Über die Frage, wie die politische Bildung auf die Herausforderungen reagieren soll, die sich im Kontext des neu erstarkten Rechtspopulismus in Deutschland ergeben, ist in den vergangenen Jahren viel geschrieben worden.
Diese Fragen sind der Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag. Im Hinblick auf die Argumentationsführung ergeben sich vier zentrale Schritte, in denen die Problemlage, ihre sichtbaren Auswirkungen in der Institution Schule sowie das Verhalten der Lehrerinnen und Lehrer in der Blick genommen werden und schließlich diskutiert wird, welche Schwierigkeiten und Handlungsperspektiven sich im Hinblick auf den Umgang mit rechtspopulistischen Herausforderungen in der Schule ergeben.
Was ist das Problem?
Wenden wir uns zunächst dem ersten Punkt zu: Kann der Rechtspopulismus als erstarkende politische Kraft nicht nur, aber auch in der Bundesrepublik überhaupt als Problem oder Herausforderung der politischen Bildung beschrieben werden? Müssen rechtspopulistische Positionen angesichts der nicht unerheblichen Zustimmung, die sie erfahren, nicht vielmehr auch in Bildungskontexten als relevante politische Positionen neben anderen thematisiert werden? Sind Lehrkräfte im Bereich der politischen Bildung nicht geradezu verpflichtet, sie als gleichberechtigte Positionen in ihren Unterricht zu integrieren? Nicht wenige Lehrerinnen und Lehrer stellen sich diese Fragen. Eine Antwort darauf zu entwickeln, fällt vielen schwer. Denn es lässt sich nicht leugnen, dass diese Positionen in der Öffentlichkeit virulent sind, großen Raum einnehmen und von und innerhalb von Parteien vertreten werden, die in Parlamenten präsent und nicht verboten sind. Zugleich muss allerdings auch festgehalten werden, dass sich im Zuge des Erstarkens rechtspopulistischer Bewegungen in ganz Europa Tendenzen einer Entgrenzung öffentlicher Kommunikation beobachten lassen, die fremdenfeindliche Ressentiments, nationalistisch-völkische Konzepte und – insbesondere in Deutschland – auch die Relativierung der Verantwortung für die Verbrechen des Nationalsozialismus nach sich ziehen.
Die schiere Existenz menschenfeindlicher, rassistischer und revisionistischer Vorstellungen auch in der Mitte der deutschen Gesellschaft ist nicht neu. Sie ist aus einschlägigen Forschungen wie der von dem Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer geleiteten Langzeitstudie "Deutsche Zustände" oder den "Mitte-Studien" bereits seit geraumer Zeit bekannt.
Inwiefern ist die Schule betroffen?
Pädagoginnen und Pädagogen trifft diese Entwicklung "mit voller Wucht und vielfach unvorbereitet".
Dabei sind die in den Landesverfassungen oder Schulgesetzen formulierten Bildungsaufträge eindeutig. So ist dem sächsischen Schulgesetz, um nur eines der vielen möglichen Beispiele zu nennen, mit Verweis auf das deutsche Grundgesetz und die Landesverfassung Sachsens der Erziehungs- und Bildungsauftrag zu entnehmen, dass Schülerinnen und Schüler lernen sollen, "allen Menschen vorurteilsfrei zu begegnen, unabhängig von ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft, äußeren Erscheinung, ihren religiösen und weltanschaulichen Ansichten und ihrer sexuellen Orientierung sowie für diskriminierungsfreies Miteinander einzutreten" (§1, Absatz 5, Satz 4) und "Ursachen und Gefahren der Ideologie des Nationalsozialismus sowie anderer totalitärer und autoritärer Regime zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken" (§1, Absatz 5, Satz 8). Die normative Perspektive schulischer Bildung und Erziehung ist damit klar bestimmt: Lehrkräfte sollen sich in der Schule nicht neutral verhalten. Ihnen ist vielmehr die Aufgabe übertragen, junge Menschen für demokratische Werte zu sensibilisieren, für ein diskriminierungsfreies Miteinander einzutreten sowie verantwortungsvolle Wege zu finden, sich an die deutsche Geschichte zu erinnern und einen antitotalitären Grundkonsens zu vertreten. Soweit, so klar.
