Einleitung
Sicherheit soll der Staat gewährleisten, Aggressivität, Begehrlichkeit und Rachsucht der Menschen in Schranken halten. Doch Sicherheit ist kein Selbstzweck: Im demokratischen Rechtsstaat wollen die Bürgerinnen und Bürger ihre Freiheit durch selbstbestimmte Regierungen genießen. Freiheit und Sicherheit sind spätestens seit John Locke und Thomas Hobbes zentrale Aufgaben des Staates.
Ein wesentliches Merkmal dieser Entwicklung ist die Privatisierung von Gewalt, die sich den bisherigen (völker)rechtlichen Regulierungen durch zum Teil nicht vorhersehbare "Rationalitäten" und individuelle "Militärstrategien" entzieht: Hochhäuser werden zu Schlachtfeldern, Regionalzüge zu Tatorten von "Kofferbombern", Fernseh- und Videobilder von Geiselnahmen zu Mitteln der Erpressung.
"Erweiterte" Sicherheit
Innere Sicherheit ist daher längst mehr als nur "innere" Sicherheit. Die vormals scharfe Trennung zwischen "innen" und "außen", die das Völker- und Verfassungsrecht sowie das Polizei- und Militärrecht bestimmt, erodiert
"Sicherheit" ist eine Voraussetzung für "Freiheit". Im demokratischen Rechtsstaat ist ihr Spannungsverhältnis jedoch auszutarieren: Freiheit meint eben auch die Freiheit von staatlichen Sicherheitsansprüchen.
Sonderpolizeien des Bundes
Aufgrund der föderalen Kompetenzverteilung ist Polizei grundsätzlich Ländersache;
Die erheblich größere, ebenfalls 1951 gegründete Bundespolizei - bis 2005: Bundesgrenzschutz (BGS) - nimmt demgegenüber unter dem Kommando des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam mit einem mehrstufigen Polizeibehördenaufbau bis zur regionalen Ebene vor allem Aufgaben des Grenzschutzes wahr. In historischer Perspektive war die BPOL eng verbunden mit der besonderen Situation an der innerdeutschen Grenze; der alte BGS hatte daher lange ein "paramilitärisches" Gepräge und seine Angehörigen für den Fall einer militärischen Konfrontation bis Anfang der 1990er Jahre noch den (kriegs-)völkerrechtlichen Kombattantenstatus. Trotz der Umbenennung in BPOL darf diese(r), "nicht zu einer allgemeinen, mit den Landespolizeien konkurrierenden Bundespolizei ausgebaut werden und damit sein Gepräge als Polizei mit begrenzten Aufgaben verlieren".
Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive bleibt zu ergänzen, dass beide Behörden - wie es für die straff hierarchischen Organisationen Polizei und Militär generell typisch ist
Steuerungsfunktion des BMI
Oberste Bundesbehörde von BKA und BPOL ist das Bundesministerium des Innern (BMI), das unter anderem außerdem für das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) zuständig ist. Das BMI nimmt daher in maßgeblichen Feldern der inneren Sicherheit Zentralaufgaben wahr. Da ihm ferner die Wahrnehmung der entsprechenden Vertretungen in den europäischen und internationalen Gremien obliegt, koordiniert es darüber hinaus - die grenzpolizeiliche Zusammenarbeit in der EU; - die europäische und internationale kriminalpolizeiliche Zusammenarbeit, soweit sie polizeifachlich nicht vom BKA wahrgenommen wird; - die europäische Zusammenarbeit der Inlands-Nachrichtendienste und - die europäische und internationale Zusammenarbeit im Katastrophenschutz.
Es überrascht daher nicht, dass das BMI "Motor" der bisher getroffenen Entscheidungen der staatlichen Sicherheitsbehörden ist und auf sicherheitsspezifische Herausforderungen rasch mit exekutiven Maßnahmen reagiert und Gesetze initiiert. Diese werden mit geeigneten Maßnahme- und Zustimmungsstrategien geschickt im agenda-setting des politischen Prozesses umgesetzt. Denn: "Sicherheit" ist angesichts einer unübersichtlichen globalisierten Welt populär; dies gilt erst recht angesichts schockierender Terroranschläge. So zeigt sich, dass Deutschland nach der ministeriellen Selbstdarstellung zwar einerseits eines der sichersten Länder der Welt ist.
In politikwissenschaftlichen Studien wurde schon zuvor gefragt, "welche politische Ebene aufgrund der Europäisierung der Inneren Sicherheit' verlieren wird: der Bund, die Länder, die EU, die erst gar nicht zum Zuge kommt?" Schon 1999 lautete das nüchterne Fazit: "So viel Sicherheit war noch nie!" Denn seit 1985 sei ein "Sicherheitsverbund entstanden, der innerhalb kürzester Zeit ein exorbitantes Wachstum entwickelt hat". So seien die "Befugnisse auf allen politischen Ebenen ausgeweitet worden".
