Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-KRK). Schneller als bei jedem anderen Menschenrechtsvertrag der Vereinten Nationen wurde die Konvention von ausreichend Unterzeichnerstaaten ratifiziert, um in Kraft zu treten.
Der UN-KRK waren bereits andere Erklärungen über die Rechte von Kindern vorausgegangen: die Genfer Erklärung von 1924, die vom Völkerbund verabschiedet worden war, und die Erklärung der Rechte des Kindes der Vereinten Nationen von 1959. Die Konvention von 1989 unterschied sich jedoch signifikant von ihren Vorläufern, da sie die Rechtssubjektivität von Kindern völkerrechtlich verankerte und so einen Paradigmenwechsel für die Rechte von Kindern einläutete.
Die grundlegend geänderte Sichtweise auf Kinder als Träger_innen von Rechten von Anfang an spiegelt sich in den als "Allgemeine Prinzipien" benannten Artikeln der Konvention wider. Hierzu gehören das Recht auf Nicht-Diskriminierung (Artikel 2), die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls (Artikel 3 Absatz 1), das Recht auf Leben und Entwicklung des Kindes (Artikel 6) und das Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung des Kindes (Artikel 12). Geltung haben diese sowie die weiteren in insgesamt 54 Artikeln formulierten Kinderrechte gemäß Vorgaben aus Artikel 1 UN-KRK für alle Menschen, "die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sofern die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendende Recht nicht früher eintritt".
Ein neuer Blick auf Kinder und Kindheit
Obwohl die universellen Menschenrechte aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 zweifellos auch für Kinder gelten, bestand 1989 weltweit Einigkeit darüber, dass es eine Kinderrechtskonvention brauchte. Es gab bereits eine Reihe von Menschenrechtsverträgen, die spezifische Gruppen von Menschen benannten, denen der Zugang zu ihren Menschenrechten in einer besonderen Weise erschwert ist.
Ähnliche Bedarfe hatten schon Anfang des 20. Jahrhunderts einige Reformpädagog_innen benannt, zu denen in Verbindung mit der Entstehungsgeschichte der UN-KRK allen voran die schwedische Pädagogin Ellen Key und der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak zu zählen sind. In seiner pädagogischen Schrift "Wie man ein Kind lieben soll" formulierte Letzterer bereits 1919 ein "Grundgesetz" für Kinder, das lediglich drei Artikel umfasste: "1. Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag. 2. Das Recht des Kindes auf seinen Tod. 3. Das Recht des Kindes, das zu sein, was es ist."
In den 1970er Jahren setzte eine Wiederentdeckung der Gedanken und Forderungen Korczaks im internationalen pädagogischen Fachdiskurs in Form der zunächst in den USA entstandenen Kinderrechtsbewegung (Children’s Liberation Movement) ein. Diese Bewegung sah sich jedoch der Kritik gegenüber, die Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen nicht zu berücksichtigen und Kinder wie Erwachsene zu behandeln.
Die Abkehr vom Konstrukt Kindheit als reinem Schutz- und Vorbereitungs(zeit)raum verbunden mit dem Bild des "unfertigen" Kindes, das erst durch die kompetente, erwachsene, "fertige" Erziehungsperson zu einem bestimmten Erziehungsziel hingeführt wird, etablierte sich spätestens mit den Kindheitswissenschaften in den 1990er und 2000er Jahren im pädagogischen Fachdiskurs.
Grundprinzip: Vorrang Kindeswohl
Ankerpunkt des emanzipatorischen Ansatzes der UN-KRK von 1989 sind die Vorgaben aus Artikel 3 mit seinem Gebot der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls: "Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist."
In der amtlichen deutschen Übersetzung wird hier der Begriff "Kindeswohl" für "best interests of the child" in der originalen und damit der verbindlichen englischen Sprachfassung gewählt. Dadurch entsteht eine gewisse Schieflage hinsichtlich der Auslegung dieser Norm in Deutschland, die so mit einem Ausdruck in Verbindung gebracht wird, der in der deutschen Rechtsordnung ein zentraler Rechtsbegriff des Kinderschutzes ist, hier meist in Zusammenhang mit einer Kindeswohlgefährdnung, die durch staatliche Maßnahmen abgewandt werden soll.
