Geht die Bundeswehr "verloren", wie Friedrich Merz (CDU) in der "Bild am Sonntag" nahelegte? Lauert eine "Schattenarmee" ("Focus"/"Taz") in den tarnfarbenen Kulissen, um am "Tag X" loszuschlagen? Erliegt die Truppe der rechtspopulistischen Versuchung der AfD, die sich als "Soldatenpartei" ("Bild") zu profilieren versucht? In den vergangenen zwei Jahren ist in der Tat eine Häufung der sogenannten Verdachtsfälle wegen Rechtsextremismus in der Truppe zu erkennen. Die aktuelle Zahl von 592 rechtsextremistischen Verdachtsfällen (von insgesamt 743 in 2019) übersteigt, militärisch gesprochen, die Bataillonsstärke. Von Dunkelziffern und Sympathisanten ist dabei noch gar nicht die Rede. Die Fälle häufen sich beim Kommando Spezialkräfte (KSK), das der Militärische Abschirmdienst (MAD) daher "als Bearbeitungsschwerpunkt in den Fokus" genommen hat.
Die Frage drängt sich auf: Ist die Bundeswehr am rechten Rand nicht ganz dicht? Die Behörden wollen jetzt genauer hinsehen. Eine Koordinierungsstelle für Extremismusverdachtsfälle ist im Verteidigungsministerium eingerichtet worden und legt jährlich öffentliche Berichte vor. "Ziel ist es", so MAD-Präsident Christof Gramm, "nicht nur Extremisten, sondern auch Personen mit fehlender Verfassungstreue aus der Bundeswehr zu entfernen."
Eine aktuelle und vorbehaltlose Lageanalyse, die über die Auflistung von "Vorfällen" hinausgeht, fehlt derzeit. Dazu gehört die Frage nach den strukturellen Affinitäten zwischen Militär und Rechtsaußen, den selbstverstärkenden Mechanismen der militärisch-politischen Sozialisation und nach der Bedeutung subkultureller Milieus für die Ausprägung politischer Einstellungen und ihre Radikalisierung. Empirische Studien zu diesen Problemen sind rar und überwiegend mehr als zehn Jahre alt.
Die hier vorgenommene Erkundung einiger Eigenarten des militärischen Feldes
Das Wehrmachterbe – eine Frage des Berufsbildes
Die wiederholten Pressemeldungen über einen fragwürdigen Umgang von Soldaten mit Wehrmachtssymbolen irritieren gewiss, weitergehende Schlüsse auf die Einstellungen in der Bundeswehr lassen sie jedoch nicht zu. Nachdrücklich wurde die Abgrenzung von der Wehrmacht als Institution und in ihren Gliederungen in den jüngsten Richtlinien zur Traditionspflege vom März 2018 bekräftigt.
Im Verhältnis zur Politik und nicht bei den Devotionalien zeigt sich eine indirekte Präsenz des Wehrmachtmythos. In der Nachkriegszeit fand er Ausdruck in der Formel des "unpolitischen Soldaten", der guten Glaubens, eidestreu und tapfer gekämpft habe, aber vom NS-Regime "missbraucht" worden sei. Diese Formel hatte mehr mit dem Entschuldungs- und Integrationskurs der frühen Bundesrepublik zu tun als mit der historischen Realität der Wehrmacht, aber sie war geeignet, eine Legitimationsgemeinschaft zwischen den alten und den neuen Soldaten zu stiften.
Das gewünschte Mehr ist jedoch immer wieder umstritten.
Von den hier beschriebenen Haltungen und Einstellungen führt kein direkter Weg nach Rechtsaußen. Verdichten sie sich aber zu einem Syndrom aus militärhistorischen Mythen, unpolitischen Leitbildern und politischer Ahnungslosigkeit, lassen sich Brücken in diese Vorstellungswelt schlagen.
Der Militärkonservatismus des Staatsbürgers in Uniform
In der Bundeswehr sind alle politischen Einstellungen und parteipolitischen Präferenzen vertreten, das Gesamtspektrum weist jedoch eine eindeutig konservative Schlagseite auf. Empirische Studien über den Offiziersnachwuchs der 1990er Jahre gingen so weit, "einen direkten Zusammenhang von konservativer Weltanschauung, Offizierberufswahl und soldatisch-männlicher Lebenswelt" herzustellen.
