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Rente mit 67 - Probleme am Arbeitsmarkt | Arbeit | bpb.de

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Rente mit 67 - Probleme am Arbeitsmarkt

Andreas Ebert Ernst Kistler Thomas Staudinger Thomas Ernst Kistler / Staudinger Andreas Ebert /

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Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters setzt eine Erhöhung der Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmer, die Bereitschaft der Betriebe, Ältere zu beschäftigen, sowie die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes voraus. Unter all diesen Aspekten ist eine Rente mit 67 für viele Arbeitnehmer problematisch und wird vielfach in Altersarmut führen.

Einleitung

Im Rahmen der Europäischen Beschäftigungsstrategie nimmt das Ziel einer Erhöhung der Beschäftigungsquote (Anteil der Beschäftigten an den Personen im Erwerbsalter) einen sehr hohen Stellenwert ein. Mit den Ratsbeschlüssen von Stockholm (Erhöhung der Beschäftigungsquote 55- bis 64-Jähriger auf 50 Prozent) und Barcelona (Anhebung des durchschnittlichen Erwerbsaustrittsalters um fünf Jahre) wurden diese Ziele mit Orientierung auf das Jahr 2010 operationalisiert.

Im Durchschnitt aller EU-Länder - EU 15 wie EU 25 - sind die Mitgliedsstaaten noch relativ weit davon entfernt. Deutschland liegt dabei, entgegen gängiger Vorurteile, traditionell sehr nahe beim EU-Durchschnitt, mit steigender Tendenz und aktuell sogar leicht darüber.

Teils seit längerem, wie mit den Rentenreformen ab 1991/92, teils erst in jüngerer Zeit, wie mit den Hartz-Gesetzen, der Befristung der Vorruhestandsinstrumente und geplant der "Rente mit 67", folgt die Politik in Deutschland sehr eindeutig diesen Zielen.

Gründe für ein längeres Arbeiten

Für ein längeres Arbeiten gibt es eine Reihe von sehr guten Gründen: Zunächst ist es eine gigantische volkswirtschaftliche Verschwendung, wenn wir - vor allem auf Staatskosten - Menschen gut bilden und ausbilden und die Betriebe diese dann mit 55 Jahren zum alten Eisen erklären, sie in den Vorruhestand oder die Langzeitarbeitslosigkeit entlassen. Schließlich muss man auch die Rentenfinanzen in den Blick nehmen: Mit der steigenden Lebenserwartung verlängert sich auch die Rentenbezugszeit. Obwohl die Einnahmeseite (künftige Produktivitäts-, Lohn- und Arbeitsmarktentwicklung) die entscheidende Stellgröße für die Rentenfinanzen ist, spricht vieles dafür, das faktische Renteneintrittsalter zu steigern.

Zusätzlich wird in der politischen und öffentlichen Debatte ein weiteres Argument strapaziert, das ebenfalls den demographischen Wandel zum Ausgangspunkt macht. Die Demographie bringt nicht nur - übrigens schon seit langem - eine erhebliche Alterung der Bevölkerung, des Erwerbspersonenpotenzials und der Belegschaften mit sich. In der Zukunft steht auf Grund der geringen Geburtenziffern unbestreitbar auch eine Schrumpfung der Bevölkerungszahl bevor, die bei deutlichen regionalen Unterschieden in manchen Gegenden des Landes heute schon zu beobachten ist. Durch eine momentan (im längerfristigen Vergleich) recht geringe Nettozuwanderung ist sogar aktuell ein ganz leichter Rückgang der Einwohnerzahl in Deutschland eingetreten. Gleichzeitig haben in diesem Zeitraum allerdings die Zahl der Erwerbstätigen und das Erwerbspersonenpotenzial zugenommen (letzteres nochmals um 550 000 Personen zwischen 2001 und 2005). Hauptfaktor hierfür ist die steigende Frauenerwerbstätigkeit in den mittleren und höheren Altersgruppen sowie die inzwischen auch wieder leicht steigende Erwerbsquote bei den älteren Männern. Als entscheidenden Grund hierfür kann man den steigenden Arbeitsangebotszwang ansehen. Die stagnierenden, ja teils sogar deutlich fallenden Reallöhne, das zwar immer noch dominante, aber erodierende "männliche Familienernährermodell" und eine zunehmende Prekarisierung führen zusammen mit den Arbeitsmarkt- und Rentenreformen zwangsläufig zu einer steigenden (Frauen-)Erwerbsquote. Die geplante Rente mit 67 würde diesen Arbeitsangebotszwang noch weiter erhöhen. Es stellt sich die Frage, ob die Voraussetzungen dafür überhaupt gegeben sind.

