Einleitung
NGOs
In diesem Beitrag soll den Möglichkeiten von NGOs, sich im Rahmen des UN-Systems für Menschenrechte zu engagieren, nachgegangen werden, indem ihre Interaktionen als Agenda- und Standard-Setter, als Berater und Formulierer und als Überwacher- und Umsetzer von UN-Politiken beleuchtet werden. Des Weiteren werden die Voraussetzungen für NGO-Interaktionen mit der UN betrachtet, wobei zum einen Zugangsbedingungen für NGOs bei der UN untersucht und zum anderen organisatorische Strukturen in den NGOs zur Zusammenarbeit mit der UN dargestellt werden.
Ich danke Anja Mihr für die hilfreiche Kommentierung dieses Beitrages. Celia Enders und Gesa Schulze haben bei der formalen Ausgestaltung des Beitrages mitgewirkt.
Was leisten Menschenrechts-NGOs im Kontext der UN?
Auf dem Gebiet der Menschenrechte arbeiten NGOs intensiv mit der UN zusammen, weil sie sich davon spürbaren Einfluss erhoffen - insbesondere in Bereichen und auf Länder, zu denen sie sonst keinen Zugang haben. Eines der Hauptziele des NGO-Engagements im Kontext der UN ist die Beeinflussung politischer Debatten durch die verschiedenen Kommunikationskanäle. Häufig nutzen Menschenrechts-NGOs die offiziellen Wege, die ihnen die UN geschaffen hat, um ihre Anliegen einzubringen: So hat die UN etwa regelmäßig stattfindende Sitzungen, planmäßige Treffen oder feste Ausschüsse an denen die Organisationen teilnehmen können (zum Teil auf Einladung) und bei denen ihre mündlichen und schriftlichen Beiträge zu Protokoll genommen werden. Auf diese Weise können sie sich formal in den Politikprozess einbringen. NGOs versuchen darüber hinaus durch paralleles, informelles Lobbying Einfluss auf UN-Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen und Regierungsvertreter und -vertreterinnen zu nehmen.
Viele NGO-Aktivitäten auf dieser Ebene zielen darauf ab, Themen auf die internationale politische Agenda zu setzen und internationale Standards in den jeweiligen Politikfeldern zu beeinflussen. Durch ihre Aktivitäten wollen sie die Ausarbeitung von internationalen Abkommen auf UN-Ebene voranbringen, um anschließend auf Staaten Druck ausüben zu können, sich an ihre internationalen Verpflichtungen zu halten.
NGOs sind auch als Politikberater und -formulierer in Prozesse und Vorgänge der Vereinten Nationen involviert. UN-Beschäftigte laden Repräsentanten und Repräsentantinnen der NGOs bisweilen ein, um sich zu einem bestimmten Thema beraten zu lassen, da diese das nötige juristische Fachwissen oder spezifische Know-how auf diesem Gebiet haben. Im Menschenrechtssektor haben NGOs zum Beispiel an Komitee- oder Arbeitsgruppensitzungen in der Vorbereitungsphase von Gesetzentwürfen teilgenommen (der sogenannten travaux préparatoires), die später zu endgültigen UN-Dokumenten wurden.
Seit etwa Mitte der 1990er Jahre haben sich zudem weitere informelle Kooperationsmechanismen entwickelt, die es NGOs ermöglichen, mit UN-Entscheidungsträgern und -Entscheidungsträgerinnen auf höchster Ebene zusammenzuarbeiten. Die so genannte "Arria-Formel" ist beispielsweise eines der Foren, bei dem sich Mitglieder des Sicherheitsrates in zwanglosen Treffen über Fragen des internationalen Friedens und der Sicherheit außerhalb des Rates informieren lassen.
Menschenrechts-NGOs tragen auch zum Monitoring und zur Implementierung von Menschenrechten bei. Seit dem Jahr 2000 besteht zum Beispiel der "Global Compact" der Vereinten Nationen, eine freiwillige Partnerschaft zwischen den UN und Unternehmen aus aller Welt, die gemeinsam mit Arbeiterorganisationen und NGOs universale Prinzipien im Bereich Menschenrechte, Arbeit, Umwelt und Antikorruption vorantreiben möchten. NGOs tragen zur Verbesserung der Menschenrechtssituation oder zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in verschiedenen Ländern bei, indem sie ihr Wissen und ihre Informationen in die politischen Debatten auf UN-Ebene einbringen. Insbesondere vor und während der Sitzungen des UN-Menschenrechtsrates (zuvor UN-Menschenrechtskommission)
Neben der punktuellen Einflussnahme zu den Sitzungen des Menschenrechtsrates arbeiten NGOs auch das ganze Jahr kontinuierlich mit der Weltorganisation zusammen. Sie tauschen regelmäßig Informationen mit den zuständigen UN-Mitarbeitern und -Mitarbeiterinnen - so genannten desk-officers (Referenten) - aus: Diese arbeiten schwerpunktmäßig zu einem bestimmten Land bzw. einer Region oder zu thematischen Schwerpunkten innerhalb des Politikfeldes wie zum Beispiel der Diskriminierung von ethnischen Minderheiten. Diese desk-officer sind wichtige Bezugspunkte für NGOs innerhalb des UN-Systems: Vertreter und Vertreterinnen von Menschenrechts-NGOs versorgen sie mit Berichten und Forschungsresultaten zu Menschenrechtsverletzungen, so dass diese sie an höhere Stellen im UN-System weiterleiten oder in ihren Länderberichten bzw. thematischen Schwerpunktberichten nutzen können.
