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Menschenrechts-NGOs im UN-System

Kerstin Martens

/ 14 Minuten zu lesen

Nichtregierungsorganisationen spielen für den Menschenrechtsschutz eine wichtige Rolle als Agenda-Setter, Berater und Überwacher. Im Beitrag werden Strukturen und Grenzen der Zusammenarbeit mit den UN vorgestellt.

Einleitung

NGOs haben vielfältige Möglichkeiten, bei der Entwicklung der Menschenrechte mit den Vereinten Nationen (UN) zusammenzuarbeiten. Sie unterstützen UN-Institutionen und versorgen diese mit Informationen zu Menschenrechtsverletzungen. Sie beraten regelmäßig UN-Ausschüsse, die im Bereich Menschenrechte aktiv sind oder unterstützen sie in der Überwachung der Einhaltung von Menschenrechtskonventionen. NGOs interagieren mit der UN bereits seit deren Gründung; im Laufe der 1990er Jahre hat sich die Bandbreite und Intensität der Zusammenarbeit aber noch deutlich erweitert.

In diesem Beitrag soll den Möglichkeiten von NGOs, sich im Rahmen des UN-Systems für Menschenrechte zu engagieren, nachgegangen werden, indem ihre Interaktionen als Agenda- und Standard-Setter, als Berater und Formulierer und als Überwacher- und Umsetzer von UN-Politiken beleuchtet werden. Des Weiteren werden die Voraussetzungen für NGO-Interaktionen mit der UN betrachtet, wobei zum einen Zugangsbedingungen für NGOs bei der UN untersucht und zum anderen organisatorische Strukturen in den NGOs zur Zusammenarbeit mit der UN dargestellt werden.

Ich danke Anja Mihr für die hilfreiche Kommentierung dieses Beitrages. Celia Enders und Gesa Schulze haben bei der formalen Ausgestaltung des Beitrages mitgewirkt.

Was leisten Menschenrechts-NGOs im Kontext der UN?

Auf dem Gebiet der Menschenrechte arbeiten NGOs intensiv mit der UN zusammen, weil sie sich davon spürbaren Einfluss erhoffen - insbesondere in Bereichen und auf Länder, zu denen sie sonst keinen Zugang haben. Eines der Hauptziele des NGO-Engagements im Kontext der UN ist die Beeinflussung politischer Debatten durch die verschiedenen Kommunikationskanäle. Häufig nutzen Menschenrechts-NGOs die offiziellen Wege, die ihnen die UN geschaffen hat, um ihre Anliegen einzubringen: So hat die UN etwa regelmäßig stattfindende Sitzungen, planmäßige Treffen oder feste Ausschüsse an denen die Organisationen teilnehmen können (zum Teil auf Einladung) und bei denen ihre mündlichen und schriftlichen Beiträge zu Protokoll genommen werden. Auf diese Weise können sie sich formal in den Politikprozess einbringen. NGOs versuchen darüber hinaus durch paralleles, informelles Lobbying Einfluss auf UN-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen und Regierungsvertreter und -vertreterinnen zu nehmen. Die Informationen, welche so bereitgestellt wurden, können dann in offiziellen UN-Berichten oder von Regierungsvertretern und -vertreterinnen in ihren Stellungnahmen genutzt werden.

Viele NGO-Aktivitäten auf dieser Ebene zielen darauf ab, Themen auf die internationale politische Agenda zu setzen und internationale Standards in den jeweiligen Politikfeldern zu beeinflussen. Durch ihre Aktivitäten wollen sie die Ausarbeitung von internationalen Abkommen auf UN-Ebene voranbringen, um anschließend auf Staaten Druck ausüben zu können, sich an ihre internationalen Verpflichtungen zu halten. Im Bereich der Menschenrechte haben NGOs inzwischen nachhaltig zum Fortschritt internationaler Normen und Standards beigetragen. Insbesondere haben sie Vorschläge für die weitere Entwicklung, Sicherung und Durchführung von Menschenrechtskonventionen gemacht. So gilt zum Beispiel die Folterverbots-Kampagne von Amnesty International (AI) in den 1970er Jahren als eine der ersten sehr erfolgreichen NGO-Initiativen. Auch die Einrichtung des Amts eines Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte im Jahr 1993 geht auf auf jahrelange Lobbyarbeit von Menschenrechtsorganisationen zurück. Ein weiteres Beispiel von NGO-Aktivitäten im Bereich der Standardfestlegung ist deren Bestrebung zur Einführung des International Criminal Court (ICC, Internationaler Strafgerichtshof), der 2002 seine Arbeit aufnahm.

