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Internationaler Menschenrechtsschutz | Menschenrechte | bpb.de

Menschenrechte Editorial Internationaler Menschenrechtsschutz. Eine Einführung Fundierte Hoffnung. Der Kampf für Menschenrechte in Krisenzeiten Morbide Symptome. Die Krise der Menschenrechte Menschenrechte und 75 Jahre Vereinte Nationen Drei Jahrzehnte UN-Kinderrechtskonvention Die Universalität der Menschenrechte überdenken

Internationaler Menschenrechtsschutz Eine Einführung

Anne Peters Elif Askin

/ 17 Minuten zu lesen

Was sind Menschenrechte aus völkerrechtlicher Perspektive? Mithilfe welcher völkerrechtlicher Verfahren und Institutionen werden sie gefördert und durchgesetzt? Und was können Menschenrechte in der globalen oder gar post-globalisierten Konstellation leisten?

Der internationale Menschenrechtsschutz ist der Phönix, der aus der Asche des Zweiten Weltkrieges aufgestiegen ist, schrieb der Oberste Gerichtshof Kanadas kürzlich in einem spektakulären Urteil gegen ein kanadisches Unternehmen, das eine Mine in Eritrea unter Ausnutzung von Zwangsarbeit betrieb. Aber was für ein Wesen ist dieser Feuervogel?

Auf dem Papier gedeiht er. Kaum ein Staat der Welt spricht sich offen gegen Menschenrechtsschutz aus. Die völkerrechtlichen Instrumente und Institutionen werden ausgebaut und verfeinert. Es werden neue Menschenrechte proklamiert, vom Recht gegen Korruption über ein Recht auf Internet bis hin zu einem Recht auf Klimaschutz. Menschenrechte werden für neue Gruppen, etwa Tiere, diskutiert und gegen neue Verpflichtete, insbesondere Wirtschaftsunternehmen, eingesetzt. Immer mehr Rechtsregime werden im Lichte der Menschenrechte Betroffener verändert, etwa die Regeln zum Schutz von Auslandsinvestitionen im Verhältnis zu Rechten indigener Bevölkerungen.

Dem stehen anhaltende Menschenrechtsverletzungen in allen Regionen der Welt gegenüber. Diese reichen von der Missachtung quasi aller Rechte in Ländern wie Venezuela oder Syrien über Misshandlung und Diskriminierung von Migranten und Geflüchteten in fast allen Zielländern bis hin zu übermäßigen Eingriffen in die Privatsphäre durch internetbasierte Überwachung in vielen Staaten des Globalen Nordens. 2019 lebten nur drei Prozent der gesamten Weltbevölkerung in Ländern, welche die klassischen bürgerlichen Menschenrechte der Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vollständig gewährleisten. Bei den wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten, etwa den Rechten auf Nahrung, Gesundheit oder Arbeit, sieht es nicht besser aus. Mehr als 820 Millionen Menschen sind weltweit chronisch unterernährt, von denen fast alle in Ländern des Globalen Südens leben. Und in zahlreichen Ländern der Welt wächst die private Verschuldung durch Studiendarlehen, medizinische Verschuldung oder Kreditkartenverschuldung, was dazu führen kann, dass die Verschuldeten Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wasser oder Behausung nicht mehr befriedigen können.

Die Kluft zwischen den Lippenbekenntnissen der Staaten zu den Menschenrechten und ihrer praktischen Umsetzung ist also groß. Hinzu kommt ein intellektueller Backlash gegen die Idee der Menschenrechte. Diese Angriffe sind nicht nur strategisch, sondern hängen auch mit Kontroversen über die philosophischen Grundlagen von Menschenrechten zusammen.

Was sind Menschenrechte aus völkerrechtlicher Perspektive? Mithilfe welcher völkerrechtlicher Verfahren und Institutionen werden sie gefördert und durchgesetzt? Und was können Menschenrechte in der globalen oder gar post-globalisierten Konstellation leisten?

Schutz menschlicher Grundbedürfnisse und Interessen

Menschenrechte sollen grundlegende Interessen und Bedürfnisse schützen, etwa das Interesse am Leben und das damit einhergehende Bedürfnis nach Nahrung; sie sollen die Entfaltung menschlicher Fähigkeiten ermöglichen, etwa das Leben in Gemeinschaft und in Kommunikation mit anderen, und insgesamt Menschen befähigen, ihr Leben in Würde zu gestalten. Das Gegenstück zu den Menschenrechten sind die Pflichten des Staates, diese Rechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten.

