Einleitung
Fast zwei Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes hat das Schönreden der DDR Konjunktur. Ungeniert treten ehemalige Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) an die Öffentlichkeit, um ihre Version der Geschichte kundzutun. Die 1990 in PDS umbenannte SED hat nicht unwesentlich zu dieser Kultur des Umdeutens beigetragen.
Die Begriffe Diktatur und Extremismus sind Sammelbezeichnungen für antidemokratische Staatsformen bzw. Bestrebungen. Beschreibt die Wissenschaft nach 1989 - von marxistischen Ansätzen abgesehen - die SED nahezu einhellig als Diktaturpartei, kursieren gegensätzliche Auffassungen zur demokratischen Qualität der "Linken". Normative Analysen verweisen durchweg auf deren extremistischen Charakter,
Die SED vor 1989
Die DDR war der Gegenentwurf zu einem demokratischen Verfassungsstaat. Gewaltenteilung existierte nicht, stattdessen eine unter Lenins Begriff "demokratischer Zentralismus" firmierende Ordnung, die staatliche Strukturen, gesellschaftliche Organisationen und die Rechtsprechung dem Apparat, dem Diktat und der Willkür der SED unterwarf. Weder stand die DDR auf dem Boden eines Konstitutionalismus, noch konnten die Bürgerinnen und Bürger in freien Wahlen entscheiden. Die Partei musste ihre von der sowjetischen Siegermacht nach dem Zweiten Weltkrieg installierte Herrschaft pseudolegitimieren: durch einen instrumentalisierten "Antifaschismus" und durch den Marxismus-Leninismus.
Aus diesem Dogmengebäude leitete die SED sowohl ihre "führende Rolle" in Staat und Gesellschaft als auch ein Wahrheitsmonopol ab. Ihre Interpretationen politischer und gesellschaftlicher Ereignisse waren ebenso sakrosankt wie ihre Entscheidungen. Auch die Partei selbst war nicht demokratisch organisiert: Alle Macht ging vom Politbüro an der Spitze aus; interne Kontrolle fehlte. Dies sollte es Apologeten später erleichtern, die Verantwortung am Unrecht des SED-Regimes auf die jeweils höhere Instanz zu schieben.
Freiheit und Menschenrechte unterwarf die SED der marxistisch-leninistischen Ideologie - ein Freibrief, diese Grundwerte in der politischen Praxis zu ignorieren. Der Bau der Mauer 1961, das MfS und die politische Justiz wurden zu Symbolen der Unfreiheit und der Missachtung fundamentaler Rechte. Von vornherein war in der Dogmatik der SED die "persönliche F(reiheit) des Menschen (...) immer an gesellschaftliche Voraussetzungen gebunden. Sie bestimmen den konkreten Rahmen und den Inhalt der F(reiheit) des Individuums."
Was die SED als "Demokratie" ausgab, hatte mit einer freiheitlichen politischen Ordnung nichts zu tun. Die Exegeten des Marxismus-Leninismus wandten sich explizit gegen die "bürgerliche Ideologie", die Diktatur und Demokratie als Antipoden gegenüberstellt. Solange die "klassenlose Gesellschaft" des Kommunismus nicht erreicht sei, handele es sich vielmehr um "voneinander nicht zu trennende Seiten der staatlichen Organisation".
Unverkennbar hat es aber in der politischen Realität der DDR spätestens in den 1980er Jahren begrenzten gesellschaftlichen Pluralismus gegeben. Eckhard Jesse - er wendet die von Juan J. Linz entwickelten Kriterien
Dennoch hielt die SED bis zum bitteren Ende an ihrem totalitären Machtanspruch fest: einer umfassenden Kontrolle und ideologischen Durchdringung der gesamten Gesellschaft.
Die SED/PDS und die demokratische Revolution
Die DDR-Diktatur zerfiel innerhalb weniger Wochen. Die SED versuchte diesen Prozess zwar nicht mit allen Mitteln - vor einer " chinesischen" Reaktion auf die Großdemonstrationen in Leipzig, Berlin und anderen Städten schreckte sie zurück -, wohl aber so gut es ging aufzuhalten, und geriet schnell selbst in den Sog der Revolution. Was die Partei auch in den verschiedenen Phasen unternahm, sie hinkte den sich überschlagenden Ereignissen hinterher. Auch der Wandel der SED war weitgehend von außen erzwungen. Nachdem sich das Politbüro am 17. Oktober 1989 zum Sturz Erich Honeckers als Generalsekretär durchgerungen hatte, rückte dessen politischer Ziehsohn Egon Krenz an die Spitze der Partei. Er hielt an der "führenden Rolle" der SED fest. Sein Versuch, dem Aufstand der Bürger durch Dialog mit den allerdings nach wie vor als "Verfassungsfeinde" stigmatisierten Oppositionsgruppen die Spitze zu nehmen, scheiterte. Selbst in der SED regte sich Unmut über die mangelnde Reformbereitschaft. Die mit Korruptionsvorwürfen konfrontierte Parteispitze verspielte das Vertrauen nicht nur des Volkes, sondern auch der eigenen Basis. Zehntausende Mitglieder verließen binnen kurzer Zeit die SED.