NGOs sind auch als Politikberater und -formulierer in Prozesse und Vorgänge der Vereinten Nationen involviert. UN-Beschäftigte laden Repräsentanten und Repräsentantinnen der NGOs bisweilen ein, um sich zu einem bestimmten Thema beraten zu lassen, da diese das nötige juristische Fachwissen oder spezifische Know-how auf diesem Gebiet haben. Im Menschenrechtssektor haben NGOs zum Beispiel an Komitee- oder Arbeitsgruppensitzungen in der Vorbereitungsphase von Gesetzentwürfen teilgenommen (der sogenannten travaux préparatoires), die später zu endgültigen UN-Dokumenten wurden. Einzelne NGOs waren sogar direkt in den Entwurfsprozess verschiedener Abkommen involviert. So beteiligten sich Experten und Expertinnen von Menschenrechts-NGOs zum Beispiel am Entwurf der Konvention über die Rechte des Kindes. Auch die Hohe Kommissarin für Menschenrechte lädt Vertreter und Vertreterinnen von Menschenrechts-NGOs oftmals zu sich ein, um sich vor einem Besuch in einem Land über die dortige Situation der Menschenrechte von ihnen briefen zu lassen.

Seit etwa Mitte der 1990er Jahre haben sich zudem weitere informelle Kooperationsmechanismen entwickelt, die es NGOs ermöglichen, mit UN-Entscheidungsträgern und -Entscheidungsträgerinnen auf höchster Ebene zusammenzuarbeiten. Die so genannte "Arria-Formel" ist beispielsweise eines der Foren, bei dem sich Mitglieder des Sicherheitsrates in zwanglosen Treffen über Fragen des internationalen Friedens und der Sicherheit außerhalb des Rates informieren lassen. Heute finden Arria-Treffen normalerweise mindestens einmal im Monat statt, und manche dieser Treffen schließen auch NGOs als Informanten ein. Bis jetzt wurde die Zusammenarbeit zwischen NGOs und UN auf Basis der "Arria-Formel" hauptsächlich auf den Gebieten humanitäre Hilfe und Menschenrechte mit den großen international agierenden Organisationen beobachtet. So ist Amnesty International ist ein regelmäßiger Gast, wenn es um Menschenrechte geht.

Menschenrechts-NGOs tragen auch zum Monitoring und zur Implementierung von Menschenrechten bei. Seit dem Jahr 2000 besteht zum Beispiel der "Global Compact" der Vereinten Nationen, eine freiwillige Partnerschaft zwischen den UN und Unternehmen aus aller Welt, die gemeinsam mit Arbeiterorganisationen und NGOs universale Prinzipien im Bereich Menschenrechte, Arbeit, Umwelt und Antikorruption vorantreiben möchten. NGOs tragen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation oder zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Ländern bei, indem sie ihr Wissen und ihre Informationen in die politischen Debatten auf UN-Ebene einbringen. Insbesondere vor und während der Sitzungen des UN-Menschenrechtsrates (zuvor UN-Menschenrechtskommission) in Genf sind NGOs in der Bereitstellung von Informationen zu Menschenrechtsverletzungen für UN-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen und Regierungsvertreter und -vertreterinnen aktiv. Auf diese Weise versuchen sie, die Diskussionen zu einem spezifischen Land oder einem spezifischem Thema zu beeinflussen. Mit der Einrichtung des Menschenrechtsrates hat allerdings das Engagement vieler namhafter NGOs im Menschenrechtsbereich auf UN-Ebene abgenommen. Die schiere Menge der Organisationen hat zum Teil ihrem Ruf insgesamt geschadet; viele gehen heute lieber den Weg über einzelne Regierungen oder mobilisieren die Öffentlichkeit, die dann den Druck auf Regierungen ausüben.