Länger arbeiten - ob näher heran an die Grenze 65 oder gar bis 67 - setzt eine entsprechende Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit der älteren Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen voraus. Diese wiederum hängt auch von altersgerechten und gerade angesichts der Bugwelle der "Babyboomer" von alternsgerechten Arbeitsbedingungen ab. Beschäftigungsfähigkeit umfasst neben der Arbeitsfähigkeit der Individuen auch die Aufnahmefähigkeit des Arbeitsmarktes für (zusätzliche) ältere Arbeitskräfte sowie die Bereitschaft der Betriebe, diese älteren Personen länger als bisher zu beschäftigen bzw. auch Ältere vom externen Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Zur Arbeitsfähigkeit sind sehr vereinfacht die Elemente Gesundheit, Kompetenz und Motivation/Führung zu rechnen, die gleichzeitig auch schon die entsprechenden beschäftigten- wie betriebsseitigen Maßnahmen benennen.

Ohne Erfüllung dieser Voraussetzungen von Beschäftigungsfähigkeit ist es jedenfalls nicht sinnvoll, den Arbeitsangebotszwang auf die Älteren zu erhöhen. Die Vorstellung ist nämlich falsch, dass ein steigendes Angebot an Arbeitskräften von sich aus zu einer entsprechenden Nachfrage nach Arbeit führe - vor allem wenn es gemäß der EU-Ziele um mehr und bessere Arbeitsplätze in wachstumsschwachen Zeiten oder Regionen geht.

Kein Mangel an Arbeitskräften

Legt man mittlere Szenarien zur Entwicklung der Bevölkerung und mittlere Prognosen zum Erwerbsverhalten zu Grunde, so ergibt sich ein zumindest bis 2020 recht stabiles Angebot an Arbeitskräften. Auf der Basis der gegenwärtig in der Politik noch als Planungsgrundlage dienenden 5. Variante der vorletzten, 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung der amtlichen Statistik errechnet sich für 2015 ein noch steigendes Erwerbspersonenpotenzial von 43,6 Millionen Personen (2000: 42,5 Millionen). Dann sinkt das Angebot an Arbeitskräften, zunächst langsam (2020: 42,4 Millionen) und dann - soweit derart langfristige Voraussagen überhaupt sinnvoll sind - beschleunigt (2050: 35,7 Millionen). Nimmt man aus der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung vom November 2006 das mittlere Szenario mit einer unterstellten Nettozuwanderung von 200 000 Personen pro Jahr (die so genannte Variante 1-W2), so lauten die Werte für 2015: 42,7 Millionen, für 2020: 41,3 Millionen und für 2050: 34,1 Millionen (Abbildung 1). Nur wenn, wie in kurzfristiger Betrachtung des Wanderungsgeschehens der allerletzten Jahre (als Stützzeitraum der Modellrechnung für die Zukunft), ein langfristiger Saldo der Nettozuwanderung von nur 100 000 Personen unterstellt wird, ergibt sich, wie ebenfalls in Abbildung 1 gezeigt, ein etwas geringeres Niveau des Erwerbspersonenpotenzials. Auf die kurze Frist zeigen die entsprechenden Varianten (Variante 4 der 10. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung und Variante 1-W1 der 11. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung) bis 2015 bzw. 2020 keinen dramatischen Unterschied. Längerfristig, bis 2050, würde dies allerdings ein Erwerbspersonenpotenzial von nur noch 31 und 31,7 Millionen Personen bedeuten.

Zu Abbildung 1 ist Folgendes festzustellen (vgl. PDF-Version):

- Zwar wird, auf lange Sicht betrachtet, die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen weniger stark zurückgehen, da die Zahl der Haushalte langsamer schrumpft als die Zahl der Personen. Auch wird - ein gewisses Maß an Produktivitätszuwachs und eine weniger einseitige Verteilung des wachsenden Sozialprodukts als in den vergangenen 25 Jahren unterstellt - die Nachfrage pro Kopf zunehmen. Ob das aber eine deutliche Bevölkerungsabnahme kompensiert, ist angesichts des seit Jahrzehnten fallenden Arbeitsvolumens mehr als fraglich.