Unsicherheiten entstehen für viele Pädagoginnen und Pädagogen erst, wenn sie sich in der alltäglichen Praxis mit der Frage auseinandersetzen müssen, auf welche Weise diese Bildungsziele am sinnvollsten zu verwirklichen wären. Denn demokratische Werte können den Schülerinnen und Schülern nicht einfach zum Memorieren vorgeschrieben werden. Diskriminierungsfreiheit will geübt werden, und Verantwortung für die Gräuel der deutschen Geschichte in der Gegenwart zu übernehmen, fällt nicht allen leicht. In der politischen Bildung wird das hier aufscheinende Problem im Regelfall durch einen Verweis auf den Beutelsbacher Konsens behoben.
Welche Auswirkungen dieser gesellschaftlichen Entwicklungen werden nun in schulischen (Alltags-)Situationen sichtbar? Grundlage für die Beantwortung dieser Frage sind Erkenntnisse aus dem Projekt "Starke Lehrer – Starke Schüler".
Eine Lehrkraft berichtete vom Elternabend. Ein anwesender Vater trug an diesem Abend demonstrativ ein T-Shirt der Marke Consdaple und achtete auch darauf, dass alle die entsprechende Aufschrift sehen konnten. Consdaple ist ein eindeutig rechtsextremes Kleidungslabel,
aber wie sollen Lehrkräfte auf Eltern reagieren, die diese Kleidung in der Schule tragen? Eine Lehrkraft beobachtete durch das Fenster eines Klassenzimmers die Festnahme einiger Schülerinnen und Schüler durch ein Sondereinsatzkommando der Polizei. Erst im Kontext der Nachrichtenberichterstattung am Abend wurde ihr klar, dass sich der Einsatz gegen eine mutmaßliche rechte Terrorzelle gerichtet hatte. In der Folge übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen, es kam zur Anklage und zur Verurteilung der festgenommenen Schülerinnen und Schüler, unter anderem wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Die Lehrkraft versuchte mehrmals, die Schulleitung dafür zu gewinnen, den Zwischenfall mit der Schülerschaft zu besprechen – ohne Erfolg. Die Schulleitung befürchtete möglicherweise, dass sich eine zu offene Thematisierung negativ auf das Image der Schule auswirken könnte.
Eine Schülerin wehrte sich gegen antisemitische Hetze, die wiederholt im Klassenchat sichtbar geworden war, und geriet dadurch selbst in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen. Sie suchte erfolglos Unterstützung bei Lehrkräften und entschied sich schließlich dazu, Mitschüler/innen bei der Polizei anzuzeigen.
Bei einem Workshop zum Thema Menschenrechte reagierten die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler stark ablehnend auf das Lernangebot. Am Ende der Veranstaltung empfahlen sie der Workshopleiterin, doch selbst einmal ins Konzentrationslager zu gehen und die Gaskammer anzumachen.
Wie reagieren Lehrerinnen und Lehrer?
Von den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen bleiben Schulen und außerschulische Bildungseinrichtungen also nicht verschont. Auch in Bildungskontexten sind Konzepte mit Anschluss zur extremen Rechten sagbar geworden, ohne dass deshalb sofort Konsequenzen drohen. Populistische Sprache, inszenierte politische Tabubrüche zusammen mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Flucht- und Migrationsbewegungen haben das, was Studien zu rechtsextremen beziehungsweise menschenfeindlichen Einstellungen schon seit langer Zeit als Phänomen aus der Mitte der Gesellschaft beschreiben,
Lehrkräfte reagieren auf antidemokratische Zwischenfälle oft mit großer Zurückhaltung. Das hat verschiedene Gründe. Lehrerinnen und Lehrer haben nicht selten Schwierigkeiten, die entsprechenden Zwischenfälle als solche wahrzunehmen, weil sie diese nicht als menschenfeindlich erkennen und/oder sie sich oft außerhalb von Unterrichtssituationen ereignen, etwa im Klassenchat, auf dem Schulhof, im Lehrerzimmer oder beim Elternabend. Daher ergibt sich für sie die problematische Frage, wer sich für die Bearbeitung oder Lösung der entsprechenden Konflikte zuständig erklärt. So fühlen sich Lehrerinnen und Lehrer beispielsweise häufig nicht dazu berufen, das Verhalten von Eltern oder Kolleginnen und Kollegen im schulischen Kontext zu kommentieren. Zudem erleben sie Zwischenfälle wie die vorgestellten Beispiele nicht selten als Bewährungsproben, in denen sie Handlungsfähigkeit beweisen und die Auseinandersetzung "gewinnen" müssen.