Neben der punktuellen Einflussnahme zu den Sitzungen des Menschenrechtsrates arbeiten NGOs auch das ganze Jahr kontinuierlich mit der Weltorganisation zusammen. Sie tauschen regelmäßig Informationen mit den zuständigen UN-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen - so genannten desk-officers (Referenten) - aus: Diese arbeiten schwerpunktmäßig zu einem bestimmten Land bzw. einer Region oder zu thematischen Schwerpunkten innerhalb des Politikfeldes wie zum Beispiel der Diskriminierung von ethnischen Minderheiten. Diese desk-officer sind wichtige Bezugspunkte für NGOs innerhalb des UN-Systems: Vertreter und Vertreterinnen von Menschenrechts-NGOs versorgen sie mit Berichten und Forschungsresultaten zu Menschenrechtsverletzungen, so dass diese sie an höhere Stellen im UN-System weiterleiten oder in ihren Länderberichten bzw. thematischen Schwerpunktberichten nutzen können.

NGO-Berichte und Zusammenfassungen zur Menschenrechtssituation in einem speziellen Land dienen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der UN häufig als unerlässliches Hintergrundmaterial. Sind die jeweiligen Länderberichte im Menschenrechtsrat fällig, gewinnen Informationen von NGOs für Ratsmitglieder eine besonders große Bedeutung, da diese ihnen helfen, ihre entsprechenden Berichte zu konkretisieren. NGOs haben auf der UN-Ebene den Status von unofficial researchers, da solche Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Mitteln von den Vereinten Nationen kaum bewältigt werden können. Informationen von NGOs sind häufig sogar die einzige nichtstaatliche Informationsquelle: Stünden diese NGO-Quellen nicht zur Verfügung, müssten UN-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen ihren Berichten ausschließlich Verlautbarungen von Regierungsstellen zu Grunde legen.

Oftmals leiten Experten und Expertinnen Fragen und Informationen auch an die Mitglieder des Ausschusses gegen Folter (Committee Against Torture, CAT) weiter, die ihren Weg in dessen Berichte und Schlussfolgerungen finden. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Arbeit von Amnesty International vor einer CAT-Untersuchung zu Russland. AI hatte Berichte über dort stattfindende Folter und Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht; parallel dazu hatte sich das internationale Sekretariat von AI in London an russische NGOs gewandt und um zusätzliche Informationen gebeten. Vier russische NGOs reagierten darauf und leiteten ihre Berichte an CAT weiter; eine von ihnen schickte sogar ihren eigenen Vertreter zu der entsprechenden Sitzung. Bei der Befragung zu Russland bezog der Ausschuss sich dann wiederholt auf die Informationen aus dem Bericht von Amnesty International; auch die Informationen der russischen NGOs, die durch Amnesty International zur Berichterstattung ermutigt worden waren, wurden zur Kenntnis genommen. Darüber hinaus wurde die Anhörung von einem russischen Rundfunkprogramm gesendet.

Die NGO-Mitarbeit bei der UN hat jedoch auch Grenzen. Diese werden vor allem in Bezug auf die beiden höchsten UN-Organe, die Generalversammlung und den Sicherheitsrat, deutlich. Zu ihnen haben die NGOs keinen formalen Zugang. Vertreter und Vertreterinnen der Organisationen können während der Generalversammlung auf der Besuchertribüne Platz nehmen, sich jedoch nicht in die Beratungen einmischen. Ihre aktive Teilnahme ist nur bei bestimmten Sitzungen der Generalversammlung erlaubt, wie zum Beispiel bei der "Kopenhagen plus 5"-Sitzung, auf denen NGOs auch mündliche Stellungnahmen abgeben durften. Allerdings erlauben offizielle Regelungen den NGOs Zugang zu zwei erst kürzlich eingerichteten Hilfsgremien der Generalversammlung: zu dem bereits erwähnten Menschenrechtsrat sowie zu der Peacebuilding Commission.

