Einleitung
Migration gilt heute mehr denn je auch als menschenrechtliche Herausforderung: Hungersnöte, Umweltkatastrophen und vor allem Bürgerkriege zwingen Millionen Menschen zur Flucht. Auf deren Suche nach Asyl zeigt sich wiederholt die abwehrende Haltung potentieller Aufnahmestaaten. Gegner einer restriktiven Migrationspolitik argumentieren dann in der Regel mit dem Verweis auf die Menschenrechte. Doch auch über diese konkreten Notlagen hinaus werden Menschenrechte zunehmend als Maßstab einer Gesellschaft eingefordert, die sich als Einwanderungsgesellschaft versteht.
Es ist daher interessant zu fragen, in welcher Weise Migration vor 60 Jahren - in einem deutlich anderen historischen Kontext also - die Erfahrungsgrundlage dieses Menschenrechtsdokuments bildete; und damit verbunden, in welcher Form Migration schließlich zum Inhalt der Deklaration wurde.
Dieser Beitrag basiert auf meinem Aufsatz "Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948: Eine Menschenrechtserklärung für die Einwanderungsgesellschaft?", der Ende des Jahres erscheinen wird in: Hasko Zimmer (Hrsg.), Menschenrechtsbildung in der Einwanderungsgesellschaft. Grundlagen und Impulse für die Schule, Münster 2008.
Migration als präsente Erfahrung
An der Entstehung der AEMR beteiligten sich Personen, für die Migration eine präsente Erfahrung war: Teils stammten sie aus klassischen Einwanderungsgesellschaften wie denen Latein- und Nordamerikas, teils aus Regionen, in denen es - wie etwa in Europa - zu starken Auswanderungsbewegungen gekommen war. Vor allem aber musste allen Beteiligten Zwangsmigration als ein Massenphänomen bewusst gewesen sein, welches das Jahrhundert bereits geprägt hatte: Schon der Erste Weltkrieg hatte millionenfach Flucht, Vertreibung sowie Zwangsumsiedlung verursacht und zugleich eine Epoche liberaler Wanderungspolitik im euroatlantischen Raum beendet. Die politische Nachkriegsordnung, die auf dem "Prinzip der Ethnizität des Nationalstaates"
Der französische Jurist René Cassin, eine der Schlüsselfiguren bei der Ausarbeitung der AEMR, wusste ebenso aufgrund persönlicher Erfahrung um die Problematik von Migration: Als Jude hatte er mit dem letzten britischen Schiff aus dem besetzten Frankreich nach London fliehen können, wo er als Rechtsberater von Charles de Gaulle der französischen Exilregierung angehörte. Die mit Hitler kollaborierende Vichy-Regierung erkannte ihm die französische Staatsangehörigkeit ab und verurteilte ihn in seiner Abwesenheit zum Tode. 29 seiner Angehörigen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Auch weitere Kollegen Cassins bei den UN teilten das Schicksal von Zwangsmigration infolge von NS- oder anderer Verfolgung. Nicht selbst von Zwangswanderung betroffen war Eleanor Roosevelt, die Witwe des im April 1945 verstorbenen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und Vorsitzende der Menschenrechtskommission. Doch hatte sie als UN-Delegierte der USA bereits mit dem Problem der zahlreichen Kriegsflüchtlinge zu tun, die in Lagern für displaced persons lebten. Auch während ihrer Zeit als Kommissionsvorsitzende besuchte sie mehrfach solche Lager in Europa, um sich über die Situation der Flüchtlinge zu informieren. Wie Cassin setzte sie sich nach dem Krieg für einen Staat Israel als dauerhaftes Emigrationsziel der zuvor verfolgten europäischen Juden ein - und das vor allem als kritische Reaktion auf den Widerwillen vieler Länder, jüdische Kriegsflüchtlinge aufzunehmen.