Personalentwicklung seit 1991
Das zeigt sich auch am Personalzuwachs, von denen BKA und BPOL in den 1990er Jahren im Rahmen der Maßnahmen zur Gewährleistung der inneren Sicherheit erheblich profitiert haben, wenngleich seit 9/11 noch einmal ein Zuwachs zu verzeichnen ist (vgl. Abbildung 2 der PDF-Version):
Aus Abbildung 2 lässt sich erkennen, dass sich das Personal beim BKA schon seit Beginn der 1990er Jahre erheblich erweitert hat. 2008 hat das BKA 4840 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen.
Bei der BPOL weist die Personalentwicklung ein ähnliches Verlaufsmuster auf (vgl. Abbildung 1 der PDF-Version).
Schon in den 1990er Jahren war der Personalaufwuchs beträchtlich: Nach dem Zuwachs um rund 3000 Angehörige der Bahnpolizei und des Fahndungsdienstes der damaligen Deutschen Bundesbahn 1992 hatte der BGS etwa 33 000 Beamtinnen und Beamte. Die Neuorganisation 1998 wandelte den BGS von der Verbandspolizei zur einzeldienstlichen Polizei und brachte einen Aufwuchs um etwa 3300. Seit 2006 pendelt die Personalstärke nach einem Zuwachs durch 9/11 um 39 000, wobei eine weitere Zunahme durch die Neuorganisation von 2008 sowie durch europäische Aufgaben - Stichwort "FRONTEX" - und Auslandseinsätze im Auftrag der Vereinten Nationen (VN)
Sicherheitspolitische Maßnahmen seit 9/11
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gab es eine Reihe von "Sicherheitspaketen",
"den Sicherheitsbehörden die nötigen gesetzlichen Kompetenzen zu geben;
den erforderlichen Datenaustausch zwischen den Behörden zu verbessern;
bereits die Einreise terroristischer Straftäter nach Deutschland zu verhindern;
identitätssichernde Maßnahmen im Visumverfahren zu verbessern;
den Einsatz bewaffneter Flugbegleiter der Bundespolizei auf deutschen Luftfahrzeugen zu ermöglichen;
Grenzkontrollmöglichkeiten zu verbessern und
bereits eingereiste Extremisten besser zu erkennen."
Einzelne Befristungen wurden durch das "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" (TBEG), das im Wesentlichen Anfang 2007 in Kraft trat, verlängert.Im TBG wurde außer den oben aufgezählten Kompetenzen zum Beispiel auch der Zugriff auf Daten aus dem Banken- und Telekommunikationsbereich geregelt, die erweiterte "Rasterfahndungen" durch BKA und BPOL ermöglichen.
Erweiterungen von Vorfeldmaßnahmen für BKA und BPOL: Die allgemeinen Kompetenzen von BKA und BPOL sowie der anderen Sicherheitsbehörden wurden durch das TBG erheblich vor allem im Bereich der Vorfeldmaßnahmen ausgebaut. Diese gesetzlichen Regelungen zielen darauf ab, den Kreis der Verdächtigen zu erweitern und mehr personenbezogene Daten zu speichern und zu verarbeiten. Denn hier ist der Grundstein für Eintragungen von biometrischen Daten (z.B. Fingerabdrücken) in Ausweisen sowie Sonderüberprüfungen für Angestellte von sicherheitsrelevanten Institutionen gelegt worden. Weitere Vorfeldmaßnahmen kamen hinzu: Zum Beispiel wurde die Nutzung von so genannten "IMSI-Catchern" eingeführt, um Besitzer von Mobiltelefonen orten zu können. Im "Luftsicherheitsgesetz" wurde bis zum Urteil des BVerfG vom 15. Februar 2006die Abwehr von Terrorgefahren im Luftraum geregelt. Außerdem ist dem BKA durch die Föderalismusreform 2007 mittels Verfassungsänderung eine neue präventive Zuständigkeit bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus eingeräumt worden.
Ergebnis dieser neuen Sicherheitsarchitektur ist, dass Eingriffsbefugnisse zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten immer weniger einer "konkreten Gefahr" oder eines "Anfangsverdachts" bedürfen, so dass die polizeirechtliche Entwicklung sich zunehmend vom liberalen Polizeirecht entfernt. Schon vor 9/11 ließ sich ein Verschwimmen der Grenze zwischen "Störer" und "Nichtstörer" erkennen, wodurch die Konturen des Übermaßverbotes undeutlich werden. Polizeiliches Handeln von BKA und BPOL orientiert sich vor allem an allgemeinen Gefahrenprognosen. Dadurch muss es sich als Vorfeldarbeit tendenziell gegen alles richten. In einzelnen Bereichen wird bereits mit einem "Generalverdacht" gegen die gesamte Bevölkerung gearbeitet:etwa bei der Speicherung biometrischer Merkmale zur Identitätssicherung auf Ausweispapieren. Bisher gehörten Fingerabdrücke zu den strafverfolgenden Maßnahmen. Weitere "Vorratsdatenspeicherungen" sind in Planung und liegen bereits dem BVerfG zur Prüfung vor.