NGO-Berichte und Zusammenfassungen zur Menschenrechtssituation in einem speziellen Land dienen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der UN häufig als unerlässliches Hintergrundmaterial. Sind die jeweiligen Länderberichte im Menschenrechtsrat fällig, gewinnen Informationen von NGOs für Ratsmitglieder eine besonders große Bedeutung, da diese ihnen helfen, ihre entsprechenden Berichte zu konkretisieren. NGOs haben auf der UN-Ebene den Status von unofficial researchers, da solche Aufgaben mit den zur Verfügung stehenden Mitteln von den Vereinten Nationen kaum bewältigt werden können.
Oftmals leiten Experten und Expertinnen Fragen und Informationen auch an die Mitglieder des Ausschusses gegen Folter (Committee Against Torture, CAT) weiter, die ihren Weg in dessen Berichte und Schlussfolgerungen finden. Ein gutes Beispiel hierfür bietet die Arbeit von Amnesty International vor einer CAT-Untersuchung zu Russland. AI hatte Berichte über dort stattfindende Folter und Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht; parallel dazu hatte sich das internationale Sekretariat von AI in London an russische NGOs gewandt und um zusätzliche Informationen gebeten. Vier russische NGOs reagierten darauf und leiteten ihre Berichte an CAT weiter; eine von ihnen schickte sogar ihren eigenen Vertreter zu der entsprechenden Sitzung. Bei der Befragung zu Russland bezog der Ausschuss sich dann wiederholt auf die Informationen aus dem Bericht von Amnesty International; auch die Informationen der russischen NGOs, die durch Amnesty International zur Berichterstattung ermutigt worden waren, wurden zur Kenntnis genommen. Darüber hinaus wurde die Anhörung von einem russischen Rundfunkprogramm gesendet.
Die NGO-Mitarbeit bei der UN hat jedoch auch Grenzen. Diese werden vor allem in Bezug auf die beiden höchsten UN-Organe, die Generalversammlung und den Sicherheitsrat, deutlich. Zu ihnen haben die NGOs keinen formalen Zugang. Vertreter und Vertreterinnen der Organisationen können während der Generalversammlung auf der Besuchertribüne Platz nehmen, sich jedoch nicht in die Beratungen einmischen. Ihre aktive Teilnahme ist nur bei bestimmten Sitzungen der Generalversammlung erlaubt, wie zum Beispiel bei der "Kopenhagen plus 5"-Sitzung,
Zugangsbedingungen für NGOs
Um innerhalb des UN-Systems agieren zu können, benötigen NGOs zunächst die formale Anerkennung ihrer beratenden Funktion durch die Weltorganisation. Innerhalb dieses Systems gibt es für sie drei institutionelle Möglichkeiten zur Einbindung: durch einen Konsultativstatus mit dem Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC), einen assoziierten Status mit dem Department of Public Information (DPI, Hauptabteilung Presse und Information) oder Affiliation mit dem Non-Governmental Liaison Service (NGLS). Von diesen ist der ECOSOC-Status der formellste auf UN-Ebene und derjenige, der den NGOs die engste Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen ermöglicht.
Wie der Konsultativstatus und damit die Beziehung zwischen NGOs und der UN genau definiert ist und welche NGOs sich als Partner qualifizieren, ist in der Resolution 1996/31 geregelt. Die UN verleiht den NGOs demnach drei verschiedene Arten von Status: den allgemeinen Status, den besonderen beratenden Status sowie den Listenstatus (englisch: Roster) - mit abgestuften Rechten und Pflichten für akkreditierte NGOs. Menschenrechts-Organisationen kommen in der Regel nicht über den besonderen beratenden Status, also den zweithöchsten Status hinaus. Im Oktober 2007 pflegten 3051 NGOs offizielle Beziehungen mit den UN. Die Mehrheit dieser akkreditierten NGOs sieht nach eigenen Angaben ihr Tätigkeitsfeld vor allem auf den Gebieten Menschenrechte (28,5 Prozent), Bildung (13 Prozent) und soziale Belange (12 Prozent), wobei Mehrfachnennungen möglich waren.