Für Charles Malik, Delegierter des gerade in die Unabhängigkeit entlassenen Libanon, wurden die Positionen seiner Kommissionskollegen zur Gründung eines jüdischen Staates in Palästina zu einer besonderen Herausforderung. Zugleich als Sprecher der Arabischen Liga tätig, setzte sich Malik erfolglos für eine kooperative Lösung zwischen Juden und (nicht-jüdischen) Arabern ein. Mit der Gründung des Staates Israel und dem unmittelbar nachfolgenden ersten arabisch-israelischen Krieg wurde sein Land eines der Aufnahmeländer der insgesamt eine halbe Million arabischen Flüchtlinge - eine Situation, die in friedens- bzw. flüchtlingspolitischer Hinsicht bis heute als ungelöst erscheint. Es ließen sich aus verschiedenen Ländern noch weitere Personen und deren Migrationserfahrungen anführen. Zu denken wäre an Vertreter der lateinamerikanischen Staaten, die eine vielfach unterschätzte Rolle bei der Formulierung der Menschenrechte spielten,
Das Recht auf Freizügigkeit
In der Menschenrechtserklärung war das in Artikel 13 formulierte Recht auf Freizügigkeit von besonderer Bedeutung für das Thema Migration. Der Artikel sah die "Freizügigkeit innerhalb eines Staates" vor und reagierte damit unter anderem auf die zahlreichen Zwangsumsiedlungen ganzer Bevölkerungsgruppen während des Zweiten Weltkrieges. Das ebenso in diesem Artikel formulierte Recht auf "Verlassen eines Staates" erhielt seine historische Relevanz aus der Erfahrung, dass Millionen von Menschen in fremden Ländern als Zwangsarbeiter festgehalten worden waren. Schließlich wurde das Recht, "in sein Land zurückzukehren", unter dem Eindruck der großen Anzahl palästinensischer Flüchtlinge vom Libanon erfolgreich eingebracht. Umfassender ist es aber als Reaktion auf das Dauerproblem von Flucht und Vertreibung zu sehen.
Dieses Problem wurde auch zum Gegenstand von Artikel 9, der auf Vorschlag des sowjetischen Vertreters Alexei Pavlov den Schutz vor willkürlicher Verbannung enthielt. Allerdings stellte Pavlov zugleich infrage, dass ein Individuum sein Herkunftsland unabhängig von dessen Gesetzen und Interessen verlassen und die Staatsangehörigkeit eines anderen Landes annehmen dürfe. Entsprechend geforderte Einschränkungen wurden jedoch von der Mehrheit der Menschenrechtskommission zurückgewiesen. Auf ebenso breite Ablehnung stieß aber auch die Forderung nach Freizügigkeit ohne jegliche Einschränkungen, für die allerdings ausgerechnet Indien, das zu dieser Zeit mit Pakistan den erzwungenen Bevölkerungsaustausch der jeweiligen religiösen Minderheit durchführte, ein Plädoyer hielt.
Das Recht auf Asyl
Die Aufnahme eines eigenen Asylrechtsartikels in die AEMR ist auf der Ebene zwischenstaatlicher Vereinbarungen ein bemerkenswerter Akt, zu dem es davor und danach keine Entsprechungen gab bzw. gibt. Dass er überhaupt zustande kam, ist wohl am ehesten mit der Erfahrung einer international restriktiven Asylpolitik vor und während des vorangegangenen Krieges und ihrer katastrophalen Folgen für viele der Flüchtlinge zu erklären. So traten Vertreter des Jüdischen Weltkongresses für ein bedingungsloses Asylrecht ein: Für jüdische Flüchtlinge sei die Verweigerung dieses Rechts im Zweiten Weltkrieg gleichbedeutend mit der Verweigerung des Lebensrechts gewesen. Der Vertreter Uruguays, dessen Land im Zweiten Weltkrieg viele verfolgte Juden aufgenommen hatte, folgerte aus diesem historischen Vermächtnis, dass nun die Pflicht bestünde, in gleicher Weise den arabischen Flüchtlingen aus Palästina Asyl zu gewähren. Der Libanese Karim Azkoul, in dessen Land viele Palästinenser Zuflucht fanden, argumentierte in Übereinstimmung etwa mit Pakistan oder der International Refugee Organisation gleichermaßen für den Anspruch auf Asyl als angeborenes Recht des Menschen. Dagegen äußerte sich Saudi-Arabien, das die Hauptlast der palästinensischen Flüchtlinge zu tragen hatte, ablehnend zu einem unbegrenzten Asylrecht. Auch Großbritannien, unter dessen Verwaltung das UN-Mandatsgebiet Palästina bis Mitte Mai 1948 gestanden hatte, votierte gegen eine uneingeschränkte Garantie. Schließlich führten die Mehrheitsverhältnisse dazu, dass vom ursprünglichen Entwurf, in dem noch von einer Garantie die Rede gewesen war, das deutlich abgeschwächte Recht übrig blieb, "in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen", das in Artikel 14 festgeschrieben wurde.