Das Sammeln von Daten in verschiedenen Datenbanken ist durch den Zugriff darauf durch die einzelnen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten von BKA und BPOL erleichtert worden. Seit 2003 ist das Informationssystem der Polizei (INPOL), an das neben dem BKA und BPOL auch andere Bundes- und Landesbehörden angeschlossen sind, erneuert worden: Die Meldetätigkeit wurde auf die einzelnen Beamten dezentralisiert, so dass annähernd 300 000 Terminals angeschlossen sind! Dieser riesige Kreis von Personen, die Daten erfassen und abfragen können, verstärkt durch den hohen Umfang von erhobenen und verknüpfbaren Daten, birgt die Gefahr unberechtigter Zugriffe.
Der Ausbau der Prävention, mit der öffentliche Sicherheit durch Maßnahmen im Vorfeld konkret-individueller Gefahr oder konkret verdachtsbezogener Strafverfolgung gewährleistet werden soll, führt notwendigerweise zu einer Annäherung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten. Denn genau diese "Vorfeldarbeit" zählt zu deren "klassischen" Aufgaben.
Ausbau der Vernetzung von BKA und BPOL mit anderen Behörden: Der Ausbau der Prävention, mit der öffentliche Sicherheit durch Maßnahmen im Vorfeld konkret-individueller Gefahr oder konkret verdachtsbezogener Strafverfolgung gewährleistet werden soll, führt notwendig zu einer Annäherung von Polizei und Nachrichtendiensten. Ende 2004 nahm das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) seine Arbeit in Berlin auf. Es dient dazu, die Spezial- und Analyseeinheiten von BKA und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zusammenzuführen sowie die BPOL und die weiteren angeschlossenen Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern einzubinden.2006 nahm ferner in Berlin das Gemeinsame Analyse- und Strategiezentrum illegale Migration (GASIM) seine Arbeit auf. Es zielt darauf, durch die Beteiligung von BKA und BPOL, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der Nachrichtendienste und weiterer Bundesbehörden den Informationsaustausch zu effektivieren, um illegale Migration zu verhindern. So könnte mit GTAZ und GASIM das grundgesetzliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten überschritten sein. Ferner stellt sich die Frage, ob die "Vernetzung" überhaupt effizient und erfolgversprechend ist.
Durch die technisch beim BKA eingerichtete Antiterrordatei von 2006 wurde nochmals die Vernetzung der Behörden in Bund und Ländern erweitert. In der 2007 freigeschalteten Datei wurden zunächst - überwiegend durch die Bundesbehörden - rund 13 000 Personen erfasst.Ergebnis und Ausblick
Nehmen wir den eingangs genannten Dualismus von Freiheit und Sicherheit von Locke und Hobbes noch einmal auf, so bleibt festzuhalten, dass sich die "neue" Sicherheit in Richtung Thomas Hobbes verschiebt. Gerade das zeigt sich deutlich an den Bundespolizeien. Neu ist diese Entwicklung aber grundsätzlich nicht; sie verläuft seit den 1990er Jahren, und zwar - bisher - auch ohne nennenswerte Unterschiede bei den Regierungswechseln. Gleichwohl ist eine Forcierung seit 9/11 zu beobachten. Aus der Bürokratieforschung und Regierungslehre ist zu entnehmen, dass Behörden natürlich ständig mehr Aufgaben, Befugnisse und Personal wollen.Das ist ihr legitimes Eigeninteresse, denn davon hängen schließlich Machtpotenzial, Beförderungschancen usw. ab. Warum sollte das im Politikfeld "Innere Sicherheit" und gerade bei den großen Polizeibehörden BKA und BPOL anders sein? Aus demokratisch-liberaler Sicht problematisch bleibt jedoch, dass Sicherheitsbehörden in besonderer Weise in Grundrechte eingreifen. Dabei gerät zugleich der bundesdeutsche Grundkonsens einer relativ scharfen Trennung von innerer und äußerer Sicherheit sowie von Militär, Polizei und Geheimdiensten zugunsten einer vielfältig vernetzten Architektur "erweiterter" Sicherheit verstärkt unter Druck. Wie schnell und in welche Richtung genau diese Entwicklung gehen wird, ist nicht immer ganz klar - das zeigt das "Rätseln" über die aktuelle Organisationsreform bei der BPOL. Wiederum der Bürokratieforschung ist zu entnehmen, dass hier die parlamentarischen Institutionen sowie der politische Raum einer kritischen Öffentlichkeit insgesamt gefordert sind. Die aber haben es in einer großen Koalition schwer. Und: Sicherheit ist zur Zeit äußerst populär.