Menschenrechte sind sogenannte subjektive Rechte, anders als rein objektive Schutznormen oder Standards wie Umwelt- oder Tierschutzvorschriften. Weil Menschenrechte juridische Ansprüche erzeugen, ermächtigen sie Einzelne, die Beeinträchtigung ihrer Rechte anzuprangern. Menschenrechte verwandeln damit Opfer in Bürger (empowerment).

Menschenrechte sind eine historische Antwort auf konkrete Bedrohungssituationen. Bereits im 17. Jahrhundert wurde in England die Habeas-Corpus-Beschwerdemöglichkeit geschaffen, mit der ein verhafteter Mensch eine richterliche Prüfung seiner Haft verlangen konnte. Habeas Corpus ist unvermindert wichtig und wurde etwa von inhaftierten Terrorverdächtigen in Guantánamo beansprucht. Da Menschenrechte eine konkrete juristische Antwort auf Bedrohungen sind, die sich stetig verändern, werden immer wieder neue Menschenrechte formuliert, etwa das Recht auf Datenschutz oder das Recht auf Schutz vor genetischer Diskriminierung.

Kodifikationen nach 1945

Menschenrechte waren historisch in erster Linie gegen den Staat gerichtet, weil dieser aufgrund seines Gewaltmonopols ein spezifisches Bedrohungspotenzial aufweist. Die Staaten sind aber auch diejenigen Institutionen, welche die Menschenrechte sichern und gewährleisten. In Situationen prekärer Staatlichkeit oder in failed states ist die Menschenrechtslage schlechter als in stabilen Staaten. Nachdem in den Staatsverfassungen der westlichen Welt Menschen- und Grundrechtskataloge schon im 18. Jahrhundert aufkamen, wurden zusätzliche überstaatliche Garantien erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Reaktion auf Nationalsozialismus und Krieg eingeführt. Der Menschenrechtsschutz wurde als Ziel und Aufgabe der Vereinten Nationen in der UN-Charta von 1945 anerkannt. Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) als Resolution der UN-Generalversammlung verabschiedet.

Das internationale Menschenrechtsschutzsystem steht mit dem ebenfalls völkerrechtlich abgesicherten Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und der Staatensouveränität in einem Spannungsverhältnis, das mit dem Ende des Kalten Krieges zwar abgemildert, aber nicht vollkommen überwunden wurde. Ein wichtiger Meilenstein war hier die Wiener Menschenrechtskonferenz von 1993, deren Schlussdeklaration festhält, dass der Menschenrechtsschutz eine Sache der internationalen Gemeinschaft ist und keine innerstaatliche Angelegenheit. Unter der Maxime "alle Menschenrechte für alle" betonten die damaligen Staatsoberhäupter die Universalität, Unteilbarkeit und Interdependenz aller Menschenrechte.

Das Fundament des universellen Menschenrechtsschutzes, die International Bill of Human Rights, bilden neben der AEMR die beiden UN-Menschenrechtspakte von 1966. Der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) umfasst die klassischen liberalen Freiheitsrechte beziehungsweise die sogenannten Rechte der ersten Generation wie das Recht auf Leben, Schutz vor Folter, Religionsfreiheit und die Meinungs- und Informationsfreiheit. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt) enthält hingegen die Rechte der zweiten Generation wie das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich Nahrung, Gesundheit oder Wasser, das Recht auf soziale Sicherheit und das Recht auf Bildung. Diese Aufteilung der Rechte in zwei völkerrechtliche Verträge hatte mit der damaligen ideologischen Auseinandersetzung zu tun: Das westliche Lager hielt die bürgerlichen und politischen Rechte für die "eigentlichen" Menschenrechte, im sozialistischen Block war es genau umgekehrt. Heute gelten die Menschenrechte als unteilbar. Dennoch lebt der alte Gegensatz fort: China hat nur den Sozialpakt ratifiziert, wohingegen die USA nur dem Zivilpakt beigetreten sind.

Tatsächlich unterscheidet sich die Verpflichtungsstruktur beider Gruppen von Menschenrechten: Während der Zivilpakt die darin enthaltenen Rechte für sofort und unmittelbar verbindlich erklärt, wird im Sozialpakt lediglich eine allmähliche Umsetzung unter dem Vorbehalt des Möglichen gefordert. Die Rechtsprechungsaktivität staatlicher Gerichte hat aber soziale Menschenrechte in vielen Staaten operationalisiert. Diese sind also nicht nur Programmsätze, deren Verwirklichung ausschließlich eine dem Gesetzgeber obliegende politische Angelegenheit wäre.