Damit trat an die Stelle des vormals angedachten, umfassenden Rechtsanspruchs für Asylsuchende ein genereller staatlicher Vorbehalt: Der Flüchtling konnte das Asyl "suchen", den potentiellen Aufnahmestaat also darum bitten - Anspruch auf Gewährung hatte er aber nicht. Erst wenn der betreffende Staat die Bitte positiv beschied, folgte daraus das Recht, das Asyl "zu genießen". Eine gewisse Verpflichtung des Staates zur Asylgewährung ergab sich dann, wenn er den Asylsuchenden als Verfolgten, das heißt als Flüchtling, anerkannt hatte. Allerdings waren nach Artikel 14 unter anderem diejenigen Menschen vom Flüchtlingsstatus auszunehmen, die "auf Grund von Verbrechen nichtpolitischer Art" Asyl beantragten. Die Formulierung "nichtpolitischer Art" enthielt zugleich das positive Gegenbild des politischen Flüchtlings als den in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts primär legitimierten Typus.
Eine solche Perspektivierung hatte sich jedoch unter anderem für jüdische Emigranten als hoch problematisch herausgestellt, da diese sich nicht aufgrund ihrer politischen Handlungen, sondern aufgrund ihrer bloßen Existenz prinzipieller Verfolgung ausgesetzt sahen. Zugleich eröffnete das Ausschlusskriterium "nichtpolitische Verbrechen" großen staatlichen Interpretationsspielraum und mitunter massive Beweisnot für den Antragsteller: Der Verfolgungsgrund musste als nicht durch die Gesetze des Herkunftslandes strafbar klassifiziert bzw. die dortigen gesetzlichen Regelungen als Unrecht bestimmt und/oder die vorgesehene Bestrafung als besonders grausam nachgewiesen werden. Die Relevanz dieses Problems lässt sich am Disput Eleanor Roosevelts mit dem Delegierten der Sowjetunion hinsichtlich des Status von aus dem sowjetischen Herrschaftsbereich stammenden displaced persons verdeutlichen: Während Roosevelt die Rechtmäßigkeit des Asylanspruchs der betroffenen Menschen verteidigte, wurde von sowjetischer Seite bestritten, dass diejenigen einen Anspruch auf Asyl hätten, die vorgeblich "Landesverrat", also eine kriminelle Tat, begangen hätten.
Einwanderung als Problem
In ihrer Opposition gegen ein weit reichendes Asylrecht vertrat die britische Delegation die Position, Asyl bedeute in den meisten Fällen faktisch Einwanderung. Eine unbeschränkte Asylgarantie verstoße damit gegen die Einwanderungsbestimmungen so gut wie aller Länder. Uruguay hielt dem entgegen, die britische Delegation vermische in unzulässiger Weise Asyl und Einwanderung. Um einer solchen Gleichsetzung zu entgehen und die Aufnahmebereitschaft potentieller Asylländer nicht weiter zu gefährden, schlug René Cassin vor, Asylsuchenden für den Fall ihrer Aufnahme nicht zu viele Rechte einzuräumen. Doch letztlich überwogen die Befürchtungen, dass Flüchtlinge zu Einwanderern und damit zu einer dauerhaften Belastung werden könnten, was zu der bereits geschilderten Abschwächung des Asylrechtsartikels führte. In diesem Zusammenhang spielte sicherlich auch eine Rolle, dass Länder wie die USA Einwanderer traditionell als zukünftige Staatsangehörige ansahen, damit aber zugleich ein besonderes Interesse haben mussten, den Zugang zu ihrem Land - wie in Artikel 13 und 14 geschehen - unter staatlichem Vorbehalt zu belassen und entsprechend ein umfassendes Menschenrecht auf freie Einreise zu verhindern. Generell spiegelte sich in der vorgenannten Mehrheitshaltung die äußerst restriktive Einwanderungspolitik der meisten Länder des euroatlantischen Raums seit dem Ersten Weltkrieg wider. Vielen Staaten galt Einwanderung in dieser Zeit per se als problematische Herausforderung - und zwar nicht nur im Hinblick auf die soziale Belastung, sondern auch in kultureller und politischer Hinsicht.
