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Drei Jahrzehnte UN-Kinderrechtskonvention | Menschenrechte | bpb.de

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Drei Jahrzehnte UN-Kinderrechtskonvention

Claudia Kittel

/ 17 Minuten zu lesen

Mit der UN-Kinderrechtskonvention von 1989 wurde völkerrechtlich festgeschrieben: Kinder sind eigeständige Träger_innen von Rechten. Dieser Grundsatz stellt auch nach drei Jahrzehnten weltweit und in Deutschland immer noch eine große Herausforderung dar.

Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (UN-KRK). Schneller als bei jedem anderen Menschenrechtsvertrag der Vereinten Nationen wurde die Konvention von ausreichend Unterzeichnerstaaten ratifiziert, um in Kraft zu treten. Heute haben sie bis auf die USA alle Staaten der Welt ratifiziert, sodass von einem wirklich "universellen Vertragswerk" gesprochen werden kann.

Der UN-KRK waren bereits andere Erklärungen über die Rechte von Kindern vorausgegangen: die Genfer Erklärung von 1924, die vom Völkerbund verabschiedet worden war, und die Erklärung der Rechte des Kindes der Vereinten Nationen von 1959. Die Konvention von 1989 unterschied sich jedoch signifikant von ihren Vorläufern, da sie die Rechtssubjektivität von Kindern völkerrechtlich verankerte und so einen Paradigmenwechsel für die Rechte von Kindern einläutete.

Die grundlegend geänderte Sichtweise auf Kinder als Träger_innen von Rechten von Anfang an spiegelt sich in den als "Allgemeine Prinzipien" benannten Artikeln der Konvention wider. Hierzu gehören das Recht auf Nicht-Diskriminierung (Artikel 2), die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls (Artikel 3 Absatz 1), das Recht auf Leben und Entwicklung des Kindes (Artikel 6) und das Recht auf Gehör und Berücksichtigung der Meinung des Kindes (Artikel 12). Geltung haben diese sowie die weiteren in insgesamt 54 Artikeln formulierten Kinderrechte gemäß Vorgaben aus Artikel 1 UN-KRK für alle Menschen, "die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, sofern die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendende Recht nicht früher eintritt".

Ein neuer Blick auf Kinder und Kindheit

Obwohl die universellen Menschenrechte aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 zweifellos auch für Kinder gelten, bestand 1989 weltweit Einigkeit darüber, dass es eine Kinderrechtskonvention brauchte. Es gab bereits eine Reihe von Menschenrechtsverträgen, die spezifische Gruppen von Menschen benannten, denen der Zugang zu ihren Menschenrechten in einer besonderen Weise erschwert ist. Kinder – so die einhellige Erfahrung – sind auch eine solche Gruppe. Folglich wurden ihre Rechte in der UN-KRK präzisiert.

Ähnliche Bedarfe hatten schon Anfang des 20. Jahrhunderts einige Reformpädagog_innen benannt, zu denen in Verbindung mit der Entstehungsgeschichte der UN-KRK allen voran die schwedische Pädagogin Ellen Key und der polnische Kinderarzt und Pädagoge Janusz Korczak zu zählen sind. In seiner pädagogischen Schrift "Wie man ein Kind lieben soll" formulierte Letzterer bereits 1919 ein "Grundgesetz" für Kinder, das lediglich drei Artikel umfasste: "1. Das Recht des Kindes auf den heutigen Tag. 2. Das Recht des Kindes auf seinen Tod. 3. Das Recht des Kindes, das zu sein, was es ist." Das Kind sei "Experte seiner selbst, nur von ihm können wir lernen, ihm gerecht zu werden" – ein Grundsatz, der den 1989 mit der UN-KRK eingeforderten Paradigmenwechsel auf den Punkt bringt. Der Slogan der autonomen Behindertenbewegung, "Nichts über uns, ohne uns!", könnte auch als Grundsatz für die UN-KRK gelten: Nichts für oder über Kinder, ohne Kinder.