Weitere universelle Menschenrechtsabkommen wurden für bestimmte Themen oder Gruppen geschlossen, beispielsweise die Anti-Rassismuskonvention von 1965, die Frauenrechtskonvention von 1979 und die Anti-Folterkonvention von 1984. Daneben existieren regionale Menschenrechtsverträge, die jeweils kulturelle Besonderheiten aufweisen. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) von 1950 ist ein klassisch liberales Instrument mit bürgerlichen und politischen Rechten, enthält aber nicht ausdrücklich soziale Menschenrechte. Sozialrechtliche Dimensionen wurden in den Vertragsstaaten durch die dynamische Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) eingeführt, etwa ein Recht auf bezahlten Elternurlaub, abgeleitet aus dem Grundrecht auf Nichtdiskriminierung. Die Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (Banjul-Charta) von 1981 umfasst auch kollektive Rechte der dritten Generation wie ein Recht der Völker auf Entwicklung und auf Verfügung über ihre Bodenschätze und statuiert ferner Pflichten des Einzelnen gegenüber Familie, Gesellschaft und Staat. Die Arabische Charta der Menschenrechte von 2004 verankert ein "Menschenrecht" auf nationale Souveränität und territoriale Integrität, und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen besteht hier unter Vorbehalt der "positiven" Diskriminierung von Frauen durch die Scharia.

Universalität und kulturelle Vielfalt

Zur Grundidee von Menschenrechten gehört, dass sie allen Menschen zukommen, also universell gelten. Aber erst nach Ende der Ost-West-Spaltung stieg in den 1990er Jahren die Ratifikation und damit die Verbindlichmachung der Verträge in allen Staaten der Welt steil an. Heute haben 80 Prozent der Staaten mindestens vier der wichtigsten Menschenrechtsverträge ratifiziert. Dennoch bestehen unterschiedliche Auffassungen über den Schutzumfang der in diesen Verträgen ausformulierten Rechte fort, vor allem mit Blick auf die Familie, die Geschlechterbeziehungen und das Verhältnis des Einzelnen zur Gruppe. Beispielsweise werden sogenannte Ehrenmorde in einigen arabischen Staaten und die Genitalverstümmelung von Frauen in einigen Staaten Afrikas von Behörden toleriert. Manche asiatischen Gesellschaften halten eine sehr weitgehende Datenerfassung und Personentracking zum Schutz der öffentlichen Gesundheit für angemessen. In vielen Bundesstaaten der USA sowie in anderen Weltregionen gilt die Todesstrafe als vereinbar mit dem Recht auf Leben.

In der Präambel der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von 2005 wird die kulturelle Vielfalt als gemeinsames Menschheitserbe bezeichnet. Zugleich soll niemand die Vorschriften dieses Abkommens anführen dürfen, um die international garantierten Menschenrechte einzuschränken oder zu verletzen. Fraglich ist also, ab wann kulturell verwurzelte Menschenrechtsbeeinträchtigungen eine Verletzung der universellen Mindeststandards darstellen.

Das internationale Menschenrechtssystem stellt juristische Instrumente zur Verfügung, die der kulturellen Vielfalt Rechnung tragen. Da die in den Verträgen enthaltenen Rechte sehr vage und weit formuliert sind, können kulturelle Besonderheiten durch Auslegung berücksichtigt werden. Die Gerichte räumen hier den nationalen Behörden einen besonderen Spielraum ein. So hat der EGMR im Kontext des französischen Burkaverbots im öffentlichen Raum anerkannt, dass dieses durch das Prinzip des Zusammenlebens (vivre ensemble) in der französischen Gesellschaft mittels visueller Kommunikation gerechtfertigt sei. Auch können Staaten zu einzelnen Vertragsvorschriften Vorbehalte erklären. Deutschland hat etwa das Fakultativprotokoll zum Zivilpakt unter dem Vorbehalt ratifiziert, dass Personen sich nicht auf die allgemeine Gleichheitsgarantie (Artikel 26) berufen dürfen, wenn Freiheitsrechte betroffen sind, die nicht selbst im Pakt garantiert sind, etwa das Recht auf Eigentum oder Gesundheit. Islamische Staaten bringen sehr oft Vorbehalte zur Religionsfreiheit an.

Die Frage bleibt, wo genau der universelle Mindeststandard liegt, unter den Staaten trotz kultureller oder regionaler Eigenarten nicht fallen dürfen. Im internationalen Menschenrechtsschutzsystem gibt es kaum Durchsetzungsinstanzen, die verbindliche Entscheidungen zu solchen Fragen treffen können. Die Frage des universellen Minimums muss deshalb immer wieder im globalen Diskurs ausgehandelt werden. Entscheidend ist, dass hieran nicht nur die Machthaber, die von restriktiven Auslegungen profitieren, teilnehmen, sondern vor allem die Betroffenen selbst.