Es macht einen großen Unterschied, ob sich hinter einer konservativen Gesinnung strukturkonservative Haltungen des Bewahrens von Recht und Ordnung, Anstand und Integrität verbergen oder aktivistische Auffassungen der Neuen Rechten, die nach einer kulturell-politischen Hegemonie des Ungleichheitsdenkens oder der Ethnopolitik strebt. Die Ausdifferenzierung des "konservativen gesellschaftspolitischen Einstellungsmusters", das 1997 bei etwa 61 Prozent des Offiziernachwuchses anzutreffen war, offenbarte ein ganzes Spektrum an moderaten, christlichen und liberalen Orientierungen. Insgesamt etwa 17 Prozent der Befragten verorteten sich jedoch nicht nur rechts der Mitte, sondern deutlich rechts von den christlich- oder liberal-konservativen Mehrheitsgruppen ("national-" und "rechts-konservativ"). Aber auch hier kommt es auf die Relationen an, denn eine weitere Studie belegte, dass 2007 die Zustimmungswerte für neurechtes Gedankengut bei den Studierenden ziviler Hochschulen mit 26 Prozent doppelt so hoch waren wie bei den Offizier-Studenten der Bundeswehruniversitäten.
Hervorzuheben ist freilich, dass diese Daten aus den Zeiten der Wehrpflicht stammen. Mit dem Übergang zur Berufs- und Freiwilligenarmee hat sich der Kontext gewandelt. Der empirische Befund,
Der Konflikt zweier Bundeswehren – "hot" und "cold"
Die Bundeswehr ist keine "totale Institution" (Erving Goffman) und keine isolierte Instanz. Um jedoch einem möglichen Einstellungswandel unter den Militärangehörigen auf die Spur zu kommen, sind die internen Konfliktfelder zu bedenken. In der Militärsoziologie wird zwischen dem Regelzustand einer Friedensarmee ("cold") und der Dynamik einer Einsatzarmee ("hot") unterschieden.
Wer die Meinungsführerschaft in dieser Gemengelage erringen kann, ist nicht abzusehen.
Das Wechselbad von "hot" und "cold" kann an die Grenzen der Geduld und der Loyalität führen. Die bei den Soldaten seit Jahren konstatierte "Politikverdrossenheit" bedarf nur noch der Anlässe und Angebote, den angestauten Unmut in Gesinnung und Handeln zu überführen. In Flurgesprächen mit Soldaten ist nicht zu überhören, dass eine Präferenz für die Volksparteien, auch für die Union, nicht mehr automatisch gegeben ist.
Das Angebot des Rechtspopulismus: Zum Wehrprogramm der AfD
Wird die AfD die "neue Soldaten-Partei" und schließt mit ihrer Programmatik eine in den Streitkräften gefühlte Vertretungslücke? Unter den 35.000 Parteimitgliedern werden Schätzungen zufolge 2100 Soldaten vermutet; in der Bundestagsfraktion finden sich elf ehemalige Berufs- und Zeitsoldaten, der Mitarbeiterstamm reicht tief ins rechtsextreme Lager. Inzwischen hat die Partei ein Wehrprogramm vorgelegt, das mit dem wohlwollenden Echo eines ehemaligen Obersten rechnen konnte: "Nicht alles, was die AfD sagt, ist falsch."
Die wehrpolitischen Vorstellungen der Partei präsentieren sich als ein konservatives Programm, zielen in der Substanz jedoch weit über die bestehende Wehr- und Verfassungsordnung und den sicherheitspolitischen Konsens hinaus. Um den schwankenden Wehretat zu stabilisieren, sollen der Verteidigungshaushalt der alljährlichen Zustimmung des Parlaments (Art. 86a GG) entzogen, Rüstung, Beschaffung und Exportquoten mit einer Bestandsgarantie versehen und die grundgesetzliche Trennung von Zivilverwaltung und Militär (Art. 87b GG) aufgehoben werden. Ein Generalstab soll die zersplitterten militärischen Planungs- und Führungsfunktionen bündeln. Die vieldiskutierte Trennung von äußerer und innerer Sicherheit würde nach dem Willen der AfD entfallen und die Bundeswehr fortan "zum Einsatz im Inneren autorisiert". Ein erweitertes Reservistenkorps soll im "Heimatschutz" zum Einsatz kommen, dessen erklärter Schwerpunkt der Schutz der deutschen Außengrenzen ist. Die deutschen Spezialkräfte sollen im Falle terroristischer Bedrohungen, "an jedem Ort der Erde (…) zur Gefahrenabwehr und zur Unterstützung der Strafverfolgung im Ausland" befähigt werden. Die AfD bekennt sich zur Nato und sieht Deutschland in einer "europäischen Führungsrolle", während sie weiteren EU-europäischen Ambitionen eine Absage erteilt.
Die "geistig-moralische Reform", die die AfD der Bundeswehr verschreiben will, zielt auf eine "Armee der Deutschen", deren Soldaten zum "unerbittlichen Kampf im Gefecht" ausgebildet, sich auf "deutsche Werte" und soldatische Tugenden stützen und vom "Wehrwillen" der Bevölkerung getragen werden sollen. Die akademische Ausbildung von Offizieren wird zum Ausnahmefall erklärt, die Traditionsbildung bleibt der Truppe zur Selbstgestaltung überlassen.