In den 1970er Jahren setzte eine Wiederentdeckung der Gedanken und Forderungen Korczaks im internationalen pädagogischen Fachdiskurs in Form der zunächst in den USA entstandenen Kinderrechtsbewegung (Children’s Liberation Movement) ein. Diese Bewegung sah sich jedoch der Kritik gegenüber, die Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen nicht zu berücksichtigen und Kinder wie Erwachsene zu behandeln. Es ist eine immer wiederkehrende Debatte: Zweifellos muss Kindern aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit qua ihres Kindseins eine Sonderstellung garantiert sein, aber wie weit darf dieses "Anderssein" führen? Die UN-KRK legte fest: Die Rechtssubjektivität von Kindern ist die Grenze.

Die Abkehr vom Konstrukt Kindheit als reinem Schutz- und Vorbereitungs(zeit)raum verbunden mit dem Bild des "unfertigen" Kindes, das erst durch die kompetente, erwachsene, "fertige" Erziehungsperson zu einem bestimmten Erziehungsziel hingeführt wird, etablierte sich spätestens mit den Kindheitswissenschaften in den 1990er und 2000er Jahren im pädagogischen Fachdiskurs. Kinder wurden fortan als eigenständige gesellschaftliche Akteur_innen verstanden, und es wurde vermehrt qualitativ und partizipativ zu Kindern und deren Lebenswelt geforscht. Hinzu kam eine selbstkritische Auseinandersetzung in der Pädagogik mit der Adultismus-Theorie und den neueren Grundkonzepten zu Intersektionalität und Mehrfachdiskriminierung.

Grundprinzip: Vorrang Kindeswohl

Ankerpunkt des emanzipatorischen Ansatzes der UN-KRK von 1989 sind die Vorgaben aus Artikel 3 mit seinem Gebot der vorrangigen Berücksichtigung des Kindeswohls: "Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist."

In der amtlichen deutschen Übersetzung wird hier der Begriff "Kindeswohl" für "best interests of the child" in der originalen und damit der verbindlichen englischen Sprachfassung gewählt. Dadurch entsteht eine gewisse Schieflage hinsichtlich der Auslegung dieser Norm in Deutschland, die so mit einem Ausdruck in Verbindung gebracht wird, der in der deutschen Rechtsordnung ein zentraler Rechtsbegriff des Kinderschutzes ist, hier meist in Zusammenhang mit einer Kindeswohlgefährdnung, die durch staatliche Maßnahmen abgewandt werden soll.

Die Vorgaben von Artikel 3 UN-KRK hingegen sind nicht als "Schwellenwert" zu verstehen, der nicht unterschritten werden darf, da sonst eine Gefährdung vorliegt, sondern darüber hinaus als zu erlangender positiver Zustand im Sinne der Wahrnehmung der Ansichten und Belange von Kindern bei allen staatlichen Maßnahmen. Sie sind getragen von dem Gedanken, dass Kinder "Subjekte mit eigenen Meinungen und Handlungszielen" sind – und von Beginn an auch Träger_innen von Menschenrechten, die als solche "ständig zur eigenen Rechtsausübung ermächtigt werden sollen". Dies findet seinen Ausdruck darin, dass der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes in seinem Kommentar zur Auslegung von Artikel 3 Absatz 1 ausdrücklich betont, dass das Kindeswohl nur dann sachgemäß bestimmt werden kann, wenn das Kind als Person mit eigenen Positionen anerkannt und in Entscheidungen einbezogen wird. Für die Vertragsstaaten gilt daher, dass für staatliche Maßnahmen, bei denen das Kindeswohl ermittelt werden soll, "eine aktive Einbindung des Willens und der Wünsche des Kindes zwingend erforderlich" ist. Diese Einbindung gilt es gemäß den Vorgaben aus Artikel 12 UN-KRK als Recht des Kindes auf Gehör und Berücksichtigung seiner Meinung in "allen das Kind berührenden Angelegenheiten" zur Anwendung zu bringen. Vonseiten des Staates sind dazu alle erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, "die es dem Kind ermöglichen, seine Interessen und Meinungen bestmöglich vorzubringen".