Zugangsbedingungen für NGOs

Um innerhalb des UN-Systems agieren zu können, benötigen NGOs zunächst die formale Anerkennung ihrer beratenden Funktion durch die Weltorganisation. Innerhalb dieses Systems gibt es für sie drei institutionelle Möglichkeiten zur Einbindung: durch einen Konsultativstatus mit dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), einen assoziierten Status mit dem Department of Public Information (DPI, Hauptabteilung Presse und Information) oder Affiliation mit dem Non-Governmental Liaison Service (NGLS). Von diesen ist der ECOSOC-Status der formellste auf UN-Ebene und derjenige, der den NGOs die engste Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ermöglicht. Der Konsultativstatus erleichtert den NGOs den Zugang zu regionalen und Sonderkomitees und gibt ihnen Zugriff auf offizielle Dokumente. NGOs mit diesem Status können auch zu Konferenzen und Sitzungen oder zu einer Stellungnahme zu einem bestimmten Thema eingeladen werden.

Wie der Konsultativstatus und damit die Beziehung zwischen NGOs und der UN genau definiert ist und welche NGOs sich als Partner qualifizieren, ist in der Resolution 1996/31 geregelt. Die UN verleiht den NGOs demnach drei verschiedene Arten von Status: den allgemeinen Status, den besonderen beratenden Status sowie den Listenstatus (englisch: Roster) - mit abgestuften Rechten und Pflichten für akkreditierte NGOs. Menschenrechts-Organisationen kommen in der Regel nicht über den besonderen beratenden Status, also den zweithöchsten Status hinaus. Im Oktober 2007 pflegten 3051 NGOs offizielle Beziehungen mit den UN. Die Mehrheit dieser akkreditierten NGOs sieht nach eigenen Angaben ihr Tätigkeitsfeld vor allem auf den Gebieten Menschenrechte (28,5 Prozent), Bildung (13 Prozent) und soziale Belange (12 Prozent), wobei Mehrfachnennungen möglich waren.

Neben den formellen Rechten öffnet der Konsultativstatus NGOs im wörtlichen Sinne die Türen zu den Vereinten Nationen: Durch ihren offiziellen Status erhalten ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen einen Pass, der es ihnen erlaubt, spezielle NGO-Eingänge zu benutzen. Sie müssen sich daher nicht in die langen Besucherschlangen einreihen und die strengen Sicherheitskontrollen durchlaufen. Auch haben sie - bis auf einige Ausnahmen - Zugang zu vielen Bereichen, in denen sich normalerweise nur Diplomaten und Diplomatinnen, Regierungsvertreter und -vertreterinnen sowie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der UN aufhalten dürfen. Diese Möglichkeiten zu direktem face to face-Kontakt sind in der Tat bisweilen effektiver als jedes offizielles Vorgehen. Wie eine Vertreterin von Amnesty International berichtet: "At any UN meeting the discussions in the coffee lounges and corridors are as important as, if not more important than, the official speeches."