Wenige Tage nach dem Fall der Mauer am 9. November stieg der Dresdener SED-Bezirkschef Hans Modrow zum starken Mann in der DDR auf - nicht als Parteivorsitzender, sondern in dem zuvor relativ einflusslosen Amt des Ministerpräsidenten. Dem frischgebackenen Politbüromitglied eilte der Ruf des "Reformers" voraus. Von weitgehenden Zugeständnissen wie freien Wahlen wollte Modrow zwar zunächst nichts wissen. Doch unter ihm wurde die "führende Rolle" der SED aus der Verfassung gestrichen. Er verstand es geschickt, das Machtmonopol vom Parteiapparat auf die staatlichen Institutionen zu verschieben.
Mit der Strategie, die Opposition in eine "Regierung der Nationalen Verantwortung" einzubinden, wollte Modrow das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückgewinnen, um die DDR unter sozialistischen Vorzeichen zu bewahren - und scheiterte. Modrow konnte weder den Massenexodus noch die Erosion staatlicher Strukturen, noch gar die Wiedervereinigung aufhalten. Doch bis es soweit war, brauchte der Ministerpräsident den Rückhalt der Partei. Die SED/PDS war zu dieser Zeit - bis zu den ersten und letzten demokratischen Wahlen in der DDR am 18. März 1990 - keine Staatspartei mehr, wohl aber Regierungspartei. Als solche saß sie bzw. saßen ihre neuen Köpfe mit den Bürgerrechtsgruppen am Zentralen Runden Tisch - und dort zwischen den Stühlen: Einerseits musste die diskreditierte SED, über der das Damoklesschwert des Verbots hing, auf die Opposition zugehen, andererseits die Politik der Regierung vertreten.
So stand das häufig gebrauchte, vereinnahmende "Wir", mit dem sich die Partei an die Seite der Bürgerrechtler zu stellen versuchte, im Gegensatz zu ihren Warnungen, dem Runden Tisch allzu viel Macht zu gewähren. Beim Thema Auflösung des MfS - wohl das wichtigste Anliegen der Oppositionellen - wagte die SED keinen offenen Affront, machte aber Modrows Taktik des Hinhaltens, Abwartens und Verheimlichens mit. Die Fortexistenz des - später zynisch zum Sündenbock stilisierten - MfS unter anderem Namen begründete sie mit der Angst vor einem "Sicherheitsvakuum" in der DDR und half mit, den Rechtsextremismus als neues Feindbild aufzubauen.
Es ist davon auszugehen, dass immerhin knapp die Hälfte der verbliebenen Mitglieder die Auflösung der SED wollte. Auf dem Sonderparteitag im Dezember 1989 gelang es der Führung unter dem neuen Vorsitzenden Gysi jedoch, die Delegierten vom Fortbestand der SED zu überzeugen, wobei die Rettung des riesigen Parteivermögens ein nicht unwesentliches Motiv gewesen sein dürfte. Die massenhaften Austritte konnte sie damit jedoch nicht stoppen. Die PDS, wie die Partei ab Februar 1990 hieß, stand nicht in der Tradition derer, die für die Auflösung der Partei votiert hatten, und auch nicht in der Tradition der demokratischen Revolution. Als Zeichen der Erneuerung vollzog der Sonderparteitag zwar einen Bruch mit dem "Stalinismus". Doch hatte dieser Begriff vor allem apologetische Funktion; von einer grundlegenden Kritik an der DDR-Diktatur war die PDS weit entfernt. Jahre später sollte sich erweisen, dass nicht einmal "Antistalinismus" ohne Weiteres als Konsens der Partei firmieren konnte.
Die PDS nach 1990
Die ehemaligen Staatsparteien Osteuropas nahmen nach dem Zusammenbruch des Kommunismus denkbar unterschiedliche Wege. Die polnisch-amerikanische Politologin Anna M. Grzyma?a-Busse hat aufgezeigt, dass jene Organisationen in den neuen Demokratien reüssieren konnten, die sich programmatisch, personell und organisatorisch am deutlichsten von der Vergangenheit absetzten. Der PDS stellte die Autorin ein mittelmäßiges Zeugnis aus.