Diese Anforderung der UN-KRK führt immer noch zu großen Kontroversen. Kritiker_innen stellen sich endlose Verfahren der Beteiligung und Anhörung von Kindern und Gruppen von Kindern vor, die staatliche Maßnahmen beziehungsweise Entscheidungen unmöglich erscheinen lassen. Doch dies muss nicht der Fall sein. Es geht nicht darum, dem Willen eines Kindes als Abwägungsmaßstab Vorrang vor allen anderen abzuwägenden Dingen zu geben. In der UN-KRK wird gefordert, dass politische Entscheidungsträger_innen bei ihren Abwägungen den Willen und/oder die Wünsche der betroffenen Kinder berücksichtigen und dies auch dokumentieren und festhalten. Ein solcher Prozess macht staatliche Maßnahmen nachprüfbar und damit auch anfechtbar.

Erfolgsgeschichte UN-Kinderrechtskonvention?

Mit Blick auf die Lage der Kinderrechte weltweit stellt sich die Frage, ob hinsichtlich der Schutz- und Fürsorgerechte von Kindern nicht zunächst dringendere Probleme zu lösen sind als die Verwirklichung der Beteiligungsrechte von Kindern.

In der Tat zog UNICEF International in seinem Bericht anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der UN-KRK eine gemischte Bilanz der vergangenen drei Jahrzehnte. Zwar seien Erfolge zu verzeichnen wie die Senkung der Kindersterblichkeit um 60 Prozent weltweit. Gleichzeitig müsse man feststellen, dass in manchen Regionen wie beispielsweise West- und Zentralafrika, Ost- und Südafrika sowie Südasien Kinder aus ärmeren Haushalten drei Mal gefährdeter sind, vor Vollendung ihres fünften Lebensjahres zu sterben als Kinder aus wohlhabenderen Haushalten. Historische Fortschritte seien bei der Grundschulbildung festzustellen, wo die Zahl der Mädchen und Jungen, die keine Grundschule besuchen können, weltweit auf unter 10 Prozent gesunken ist. Zugleich zeige der genaue Blick, dass die Zahlen seit 2007 stagnieren und in einigen Ländern viele Kinder die Schule ohne wirkliche Lernerfolge verlassen. Betont werden auch Erfolge bei der Stärkung der Kinderrechte durch nationale Gesetzgebung. So sei die Zahl jener Staaten, die ein Gewaltverbot gegen Kinder gesetzlich festgeschrieben haben, von 3 auf 58 gestiegen. Dennoch gehören Gewalterfahrungen für viele Kinder zum Alltag. Anlass zu großer Sorge sei auch die Verdreifachung der registrierten schweren Kinderrechtsverletzungen in Kriegs- und Krisengebieten. Die UNO-Flüchtlingshilfe sprach angesichts von 70 Millionen Menschen auf der Flucht, von denen jede_r zweite noch Kind im Sinne der UN-Kinderrechtskonvention sei, von "traurigen Rekordzahlen" und, auch mit Blick auf die hohe Zahl von Kindern, die "in Textilfabriken, in Minen, als Prostituierte und sogenannte Dienstmädchen in Privathaushalten ausgebeutet werden", von einem "Versagen der Weltgemeinschaft".

Global gesehen scheint sich bei der Verwirklichung der Kinderrechte trotz großer Fortschritte seit Verabschiedung der UN-KRK eine gewisse Stagnation bemerkbar zu machen, und zweifellos gibt es extreme Unterschiede mit Blick auf die Verwirklichungschancen zwischen ärmeren Ländern beziehungsweise Krisengebieten und wohlhabenderen Ländern. Hinzu kommt, dass die Auswirkungen staatlichen Handelns auf Kinderrechte nicht immer sofort sichtbar sind, wenn beispielsweise eine Anpassung der Sozialpolitik zu einer Verschärfung von Kinderarmut führt. Kinder, deren Rechte hier verletzt werden, bleiben in diesen Debatten häufig zunächst unerwähnt. Gleichzeitig initiieren die Regierungen Partizipationsprojekte und bekräftigen ihr Engagement für eine Umsetzung der UN-KRK, wie es anlässlich des 30-jährigen Jubiläums 47 Staaten mit einem neuen "Versprechen" vor den Vereinten Nationen im November 2019 getan haben.