NGOs müssen sich um den Status beim sogenannten NGO-Komitee bewerben, welches aus Ländervertretern und -vertreterinnen zusammengesetzt ist in der Regel wird der Status gewährt. Allerdings gibt es gerade bei NGOs, die dezidiert im Bereich der Menschen- oder Minderheitsrechte aktiv sind, sowie Organisationen, die sich für religiöse Fragen einsetzen, auch immer wieder Diskussionen und sogar Ablehnungen. So wurde beispielsweise Human Rights Watch (HRW) bei seiner ersten Bewerbung im Jahre 1991 der ECOSOC-Status verweigert. Obgleich HRW schon damals nach Amnesty International die zweitgrößte Menschenrechtsorganisation der Welt war, verhinderte die "gang of six" - wie damals die "New York Times" Kuba, Irak, Syrien, Libyien, Algerien und den Sudan nannte - ihre Akkreditierung als konsultierende NGO bei der UN. Diese Staaten waren zuvor wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen Zielscheibe der HRW-Kritik gewesen und hatten daher ein Interesse daran, dass diese Kritik nicht in das Forum der Vereinten Nationen hineingetragen würde. So stoppten sie die Bewerbung von HRW mit der Begründung, die NGO verbreite falsche Informationen. Da die Medienwirkung bei der ersten Ablehnung derart groß war - und letztlich kontraproduktiv für die entsprechenden Staaten, da die Menschenrechtsverletzungen in diesen Ländern dadurch erst recht thematisiert wurden, - gab es bei der erneuten Bewerbung von HWR im Jahre 1993 keine Akkreditierungsprobleme.

Organisatorische Strukturen in den NGOs

Viele der großen genuin im Menschrechtsbereich arbeitenden NGOs haben heute Dépendancen ihrer internationalen Büros in den Städten, in denen im Kontext der UN Menschenrechte behandelt werden - also vor allem in New York und Genf. Viele Organisationen haben ihre Repräsentation im Laufe der Jahre professionalisiert, um durch hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die diversen Optionen im Rahmen des UN-Systems für die Fortentwicklung und Einhaltung der Menschenrechte besser nutzbar zu machen. Heute haben sie zwischen einem und drei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die vor Ort eine konstante, tagtägliche Repräsentation bei den Vereinten Nationen gewährleisten.

Das Beispiel Amnesty International zeigt diesen Prozess exemplarisch auf: Die Vertretung von AI in New York wurde in den frühen 1970er Jahren zuerst von einem einzigen lokalen Mitglied übernommen, welches die Organisation in seiner Freizeit vor den UN vertrat. Das erste "Büro" wurde in den Privaträumen dieses Mitglieds eingerichtet. Schnell wurde man sich bei AI aber darüber bewusst, dass die Zusammenarbeit mit den UN-Organen im Bereich der Menschenrechte mehr Arbeit benötigte als von ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bewältigt werden konnte (oder von Personal, das für besondere Anlässe extra aus London eingeflogen wurde). Bereits 1977 wurde daher die New York-Vertretung mit professionellen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ausgestattet, so dass Amnesty International heute allein in New York drei Vollzeitstellen hat. Auch in Genf betreibt AI eine Repräsentation, und in ihrem internationalen Hauptsitz in London hat die NGO mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich fast ausschließlich mit den Beziehungen zu den UN befassen.

Diese Professionalisierung erlaubt es den NGOs, ihre Interaktion mit den Vereinten Nationen gezielter vornehmen zu können. Sie suchen ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen professionell aus und beschränken sich auf hoch qualifizierte Leute. Diese haben häufig Jura studiert und sind zum Teil auf internationales Menschenrecht spezialisiert. Aufgrund ihrer Kompetenzen bekamen NGOs "the prospect of becoming ,insiders' working through and with the UN to achieve what had not been possible or desirable for them in the past - the delivery of legal services". Während den UN-Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aufgrund der häufigen Wechsel ihrer Ämter, Standorte und Aufgaben oft das nötige Wissen fehlt, werden NGO-Vertreter und -Vertreterinnen nicht regelmäßig ausgetauscht, was ihnen einen Kompetenzvorsprung verschafft, der sie für die Vereinten Nationen als externe Berater so wertvoll macht.

