Einleitung
Wie kaum eine andere Institution wird die Polizei gemeinhin mit der Idee des souveränen Nationalstaates verbunden, repräsentiert sie doch das Gewaltmonopol und damit das klassische Signum der Staatlichkeit. Dieser Grundsatz, der seit Max Weber die staatstheoretische Diskussion prägt, ist in den vergangenen Jahren immer stärker unter Druck geraten. Im Gegensatz zu Räumen schwacher oder zerfallender Staatlichkeit steht ein Verlust des Gewaltmonopols in der OECD-Welt zwar nicht zur Debatte.
Im Folgenden soll gezeigt werden, dass die Rahmenbedingungen wie auch die zentralen politischen Leitlinien für die Arbeit der Polizei nicht mehr allein - in einzelnen Segmenten vielleicht nicht einmal mehr in erster Linie - auf nationaler, sondern auf globaler Ebene, insbesondere der der Europäischen Union gesetzt werden. Dabei sind vier Dimensionen von Europäisierung bzw. Globalisierung zu unterscheiden, die eng miteinander zusammenhängen, aber jeweils eigenständige Entwicklungen bezeichnen: erstens die Veränderung der räumlichen Strukturen der Kriminalität, zweitens die wachsende Bedeutung der bi- und multilateralen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei, drittens die Bedeutung europäischer und internationaler Politikgestaltung für die nationalen Systeme und schließlich viertens die Ausweitung der Einsatzfelder von Polizeibeamten über das eigene Staatsgebiet hinaus.
Globalisierung der Kriminalität
Die erste Dimension bezeichnet die Veränderung der räumlichen Strukturen der Kriminalität. Dabei gilt es zunächst einzuschränken, dass nach wie vor der Großteil der registrierten Straftaten einen lokalen oder regionalen Hintergrund hat. Die These von der "Globalisierung der Kriminalität" trifft deshalb bei genauerem Hinsehen lediglich für ausgewählte Deliktsbereiche zu - insbesondere für die unter dem Begriff der "organisierten Kriminalität" (OK) zusammengefassten Straftaten. Hier ist die Entwicklung allerdings dynamisch.
Dass die organisierte Kriminalität als "Schattenseite der Globalisierung" gekennzeichnet wird, lenkt den Blick darauf, dass sie in spezifischer Weise mit dem Wandel der Weltwirtschaft durch die Globalisierung verbunden ist.
Wie hoch der finanzielle Schaden zu veranschlagen ist, der durch organisierte Kriminalität verursacht wird, lässt sich zwar nur schätzen, aber schon die im Raum stehenden Zahlen unterstreichen die Brisanz. Das Büro für Drogenkontrolle und Verbrechensbekämpfung der Vereinten Nationen und der Internationale Währungsfonds führen zwischen zwei und fünf Prozent des global erwirtschafteten Sozialprodukts auf die Aktivitäten krimineller Organisationen zurück.
Bi- und multilaterale Zusammenarbeit
Die zweite Dimension umfasst die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Polizeien und stellt gewissermaßen die "operative" Reaktion auf die Globalisierung der Kriminalität dar. Der Informationsaustausch steht dabei seit jeher im Mittelpunkt. Die schon 1923 gegründete Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (IKPO) dient bis heute primär diesem Zweck.
Einen Schritt weiter als Interpol sind die meisten EU-Staaten (ausgenommen Großbritannien und Irland) mit den Schengener Übereinkommen gegangen, in denen parallel zum Abbau der Kontrollen an den Binnengrenzen verbindliche Mechanismen zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizeien vereinbart worden sind.
Das Polizeiamt Europol hat im Juli 1999 offiziell seine Tätigkeit in Den Haag aufgenommen. Ursprüngliche Pläne der Bundesregierung, auf eine europäische Bundespolizei nach dem Vorbild des FBI hinzuarbeiten, ließen sich nicht durchsetzen.
Das Mandat von Europol ist bislang beschränkt auf die zentralen Felder der organisierten Kriminalität, sofern mindestens zwei Mitgliedstaaten betroffen sind. Über Europol sind im Jahr 2007 zu 7618 Fällen (2000: 1919) über 260 000 Nachrichten (2000: 35 366) ausgetauscht worden. Doch trotz dieser Zahlen ist die Leistungsfähigkeit von Europol begrenzt. Denn zum einen ist das Amt unmittelbar davon abhängig, in welchem Umfang die nationalen Behörden bereit sind, eigene Informationen weiterzugeben. Zum anderen sind die Ressourcen limitiert. Die Behörde hat einen Etat von etwa 70 Millionen Euro und verfügt über eine Personalstärke von knapp 600 Personen, davon 114 Verbindungsbeamte und etwa 60 unterstützende Kräfte.