Inwieweit die Vertragsstaaten ihren Verpflichtungen im Rahmen der UN-KRK nachkommen, überwacht gemäß Artikel 44 UN-KRK der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes. Dieses Gremium ausgewählter unabhängiger Expert_innen prüft in regelmäßigen Abständen mittels eines Berichtsverfahrens den Stand der Umsetzung der Konvention in den Vertragsstaaten. Neben dem Staatenbericht, den die Regierung des jeweiligen Landes vorlegen muss, werden auch Ergänzende Berichte von bei den Vereinten Nationen akkreditierten Netzwerken von Kinderrechtsorganisationen, den nationalen Menschenrechtsinstitutionen sowie den UN-Organisationen UNICEF und UNHCR eingereicht. Nach Prüfung der Berichte veröffentlicht der Ausschuss sogenannte Abschließende Bemerkungen mit Empfehlungen für eine verbesserte Umsetzung der UN-KRK an den jeweiligen Vertragsstaat.

Umsetzung der UN-KRK in Deutschland

In Deutschland trat die UN-KRK am 5. April 1992 in Kraft und hat seitdem den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. In der Denkschrift anlässlich der Ratifizierung wurde festgehalten: "Das Übereinkommen setzt Standards, die in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht sind, und bietet keinerlei Anlaß, grundlegende Änderungen oder Reformen des innerstaatlichen Rechts zu betreiben."

Dennoch wurden bei der Ratifizierung Vorbehalte erklärt, beispielsweise hinsichtlich der von der UN-KRK geforderten rechtlichen Gleichbehandlung ehelicher und nichtehelicher Kinder. Diese erfolgte in Deutschland erst einige Jahre nach der Ratifizierung im Zuge des Kindschaftsrechtsreformgesetzes 1998 und steht in einer Reihe mit der kurz vor der Ratifizierung 1990/91 erfolgten Ablösung des kaiserzeitlichen Jugendwohlfahrtsgesetzes durch ein neues Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) und dem Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung aus dem Jahr 2000. Diese Entwicklungen standen sicherlich nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Ratifizierung der UN-KRK, haben aber deutlichen "Rückenwind" durch diese erfahren.

Unter den insgesamt fünf Vorbehalten fand sich auch eine Erklärung, mit der die Bundesregierung sich die Möglichkeit offenhielt, Unterschiede zwischen in- und ausländischen Kindern machen zu dürfen – ein Vorbehalt, der mit großen Kontroversen im Inland verbunden war, aber auch immer wieder zu harscher Kritik durch die Vereinten Nationen führte. Denn er lieferte lange die Legitimation dazu, minderjährige Jugendliche im Asylverfahren in Deutschland bereits ab einem Alter von 16 Jahren als verfahrensfähig einzustufen und sie damit wie Erwachsene zu behandeln, statt ihnen den deutschen 16-Jährigen gewährten Schutz zugänglich zu machen.

2010 nahm die Bundesregierung schließlich alle Vorbehalte zurück, und seitdem gilt die UN-KRK uneingeschränkt in Deutschland. Darüber hinaus hat Deutschland auch die drei Fakultativprotokolle zur UN-KRK über die Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten, über Kinderhandel, Kinderprostitution und Kinderpornografie sowie über ein Individualbeschwerdeverfahren für Kinder ratifiziert. Dieser Erfolg gründet vor allem auf dem konstruktiven Dialog zwischen Zivilgesellschaft und Politik und dem unermüdlichen Einsatz von Kinderrechtsorganisationen, die immer wieder auf Kinderrechtsverletzungen aufmerksam gemacht haben und mit ihren Lösungsvorschlägen Verbündete in der Politik finden konnten.

Richtet man den Blick auf die Abschließenden Bemerkungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes, so steht Deutschland mit seiner äußerst geringen Kindersterblichkeit, Zugang zu sauberem Trinkwasser für eigentlich alle Kinder und seinem umfassenden Zugang zum Bildungssystem im weltweiten Vergleich durchaus gut da. Doch für die UN-KRK gilt, dass sich die Vertragsstaaten in ihren Bemühungen immer an ihren Möglichkeiten messen lassen müssen.