NGOs können vielfältig zum Menschenrechtssystem der UN beitragen. Sie sind in allen Phasen des Zyklus internationaler Menschenrechtspolitik vertreten. Um die diversen Interaktionsmöglichkeiten innerhalb des UN-Systems auszuschöpfen, benötigen die NGOs eine offizielle Anerkennung im Rahmen des Konsultativstatus. Viele NGOs haben heute innerhalb ihrer Organisationen Strukturen aufgebaut, um effektiv mit der UN zusammenarbeiten zu können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Der Begriff NGO ist das Akronym des englischen Ausdrucks non-governmental organizsation. Als deutsches Äquivalent wird häufig der Begriff Nichtregierungsorganisation mit der entsprechenden Abkürzung NRO gebraucht. Allerdings hat sich die englische Form, insbesondere in seiner Abkürzung, zunehmend auch im deutschsprachigen Raum etabliert. Der NGO-Begriff wurde von der UN geprägt, als sie 1945 im Rahmen ihrer Charta im Artikel 71 festlegte, dass NGOs für Beratungszwecke konsultiert werden können. Aufgrund der Negativformulierung (Erklärung von NGOs anhand dessen, was sie nicht sind, anstatt mit dem, was sie ausmacht) werden jedoch zunehmend andere Ausdrücke wie z.B. der häufig verwandte Begriff civil society associations/organizations bevorzugt. Zu Details und Definitionen des NGO-Begriffs siehe Kerstin Martens, Mission impossible? Defining Nongovernmental Organizations, in: Voluntas, 13 (2002) 3, S. 271 - 285.

  2. NGOs waren bereits im Rahmen des Völkerbundes aktiv. Vgl. hierzu Julie Ziegler, Die Beteiligung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) am Menschenrechtsschutzsystem der Vereinten Nationen, München 1998.

  3. Vgl. Rachel Brett, The Role and Limits of Human Rights NGOs at the United Nations, in: Political Studies, Special Issue: Politics and Human Rights, 43 (1995), S. 96 - 110.

  4. Siehe hierzu auch das Bumerang-Model von Margaret Keck/Kathryn Sikkink (eds.), Activists Beyond Borders, Ithaca 1998.

  5. Vgl. William Korey, NGOs and the Universal Declaration of Human Rights, New York 1998, S. 171; ähnlich: Helena Cook, Amnesty International at the United Nations, in: Peter Willetts (ed.), The Conscience of the World. The Influence of Non-Governmental Organisations in the UN System, London 1996, S. 189; siehe auch: Nigel Rodley, Le rôle d'une O.N.G. comme Amnesty International au sein des organisations intergouvernementales, in: Mario Bettati/Pierre-Marie Dupuy (éds.), Les O.N.G. et le Droit International, Paris 1986, S. 130 - 133; Ann Marie Clark, Diplomacy of Conscience. Amnesty International and Changing Human Rights Norms, Princeton 2001.

  6. Vgl. Andrew Clapham, Creating the High Commissioner for Human Rights. The Outside Story, in: European Journal of International Law, 5 (1994) 4, S. 556 - 568.

  7. Vgl. Hans Peter Schmitz, Nichtregierungsorganisationen und internationale Menschenrechtspolitik, in: Comparativ, 7 (1997) 4, S. 27 - 67, S. 53.

  8. Vgl. Cynthia Price Cohen, The role of non-governmental organizations in the drafting of the Convention of the Rights of the Child, in: Human Rights Quarterly, (1990) 1, S. 137 - 147.

  9. Obwohl die Arria-Treffen inzwischen als offizielles Kommunikationsmedium zwischen NGOs und dem Sicherheitsrat der UN anerkannt werden, bleibt ihr Status semi-formal (vgl. UN-Dokument A/58/817 §V 97). Auf der einen Seite sind diese Treffen üblicherweise hochrangig besetzt: In der Regel nehmen alle Mitglieder des Sicherheitsrates teil und Delegationen haben sogar ihre festen Vertreter oder Stellvertreter, die sie zu diesen Treffen schicken. Auf der anderen Seite gibt es keine Regeln, wie ein solches Treffen abzuhalten ist. Die "Formel" ist benannt nach dem ehemaligen venezolanischen UN-Botschafter Diego Arria, der diese Treffen 1993 eingeführt hatte.