Mit dem Vorwurf, die deutsche Politik verübe durch die Vernachlässigung der "Wehrbereitschaft" einen akuten "Verfassungsbruch", erhält das AfD-Wehrprogramm einen dynamischen Überschuss, in dem sich der rechtspopulistische Doppelcharakter der Partei als konventionelle ("bürgerliche") Organisation und als radikale ("gärige") Bewegung deutlich abbildet. Das Programm appelliert an das Ressentiment des Lesers: Wenn von "Verfassungsbruch" und "Staatskrise" die Rede ist, sollte da der Schritt zum "Widerstand" illegitim sein? Die Delegitimierung des Verfassungsstaats fördert ein Klima der Selbstermächtigung, in dem man gegebenenfalls auf eigene Faust tut, was getan werden muss – oder das Tun anderer toleriert. Sollten die Rechtsausleger des Militärkonservatismus dieser Spur folgen, wäre der Rubikon zum Extremismus überschritten.
In der Grauzone – Tendenzen zur Selbstermächtigung
Gerade weil extremistische Einstellungen und Weltbilder nicht geschlossen und monolithisch sind, sondern diffuse Cluster und Muster bilden, sind Radikalisierungsprozesse oft fließend.
Das Zusammenspiel von aktivistischen Affekten und Krisenwahrnehmungen lässt sich derzeit in der sogenannten Prepper-Szene beobachten, die sich auf den "Tag X" vorbereitet, an dem, wie unterstellt wird, der Staat versagt, die Infrastruktur zusammenbricht, die Kriminalität überhandnimmt oder die Grenzen offen stehen. Wenn "es passiert", steht alles "auf dem Spiel", das "Maß ist voll" und "die Situation da"; dann muss man "bereit sein, schlechte Dinge tun".
Jenseits des Radau-Extremismus einflussreich, aber wenig analysiert ist eine diffuse White-Collar-Dissidenz in Form der Elitenkritik, eines überkommenen "Kasinoextremismus" (Elmar Wiesendahl), des verbreiteten Unbehagens an der "postheroischen" Gesellschaft und einer Politik- und Staatsverdrossenheit, auf die bereits die Studien aus den 1990er Jahren hingewiesen hatten. Auch wenn die Ausgangspunkte durchaus unterschiedlich sein mögen, hier finden sich Anschlussstellen zu extremistischen Einstellungsmustern, und der extremistische Aktivismus kann unter Umständen mit einem Resonanzboden rechnen. Mit der Flüchtlingskrise ab 2015, als bis hinein in die Unionsparteien ein "Staatsversagen" diagnostiziert und von einer "Herrschaft des Unrechts" gesprochen wurde, und seit der Konsolidierung der AfD dürfte diese Haltung an Zulauf gewonnen haben. Wieweit die Netzwerke "alter Herren" aus dem höheren Offizierkorps eine bremsende oder eine Verstärkerfunktion erfüllen, lässt sich empirisch schwer erfassen.
Die in diesen Grauzonen anzutreffende Tendenz zur Selbstermächtigung bedient sich einer Umkehr der Beweislast: Ist Politik und Parlament, Dienstherr oder Kanzlerin erst einmal das Vertrauen entzogen, fällt der Legitimationsgewinn an den Ankläger – er bestimmt, was von Staats wegen geboten ist, was der Soldat zu sein hat, was das Volk will und was die Nation zum Überleben braucht. Dieses Problem verlangt andere Instrumente und Instanzen als die Beobachtung, Meldung und Ahndung von "Vorfällen". Hier ist die Innere Führung gefordert, die dringend der Revitalisierung bedarf.
Bilanz
Ganz dicht am rechten Rand ist die Bundeswehr nicht. Ob sie aber näher dran ist als die zivile Gesellschaft, ist empirisch eine derzeit offene Frage. In jedem Fall sind extremistische Tendenzen in einem bewaffneten Machtorgan des demokratischen Staates intolerabel und gefährlich. Strukturelle Faktoren innerhalb der Streitkräfte begünstigen die Entwicklung einer Grauzone zwischen dem – dominanten – Militärkonservatismus, rechtspopulistischen Entstellungen und dem rechtsextremen Rand. Dazu gehört ein unpolitisches Berufsbild, die zahllosen Konfliktfelder einer auf Dauer gestellten Mangelbewirtschaftung, Bürokratisierung und Zentralisierung, der verbreitete Eindruck geringer gesellschaftlicher Wertschätzung und der grassierende Vertrauensverlust in "die Politik" und die regierenden Parteien. Die AfD operiert in dieser Grauzone als "Kümmerer-Partei", aber auch mit Sinnangeboten, die eine Radikalisierung begünstigen können. In Gestalt der Inneren Führung, die mündige und zugleich professionelle Bürger-Soldaten zum Leitmodell erklärt, verfügt die Bundeswehr jedoch über ein Brückennarrativ, das in die entgegengesetzte Richtung verweist. Damit dies greift, sind allerdings gemeinsame Anstrengungen von Militär, Politik und Gesellschaft notwendig.