Im Zuge des Entstehungsprozesses der AEMR ging es wiederholt um eine Assimilationspflicht von Einwanderern, die vor allem im Rahmen der Diskussionen über einen eigenständigen, schließlich doch nicht realisierten Minderheitenartikel thematisiert wurde. Während etwa der Chilene Hernán Santa Cruz unter Verweis auf die Entstehung der meisten Länder Amerikas durch Einwanderung für eine besondere Sensibilität im Umgang mit Minderheitenrechten plädierte, artikulierten Delegierte des "klassischen" Einwanderungslandes USA deutliche Bedenken gegen solche Rechte: Immigrantengruppen, so die amerikanische Position, könnten sich darauf in einer Form berufen, welche die Einheit der Länder gefährde und der angestrebten Einbindung in die Aufnahmegesellschaft entgegenstünde. Der brasilianische Delegierte Austregesilo de Athayde bemerkte, dass Immigranten beispielsweise aufgrund des Rechts, ihre Muttersprache in Schulen, bei Gericht oder in anderen Situationen zu benutzen, wenig Bereitschaft zeigen würden, Portugiesisch zu lernen und sich schnellstmöglich zu assimilieren. Ähnlich äußerten sich weitere Delegierte aus südamerikanischen Ländern und aus Kanada. Der belgische Vertreter Ferdinand Dehousse warf ein, man müsse zwischen Immigranten und historisch schon lange ansässigen Minderheiten unterscheiden. Cassin machte den Vorschlag, in einem Minderheitenartikel nicht einfach von einer besonderen Gruppe von "Personen" zu sprechen, sondern von "Staatsbürgern" des jeweiligen Landes, und akzentuierte damit Staatsangehörigkeit als zentrales Kriterium. Der sowjetische Delegierte Borisov schließlich sprach sich gegen das Wahlrecht für Nicht-Staatsangehörige aus, zugleich aber für einen besonderen Rechtsschutz für Minderheiten als Angehörige des jeweiligen Landes.
Der Schutz von Nicht-Staatsangehörigen
Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass gerade im Hinblick auf Migration die Frage der Staatsangehörigkeit von besonderer Bedeutung für die Gestaltung der Menschenrechtserklärung war. So stand der Zugang von Nicht-Staatsangehörigen - ob als Asylsuchende oder "normale" Einwanderer - in ein Land unter staatlichem Vorbehalt des Ziellandes: Das Recht auf einen dauerhaften Aufenthalt dort erforderte die nicht ohne weiteres zu erlangende Anerkennung als Flüchtling oder den Erwerb der Staatsangehörigkeit dieses Landes. Diese Beschränkungen bedeuten freilich nicht, dass der jeweilige Staat nach eigenem Gutdünken gegenüber Nicht-Staatsangehörigen handeln konnte - im Gegenteil: Die Menschenrechtserklärung reklamierte ja den grundsätzlichen Vorrang eines jeden Individuums vor dem Staat; und Artikel 1 stellte prinzipiell fest, dass "alle Menschen (...) frei und gleich an Würde und Rechten geboren" seien. Entsprechend waren für die Dauer des Aufenthalts ihre Menschenrechte genauso zu respektieren wie diejenigen von Staatsangehörigen - sei es der Schutz vor Diskriminierung (Art. 2), das "Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person" (Art. 3), umfassender Rechtsschutz (Art. 6-11) oder das Recht auf Religions- und Meinungsfreiheit (Art. 19 und 20).
Eine solche Reglementierung sowie die geschilderten staatlichen Beschränkungen von Zugang in ein anderes Land und dem Aufenthalt dort mögen nun den Einwand hervorrufen, diese Regelungen stünden im Widerspruch zum Diskriminierungsverbot. Doch zumindest sachlogisch ließe sich darauf verweisen, dass in Artikel 2 "Rasse", "Religion" oder "Sprache" als auszuschließende Diskriminierungsmotive ausdrücklich angeführt werden, die Staatsangehörigkeit jedoch nicht. Zwar ist dort auch von einem Diskriminierungsverbot aufgrund "nationaler Herkunft" die Rede; aber mit Blick auf die damaligen Diskussionen ist der Schluss zu ziehen, dass mit "national" nicht die Zugehörigkeit zu einem Staat, sondern zu einer bestimmten "Ethnie" gemeint war. Dem Vorwurf der Diskriminierung ließe sich schließlich noch grundlegender entgegenhalten, dass jeder Mensch die gleichen Rechte besitze, diese aber eben nur gegenüber seinem "eigenen" Staat umfassend geltend machen könne.