  10. Ein ähnliches Beispiel ist die Mitarbeit von NGOs in der "Working Group on the Security Council", ebenfalls ein informelles Arrangement, durch welches Menschenrechts-NGOs mit Mitgliedern des Sicherheitsrates zusammenkommen.

  11. Zum Menschenrechtsrat siehe auch den Beitrag von Sven-Bernhard Gareis in diesem Heft.

  12. Über die Rolle von Amnesty International bei der UN zu einem bestimmten Land und ihre Erfolge siehe Anja Mihr, Amnesty International in der DDR. Menschenrechte im Visier der Stasi, Berlin 2002.

  13. In einigen Fällen verlässt sich die UN in bemerkenswertem Ausmaß auf NGO-Informationen: 1995 wurden zum Beispiel 74 Prozent der in Arbeitsgruppen zu "Willkürlichen Verhaftungen" (arbitrary detentions) behandelten Fälle von internationalen NGOs vorgeschlagen. Vgl. Felice Gaer, Reality Check. Human Rights Nongovernmental Organisations confront Governments at the United Nations, in: Thomas G. Weiss/Leon Gordenker (eds.), NGOs, the UN, and Global Governance, Boulder 1996, S. 55f.

  14. Vgl. Joanna Weschler, Non-Governmental Human Rights Organizations, in: Polish Quarterly of International Affairs, 7 (1998) 3, S. 137 - 154, S. 144.

  15. Vgl. Andrew Clapham, UN Human Rights Reporting Procedures. An NGO Perspective, in: Philip Alston/James Crawford, (eds.), The Future of UN Human Rights Treaty Monitoring, Cambridge 2000, S. 182.

  16. Die "Kopenhagen plus 5"-Sitzung bezeichnet die UN-Sondergeneralversammlung über soziale Entwicklung im Juni 2000 in Genf. Sie war die Nachfolgesitzung des Weltsozialgipfels 1995 in Kopenhagen.

  17. Darüber hinaus verwenden UN-Sonderorganisationen eigenständige Verfahren zur Akkreditierung von NGOs; auch bei UN-Konferenzen kommen oftmals vorübergehende spezifische Akkreditierungsmodelle zur Anwendung. Zur Reformierung dieses Konsultativstatus siehe auch Helmut K. Anheier, The United Nations and Civil Society. A Symposium on the Cardoso Report, in: Journal of Civil Society, 4 (2008) 2, S. 149 - 151.

  18. H. Cook (Anm. 5), S. 187.

  19. Vgl. W. Korey (Anm. 5), S. 352.

  20. Human Rights in China, einer anderen Menschenrechts-NGO, wurde der Status mehrfach verwehrt. Vgl. Kerstin Martens, Bypassing Obstacles to Access. How NGOs are taken Piggy-Back to the UN, in: Human Rights Review, 5 (2004) 3, S. 80 - 91. Weitere Beispiele von Menschenrechts-NGOs mit Statusproblemen auf UN-Ebene sind: Freedom House, Christian Solidarity International und Transnational Radical Party. Vgl. z.B. UN-Dokument E/2000/88 (Part II) § 70 - 124 und UN-Dokument E/2001/8 (2001); eine gute Analyse dieser Fälle bietet Jurij Aston, The United Nations Committee on Non-Governmental Organizations. Guarding the Entrance to a Politically Divided House, in: European Journal of International Law, 12 (2001) 5, S. 943 - 962.

  21. Vgl. Kerstin Martens, NGOs and the United Nations. Institutionalization, Professionalization and Adaptation, Basingstoke (u.a.) 2005.

  22. F. Gaer (Anm. 13), S. 60.

  23. Vgl. A. M. Clark (Anm. 5), S. 35; A. Clapham (Anm. 15), S. 188.

Ph. D. (European University Institute), geb. 1974; Juniorprofessorin für Internationale Beziehungen und Weltgesellschaft an der Universität Bremen, Sonderforschungsbereich 597 "Staatlichkeit im Wandel", Linzer Str. 9a, 28359 Bremen.