- In jedem Fall zeigen die mittleren Varianten der hier angestellten Modellrechnungen zur Entwicklung des Erwerbspersonenpotenzials, wie irreal beispielsweise die Vorstellungen waren, die die Hartz-Kommission zur künftigen Arbeitsmarktbilanz geäußert hat. Dort war von bis zu sieben Millionen fehlenden Arbeitskräften bis zum Jahr 2015 die Rede, bei unterstellten zusätzlichen drei Millionen neu entstehenden Arbeitsplätzen in diesem Zeitraum. Wo diese herkommen sollen und ob es sich dabei eventuell nur um geringfügige Beschäftigungsverhältnisse handeln könnte, wird in der politischen Debatte nicht hinterfragt. Ebenso wenig wurde bei diesen Berechnungen der Hartz-Kommission das erschreckende Ausmaß der bestehenden registrierten und verdeckten Unterbeschäftigung beachtet.

- Resümiert man dagegen die anderen vorliegenden Langfristprognosen der Arbeitsmarktbilanz aus den vergangenen Jahren, so laufen diese ziemlich einhellig auf eine Arbeitslosenquote von vier bis fünf Prozent im Falle einer besseren und von 10 bis 13 Prozent im Falle einer weniger guten wirtschaftlichen Entwicklung hinaus. Auch der jüngste Deutschland-Report der Prognos-AG kommt beispielsweise zu dem Ergebnis: "Deutschlands Zukunft fehlen Jobs". Inzwischen, seit eine realistische Zunahme der Erwerbsquoten unterstellt wird, kommt auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) zu sehr ähnlichen Ergebnissen bei den mittleren Szenarien der Berechnung des künftigen Erwerbspersonenpotenzials. Schließlich weist das IAB in einer neuen Berechnung zur Rente mit 67 darauf hin, dass durch die geplante Erhöhung des Regelrentenalters ab 2012 ein zusätzlicher Bedarf an Arbeitsplätzen entsteht. Je nach getroffenen Annahmen wird dieser für 2030 auf 1,2 bis über 3 Millionen geschätzt.

Differenzierte Entwicklungen

Die Sorge der Arbeitsmarktpolitik sollte daher auch auf mittlere Sicht nicht der von Seiten der Arbeitgeber gebetsmühlenhaft beschworenen Verknappung des Arbeitsangebots gelten, sondern der noch lange anhaltenden und sich verfestigenden Arbeitslosigkeit. Dabei muss natürlich beachtet werden, dass Arbeitslosigkeit, Arbeitskräftenachfrage und -angebot sowie Verrentungsgeschehen sich zum Beispiel nach Qualifikation, Alter und nicht zuletzt auch nach Regionen sehr unterschiedlich darstellen und weiter entwickeln werden.

Die Zahl der älteren Erwerbspersonen (hier als 55- bis 64-Jährige definiert) hat in den vergangenen zehn Jahren beispielsweise deutlich abgenommen (schwach besetzte Kriegs- und Nachkriegsjahrgänge). Bis 2025 wird die Ziffer der Personen dieser Altersgruppe bundesweit jedoch um ein Drittel, in manchen Regionen sogar um zwei Drittel ansteigen. Dieser Berg der dann älteren Babyboomer will erst einmal am Arbeitsmarkt bewältigt werden, bevor diese in Rente gehen.

Die betriebliche Nachfrage nach Arbeitskräften tendiert zu weiter steigenden Qualifikationsanforderungen - bis hin zu einer in der Arbeitsmarktlage bedingten Beschäftigung (und Bezahlung) vieler Arbeitskräfte unterhalb ihrer Qualifikationen. Dies bewirkt häufig eine volkswirtschaftliche Verschwendung von Humanressourcen und Dequalifizierungsprozesse. Schließlich ist eine unter anderem stark qualifikationsspezifische Betroffenheit durch die Ausgrenzung Älterer aus den Betrieben und letztlich auch aus dem Arbeitsmarkt bzw. bei den Rentenübergangswegen zu beachten. Dies bedeutet heute schon, bei einer Einführung der "Rente mit 67" aber in noch viel deutlicherer Form, die Gefahr von Altersarmut.