Durchsetzung

Für die Durchsetzung der Menschenrechte sind in erster Linie die Staaten verantwortlich, denn sie sind kraft ihrer Souveränität verpflichtet, die Menschenrechte auf eigenem Staatsgebiet zu verwirklichen. Vor diesem Hintergrund sind Individuen grundsätzlich angehalten, den innerstaatlichen Rechtsweg im Verletzerstaat zu durchlaufen, bevor sie sich an die überstaatlichen Instanzen wenden können. Auf völkerrechtlicher Ebene werden Menschenrechte zum einen mit dezentralen beziehungsweise bilateralen Mitteln durch die Staaten selbst durchgesetzt, etwa mittels Menschenrechtsdialogen oder Wirtschaftssanktionen. Zum anderen bestehen zentrale Durchsetzungsmechanismen. Zu unterscheiden sind hierbei die vertragsbezogenen von den nicht-vertragsspezifischen sowie die universellen von den regionalen Durchsetzungsmechanismen.

Universeller Menschenrechtsschutz

Die vertraglichen Prüfungsorgane der universellen Menschenrechtsverträge sind keine Gerichte, sondern unabhängige Expertenausschüsse. Diese arbeiten mit verschiedenen Durchsetzungsinstrumenten: Staatenberichtsverfahren, Individualmitteilungen und Staatenbeschwerden.

Regelmäßige Staatenberichte sind alle zwei bis fünf Jahre obligatorisch. Die Ausschüsse verfassen zu den Berichten sogenannte Abschließende Bemerkungen, in denen sie Empfehlungen an den überprüften Staat abgeben. Der Ausschuss zum Sozialpakt, der UN-Sozialausschuss, hat beispielsweise in den Abschließenden Bemerkungen zum Staatenbericht von Deutschland 2018 die Menschenrechtsstandards für Unternehmen als zu unverbindlich kritisiert und die Bundesrepublik angemahnt, die menschenrechtsrelevanten Auswirkungen ihrer Handels- oder Investitionspolitik auf Individuen im Ausland zu berücksichtigen. Diese Staatenberichtsverfahren leiden jedoch an zeitlichen Rückständen bei der Erstellung der Berichte und bei der Prüfung durch die überlasteten Ausschüsse. Auch sind die Berichte teilweise oberflächlich oder verfälscht. NGOs haben die Möglichkeit, flankierende und zum Teil korrigierende "Schattenberichte" zu erstellen, die in das Verfahren einbezogen werden. Die staatliche Umsetzung der Ausschussempfehlungen wird nur schwach überwacht, da die Ausschüsse keine Druckmittel besitzen.

Individualmitteilungsverfahren, wie sie in einigen Menschenrechtsverträgen vorgesehen sind, eröffnen Einzelnen die Möglichkeit, sich direkt an einen Expertenausschuss zu wenden. Vorbedingung ist allerdings, dass der jeweilige Verletzerstaat dieser Möglichkeit grundsätzlich zugestimmt hat. So hat etwa Deutschland die Zuständigkeit des Menschenrechtsausschusses zum Zivilpakt zur Prüfung von Individualmitteilungen anerkannt. Der Ausschuss spricht in der Regel eine Empfehlung zur Wiedergutmachung der Menschenrechtsverletzung an den Verletzerstaat aus. Die das Verfahren abschließenden Auffassungen des Ausschusses entfalten jedoch keine rechtliche Bindungswirkung. Die Verletzerstaaten sind lediglich zu ihrer Berücksichtigung nach Treu und Glauben verpflichtet. 2013 wurde das Individualmitteilungsverfahren vor dem UN-Sozialausschuss eingeführt. Weder Deutschland noch die USA noch China haben dieses Fakultativprotokoll ratifiziert. Die meisten Individualmitteilungen sind bislang gegen Spanien ergangen. Beispielsweise hat Spanien das Recht auf Behausung durch fehlende Beteiligung der Eigentümerin einer Wohnung bei der Vollstreckung einer Hypothek verletzt.

Staatenbeschwerdeverfahren berechtigen einen Vertragsstaat, gegen eine andere Vertragspartei Beschwerde wegen Verletzung der Menschenrechtspflichten einzureichen. Da eine Staatenbeschwerde die Beziehungen zum beklagten Staat erheblich beeinträchtigen kann, setzen Staaten dieses Verfahren nur selten in Gang.