Handlungsperspektiven
Das Ignorieren herausfordernder Situationen ist die schlechteste Möglichkeit, auf menschenverachtende Aussagen und Verhaltensweisen im schulischen Kontext zu reagieren. In der politikdidaktischen Literatur wird diese Problematik auch als "Indifferenzfalle" beschrieben.
Zugleich ist es wichtig, nicht überzureagieren und damit Provokationen, die in Form von menschenfeindlichen Äußerungen vorgetragen werden, nicht auf den Leim zu gehen. Das kann leicht passieren. Auch ein Einordnen in "Freund-Feind"-Kategorien ist in diesem Zusammenhang wenig hilfreich. In pädagogischen Situationen bleibt es wichtig, wo möglich den Kontakt zu Menschen zu halten. So können etwa Hausordnungen, schulische Leitbilder und ein institutionelles Selbst- beziehungsweise Leitbildverständnis in Konfliktfällen Orientierung bieten und helfen, zu abgestimmten Handlungsweisen zu kommen. Sie sollten aber nicht so eng formuliert werden, dass Einzelfallentscheidungen nicht mehr möglich sind. In diesem Sinne ist es beispielsweise wenig ratsam, die Kommentierung politischer Fragen oder Probleme über Kleidungsstücke umfassend zu verbieten. Kleidung, Frisuren und Habitus drücken immer auch Haltungen aus. Sie können nicht aus Bildungsinstitutionen herausgehalten werden. Schulen und andere Bildungseinrichtungen sollen keine unpolitischen Orte sein. Pauschalisierte Abwertungskonstruktionen und menschenfeindliche Aussagen – auch in symbolischen Formen – sind allerdings zu vermeiden. Ein Peace-Sticker ist in diesem Sinne eben etwas anderes als ein geschichtsrevisionistischer Spruch auf einem T-Shirt.
In der politischen Bildung existiert mit dem Beutelsbacher Konsens eine gut verankerte und klar konturierte Vorstellung davon, wie dabei politische Indoktrination zu vermeiden ist, Kontroversität gewährleistet werden kann und Schülerorientierung realisiert werden kann. Leider ergeben sich in diesem Zusammenhang aber auch Missverständnisse. Daher ist es wichtig zu betonen, dass der Beutelsbacher Konsens nicht mit politischer Neutralität gleichzusetzen ist. Vielmehr ist er im Sinne des Grundgesetzes wertgebunden. Er mahnt dazu, demokratische Werte wie Pluralismus und Menschenrechte in den Mittelpunkt von Bildungsprozessen zu nehmen. Antiplurale, menschenfeindliche oder rassistische Positionen dürfen deshalb nicht als gleichberechtigte Kontroversen behandelt werden. Sehr problematisch wäre es etwa, wenn Lehrkräfte sich in Bildungssituationen daran beteiligten, bestimmte Gruppen als fremd oder anders zu markieren. Diese als othering bezeichneten Prozesse zeigen sich offen oder verdeckt und haben sowohl individuelle als auch strukturelle Konsequenzen durch die Konstruktion vermeintlicher Minderwertigkeit und Überlegenheit. Othering wird auf unterschiedlichen Ebenen sichtbar: in struktureller Ausbeutung und Benachteiligung, in Zeichen oder Objekten, in Witzen oder bestimmten Begriffen, aber auch in Vorannahmen oder Vorurteilen gegenüber bestimmten Personen oder Gruppen.