Die entscheidenden Fragen lauten daher, ob von der gesamten Arbeitsmarktperspektive her, aber auch mit Blick auf die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit bestimmter Gruppen, eine "Rente mit 67" überhaupt realistisch ist oder sich nicht - wegen fehlender Voraussetzungen - als reines und noch dazu schlecht getarntes Rentenkürzungsprogramm entpuppen wird.

Wenig Chancen für Ältere

Aus den großen, repräsentativen Arbeitgeberbefragungen des IAB-Betriebspanels wird ersichtlich, dass besonders die "klassischen Tugenden", wie Arbeitsmoral/Arbeitsdisziplin, Qualitätsbewusstsein und Erfahrungswissen, von den Personalverantwortlichen als bedeutende Leistungsmerkmale angesehen werden. Diese Eigenschaften wiederum werden gerade als Stärken der Älteren betont. Daran zeigt sich, dass Betriebe älteren Arbeitnehmern zwar ein anderes Leistungsprofil zuschreiben als Jüngeren, aber keineswegs ein niedrigeres.

Es bleibt die Frage, weshalb die Unternehmen, trotz der eigentlich positiven Beurteilung der älteren Arbeitnehmerschaft, in ihrem Einstellungsverhalten nur in geringem Maße auf Ältere zurückgreifen. Abbildung 2 (vgl. PDF-Version) zeigt den geringen Anteil, den Ältere bei Einstellungen im 1. Halbjahr 2005 in Ost- (14 Prozent) und Westdeutschland (7 Prozent) ausmachten. Auffallend ist dabei der deutliche Unterschied zwischen den ost- und westdeutschen Betrieben, der sich nach Betriebsgrößenklassen nochmals verschärft: Neben den klar höheren Anteilen in Ostdeutschland insgesamt steigt der Anteil der eingestellten älteren Arbeitnehmer dort mit der Betriebsgröße. Im Westen hingegen stellten eher die kleineren Unternehmen Ältere ein. Der höhere Anteil lässt eine positivere Einstellung gegenüber der älteren Arbeitnehmerschaft in Ostdeutschland vermuten, allerdings finden sich dort die höchsten Einstellungsanteile in der Land- und Forstwirtschaft, der öffentlichen Verwaltung und den Organisationen ohne Erwerbszweck. Dies deutet darauf hin, dass die Beschäftigungsverhältnisse für die Älteren besonders über den zweiten Arbeitsmarkt (ABM, 1-Euro-Jobs etc.) zustande kommen.

Letztendlich lässt sich unabhängig von diesen regionalen Unterschieden festhalten, dass Betriebe bei Einstellungen nur in geringem Maße auf Ältere zurückgreifen. Neben spezifischen Vorbehalten gegenüber älteren Arbeitslosen und einer offensichtlichen Altersdiskriminierung gibt ein Großteil der Personalverantwortlichen in Deutschland aber auch an, keine Bewerbungen von Älteren zu erhalten (nach Angaben aus dem Jahr 2004 inOst- wie Westdeutschland: 71 Prozent). Über die Hälfte derjenigen Betriebe, die Bewerbungen auch von Älteren erhielten, stellten solche dann aber auch ein. Damit wird deutlich, dass das Einstellungsverhalten vom Unternehmens- und Bewerberverhalten beeinflusst wird. Die geringe Zahl an Bewerbungen lässt sich sicherlich auf eine "Ich habe in meinem Alter keine Chance mehr auf einen Arbeitsplatz"- Mentalität zurückführen. Im Rahmen der Kampagne "Perspektive 50plus" des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zeigt sich deshalb deutlich, dass gerade der Reaktivierung für den Arbeitsmarkt eine enorme Bedeutung im Zuge der Vermittlung von älteren Langzeitarbeitslosen zukommt: "Mentale Stärkung" und "neuerliche Motivierung" sind Schlagworte, die nur annähernd beschreiben, welchen Aufgaben sich ein Fallmanager der Arbeitsvermittlung tagtäglich gegenübersieht. Eine Verantwortung, die sich angesichts der Vielzahl an Arbeitslosen je Fallmanager kaum bewerkstelligen lässt.