Zu den universellen nicht-vertragsspezifischen Durchsetzungsinstanzen zählt insbesondere der 2006 gegründete UN-Menschenrechtsrat. Dieser setzt sich aus Vertretern von 47 UN-Mitgliedstaaten zusammen, die turnusmäßig von der Generalversammlung gewählt werden. Seine Mitglieder sind also keine unabhängigen Sachverständigen, sondern weisungsgebunden. Der Menschenrechtsrat ist dementsprechend ein genuin politisches Organ. Er befasst sich unter anderem mit groben und systematischen Menschenrechtsverletzungen durch Abgabe von Empfehlungen. Mit Gründung des Menschenrechtsrates wurde auch der Universal Periodic Review (UPR) eingeführt. Hiermit überprüfen sich die Staaten gegenseitig am Maßstab der jeweils für den Staat geltenden Menschenrechtspflichten. Es kann zu Manipulationen bei der Überprüfung kommen, etwa wenn einflussreiche Staaten sich von befreundeten Staaten oder Schein-NGOs loben lassen. Ein UPR endet mit einem Schlussbericht, der eine Einschätzung der Menschenrechtssituation und Empfehlungen enthält. Deutschland wurde zuletzt 2018 überprüft und erhielt Empfehlungen zum Umgang mit Rassismus und Hassrede.

Regionaler Menschenrechtsschutz

Anders als auf der UN-Ebene finden sich auf regionaler Ebene Menschenrechtsgerichte. Das europäische Menschenrechtssystem ist am stärksten entwickelt. Der EGMR in Straßburg ist seit 1998 eine ständige Institution. Jeder der 47 Mitgliedstaaten des Europarates ist automatisch seiner Gerichtsbarkeit unterworfen. Die Individualbeschwerde zum EGMR ist das wichtigste Verfahren. Jede Person, die sich in der Hoheitsgewalt (Jurisdiktion) eines Konventionsstaates befindet, hat ein individuelles Beschwerderecht gegen diesen Staat. Der Konventionsschutz gilt auch hier nur subsidiär. Geschädigte Individuen müssen also zunächst den innerstaatlichen Rechtsweg durchlaufen, bevor sie sich an den EGMR wenden dürfen. Ferner besteht die Möglichkeit, dass ein Staat mittels Staatenbeschwerde stellvertretend für seine Staatsangehörigen oder in seiner "Wächterfunktion" der EMRK eine andere Vertragspartei verklagt. Beispielsweise hat Zypern gegen die Türkei wegen der Besetzung Nordzyperns Beschwerde erhoben und die Ukraine gegen Russland nach der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine.

Der EGMR ist extrem ausgelastet, sodass in jüngerer Zeit Reformen zur Bewältigung des Rückstaus in der Aburteilung und Umsetzung der Urteile diskutiert werden. 2019 wurden 44500 Beschwerden vorgelegt. Der Gerichtshof entschied im selben Jahr in fast 40000 Fällen, wobei die meisten Beschwerden für unzulässig erklärt wurden. Aktuell sind fast 60000 Beschwerden anhängig. Die häufigsten abgeurteilten Konventionsverstöße begehen Russland, die Türkei und die Ukraine. Gegen Deutschland wurden 2019 über 500 Beschwerden erhoben, bei acht wurde der Fall sachlich geprüft und in keinem Fall eine Konventionsverletzung festgestellt. In den Jahren zuvor ist Deutschland verschiedentlich verurteilt worden, beispielsweise wegen Polizeigewalt gegen Hooligans oder wegen der Diskriminierung eines nichtehelichen Kindes.

Im interamerikanischen Menschenrechtsschutzsystem existieren zur Umsetzung der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) von 1969 eine Kommission (IAKMR) und der Interamerikanische Gerichtshof (IAGMR). Mit der Ratifizierung der AMRK erkennen die Staaten die Zuständigkeit der Kommission für Individualbeschwerdeverfahren automatisch an. Dies gilt aktuell für 25 Staaten. Die USA haben die AMRK nicht ratifiziert, erkennen jedoch die Amerikanische Menschenrechtserklärung an. Anhand dieser kann die IAKMR auch die USA messen. Der IAGMR kann nicht automatisch von Individuen angerufen werden, sondern wird lediglich nach Behandlung einer Beschwerde durch die Kommission zuständig. Deshalb ist dieser Gerichtshof auch viel weniger ausgelastet als der EGMR. Beide interamerikanischen Instanzen behandeln schwerste Regimekriminalität und zunehmend auch "alltägliche" Menschenrechtsverletzungen wie Diskriminierungen gleichgeschlechtlicher Paare in Kolumbien oder moderne Sklaverei in Brasilien.