Das Selbstbewusstsein und die emotionale Wucht, mit der breite Bevölkerungsgruppen quasi über Nacht ihre politische Frustration sichtbar gemacht haben, haben nicht nur auf politischer Ebene vielfältige neue Formate für Dialogveranstaltungen und Bürgergespräche entstehen lassen. Weniger in den Blick geraten sind in diesem Zusammenhang die Opfer rassistischer, sexistischer, homophober oder menschenverachtender Anfeindungen. Ähnliches gilt für schulische Kontexte. Die Aufmerksamkeit von Lehrerinnen und Lehrern ist bei der Auseinandersetzung mit extremistischem und revisionistischem Gedankengut häufig stark auf präventive Ansätze gerichtet. Diese Konzepte greifen vor dem Hintergrund eines erstarkenden Rechtspopulismus aber nicht selten zu kurz. Deshalb müssen Betroffenenperspektiven bei der Reflexion pädagogischer Strategien immer mit in den Blick genommen werden. Oft befürchten Lehrkräfte, dass sie etwa durch die Thematisierung rassistischer und revisionistischer Zwischenfälle in der Schule ihren Schülerinnen und Schülern die entsprechenden Konzepte erst zugänglich und bekannt machen. Mit dieser Vorstellung ist häufig zugleich die Hoffnung verbunden, die Mehrzahl der Schülerinnen und Schüler hätte von dem als problematisch empfundenen Sachverhalt noch nichts mitbekommen. Erfahrungsgemäß sind sowohl diese Ängste als auch diese Hoffnungen unbegründet. Schülerinnen und Schüler sind meist lange vor ihren Lehrkräften über die entsprechenden "Probleme" oder Phänomene im Bilde und verfallen ihnen deshalb nicht umstandslos. Gerade die Entwicklungen im Web 2.0 und den digitalen Medien machen hier eher einen problemorientierten Umgang nötig.
Überaus verbreitet und wenig hilfreich ist auch die Vorstellung, dass rassistische, sexistische oder menschenfeindliche Äußerungen in pädagogischen Situationen grundsätzlich nur durch Unterricht zu bearbeiten sind. Argumentationsweisen wie diese dienen zuweilen auch als Entlastungsstrategie. Schließlich könne man, so eine gern genutzte Argumentationsweise, "nach einem bestimmten Zwischenfall im schulischen Kontext doch nicht regelmäßig den Stundenplan umwerfen". So wird pädagogisches Handeln unmöglich gemacht. Statt alles im Unterricht lösen zu wollen, sind Einzelgespräche mit Schülerinnen und Schülern sowie weitergehende Bearbeitungssettings möglich und sinnvoll. Auch sie gehören in den Instrumentenkasten von Lehrkräften und sind nicht exklusiv an die Schulsozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter zu delegieren. Lehrkräfte neigen zudem zu einer Kultur von Einzelkämpferinnen und -kämpfern. Sie suchen in der Auseinandersetzung mit herausfordernden Fällen oft erst spät kollegialen Beistand. Dies ist aus zwei Perspektiven problematisch. Zum einen müssen Auseinandersetzungen mit diesen Herausforderungen oft systemisch bearbeitet werden. Zum anderen sind Netzwerke zwischen Kolleginnen und Kollegen, aber auch zwischen Lehrkräften und Akteuren der außerschulischen Präventionsarbeit immer dann wichtig, wenn pädagogisches Personal zum Objekt politischer Angriffe wird. In allen Bundesländern gibt es mobile schulische Beratung oder demokratiepädagogische Initiativen, die in diesem Zusammenhang unterstützen können.
Insbesondere in Zeiten, in denen die liberale Demokratie vor Herausforderungen steht, gerät die politische Bildung oft schnell in die Defensive und versteigt sich in der Legitimation bestehender Strukturen und Verfahren. Lehrkräfte könnten sich in diesem Sinne angesichts rechtspopulistischer Entwicklungen, einer umfassenden Kritik an Medien und Expertinnen und Experten sowie einer nicht unerheblichen Europaskepsis (um nur einige Aspekte zu nennen) genötigt sehen, in ihrem Unterricht die Leistungsfähigkeit des politischen Systems zu betonen, öffentlich rechtliche Medien zu preisen und ein hohes Lied über Europa zu singen. Legitimation ist aber nicht die Aufgabe politischer Bildung in der Demokratie. Sie sollte deshalb nie im Bestehenden verhaftet bleiben, sondern immer offen sein, sich neuen gesellschaftlichen Herausforderungen wertgebunden zu stellen und nach neuen Lösungen zu suchen.