Die Militärgeschichte hat einen langen Weg hinter sich, in Deutschland ebenso wie in anderen europäischen Ländern und den USA. Zugespitzt formuliert, hat sich die Militärgeschichte von einem in der akademischen Geschichtswissenschaft nur schwach verankerten Nischenthema mit geringer wissenschaftlicher Reputation zu einer zentralen Arena für die Diskussion von Annahmen über den Zusammenhang von Militär, ziviler Gesellschaft und organisierter Gewalt in der Moderne entwickelt.
Von der Kriegs- zur Militärgeschichte
In Deutschland sind die Anlaufschwierigkeiten der Militärgeschichte in der sogenannten applikatorischen, auf Anwendung in der Gegenwart zielenden Methode zu suchen. Im preußisch-deutschen Militär des 1871 gegründeten Kaiserreichs trug die historische Aufarbeitung vergangener Feldzüge zur Ausbildung der Offiziersanwärter bei und sollte in der operativen Planung die Wiederholung einmal gemachter Fehler vermeiden. Der Schwerpunkt lag dabei deutlich auf der Kriegsgeschichte, die von Offizieren aus der Binnenperspektive des Militärs analysiert wurde. Innere Struktur und Rekrutierung der Streitkräfte im "Normalzustand" des Friedens waren nicht von Interesse.
Formal unterstand das Reichsarchiv dem Reichsministerium des Innern. Aber Ziele und inhaltliche Ausrichtung bestimmten die ehemaligen Offiziere unter dem ersten Präsidenten, Generalmajor a.D. Hermann Mertz von Quirnheim. Im Zentrum der amtlichen Darstellung des Ersten Weltkrieges stand so eine geschönte, allen kritischen Anfragen ausweichende Operationsgeschichte. Für sie beanspruchte man, unterstützt durch den restriktiv gehandhabten Zugang zu den Akten, ein Deutungsmonopol. Durch populär angelegte Reihen wie die "Schlachten des Weltkrieges" versuchte das Reichsarchiv zudem, seine Sichtweise auch einer breiteren Öffentlichkeit näherzubringen.
Die universitär verankerte Geschichtswissenschaft blieb bei all diesen Bemühungen außen vor. Einzig der Historiker Hans Delbrück, der an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität lehrte, versuchte bereits vor 1914, sich von der "applikatorischen" Methode der Generalstäbler zu lösen und die historisch-kritische Methode der Geschichtswissenschaft auf das Militär anzuwenden. Mit den vier Bänden seiner "Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte" (1900–1920) machte er Krieg und Militär zum Thema der allgemeinen Geschichte.
Von den Wehrwissenschaften des "Dritten Reiches" gibt es eine direkte Kontinuitätslinie zur Militärgeschichte in der Bundesrepublik. Sie wird von Werner Hahlweg verkörpert, der seine akademische Karriere 1934 im Kontext der wehrwissenschaftlichen Arbeit an der Berliner Universität begann. Als einer der wenigen Protagonisten der NS-Wehrwissenschaften konnte er seine akademische Karriere nach 1945 fortsetzen. Von 1950 an war er in Münster als Dozent für Neuere Geschichte tätig, ab 1969 dann als ordentlicher Professor für Militärgeschichte. Damit hatte er die einzige Professur für dieses Fachgebiet in der Bundesrepublik inne.
Seit den 1980er Jahren ist ein stark wachsendes Interesse gerade auch jüngerer Historikerinnen und Historiker an Fragen der Militärgeschichte zu verzeichnen, das mit einer inhaltlichen und methodischen Erweiterung einherging. Inhaltlich wurde dabei unter anderem die Abkehr von der Kommandoperspektive der Offiziere und Generalstäbler angemahnt, die in vielen traditionellen Werken nicht nur zum deutschen Militär immer noch im Mittelpunkt stand. An ihre Stelle sollte eine "Militärgeschichte von unten" treten. Sie widmet sich jenen in der Zeit vor 1945 im Schnitt etwa 95 Prozent der Angehörigen des Militärs, die als einfache Soldaten oder Unteroffiziere in der subalternen Position des Befehlsempfängers dienten. Deren Erfahrungen und ihr Alltag im Militär sollten nun in das Zentrum des Interesses rücken. Deutlich erkennbar war dabei, dass die Herausstellung dieser Perspektive die Gefahr in sich barg, die einfachen Soldaten mit der Betonung ihrer "Leidensgeschichte" in einer Opferrolle festzuschreiben.