Neben den formellen Rechten öffnet der Konsultativstatus NGOs im wörtlichen Sinne die Türen zu den Vereinten Nationen: Durch ihren offiziellen Status erhalten ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen einen Pass, der es ihnen erlaubt, spezielle NGO-Eingänge zu benutzen. Sie müssen sich daher nicht in die langen Besucherschlangen einreihen und die strengen Sicherheitskontrollen durchlaufen. Auch haben sie - bis auf einige Ausnahmen - Zugang zu vielen Bereichen, in denen sich normalerweise nur Diplomaten und Diplomatinnen, Regierungsvertreter und -vertreterinnen sowie die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der UN aufhalten dürfen. Diese Möglichkeiten zu direktem face to face-Kontakt sind in der Tat bisweilen effektiver als jedes offizielles Vorgehen. Wie eine Vertreterin von Amnesty International berichtet: "At any UN meeting the discussions in the coffee lounges and corridors are as important as, if not more important than, the official speeches."
NGOs müssen sich um den Status beim sogenannten NGO-Komitee bewerben, welches aus Ländervertretern und -vertreterinnen zusammengesetzt ist in der Regel wird der Status gewährt. Allerdings gibt es gerade bei NGOs, die dezidiert im Bereich der Menschen- oder Minderheitsrechte aktiv sind, sowie Organisationen, die sich für religiöse Fragen einsetzen, auch immer wieder Diskussionen und sogar Ablehnungen. So wurde beispielsweise Human Rights Watch (HRW) bei seiner ersten Bewerbung im Jahre 1991 der ECOSOC-Status verweigert. Obgleich HRW schon damals nach Amnesty International die zweitgrößte Menschenrechtsorganisation der Welt war, verhinderte die "gang of six" - wie damals die "New York Times" Kuba, Irak, Syrien, Libyien, Algerien und den Sudan nannte - ihre Akkreditierung als konsultierende NGO bei der UN. Diese Staaten waren zuvor wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen Zielscheibe der HRW-Kritik gewesen und hatten daher ein Interesse daran, dass diese Kritik nicht in das Forum der Vereinten Nationen hineingetragen würde. So stoppten sie die Bewerbung von HRW mit der Begründung, die NGO verbreite falsche Informationen.
Organisatorische Strukturen in den NGOs
Viele der großen genuin im Menschrechtsbereich arbeitenden NGOs haben heute Dépendancen ihrer internationalen Büros in den Städten, in denen im Kontext der UN Menschenrechte behandelt werden - also vor allem in New York und Genf. Viele Organisationen haben ihre Repräsentation im Laufe der Jahre professionalisiert, um durch hauptamtliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen die diversen Optionen im Rahmen des UN-Systems für die Fortentwicklung und Einhaltung der Menschenrechte besser nutzbar zu machen. Heute haben sie zwischen einem und drei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die vor Ort eine konstante, tagtägliche Repräsentation bei den Vereinten Nationen gewährleisten.
Das Beispiel Amnesty International zeigt diesen Prozess exemplarisch auf: Die Vertretung von AI in New York wurde in den frühen 1970er Jahren zuerst von einem einzigen lokalen Mitglied übernommen, welches die Organisation in seiner Freizeit vor den UN vertrat. Das erste "Büro" wurde in den Privaträumen dieses Mitglieds eingerichtet. Schnell wurde man sich bei AI aber darüber bewusst, dass die Zusammenarbeit mit den UN-Organen im Bereich der Menschenrechte mehr Arbeit benötigte als von ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bewältigt werden konnte (oder von Personal, das für besondere Anlässe extra aus London eingeflogen wurde). Bereits 1977 wurde daher die New York-Vertretung mit professionellen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen ausgestattet, so dass Amnesty International heute allein in New York drei Vollzeitstellen hat. Auch in Genf betreibt AI eine Repräsentation, und in ihrem internationalen Hauptsitz in London hat die NGO mehrere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich fast ausschließlich mit den Beziehungen zu den UN befassen.
Diese Professionalisierung erlaubt es den NGOs, ihre Interaktion mit den Vereinten Nationen gezielter vornehmen zu können. Sie suchen ihre Repräsentanten und Repräsentantinnen professionell aus und beschränken sich auf hoch qualifizierte Leute. Diese haben häufig Jura studiert und sind zum Teil auf internationales Menschenrecht spezialisiert.
NGOs können vielfältig zum Menschenrechtssystem der UN beitragen. Sie sind in allen Phasen des Zyklus internationaler Menschenrechtspolitik vertreten. Um die diversen Interaktionsmöglichkeiten innerhalb des UN-Systems auszuschöpfen, benötigen die NGOs eine offizielle Anerkennung im Rahmen des Konsultativstatus. Viele NGOs haben heute innerhalb ihrer Organisationen Strukturen aufgebaut, um effektiv mit der UN zusammenarbeiten zu können.