Die Vorgaben von Artikel 3 UN-KRK hingegen sind nicht als "Schwellenwert" zu verstehen, der nicht unterschritten werden darf, da sonst eine Gefährdung vorliegt, sondern darüber hinaus als zu erlangender positiver Zustand im Sinne der Wahrnehmung der Ansichten und Belange von Kindern bei allen staatlichen Maßnahmen. Sie sind getragen von dem Gedanken, dass Kinder "Subjekte mit eigenen Meinungen und Handlungszielen"
Diese Anforderung der UN-KRK führt immer noch zu großen Kontroversen. Kritiker_innen stellen sich endlose Verfahren der Beteiligung und Anhörung von Kindern und Gruppen von Kindern vor, die staatliche Maßnahmen beziehungsweise Entscheidungen unmöglich erscheinen lassen. Doch dies muss nicht der Fall sein.
Erfolgsgeschichte UN-Kinderrechtskonvention?
Mit Blick auf die Lage der Kinderrechte weltweit stellt sich die Frage, ob hinsichtlich der Schutz- und Fürsorgerechte von Kindern nicht zunächst dringendere Probleme zu lösen sind als die Verwirklichung der Beteiligungsrechte von Kindern.
In der Tat zog UNICEF International in seinem Bericht anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der UN-KRK eine gemischte Bilanz der vergangenen drei Jahrzehnte.
Global gesehen scheint sich bei der Verwirklichung der Kinderrechte trotz großer Fortschritte seit Verabschiedung der UN-KRK eine gewisse Stagnation bemerkbar zu machen, und zweifellos gibt es extreme Unterschiede mit Blick auf die Verwirklichungschancen zwischen ärmeren Ländern beziehungsweise Krisengebieten und wohlhabenderen Ländern. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen staatlichen Handelns auf Kinderrechte nicht immer sofort sichtbar sind, wenn beispielsweise eine Anpassung der Sozialpolitik zu einer Verschärfung von Kinderarmut führt. Kinder, deren Rechte hier verletzt werden, bleiben in diesen Debatten häufig zunächst unerwähnt.
Inwieweit die Vertragsstaaten ihren Verpflichtungen im Rahmen der UN-KRK nachkommen, überwacht gemäß Artikel 44 UN-KRK der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Dieses Gremium ausgewählter unabhängiger Expert_innen prüft in regelmäßigen Abständen mittels eines Berichtsverfahrens den Stand der Umsetzung der Konvention in den Vertragsstaaten.
Umsetzung der UN-KRK in Deutschland
In Deutschland trat die UN-KRK am 5. April 1992 in Kraft und hat seitdem den Rang eines einfachen Bundesgesetzes.
Dennoch wurden bei der Ratifizierung Vorbehalte erklärt,
Unter den insgesamt fünf Vorbehalten fand sich auch eine Erklärung, mit der die Bundesregierung sich die Möglichkeit offenhielt, Unterschiede zwischen in- und ausländischen Kindern machen zu dürfen – ein Vorbehalt, der mit großen Kontroversen im Inland verbunden war, aber auch immer wieder zu harscher Kritik durch die Vereinten Nationen führte. Denn er lieferte lange die Legitimation dazu, minderjährige Jugendliche im Asylverfahren in Deutschland bereits ab einem Alter von 16 Jahren als verfahrensfähig einzustufen und sie damit wie Erwachsene zu behandeln, statt ihnen den deutschen 16-Jährigen gewährten Schutz zugänglich zu machen.
2010 nahm die Bundesregierung schließlich alle Vorbehalte zurück, und seitdem gilt die UN-KRK uneingeschränkt in Deutschland.
Richtet man den Blick auf die Abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes, so steht Deutschland mit seiner äußerst geringen Kindersterblichkeit, Zugang zu sauberem Trinkwasser für eigentlich alle Kinder und seinem umfassenden Zugang zum Bildungssystem im weltweiten Vergleich durchaus gut da. Doch für die UN-KRK gilt, dass sich die Vertragsstaaten in ihren Bemühungen immer an ihren Möglichkeiten messen lassen müssen.