Die methodische Erweiterung der Militärgeschichte seit den 1980er Jahren erfolgte im Anschluss an Entwicklungen in der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Wichtig waren dabei vor allem die Impulse der kulturhistorischen Wende, die die Deutungsmuster und kollektiven Mentalitäten von Soldaten und Offizieren sowie die symbolischen Repräsentationen des Militärs in öffentlichen Paraden, Feiern und Ritualen in das Zentrum der Analyse rückte.
Allgemeine Wehrpflicht: Militär und Nationsbildung
Ein zentrales Thema der neueren Militärgeschichte ist die Verschränkung von Militär und Gesellschaft. Deren wichtigster Transmissionsriemen war in vielen Ländern Europas die zwangsweise Einberufung junger Männer im System der allgemeinen Wehrpflicht. Als der Historiker Gerhard Ritter nach der Katastrophe des "Dritten Reiches" über die deutsche Tradition des Militarismus reflektierte, hob er in bewusst dramatischen Worten die Folgen der Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht im Zuge der Französischen Revolution hervor. Das Modell dafür war die von den Jakobinern 1793 proklamierte "Levée en masse", die Einberufung junger unverheirateter Männer. Für Ritter lag darin der Beginn einer verhängnisvollen Entwicklung, die eine "neuartige, ungeheuer gesteigerte Dynamik der Kriegführung ermöglicht: einen fast ungehemmten Einsatz von Menschenleben", der selbst die "kühnsten Feldherrnphantasien" der Vergangenheit übertraf. "Am fernen Horizont", so Ritter, tauche hier "bereits das Schreckbild des modernen ‚totalen‘ Krieges auf", dem es um "totale Vernichtung" des Gegners gehe.
Das Thema Ritters und anderer in der borussischen Tradition geschulter Militärhistoriker war die Rolle der allgemeinen Wehrpflicht bei der äußeren Nationsbildung, für die neben der Gründung des deutschen Kaiserreichs 1871 auch die bis 1861 weitgehend abgeschlossene italienische Einigung als Paradebeispiel diente. Demgegenüber konzentriert sich die neuere militärgeschichtliche Forschung vornehmlich auf die Rolle der allgemeinen Wehrpflicht bei der inneren Nationsbildung. Auch in der preußischen Reformdiskussion nach der Niederlage gegen Napoleon 1807 stand das jakobinische Modell der allgemeinen Wehrpflicht im Vordergrund. Das musste jene bürgerlichen Schichten beunruhigen, die in der bis dahin gültigen altpreußischen Wehrverfassung vom Militärdienst ausgenommen (eximiert) waren. Als Preußen dann 1814 die Wehrpflicht einführte, waren die bislang eximierten Stände davon ebenso betroffen. Die Möglichkeit einer Stellvertretung – bei der betuchte Familien einen Einsteher aus den unterbürgerlichen Schichten bezahlten, der den Wehrdienst für ihren Sohn ableistete – gab es nicht. Die Einführung des sogenannten Einjährig-Freiwilligen, einer verkürzten Dienstzeit von nur einem Jahr bei freiwilliger Meldung und dem Vorliegen eines Gymnasialabschlusses, versüßte dem Bürgertum diese bittere Pille. Zugleich wurde neben dem stehenden Heer der Linie eine Landwehr eingerichtet, die bürgerliche Offiziere kommandierten. Statt in der Kaserne zu schmoren, mussten die Landwehrmänner nur zu sonntäglichen Schießübungen und zweiwöchigen Übungskursen antreten. Doch insgesamt blieb die Prägekraft der Wehrpflicht in der zivilen Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg gering. Das lag vor allem daran, dass aufgrund fiskalischer Probleme stets nur ein geringer Teil der Wehrpflichtigen tatsächlich ausgehoben wurde, noch um 1850 nicht mehr als ein Viertel.