Deutschland hat das Berichtsverfahren drei Mal durchlaufen, zuletzt mit einem zusammengelegten Dritt-/Viertbericht 2014, und hat im April 2019 den neuen Bericht für den nächsten Zyklus vorgelegt. Die Abschließenden Bemerkungen der vorangegangenen Verfahren zeigen, dass eine Vielzahl von Empfehlungen an Deutschland gerichtet wurde, einige davon wiederholt und mit zunehmendem Nachdruck. Zu diesen besonders dringlichen Empfehlungen gehörten:

  • die Kinderrechte mit Verfassungsrang auszustatten;

  • eine Kinderrechtsinstitution (Kinderbeauftragte/Kinderombudsperson) mit Beschwerdemechanismus für Kinder auf nationaler Ebene zu schaffen;

  • eine unabhängige Monitoring-Stelle einzurichten, die die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland kritisch begleitet;

  • ein umfassendes Datensystem zur "Messung" der Verwirklichung der Kinderrechte einzurichten;

  • den Schutz der Rechte asylsuchender Kinder und von Kindern mit Migrationshintergrund deutlich zu verbessern;

  • mittels einer nationalen Strategie den Schutz von Kindern vor allen Formen von Gewalt zu verbessern;

  • die Aufforderung zum Bürger_innen-Dialog, damit das viergliedrige Schulsystem mit dem Ziel einer inklusiven Bildung im Sinne der Aufgabe einer Sonderbeschulung von Kindern mit Behinderung überwunden werden kann;

  • als Dringlichkeitsthema die Bemühungen zur Bekämpfung der Ursachen von Kinderarmut zu verstärken; sowie

  • die Ursachen für das im internationalen Vergleich außerordentlich auffällige Zusammenspiel der sozioökonomischen Herkunft von Kindern und der Chance auf einen guten Bildungsabschluss zu identifizieren und zu beheben.

Wie kommt es, dass fast drei Jahrzehnte nach Ratifizierung der UN-KRK in Deutschland selbst solch grundlegende Maßnahmen wie die beiden erstgenannten nicht umgesetzt wurden?

Die Debatte um die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz ist mindestens so alt wie die UN-KRK selbst. Eine erste entsprechende Forderung wurde vom "Aktionsbündnis Kinderrechte" 1994 veröffentlicht. Erstmalig fand das Vorhaben in der aktuellen Legislatur Einzug in den Koalitionsvertrag mit der Verabredung der Regierungsparteien, ein "ausdrückliches Kindergrundrecht" im Grundgesetz schaffen zu wollen. Doch aktuell stockt das Verfahren.

Für die Einrichtung einer oder eines Kinderbeauftragten der Bundesregierung zur Koordinierung des Regierungshandelns mit Bezug auf Kinderrechte gab es immer wieder einmal Vorschläge, jedoch auch begründete Bedenken, ob dies im deutschen Föderalismus tatsächlich den gewünschten Effekt hätte. Auch mit Blick auf Beschwerdemechanismen für Kinder geht es nur zögerlich voran. So ringen selbst im bundesgesetzlich geregelten Bereich der Kinder- und Jugendhilfe unabhängige Beschwerdestellen (Ombudschaften) immer noch um eine gesetzliche Grundlage und ihren Status als unabhängige Stellen.

Infolge des Berichtsverfahrens 2014 wurde 2015 am Deutschen Institut für Menschenrechte, der nationalen Menschenrechtsinstitution Deutschlands, die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention eingerichtet, die die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland kritisch begleiten soll. Bis dahin hatte die Bundesrepublik diesbezüglich einen "weißen Fleck" auf der Weltkarte dargestellt, da viele Vertragsstaaten bereits Ende der 1990er Jahre Maßnahmen für eine institutionalisierte unabhängige Überwachung ihrer Umsetzung der UN-KRK realisiert hatten.