Staatsangehörigkeit als Schutz vor Zwangsauswanderung
Die Restriktionen gegenüber Migranten bzw. Nicht-Staatsangehörigen zeigen, dass sich die Mehrheit der damaligen Delegierten nicht bereit fand, die praktischen Folgen der millionenfach erfahrbar gewordenen (Zwangs-)Migration auf eine menschenrechtliche Basis zu stellen, die einzelstaatlicher Kontrolle entzogen war. Vielmehr deuten Inhalt und Entstehungskontext der AEMR darauf hin, dass vorrangig die Staatsangehörigen eines Landes im Fokus des beabsichtigten Menschenrechtsschutzes standen und damit zugleich die Ursachen von Migration bekämpft werden sollten. Bereits die UN-Charta von 1945 hatte insofern in diese Richtung gezielt, als sie sich auf zwischenstaatlicher Ebene gegen den Angriffskrieg als Auslöser von Flucht, Vertreibung und Verschleppung (vor allem auch von Bürgern fremder Länder) gerichtet und in Reaktion darauf die Souveränität der einzelnen Staaten betont hatte.
Die Artikulation von Menschenrechten sollte nun dafür sorgen, dass aus staatlicher Souveränität nicht staatliche Allmacht wurde. Denn viele Staaten, dessen waren sich die Gestalter der AEMR bewusst, traten gerade auch gegenüber ihren "eigenen" Angehörigen als Menschenrechtsverletzer auf, indem sie ihnen ihre staatsbürgerlichen Rechte vorenthielten. Als wichtiger Schlüssel des zukünftigen Menschenrechtsschutzes musste deshalb das "Recht auf eine Staatsangehörigkeit" (Art. 15) gelten. Dieses war vor allem unter dem noch nachwirkenden Eindruck der "Nürnberger Gesetze" von 1935 verfasst worden, welche einen wesentlichen Schritt der staatsbürgerlichen Entrechtung jüdischer Bürger bedeutet hatten. Doch auch der vielfach ungeklärte staatsbürgerliche Status der Millionen displaced persons wurde zu einer für die Gestaltung des Artikels wichtigen Erfahrungsgrundlage. Hannah Arendt etwa sah in der prekären Situation der vielen Staatenlosen das menschenrechtliche Problem schlechthin, da in einer staatlich organisierten Welt demjenigen der Ort entzogen sei, der sich keinem Staat zugehörig wisse.
Mit dem prinzipiellen Recht auf Staatsangehörigkeit verband sich demgegenüber auch eine besondere Verpflichtung des jeweiligen Staates: Neben einem allen Personen zukommenden Menschenrechtsschutz sollte der Staat auch politische Partizipation und unbegrenzte Freizügigkeit innerhalb seines Herrschaftsbereichs gewährleisten. Demnach sollte freiwillige Migration von Staatsangehörigen in keiner Form behindert, erzwungene Auswanderung jedoch gerade verhindert werden.
Die Menschenrechtserklärung: Ein unvollendetes Projekt
Gerade das Thema Migration veranschaulicht, dass es sich bei der Menschenrechtserklärung von 1948 um eine kontrovers diskutierte, ebenso von einschneidenden historischen Erfahrungen wie von staatlichen Interessen geprägte Deklaration handelt. Im Ergebnis stellt die Erklärung ohne Zweifel einen Meilenstein in der Geschichte der Menschenrechte dar. Zugleich aber ist deutlich geworden, dass die AEMR sowohl in einem emphatischen als auch in einem kritischen Sinn ein historisches Dokument ist.
Mit dem Fokus auf Staatsangehörigkeit wurde ein wichtiger Akzent gesetzt, um die Rechte des Individuums gegenüber dem Staat zu schützen. Doch gab es und gibt es auch gegenwärtig eine unüberschaubar große Zahl von nominell oder faktisch staatenlosen Flüchtlingen, denen nur ein grundsätzlicher - menschenrechtlich verankerter - Asylanspruch eine realistische Aussicht auf Existenzsicherung böte. Überdies stellt der vorrangig auf Staatsangehörige gerichtete Menschenrechtsschutz in einer Einwanderungsgesellschaft wie der unsrigen eine unbefriedigende Perspektive dar.
An solchen Punkten hat eine kritische Lesart der AEMR anzusetzen - nicht um diese per se infrage zu stellen, sondern um ihre vielfach historisch bedingten Schwächen sicht- und verstehbar zu machen. Damit würde möglicherweise nicht nur ein Beitrag zur Verbesserung des Menschenrechtsschutzes geleistet, sondern die Deklaration auch als das behandelt, was sie eigentlich ist: Ausgangspunkt eines nicht nur praktisch, sondern auch inhaltlich unvollendeten Projekts.