Trotz ihrer begrenzten Reichweite fungierte die Wehrpflicht bereits vor 1871 als eine "Bildungsschule der Nation" – so der preußische Kriegsminister Hermann von Boyen 1816 –, in der junge Männer ihrer staatsbürgerlichen Pflicht nachkamen und in den Kasernen eine Vergemeinschaftung erfolgte, die ungeachtet ihres hierarchischen Charakters Männer aus unterschiedlichen Landesteilen und sozialen Schichten zusammenbrachte.
Die gesellschaftliche Prägekraft der Wehrpflicht in den deutschen Ländern blieb bis 1867 auch deshalb begrenzt, weil die Staaten des sogenannten Dritten Deutschland – vor allem Baden, Württemberg und Bayern – sich nicht am preußischen Vorbild orientierten, sondern in verschiedenen Varianten die Möglichkeit der Stellvertretung beibehielten.
Unstrittig ist, dass die Wehrpflicht erst im deutschen Kaiserreich ab 1871 zum wichtigsten Vehikel der inneren Nationsbildung mit breiter Massenwirkung auch über die bürgerlichen Schichten hinaus avancierte. Davon zeugen nicht zuletzt die Kriegervereine des Kyffhäuserbundes, in denen sich ehemalige Wehrpflichtige in egalitärer männlicher Gesellschaft trafen. Mit 2,8 Millionen Mitgliedern im Jahr 1913 war der Kyffhäuserbund eine der größten Massenorganisationen des Kaiserreichs. Die Attraktivität dieser Vereine lag auch darin, dass sie unterbürgerlichen Schichten – Arbeitern und kleinen Parzellenbesitzern – die Möglichkeit boten, soziale Anerkennung und Gleichberechtigung einzufordern, die sich auf den von allen gleichermaßen abgeleisteten Wehrdienst berief.
Das größte Hindernis auf dem Weg zur inneren Nationsbildung durch eine Wehrpflichtarmee war die sprachliche und ethnische Vielfalt der multi-ethnischen Reiche in Europa vor 1914. Das deutsche Kaiserreich war trotz der großen polnischen Minderheit in Preußen hiervon noch am wenigsten betroffen. Aber auch hier brach der latente Konflikt zwischen dem deutschen Militär und den Bewohnern im 1871 annektierten Elsass-Lothringen massiv hervor, als ein Leutnant in der Garnison Zabern 1913 elsässische Rekruten und Zivilisten beleidigte. Die Zabern-Affäre entwickelte sich rasch zur schwersten Verfassungskrise des wilhelminischen Kaiserreichs.
Weitaus komplizierter war die Lage in Österreich-Ungarn. Nur zwei Jahre nach der Niederlage gegen Preußen führte die Doppelmonarchie 1868 eine allgemeine Wehrpflicht ein, die auf einem jährlich neu fixierten Rekrutenkontingent basierte, was zu zahlreichen Streitigkeiten in den Parlamenten der beiden Landesteile führte. Die majoritäre Gruppe der Deutschen stellte aber gerade einmal 24 Prozent der Gesamtbevölkerung, gefolgt von den Ungarn mit 20 Prozent. Noch neun andere Nationalitätengruppen waren offiziell anerkannt, auch innerhalb des Militärs. Also versuchte die Armee, mit einer vorsichtigen Durchmischung der Wehrpflichtigen verschiedener Nationalitätengruppen einen Beitrag zur Homogenisierung zu leisten. Zwar blieb Deutsch bis 1918 die einzige offizielle Kommandosprache. Doch daneben gab es sogenannte Regimentssprachen, die auch die Offiziere beherrschen mussten, wenn mindestens 20 Prozent ihrer Soldaten sie sprachen. So gab es Regimenter mit bis zu fünf Regimentssprachen.