Mit Eurojust - der Europäischen Einheit für justizielle Zusammenarbeit - ist im Jahr 2002 in Den Haag das staatsanwaltschaftliche Pendant zu Europol gegründet worden.
Der Dynamik auf europäischer Ebene zum Trotz wird die internationale Zusammenarbeit weiterhin in erster Linie auf bilateralen Wegen realisiert. Insbesondere in den Grenzregionen bestehen seit vielen Jahren eingespielte Formen der Zusammenarbeit.
Eine andere Form der internationalen Zusammenarbeit stellt schließlich die Ausbildungs- und Ausstattungshilfe für Polizeien anderer Staaten dar. Die Bundesregierung verfolgt damit das Ziel, "den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen im Bereich der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" zu fördern.
Europäische und internationale Politikgestaltung
Die dritte Dimension umfasst die Europäisierung und Globalisierung der Politikgestaltung im Politikfeld innere Sicherheit. Weil die Regierungen immer stärker auf internationale Kooperation angewiesen sind, hat sich die ehedem als klassische Domäne der Nationalstaatlichkeit geltende Politik der inneren Sicherheit längst zu einem wichtigen Feld der Außenpolitik bzw. der internationalen Beziehungen entwickelt.
Am weitesten vorangeschritten ist die zwischenstaatliche politische Vernetzung innerhalb der Europäischen Union.
Im Mittelpunkt der europäischen Rechtsetzung stehen naturgemäß Maßnahmen zur Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit. Neben der Schaffung von Instrumenten der vertikalen Kooperation wie Europol, Eurojust oder Frontex spielt die Erleichterung des horizontalen Informationsaustauschs eine zentrale Rolle. Nach dem "Grundsatz der Verfügbarkeit", auf den sich die Mitgliedstaaten im "Haager Programm" von 2004 verständigt haben, sollen polizeiliche Informationen im grenzüberschreitenden Austausch zu den gleichen Bedingungen zur Verfügung stehen wie im innerstaatlichen Bereich. Als ein erstes Paket zur Umsetzung dieses ambitionierten Ziels versteht sich der Vertrag von Prüm, der am 27. Mai 2005 von sieben EU-Staaten unterzeichnet und mittlerweile weitgehend in das EU-Recht überführt worden ist.
Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Erleichterung der Rechtshilfe in Strafsachen dar, die traditionell als besonders eng mit der nationalen Souveränität verbunden gilt. Nachdem in den 1990er Jahren zunächst der Gedanke der Harmonisierung strafrechtlicher Regeln dominant war, setzte sich mit dem Europäischen Rat von Tampere das aus dem Binnenmarktbereich bekannte Prinzip der "gegenseitigen Anerkennung" von justiziellen Entscheidungen durch. Prominentestes Beispiel für dessen Umsetzung ist der Rahmenbeschluss zum Europäischen Haftbefehl, der ein erleichtertes Verfahren für die Auslieferung von gesuchten Personen im direkten Kontakt der Justizbehörden ermöglicht.
Die Reichweite der politischen Entscheidungen der EU beschränkt sich indes nicht auf die Verbesserung der vertikalen und horizontalen Kooperation. Vielmehr spielt die europäische Ebene zusehends eine wichtige Rolle bei Fragen des materiellen Polizeirechts, des Strafrechts und des Strafprozessrechts. Zwar handelt es sich dabei in der Regel um Rahmenbeschlüsse oder Richtlinien, die noch der Umsetzung durch die nationalen Parlamente bedürfen. Aber deren Handlungsspielraum ist sehr klein. Beispiele dafür sind die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2006, welche die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, die Verbindungsdaten ihrer Kunden von Telefon und Internet für sechs Monate "auf Vorrat" zu speichern sowie der Rahmenbeschluss zum Terrorismus von 2002, der eine Definition von terroristischen Straftaten und Mindesthöchststrafen für die Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen vorsieht.