Auch das afrikanische Menschenrechtsschutzsystem ist zweistufig, mit einer Kommission und einem Gerichtshof. Unter bestimmten Voraussetzungen können Nichtregierungsorganisationen oder Einzelne direkt an das Gericht gelangen. Es sind bisher erst einige Hundert Kommissionsentscheidungen und gut 30 Urteile ergangen. Beispielsweise wurde festgestellt, dass Kenia durch die Vertreibung der indigenen Volksgruppe Ogiek von ihrem angestammten Land im Mau-Wald die Konvention verletzt hat. Restriktive Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Einreichung von Beschwerden sowie Ressourcenmangel erschweren jedoch den Zugang zu diesen Instanzen.

Die Arabische Menschenrechtscharta begründet keinen Gerichtshof, sondern lediglich eine Kommission, die Staatenberichte zu prüfen hat. Individualbeschwerden sind nicht vorgesehen. Eine wirksame Kommissionstätigkeit ist nicht zu verzeichnen. In Asien wurde bislang kein verbindliches Menschenrechtsschutzsystem geschaffen. Zwar liegen verschiedene Menschenrechtserklärungen vor, wie etwa die von der ASEAN ausgearbeitete Menschenrechtserklärung von 2012. Diese Instrumente entfalten allerdings keine rechtlichen Bindungswirkungen.

Backlash

Die Urteile der regionalen Menschenrechtsgerichte sind rechtsverbindlich, aber es häufen sich die Fälle von Nichtbefolgung. So haben Russland oder die Türkei in den vergangenen Jahren die meisten gegen sie ergangenen Urteile des EGMR nicht vollständig oder überhaupt nicht umgesetzt, oft unter Verweis auf die "Politisierung" des Gerichts. 2015 wurde in Russland ein Gesetz verabschiedet, das die Umsetzung von Urteilen verhindert, wenn diese der russischen Verfassung widersprechen würden. Um der Nichtumsetzung entgegenzuwirken, war schon 2010 ein Urteilsbefolgungsverfahren eingeführt worden: Das politische Organ, das Ministerkomitee, kann seitdem den EGMR mit der Frage befassen, ob der Staat seiner Befolgungspflicht nachgekommen ist. Der Gerichtshof kann dann in einem zweiten Urteil feststellen, ob der Staat durch Nichtbefolgung des Ersturteils Artikel 46 Absatz 1 EMRK verletzt hat. Wegen der hohen Hürden ist dieses Verfahren aber sehr selten. Hinzu kommt, dass sogar langjährige Mitgliedstaaten wie das Vereinigte Königreich und die Schweiz die Legitimität des Gerichtshofs in Zweifel ziehen.

Auf nationaler Ebene fällt in immer mehr Staaten eine populistische Unterminierung von Menschenrechtserrungenschaften unter Verweis auf die angebliche Mehrheitsmeinung in der Gesellschaft auf, die sich für Minderheitenanliegen wie die Stärkung der Rechte Homosexueller nicht interessierte. Dies geht häufig einher mit der Dämonisierung der internationalen Menschenrechtsinstanzen, die solche Rechte schützen.

Vielfach sind Einwände gegen Menschenrechte Schutzbehauptungen lokaler Eliten, die ihre Pfründe und Privilegien durch die Forderungen nach gleicher Freiheit für alle bedroht sehen. Die politisch-strategische Gegenbewegung trifft heute mit einer Fundamentalkritik an den Menschenrechten zusammen, die sich aus unterschiedlichen ideologischen Quellen speist. Kommunitaristen und Tugendethiker befürchten, dass der Fokus auf Rechte zu einer übermäßigen Verrechtlichung des gesellschaftlichen Zusammenlebens führt und ein Anspruchsdenken zulasten von Verantwortung und Solidarität geht. Demokratietheoretiker sehen eine Knebelung der Demokratie, wenn zu starke oder zu viele Menschenrechte einer Veränderung im politischen Prozess enthoben werden. Für den Neomarxismus und die nahestehende kritische Rechtstheorie dienen Menschenrechte dem Besitzbürgertum, lenken vom Grundproblem der Herrschaft des globalen Kapitals ab und verhindern die wünschenswerte Revolution. Am anderen Ende des ideellen Spektrums beklagen neo- und wirtschaftsliberale Skeptiker einen Wildwuchs an Menschenrechten, der die Grundidee abwerte und durch seine Undurchsichtigkeit die Wirksamkeit des Basisschutzes elementarer Freiheiten schmälere. Im postkolonialen Kontext ist die Skepsis auch eine Reaktion auf die historische Erfahrung, dass die ohnehin als westlich geprägt kritisierten Menschenrechte durch westliche Staaten missbraucht wurden, um ökonomische oder sogar militärische Interventionen in anderen Weltregionen zu rechtfertigen.