Alternsgerechtes Arbeiten

Die Tatsache der Altersdiskriminierung in unserer Gesellschaft allein erklärt jedoch keineswegs die hohe Langzeitarbeitslosigkeit bei Älteren. Neben dem steigenden Anteil Langzeitarbeitsloser erhöht sich mit fortschreitendem Alter ebenso der Anteil der Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen. Im Jahr 2005 hatten 10 Prozent der Arbeitslosen unter 30 Jahren eine gesundheitliche Einschränkung. Bei den 30- bis 49-Jährigen waren es bereits 21 Prozent und bei den 50-Jährigen und älteren dann sogar 36 Prozent. Diese Zahlen verdeutlichen eindrucksvoll, wie sich das Arbeitsleben der Erwerbspersonen auf die Verschlechterung der Gesundheit auswirkt. Die Möglichkeit, bis zur Rente "durchzuhalten", ist in besonderem Maße von den jeweiligen Arbeitsbelastungen abhängig.

Die formale Qualifikation der Erwerbspersonen 50+ ist andererseits keineswegs für die hohe Zahl Langzeitarbeitsloser verantwortlich. Die Älteren sind inzwischen nicht schlechter qualifiziert als Jüngere, jedoch partizipieren sie wesentlich weniger an beruflicher Weiterbildung: Die Teilnahmequote lag für 50- bis 64-Jährige im Jahr 2003 bei 17 Prozent, gegenüber 29 Prozent in der Altersgruppe von 19 bis 34 Jahren und 31 Prozent bei den 35- bis 49-Jährigen. Noch dazu profitieren aktuell besonders diejenigen von Weiterbildung, die ohnehin schon eine höhere Bildung und Qualifikation aufweisen. Um die Beschäftigungsfähigkeit während des Älterwerdens zu erhalten und Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen, muss zukünftig die Weiterbildungsbeteiligung im Sinne des Lebenslangen Lernens in Deutschland insgesamt und besonders bei Älteren und niedriger Qualifizierten gefördert werden.

Maßnahmen in diese Richtung gab es bislang (speziell für noch Beschäftigte) in der deutschen Arbeitsmarktpolitik kaum. Alternsgerechtes Arbeiten im Sinne von fortwährender Weiterbildung und Gesundheitserhaltung muss dagegen auch von den Betrieben verstärkt gefördert werden, um keinen weiteren frühzeitigen Verlust an Humankapital zu riskieren. Auch im Bereich der Gesundheitsförderung zeigt die Praxis der Betriebe noch erheblichen Handlungsbedarf. Nach Ergebnissen des IAB-Betriebspanels aus dem Jahr 2004 berichtet im Bundesdurchschnitt nur jeder fünfte Betrieb, Gesundheitsmaßnahmen über den gesetzlichen Arbeitsschutz und andere Vorschriften hinaus zu praktizieren. Zudem entfällt ein Großteil der berichteten Maßnahmen auf die Instrumente der Krankenstandsanalysen und Mitarbeiterbefragungen (Rückkehrergespräche), die für sich genommen keine wirklich präventiven Gesundheitsmaßnahmen sind.

Entwicklung des Verrentungsgeschehens

Nach wie vor haben Ältere, die aus einem Beschäftigungsverhältnis ausscheiden, nur geringe Chancen, wieder eine Arbeit aufzunehmen. In der Regel ist der Beschäftigungsverlust in höherem Alter somit gleichbedeutend mit dem endgültigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben.

Älteren Beschäftigten und Arbeitslosen wurde über Jahre hinweg nur die Möglichkeit gegeben, sich frühzeitig aus dem Erwerbsleben zurückzuziehen. Einerseits ist dies eine Maßnahme zur Entlastung des Arbeitsmarktes, andererseits wurde vielen (vor allem den großen) Unternehmen damit auch die Möglichkeit zum kostengünstigen eigenen Personalabbau gegeben. Die amtlich ausgewiesene Arbeitslosenquote gibt folglich das tatsächliche Ausmaß der Unterbeschäftigung Älterer nur unzureichend wieder.