Um den Stand der Umsetzung der UN-KRK bewerten zu können, müssen unterschiedliche Informationen ausgewertet werden: neben gesetzlichen Regelungen auch Statistiken sowie quantitative und qualitative Forschung. Doch genau an diesen Informationen mangelt es grundsätzlich – auch in Deutschland. Sie müssen mühselig durch Befragungen der entsprechenden Ressorts der Bundesländer zusammengetragen werden oder sind schlicht nicht vorhanden – selbst in Bereichen, wo es zusätzlich zur UN-KRK Regelungen auf bundesgesetzlicher Ebene gibt, beispielsweise vor Gericht, wo eine Anhörung von Kindern im Falle von Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zwingend ab 14 Jahren (und darunter ab 4 Jahren nur begründet nicht) vorgegeben ist. Ob diese tatsächlich auch stattfindet, wird vom Gesetzgeber aber nicht systematisch erfasst. Man kann sie nur herleiten, wie es zuletzt das Deutsche Kinderhilfswerk in seiner Pilotstudie "Kinderrechte-Index" getan hat, die zu dem Schluss kommt, dass die Quote der tatsächlichen Anhörung von Kindern für alle Bundesländer im Durchschnitt bei unter 50 Prozent liegt – ein sehr ernüchterndes Beispiel, wenn selbst im hochformalisierten Bereich der Gerichtsbarkeit die Umsetzung der UN-KRK schwer nachzuvollziehen ist.

Auch bei der Forschung zur Partizipation von Kindern sind es die Nichtregierungsorganisationen, die seit vielen Jahren als gutes Beispiel vorangehen. Zuletzt hat die von UNICEF Deutschland anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der UN-KRK durchgeführte Befragung von über 12000 Kindern in Deutschland einen Einblick bieten können. Das Votum der Kinder, insbesondere der Jugendlichen, ist sehr deutlich: Sie wollen mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten in ihrem direkten Lebensumfeld und auch bei politischen Fragen. Die Schule als Ort für Mitbestimmungsmöglichkeiten schnitt schlecht ab. Und die Kinder und Jugendlichen wünschten sich von Unternehmen mehr Umweltschutz und familienfreundlichere Arbeitszeiten.

Fazit

Auf dem Weltkindergipfel 2002 in New York haben die teilnehmenden 360 Kinder und Jugendlichen aus den Vertragsstaaten eine Erklärung vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen vorgetragen, die mit dem Apell endete: "You call us the future, but we are also the present."

Treffender kann man das immer noch bestehende Dilemma nicht formulieren. Es sind die Erwachsenen, die aus ihrer Sicht bereits im Sinne der Kinder handeln und dabei bewusst oder unbewusst die Kinder als eigenständige Träger_innen der Menschenrechte ignorieren. Der Anspruch der UN-KRK geht eben weit darüber hinaus, die Kindersterblichkeit weltweit zu reduzieren und Kinder vor äußerster Not zu bewahren. Kinder sollen nicht nur Zugang zu grundlegender Bildung bekommen und Schutz vor Ausbeutung und Gewalt erhalten, sondern auch Mitgestaltende bei der Umsetzung ihrer Rechte sein können.

Der Umgang mit den selbstorganisierten Schüler_innen, die sich in Deutschland im Kontext der internationalen Bewegung Fridays for Future für Klima- und Umweltschutz und damit für ihre Zukunft und ihre Menschenrechte einsetzen, ist ein erneuter Beleg dafür, dass auch in Deutschland Kinder und Jugendliche immer noch nicht als mitgestaltende Träger_innen von Rechten anerkannt sind. Ihr bereits im Grundgesetz verankertes Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wurde in der medialen Aufbereitung meist weniger debattiert als die Frage der Ordnungswidrigkeit durch "Schulschwänzen".

Dabei ist es die Aufgabe eines Vertragsstaates zu gewährleisten, dass bei allem staatlichen Handeln die Berücksichtigung der Meinung der Kinder garantiert ist, und diese unter Umständen, wenn es unterschiedliche Belange abzuwägen gilt, sogar mit Vorrang zu behandeln. Das ist schon seit rund drei Jahrzehnten geltendes Recht, das aber nicht ausreichend umgesetzt wurde.

ist Diplompädagogin und leitet die Monitoring-Stelle UN-Kinderrechtskonvention des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin. E-Mail Link: kittel@institut-fuer-menschenrechte.de