Ausweitung der Einsatzfelder
Die vierte Dimension von Europäisierung und Globalisierung umfasst schließlich die Ausweitung der Einsatzfelder der Polizeibeamten über das eigene Staatsgebiet hinaus. Das betrifft etwa die Personen, die im Rahmen von Aus- und Fortbildungsprojekten in anderen Staaten ihren Dienst tun. Ein anderes Beispiel sind die Verbindungsbeamten des BKA, die seit den frühen 1980er Jahren an die deutschen Auslandsvertretungen entsandt werden. Ihre Aufgabe ist die Vermittlung zwischen der deutschen Polizei und den Behörden vor Ort sowie die Unterstützung beim Informationsaustausch und bei der Rechtshilfe. Der erste Verbindungsbeamte wurde 1983 nach Bangkok (Thailand) entsandt; zu einem regelrechten Schub hat der Fall des eisernen Vorhangs geführt. Mit gegenwärtig 64 Verbindungsbeamten an 52 Standorten in 50 Ländern ist seitdem ein weltumspannendes direktes Kommunikationsnetz der deutschen Polizei entstanden.
Einen signifikanten Wandel der Einsatzfelder stellen die Auslandseinsätze dar, an denen die Polizei im Rahmen von Friedens- oder Stabilisierungsmissionen von UNO, OSZE oder EU teilnimmt.
Bis heute ist der Balkan der regionale Schwerpunkt der Auslandseinsätze. Besonders weitreichend sind die Befugnisse im Rahmen der United Nations Mission in Kosovo (UNMIK). Hier beschränken sich die Aufgaben der Beamten nicht auf die Beratung lokaler Autoritäten, sondern umfassen die gesamte Breite von der Gefahrenabwehr bis zu Strafverfolgung und Grenzschutz. Der Einsatz im Kosovo ragt auch mit Blick auf die eingesetzte Personalstärke heraus. Bis März 2008 waren dort mehr als 2500 Polizeibeamte im Einsatz. Zu einem zweiten regionalen Schwerpunkt hat sich Afghanistan entwickelt. Dort engagiert sich die Bundesrepublik seit 2002 mit der "Projektgruppe Polizeiliche Aufbauhilfe Afghanistan" (PGPAA). Dieses bilateral vereinbarte Projekt wird seit Juni 2007 von der EU-Polizeimission in Afghanistan ergänzt, an der ebenfalls deutsche Beamte teilnehmen. Anfang September 2008 befanden sich 259 deutsche Beamte im Auslandseinsatz, die meisten davon (138) im Kosovo und in Afghanistan (28 PGPAA, 33 EUPOL).
Perspektiven
Die Bedeutung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei hat rasant zugenommen. Vor dem Hintergrund sich globalisierender Segmente der Kriminalität sind bi-und multilaterale Kooperationsstrukturen neu entstanden sowie bewährte Formen aufgewertet und ausgeweitet worden. Zwar kann keine Rede davon sein, dass ein europäischer oder gar globaler Leviathan die nationalen Systeme von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung ablösen würde. Innere Sicherheit ist ein souveränitätsgeladenes Politikfeld, in dem die Regierungen eifersüchtig auf ihren formalen Kompetenzen beharren. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass die rechtlichen und institutionellen Grundlagen für die Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden zusehends außerhalb des Nationalstaats gesetzt werden. Diese Entwicklung scheint zunächst eine angemessene Antwort auf die Veränderung der Kriminalitätsstrukturen zu sein. Sie wirft freilich auch Probleme auf. Weil internationale Kooperation wesentlich auf die Vernetzung von polizeilichen Daten zielt, stellt der Schutz persönlicher Daten eine drängende Herausforderung dar. Auch schränkt die Verlagerung der Entscheidungen auf europäische oder gar globale Ebenen die Möglichkeiten der demokratischen Kontrolle ein. Das Europäische Parlament hat im Politikfeld innere Sicherheit bislang nur Anhörungsrechte, der Handlungsspielraum nationaler Parlamente ist bei international ausgehandelten Entscheidungen gering. Dass in den politischen Debatten über die internationale polizeiliche Zusammenarbeit die Belange der Sicherheit dominieren, während der Schutz der Freiheit im Schatten steht, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Vernetzung der Regierungen der parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Begleitung einstweilen vorausgeeilt ist.