Der Blick auf die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt, dass die Arbeitslosenquote Älterer - insbesondere die der zwischen 60- und 64-Jährigen - stark zurückgegangen ist. Es wäre allerdings ein Fehlschluss, dies auf eine sich verbessernde Beschäftigungssituation älterer Erwerbspersonen zurückzuführen. Die Ursachen liegen vielmehr in der zunehmenden Nutzung des erleichterten Leistungsbezugs nach § 428 SGB III (der so genannten 58er Regelung) sowie in der besonderen demographischen Situation der vergangenen Jahre: Vorübergehend "wanderten" geburtenschwache Jahrgänge der Nachkriegszeit in diese Altersgruppe. Ab 2007 wird die Zahl der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland jedoch massiv zunehmen.

Mit Blick auf die Situation älterer Arbeitsloser sind auch die Entwicklungen im Verrentungsgeschehen sowie die Reformen des vergangenen Jahrzehnts zu betrachten (Abbildung 3; vgl. PDF-Version): Das durchschnittliche Rentenzugangsalter stieg in Deutschland zwischen 1996 und 2005 um ca. ein Jahr an (von 59,5 auf 60,8 Jahre). Gleichzeitig fiel der Durchschnittsbetrag der neuen Versichertenrenten nach dem Jahr 2000 dramatisch (insbesondere bei den westdeutschen Männern).

Außerdem gilt: Von den Rentenzugängen des Jahres 2005 erfolgten nur noch 17,5 Prozent aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Bereits etwa die Hälfte der neuen Rentner des Jahres 2005 musste Abschläge auf ihren Rentenzahlbetrag in Kauf nehmen. Die im Jahr 1992 beschlossene stufenweise Heraufsetzung des abschlagsfreien Renteneintrittsalters zeigt somit zunehmend massiv Wirkung.

Die Sichtweise der Arbeitnehmer

Auch auf der Seite der Arbeitsbedingungen sind Voraussetzungen notwendig, um längeres Arbeiten im Alter zu ermöglichen. In einer repräsentativen deutschlandweiten Erhebung von INIFES und TNS Infratest wurde etwa 5 500 Erwerbstätigen die Frage gestellt: "Wenn Sie an Ihre Arbeit und an ihren Gesundheitszustand denken: Meinen Sie, Ihre heutige Tätigkeit bis ins Rentenalter ausführen zu können?". Auf diese Frage antworteten von allen Befragten nur 59 Prozent mit "Ja, wahrscheinlich"; etwa jeder Vierte glaubt nicht, die derzeitige Tätigkeit bis ins Rentenalter ausführen zu können, weitere 17 Prozent sind sich unsicher.

Neben den Beschäftigungschancen - die deutlich von den aktuellen Arbeitsbedingungen abhängen - sind auch die bisherigen Tätigkeitsbedingungen ganz entscheidend für die Frage, ob eine längere Beschäftigung im höheren Erwerbsalter möglich ist.

Es sind vor allem jene Arbeitnehmer ohne angeführte Arbeitsbelastungen, die angeben, bis zur Rente in ihrer Tätigkeit durchzuhalten - immerhin 78 Prozent aus dieser Gruppe glauben dies. Allerdings vermindert schon das Auftreten nur einer einzelnen Belastung diesen Anteil erheblich.

Als besondere Risikofaktoren erweisen sich vor allem schwere oder einseitig belastende körperliche Arbeit, Zeitdruck sowie die Umgebungsbedingungen wie Lärm und Zugluft oder extreme Temperaturen. An diesen Fakten sind nicht nur aktuelle Fehlentwicklungen im Bereich der Arbeitsbedingungen abzulesen, sondern daraus ergibt sich auch die zentrale Schlussfolgerung, welche Maßnahmen als Voraussetzung für längeres Arbeiten im Alter notwendig wären. Die Verbesserung der Arbeitsfähigkeit erfordert vor allem die Vermeidung bzw. Reduzierung der körperlichen und psychischen Belastungen im Arbeitsleben. Erst danach sollte man sich über eine Erhöhung des faktischen oder gar gesetzlichen Rentenalters unterhalten.

Große Unterschiede nach Berufen

In der Diskussion um die Arbeitsbedingungen sowie das Verrentungsgeschehen und noch viel mehr in der Praxis sind differenzierte Betrachtungen (z.B. nach Branchen, Berufen, Qualifikation) bislang eher noch eine Seltenheit.