Krisenzeiten der PDS waren stets Hochzeiten der "Orthodoxen". So drängte das Desaster bei der Bundestagswahl 2002 die "Reformer" vorübergehend in die Defensive. Die heftigen ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den Parteiflügeln - es brauchte fünf Jahre, bis die PDS 2003 ein neues Grundsatzprogramm verabschieden konnte - zeigten: Die zahlenmäßig kleine KPF war keine Randerscheinung, sondern gehörte zum Kern der Partei. Bestrebungen, den Einfluss der "Orthodoxen" zu begrenzen, zielten darauf, "Politikfähigkeit" zu erlangen und die PDS regierungsfähig zu machen. Die herkömmlichen kommunistischen Strategien hielten die "Reformer" zwar für untauglich, aber nicht für untragbar. Dieselben Motive steckten hinter der "Abgrenzung" zu linksextremistischen Organisationen, deren Angehörige sich zuhauf in der West-PDS festgesetzt hatten. Nichts dagegen einzuwenden hatte die Partei allerdings, dass Personen aus dem linksextremen Spektrum PDS-Mandate wahrnahmen.
Die PDS hätte zuletzt anders ausgesehen, wäre sie nicht vier Jahre nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern - weniger wegen ihrer politischen Angebote, sondern wegen ihres Habitus als Anti-West-Partei - auf unverhofft großen Wählerzuspruch gestoßen. Die Wahlerfolge etablierten die PDS als Machtfaktor im ostdeutschen Parteiengefüge. Ihre Abgeordneten bewiesen schnell Verlässlichkeit und brachten mit den "Pragmatikern" eine neue Strömung hervor, die mit wenig ideologischem Gepäck daherkam.
In anderen Landesverbänden gab es eine entgegengesetzte Entwicklung. In Brandenburg war die PDS jahrelang in vorauseilendem Gehorsam auf die SPD zugegangen, bevor sie resigniert in fundamentaloppositionelle Attitüden zurückfiel. Im Krisenjahr 2003 warnten selbst "Reformer" davor, die außerparlamentarische Orientierung zu verlieren. Die PDS hat den strategischen Widerspruch von "Widerstand und Ministeramt", wie es die zeitweilige Vorsitzende Gabriele Zimmer einmal nannte, nie klären können. Ihre federführenden Strategen hielten aber stets an dem Anspruch einer sozialistischen "Transformation der Gesellschaft" und einer "linken Hegemonie" fest, in welche die SPD durch "Mitte-Links-Bündnisse" langfristig auch im Bund eingespannt werden sollte. Man kann von einer Mäßigung, aber auch Erweiterung der kommunistischen Revolutions- und Klassenkampfideologie sprechen. Während die KPF auf dem strikten Antagonismus von Kapitalismus und Sozialismus beharrte und die DDR zum Vorbild nahm, ließen die "Reformer" offen, welche Gesellschaft sie anstrebten. Ihrer Kritik an der "undemokratischen" DDR folgte kein eindeutiges Plädoyer für den demokratischen Verfassungsstaat. Einerseits bekannte man sich verbal zu dessen Institutionen und Prinzipien, legte andererseits aber ein rein instrumentelles Verhältnis an den Tag, böten doch Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit "trotz ihrer Dienlichkeit als Herrschaftsmechanismus eine Chance für Gegenmächte".
Im Laufe der Zeit rückte mit der Freiheit ein demokratischer Grundwert ins Zentrum der zunehmend moderaten PDS-Programmatik. Allzu anstößige Forderungen wie die Etablierung von Gegenmächten "gegen den Staat" hatte man ebenso entsorgt wie die positive Würdigung der russischen Oktoberrevolution. "Freiheit ist der Bezugspunkt sozialistischer Politik", hieß es an exponierter Stelle des Chemnitzer Programms. Ehrlicher wäre die umgekehrte Formulierung gewesen: Sozialistische Politik ist Bezugspunkt der Freiheit. Denn dort steht auch: "Gerechtigkeit verlangt, dass Freiheiten, die soziale Gruppen für sich in Anspruch nehmen, zu Freiheiten aller anderen werden können. Freiheit ist nicht als egoistisches Haben, sondern als solidarisches Tun zu erreichen."
Selbst die "Reformer" sahen Freiheit nicht als politisch neutral an, sondern verknüpften sie eng mit bestimmten Forderungen - zum Beispiel dem Recht auf Arbeit, soziale Sicherheit oder Gesundheit, oder Pflichten der Bürger, etwa zur "Wahrnahme sozialer und ökologischer Aufgaben".
"Die Linke"
Der Zusammenschluss mit der westdeutschen Protestpartei WASG beendete die Isolation der ostdeutschen Ideologiepartei PDS in den alten Bundesländern. Die WASG war als Reaktion auf die "neoliberale Wende" der SPD entstanden und brachte zahlreiche enttäuschte SPD-Mitglieder und Gewerkschafter in "Die Linke". Bei Wahlen stieß die neue Formation in eine Klientel vor, die zuvor nicht zum klassischen PDS-Elektorat gehört hatte: Arbeiter, Arbeitslose und sozial Schwache. Es fiel ihr leicht, sich als "wahre Sozialdemokratie" zu gerieren. Die Erwartung, die Fusion trage zur Demokratisierung der PDS bei, hat sich indes bislang nicht erfüllt. Meist wird übersehen, dass mit der WASG nicht nur Anhänger des Sozialstaatskonzepts Willy Brandts in die Partei kamen und auch in den Vorstand gelangten. In den westlichen Landesverbänden stellen Linksausleger eine starke Bastion. Sie lieferten sich heftige Machtkämpfe mit gemäßigten Kräften und obsiegten meist.
In der "Linken" ringen zwei starke "orthodox" ausgerichtete Strömungen um die programmatische Lufthoheit: die "Sozialistische Linke", in der neben Trotzkisten auch linke Gewerkschafter eine Heimat fanden, und das vergleichsweise lose Netzwerk "Antikapitalistische Linke", in dem unter anderem KPF-Aktivisten mitmachen. Die ideologischen Auseinandersetzungen, welche die PDS geprägt hatten, setzen sich in der neuen Partei fort, wenngleich mit einem anderen Frontverlauf. Denn paradoxerweise finden die "Orthodoxen" in Parteichef Oskar Lafontaine und den auf die Arbeiterklasse fixierten sozialen Populisten der Ex-WASG Verbündete. Diese Phalanx bekämpft alle tatsächlichen und vermeintlichen "liberalen" Auswüchse in der Partei. Die Kommunisten in der "Linken" werden auf-, die "Pragmatiker" der alten PDS, die für eine demokratische Entwicklung stehen konnten, abgewertet.
Nicht zu Unrecht befürchten viele "Reformer", der wegen seines autoritären Führungsstils nicht allzu beliebte Lafontaine könnte "Die Linke" in eine reine Protestorganisation verwandeln - und in die strikte Gegnerschaft zu seiner alten Partei SPD treiben. Zudem scheint sich in der "Linken" nun der Habitus "Opposition um der Opposition willen" zu festigen. Wie den "orthodoxen" Kräften war den aus der WASG stammenden Aktivisten die als "neoliberal" verdammte Regierungspolitik der PDS schon immer ein Dorn im Auge. Die "parlamentarische Arbeit", heißt es nun, sei so zu "gestalten, dass sie der Zusammenarbeit mit außerparlamentarischen Kräften der Linken', der öffentlichen Darstellung eigener Reformvorschläge und dem Einbringen alternativer Gesetze"
"Die Linke" hat sich programmatisch noch nicht konsolidiert. Die so genannten "Eckpunkte" sind ein Provisorium, ein Steinbruch an Forderungen der WASG und der PDS. Analog zu deren Vorstellungen ordnet "Die Linke" den Freiheitsbegriff ebenso wie die Menschenrechte politischen Bedingungen unter. Alles in allem gibt sich das Grundsatzpapier antikapitalistischer und radikaler als das Chemnitzer PDS-Programm, was "Sozialistische" und "Antikapitalistische Linke" ausdrücklich begrüßten. Populistische Forderungen verdrängten realistische Konzepte der PDS, etwa zur Steuerpolitik. Die Feststellung, mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei "das größte Gegengewicht" zu den "zerstörerischen Tendenzen des ungehemmten kapitalistischen Marktes"
Noch steht nicht fest, wohin die Partei programmatisch treibt - zu einer sozialistischen Richtungspartei oder zu einer linken Sammlungs- und Protestorganisation? In jedem Fall werden diejenigen einen schweren Stand haben, die sich einer pragmatischen Politik verschrieben haben. Insgesamt verfolgt "Die Linke" kein offen extremistisches Projekt, ist aber in wichtigen Teilen angesichts ihrer Haltung zu demokratischen Grundwerten, der fehlenden Abgrenzung zu Extremisten und der fundamentalen Systemgegnerschaft nicht über alle Zweifel an ihrer demokratischen Orientierung erhaben. Schlägt man einen Bogen zur SED, treten neben Elementen des Wandels ebenso deutlich Indizien der Beharrung zu Tage.