Ganz anders war die Lage in dem auf überseeische Besitzungen gegründeten Britischen Empire. Dessen Weltgeltung sicherte die Royal Navy, und so blieben die Landstreitkräfte eine vergleichsweise winzige und dafür im Unterhalt recht teure Berufsarmee. In Großbritannien ersetzte "die Einkommensteuer (…) den Wehrdienst".
Militär und Geschlechterordnung
Die allgemeine Wehrpflicht mobilisierte nicht nur personelle Ressourcen mit einschneidenden Implikationen für die Zivilgesellschaft und trug zur inneren Nationsbildung bei. Sie hatte außerdem fundamentale Auswirkungen auf die Geschlechterordnung. Ein langfristig steigender Prozentsatz junger Männer musste in einer formativen Lebensphase zwei oder drei Jahre in einer exklusiv männlichen, geschlossenen Form der Vergemeinschaftung in der Kaserne verbringen. Das Militär wurde damit, wie der Pädagoge Friedrich Paulsen 1902 prägnant formulierte, zur "Schule der Männlichkeit".
Die militärische Umprägung männlicher Geschlechterbilder war bereits vor 1914 kein geradliniger Prozess. So hatten viele Bauernsöhne sichtliche Schwierigkeiten, ihren Körper an die genau abgezirkelten Bewegungen zu gewöhnen, die der Parademarsch ihnen abverlangte. Und auch im bürgerlichen Offiziersnachwuchs gab es Zweifel und Ambivalenzen, wie etwa das Beispiel Martin Niemöllers zeigt, des späteren Theologen und Mitglieds der Bekennenden Kirche. Er trat 1910 als Seekadett in die kaiserliche Marine ein, hatte aber erhebliche Probleme, sich an den rauen Ton der Männerkameradschaft zu gewöhnen. Wortreich beklagte er sich 1913 in seinem Tagebuch über die "Zoten gemeinster Art", mit der viele Marineoffiziere ihm wichtige Ideale wie die Familie und die aufrichtige Liebe zu einer Frau zur Zielscheibe ihres Spottes machten.
Aber die eigentliche Belastungsprobe militärischer Männlichkeit kam erst mit dem Ersten Weltkrieg, wie vor allem die innovative Forschung zur britischen Armee eindringlich herausgearbeitet hat. Die in der Kitchener Army dienenden Freiwilligen mussten bald nach ihrer Ankunft auf den Schlachtfeldern Belgiens und Nordfrankreichs erfahren, dass die körperliche Realität des Militärdienstes sich von den hochfliegenden Erwartungen der Vorkriegszeit dramatisch unterschied. In den kärglichen Lebensbedingungen der verdreckten Frontquartiere brachen die Vorstellungen eines reinlichen und gesunden Männerkörpers rasch zusammen. Die Realität massenhafter physischer Verstümmelungen zeigte, dass die soldatischen Männerkörper den Belastungen des Maschinenkrieges nicht gewachsen waren. Junge bürgerliche Soldaten und Frontoffiziere suchten in dieser verwirrenden Realität eine emotionale Selbstvergewisserung in der Korrespondenz mit ihren Müttern. Aber dieser briefliche Dialog brachte die sanften, femininen Seiten ihrer Rolle im Militär nur umso stärker hervor.
Fazit
Durch die Annäherung der Militärgeschichte an Fragestellungen und Methoden der Kultur-, Sozial- und Geschlechtergeschichte in den vergangenen 30 Jahren haben sich neue Perspektiven auf das Verhältnis von Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert ergeben. Damit ist die Militärgeschichte zu einem wichtigen und weithin anerkannten Teil der historischen Forschung geworden. Diese inhaltliche und methodische Neuorientierung geschah nicht ohne Abwehrreflexe einzelner Militärhistoriker. Nach deren Überzeugung muss die Analyse militärischer Operationen weiterhin ein "zentraler" und damit methodisch privilegierter "Bestandteil der Kriegsgeschichte" bleiben.