Zunächst zeigen sich anhand des Anteils der 55- bis 64-Jährigen an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhebliche Unterschiede in einzelnen Berufen. Überdurchschnittliche Anteile Älterer sind in akademisch geprägten Berufsgruppen - aber auch in eher gering qualifizierten Alterstätigkeiten - sowie in Krisenberufen zu finden, in denen seit längerer Zeit kaum Neueinstellungen stattgefunden haben. Unter den Berufsordnungen mit einem besonders niedrigen Anteil Älterer sind vor allem solche mit schwerer bzw. einseitig belastender körperlicher Arbeit (Bauberufe, aber auch Ernährungsberufe bzw. personenbezogene Dienstleistungsberufe).

Ein ähnliches Muster zeigt sich bei den Anteilen der Erwerbsminderungsrenten. Die höchsten Werte weisen hier ebenfalls Berufsordnungen mit körperlich besonders belastenden Tätigkeiten auf: Neben den Bergleuten, den Bau- und Baunebenberufen sind darunter auch Ernährungs-, Metall- und Gesundheitsberufe. Auf der anderen Seite sind es vor allem akademische Berufe, die sich durch niedrige Anteile der Erwerbsminderungsrenten auszeichnen.

Die entscheidende Frage ist also, ob angesichts der bestehenden Arbeitsrealität in den Betrieben nicht schon eine gesellschaftliche Spaltung angelegt ist, die durch die bisherigen massiven Rentenreformen schon für manche Berufsgruppen unlösbare Probleme aufwerfen. Die Rente mit 67 ist dann aber keine zusätzliche "Feinjustierung", sondern sie wird eine dramatische Verschärfung bewirken.

Fazit

"Offensichtlich müssen sich Anreize für ältere Arbeitnehmer, länger zu arbeiten, auch in tatsächlichen Beschäftigungschancen widerspiegeln." Genauso wichtig sind für eine Annäherung des faktischen Renteneintrittsalters an die Regelaltersgrenze 65 Jahre entsprechende Maßnahmen der Gesundheitsförderung und des Lebenslangen Lernens. Von all diesen Voraussetzungen sind wir weit entfernt, und eine nachhaltige Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil.

Die Rente mit 67 wird unter diesen Umständen zu einem reinen Rentenkürzungsprogramm. Die Brücken zwischen Erwerbsaustritt und Renteneintritt werden, gerade auch zu Lasten der Arbeitslosenversicherung, wieder länger. Hierdurch und in Verbindung mit den Hartz-Gesetzen wird eine Rückkehr der weitgehend überwunden geglaubten Altersarmut sehr wahrscheinlich. Das gilt besonders für Arbeitnehmer in "Berufen mit begrenzter Tätigkeitsdauer". Zu beachten ist aber auch, dass jenseits der geplanten Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters durch die Abschaffung der bisherigen Vorruhestandsinstrumente bereits vorher - bei geringerer Beachtung in der Öffentlichkeit - wichtige "Abzugskanäle" aus dem katastrophal schlechten Arbeitsmarkt für Ältere geschlossen werden. In der Summe werden diese Maßnahmen zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft beitragen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. mit aktuellen Zahlen und einer Kritik der oft verkürzten internationalen Vergleiche Christina Stecker/Ernst Kistler, Erkenntnismöglichkeiten aus internationalen Vergleichen von Frühverrentungspolitiken, in: Deutsche Rentenversicherung Bund (Hrsg.), Alternsgerechtes Arbeiten in innovativen Regionen. Smart-Region - Endbericht, Berlin (i.E.).

  2. Vgl. Hans-Ulrich Bach u.a., Die Konjunktur belebt den Arbeitsmarkt 2006, IAB-Kurzbericht Nr. 12, Nürnberg 2006, S. 7.

  3. Vgl. Juhani Ilmarinen, Towards a longer Worklife, Helsinki 2006. Es ist bezeichnend für die Diskussion in Deutschland, dass hierzulande die Debatte weitgehend auf die Aspekte der Arbeitsfähigkeit verkürzt und dabei die Verantwortung für Gesundheit und Weiterbildung einseitig auf die ArbeitnehmerInnen verlagert wird.

  4. Diese Einsicht setzt sich auch langsam auf EU-Ebene durch; vgl. mit entsprechenden Hinweisen auf EU-Dokumente Ch. Stecker/E. Kistler (Anm. 1).

  5. Vgl. ausführlicher Andreas Ebert/Ernst Kistler/Falko Trischler, Ausrangiert - Arbeitsmarktprobleme Älterer in den Regionen, