesellschaftlicher und individueller Interessen);
Zeitelastizität (Freiräume für Interaktion, Kreativität und die Gestaltung der Anforderungen);
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten (Erhalt und Entwicklung geistiger Flexibilität, beruflicher Qualifikation);
Autonomie (Verantwortungsübernahme, Selbstwert- und Kompetenzerleben);
Soziale Interaktion (gemeinsame Bewältigung von Schwierigkeiten und Belastungen);
Anforderungsvielfalt (Einsatz vielseitiger Qualifikationen und Vermeidung einseitiger Beanspruchungen);
Ganzheitlichkeit der Aufgabe (Erkennen der Bedeutung der eigenen Arbeit und Feedback aus der Durchführung).
Bei Freiwilligen steht Sinnhaftigkeit an erster und Autonomie an zweiter Stelle, gefolgt von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, sozialer Interaktion, Ganzheitlichkeit, Zeitelastizität sowie Anforderungsvielfalt. Für Erwerbstätige sieht diese Rangreihe ganz anders aus: An erster Stelle steht hier die soziale Interaktion, danach kommen Anforderungsvielfalt sowie Lern- und Entwicklungsmöglichkeit. Es folgen Sinnhaftigkeit, Ganzheitlichkeit und Zeitelastizität auf den Plätzen vier, fünf, sechs und Autonomie erst auf dem siebten Rang; identisch übrigens mit der Rangfolge einer Gruppe von über 100 Betriebsräten!Sinngenerierung und Sinnprägnanz: Der Kern frei-gemeinnütziger Tätigkeit
Selbstbestimmung - so die Argumentation - ist zwar der priorisierte Anspruch an die frei-gemeinnützige Tätigkeit und wird im Bereich der Lohnarbeit von Erwerbstätigen und Betriebsräten auf den letzten Rangplatz verwiesen, Sinnhaftigkeitjedoch belegt nicht nur in der berichteten Studie, sondern auch in Interviews und einer Analyse von Freiwilligeninitiativen den ersten Rangplatz: dort fanden wir Sinnprägnanz als den Erfolgsfaktor der Initiativen; dies gilt es abschließend zu bewerten.
Auch wenn ein marktorientiertes Unternehmen und deren Mitarbeitende Sinn herzustellen versuchen, gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen einer Freiwilligeninitiative und einer Unternehmung, die mittels bezahlter Arbeitskräfte realisiert wird: Der Begründung einer Non-Profit-Organisation (NPO) und erst recht der individuellen Entscheidung für eine frei-gemeinnützige Tätigkeit geht ein sinnsuchender und -generierender Abgrenzungs- und Selektionsprozess voraus: Nicht der vielversprechende Businessplan oder die Lohnvorstellungen und mögliche Vertragssicherheiten sind entscheidend, sondern ein intensiver Diskurs darüber, was im gegebenen Kontext sinnvoll ist. Nur so können das eingangs gewählte Zitat und die Aussage einer freiwilligen Mitarbeiterin eines Netzwerks verstanden werden, die in der Diskussion über monetäre Anreize klar und unmissverständlich äußerte: "das Geld - was ich möglicherweise bekommen würde oder könnte - würde ich wieder stiften, weil ich mich für die Arbeit entschieden habe und nicht für den Lohn".
Diese Aussagen verweisen auf eine Ökonomie der Aufmerksamkeitim Gegensatz zur Ökonomie des Geldes: Leistungserbringung und Lohnverzicht, Engagement und hohe Identifikation können aus dem Bedürfnis resultieren, die eigene Aufmerksamkeit gegenüber soziokulturellen Aufgaben und Fragen zur sozialen Gerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen und gleichzeitig die Aufmerksamkeit Dritter zu wünschen, zu lenken und erregen zu wollen: nicht, um deren Geld als Tauschobjekt oder als Entlastungsmoment zu fordern oder anzunehmen, sondern um gemeinwohlorientiertes Engagement auszulösen - entweder für die gleiche Sache zu einem anderen Zeitpunkt (Ausgleichsbeziehung) oder für eine andere Sache zum gleichen Zeitpunkt (Tauschbeziehung). Dabei darf man jedoch nicht den Rätseln der Nächstenliebe anheim fallen, sondern muss vielmehr die Voraussetzungen für mehr zivilgesellschaftliches Engagement schaffen: durch ein bedingungsloses Grundeinkommen etwa! Dies jedoch ist eine andere Debatte und sie muss ein anderes Mal geführt werden.