Ausweitung

Trotz dieser Gegenbewegungen und der Überlastung der Durchsetzungsinstanzen erfahren Menschenrechte immer mehr Ausweitungen und Verfeinerungen. Es werden zunehmend neue Menschenrechte anerkannt und neue Rechtsträger identifiziert. Auch eine örtliche Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verträge ist zu verzeichnen. Angesichts steigender Polizei- und Militäreinsätze im Ausland stellt sich etwa in Europa die Frage, ob Polizeibeamte und Soldaten auch auf fremdem Territorium an Menschenrechtsverträge gebunden sind. Der EGMR hat vielfach die EMRK "extraterritorial" angewendet, etwa auf Patrouillen britischer Soldaten im Irak. Außerdem können sich wirtschaftspolitische Maßnahmen nachteilig auf Rechte von Individuen im Ausland auswirken. Beispielsweise erleichtern EU-Exportsubventionen den Absatz billiger europäischer Agrarprodukte in anderen Kontinenten. Im Extremfall kann das Recht auf Nahrung afrikanischer Bauern, die dadurch ihre eigenen Produkte nicht mehr für ihren Lebensunterhalt veräußern können, verletzt werden. Solche unter Umständen massiv schädlichen Auswirkungen auf Bevölkerungen anderswo sind aber sehr schwer bestimmbar und rückverfolgbar. Deshalb ist fraglich, ob Menschenrechte hier eine Lösung bieten können.

Auch in Richtung der Pflichtenträger werden Menschenrechte ausgeweitet. Die Frage, wie auch private Akteure, insbesondere transnationale Wirtschaftsunternehmen, für von ihnen mitverursachte Menschenrechtsprobleme juristisch zur Verantwortung gezogen werden können, wird gegenwärtig intensiv diskutiert. Vorstöße wie das französische Sorgfaltspflichtengesetz und die schweizerische Konzernverantwortungsinitative versuchen, die Unternehmen indirekt, über eine schärfere staatliche Gesetzgebung, in die Pflicht zu nehmen. Und im Rahmen des UN-Menschenrechtsrates wird gegenwärtig ein Vertragsentwurf beraten, der Staaten dazu verpflichten soll, ihre Unternehmen für Menschenrechtsverstöße zu belangen.

Fazit

Der internationale Menschenrechtsschutz unterliegt aktuell gegenläufigen Trends. Funktioniert er in dieser ambivalenten Situation? Klar ist, dass die völkerrechtlichen Verträge keine harten Durchsetzungsmaßnahmen erlauben, um Staaten zu ihrer wirksamen Einhaltung zu zwingen. Zudem haben die internationalen Schutzinstanzen durch zunehmende Überlastung und Legitimitätskrisen an Effektivität eingebüßt. Die Verwirklichung der Menschenrechte ist aber ohnehin weniger mit Druck von außen als vielmehr durch Sozialisierung, also durch gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung im Inneren eines Verletzerstaates, zu erreichen. Menschenrechte erlauben die "Kanalisierung" von Diskursen in der Sprache der Rechte und können so von Vertretern der Zivilgesellschaft als Argumente aufgegriffen werden. Allerdings bestehen hier zwei Gefahren: Erstens sind Menschenrechte nur beschränkt geeignet, jeglichen gesellschaftlichen Anforderungen in Zeiten der Globalisierung effektiv zu begegnen. Das Vokabular der Menschenrechte sollte nicht zum cheap talk werden und die Menschenrechtsidee überstrapazieren. Zweitens wird nicht selten mit zweierlei Maß gemessen, also schwachen Staaten menschenrechtliche Pflichten auferlegt, die reiche und mächtige Staaten selbst nicht einhalten. Westliche Akteure sollten sich hier konsistent verhalten, um glaubwürdig zu bleiben. Außerdem ist ein "milder" Relativismus angemessen, der auf verschiedene Regionen und Kulturen der Welt Rücksicht nimmt, ohne aber ein universelles Minimum zu unterschreiten. Dieses Minimum muss immer wieder neu definiert werden, und zwar letztlich bottom-up, nach den Wertvorstellungen der Opfer, nicht der Täter. Wenn wir Inflation und Doppelstandards vermeiden, bleiben die internationalen Menschenrechte wirkmächtig – als "letzte Utopie" der Menschheit.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Kanadischer Supreme Court, Nevsun Resources Ltd. v. Araya, 2020 SCC 5, Urt. v. 28.2.2020, Rn. 1.