Deutschland hat das Berichtsverfahren drei Mal durchlaufen, zuletzt mit einem zusammengelegten Dritt-/Viertbericht 2014, und hat im April 2019 den neuen Bericht für den nächsten Zyklus vorgelegt.
die Kinderrechte mit Verfassungsrang auszustatten;
eine Kinderrechtsinstitution (Kinderbeauftragte/Kinderombudsperson) mit Beschwerdemechanismus für Kinder auf nationaler Ebene zu schaffen;
eine unabhängige Monitoring-Stelle einzurichten, die die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland kritisch begleitet;
ein umfassendes Datensystem zur "Messung" der Verwirklichung der Kinderrechte einzurichten;
den Schutz der Rechte asylsuchender Kinder und von Kindern mit Migrationshintergrund deutlich zu verbessern;
mittels einer nationalen Strategie den Schutz von Kindern vor allen Formen von Gewalt zu verbessern;
die Aufforderung zum Bürger_innen-Dialog, damit das viergliedrige Schulsystem mit dem Ziel einer inklusiven Bildung im Sinne der Aufgabe einer Sonderbeschulung von Kindern mit Behinderung überwunden werden kann;
als Dringlichkeitsthema die Bemühungen zur Bekämpfung der Ursachen von Kinderarmut zu verstärken; sowie
die Ursachen für das im internationalen Vergleich außerordentlich auffällige Zusammenspiel der sozioökonomischen Herkunft von Kindern und der Chance auf einen guten Bildungsabschluss zu identifizieren und zu beheben.
Wie kommt es, dass fast drei Jahrzehnte nach Ratifizierung der UN-KRK in Deutschland selbst solch grundlegende Maßnahmen wie die beiden erstgenannten nicht umgesetzt wurden?
Die Debatte um die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ist mindestens so alt wie die UN-KRK selbst. Eine erste entsprechende Forderung wurde vom "Aktionsbündnis Kinderrechte" 1994 veröffentlicht.
Für die Einrichtung einer oder eines Kinderbeauftragten der Bundesregierung zur Koordinierung des Regierungshandelns mit Bezug auf Kinderrechte gab es immer wieder einmal Vorschläge,
Infolge des Berichtsverfahrens 2014 wurde 2015 am Deutschen Institut für Menschenrechte, der nationalen Menschenrechtsinstitution Deutschlands, die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention eingerichtet, die die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland kritisch begleiten soll. Bis dahin hatte die Bundesrepublik diesbezüglich einen "weißen Fleck" auf der Weltkarte dargestellt,
Um den Stand der Umsetzung der UN-KRK bewerten zu können, müssen unterschiedliche Informationen ausgewertet werden: neben gesetzlichen Regelungen auch Statistiken sowie quantitative und qualitative Forschung. Doch genau an diesen Informationen mangelt es grundsätzlich – auch in Deutschland. Sie müssen mühselig durch Befragungen der entsprechenden Ressorts der Bundesländer zusammengetragen werden
Auch bei der Forschung zur Partizipation von Kindern sind es die Nichtregierungsorganisationen, die seit vielen Jahren als gutes Beispiel vorangehen.
Fazit
Auf dem Weltkindergipfel 2002 in New York haben die teilnehmenden 360 Kinder und Jugendlichen aus den Vertragsstaaten eine Erklärung vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgetragen, die mit dem Apell endete: "You call us the future, but we are also the present."
Treffender kann man das immer noch bestehende Dilemma nicht formulieren. Es sind die Erwachsenen, die aus ihrer Sicht bereits im Sinne der Kinder handeln und dabei bewusst oder unbewusst die Kinder als eigenständige Träger_innen der Menschenrechte ignorieren. Der Anspruch der UN-KRK geht eben weit darüber hinaus, die Kindersterblichkeit weltweit zu reduzieren und Kinder vor äußerster Not zu bewahren. Kinder sollen nicht nur Zugang zu grundlegender Bildung bekommen und Schutz vor Ausbeutung und Gewalt erhalten, sondern auch Mitgestaltende bei der Umsetzung ihrer Rechte sein können.
Der Umgang mit den selbstorganisierten Schüler_innen, die sich in Deutschland im Kontext der internationalen Bewegung Fridays for Future für Klima- und Umweltschutz und damit für ihre Zukunft und ihre Menschenrechte einsetzen, ist ein erneuter Beleg dafür, dass auch in Deutschland Kinder und Jugendliche immer noch nicht als mitgestaltende Träger_innen von Rechten anerkannt sind. Ihr bereits im Grundgesetz verankertes Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wurde in der medialen Aufbereitung meist weniger debattiert als die Frage der Ordnungswidrigkeit durch "Schulschwänzen".
Dabei ist es die Aufgabe eines Vertragsstaates zu gewährleisten, dass bei allem staatlichen Handeln die Berücksichtigung der Meinung der Kinder garantiert ist, und diese unter Umständen, wenn es unterschiedliche Belange abzuwägen gilt, sogar mit Vorrang zu behandeln. Das ist schon seit rund drei Jahrzehnten geltendes Recht, das aber nicht ausreichend umgesetzt wurde.