  2. Siehe etwa die jährlichen Berichte von Amnesty International.

  3. Vgl. Civicus, People Power Under Attack 2019, Dezember 2019, Externer Link: https://civicus.contentfiles.net/media/assets/file/GlobalReport2019.pdf.

  4. Vgl. FAO, The State of Food and Agriculture, Rom 2019, S. v.

  5. Vgl. UN Doc. A/HRC/43/45.

  6. Vgl. Rowan Cruft/S. Matthew Liao/Massimo Renzo (Hrsg.), Philosophical Foundations of Human Rights, Oxford 2015.

  7. Wegweisend das südafrikanische Verfassungsgericht, Government of the Republic of South Africa v. Grootboom, Urt. v. 4.10.2000 (CCT11/00) [2000] ZACC 19; 2001 (1) SA 46, 2000 (11) BCLR 1169.

  8. Zu den fünf genannten Abkommen treten die Kinderrechtskonvention, die Wanderarbeitnehmerkonvention, die Behindertenrechtskonvention und die Konvention gegen erzwungenes Verschwindenlassen hinzu.

  9. Vgl. EGMR, Konstantin Markin v. Russia, 22.3.2012 (Nr. 30078/06).

  10. Vgl. ders., S.A.S. v. France, Urt. v. 1.7.2014 (Nr. 43835/11).

  11. Vgl. UN Doc. E/C.12/DEU/CO/6, Rn. 7ff.

  12. Vgl. UN Doc. A/RES/63/117.

  13. Vgl. UN Doc. E/C.12/55/D/2/2014.

  14. Vgl. UN Doc. A/HRC/39/9.

  15. Vgl. EGMR, Cyprus v. Turkey, Urt. v. 12.5.2014 (Nr. 25781/94); ders., Ukraine v. Russia (Nr. 55855/18), anhängig.

  16. Neuere Reformvorschläge enthält die Kopenhagen-Erklärung der Konventionsstaaten vom 12./13. April 2018.

  17. Vgl. EGMR, Statistics 2019, 2020, Externer Link: https://echr.coe.int/Documents/Stats_annual_2019_ENG.pdf. So gab es "nur" 2187 Sachurteile. 38480 Beschwerden wurden für unzulässig erklärt.

  18. Vgl. ders., Hentschel u. Stark v. Deutschland, Urt. v. 9.11.2017 (Nr. 47274/15).

  19. Vgl. ders., Mitzinger v. Deutschland, Urt. v. 9.4.2017 (Nr. 29762/10).

  20. Vgl. IAGMR, Duquze v. Colombia, Urt. v. 2.4.2014, Report on Merits, No. 5/14, Case No. 12.841; ders., Workers of the Hacienda Brasil Verde v. Brazil, Urt. v. 20.10.2016, Series C No. 318.

  21. Vgl. African Court on Human and Peoples’ Rights, African Commission on Human and Peoples’ Rights v. Republic of Kenya, Urt. v. 27.5.2017 (Nr. 006/2012).

  22. Siehe auch Venice Commission, Opinion Nr. 832/2015.

  23. Erstmals hat EGMR, Mammadov v. Azerbaijan, Urt. v. 29.5.2019 (Nr. 15172/13) eine Nichtbefolgung bestätigt.

  24. Vgl. Veronika Bílková, Populism and Human Rights, in: Netherlands Yearbook of International Law 49/2018, S. 143ff.

  25. Vgl. Marie-Bénédicte Dembour, Critiques, in: Daniel Moeckli/Sangeeta Shah/Sandesh Sivakumaran (Hrsg.), International Human Rights Law, Oxford 20173, S. 53ff.

  26. Vgl. EGMR, Al-Skeini u.a.v. UK, Urt. v. 7.7.2011 (Nr. 55721/07).

  27. Siehe zur empirischen Ermittlung der Wertvorstellungen von Menschen weltweit den World Values Survey unter Externer Link: http://www.worldvaluessurvey.org/wvs.jsp.

  28. Samuel Moyn, The Last Utopia: Human Rights in History, Cambridge MA 2010.

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ist Direktorin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in Heidelberg und Professorin an den Universitäten Heidelberg, Freie Universität Berlin und Basel. E-Mail Link: apeters-office@mpil.de

ist wissenschaftliche Referentin am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (MPIL) in Heidelberg. E-Mail Link: askin@mpil.de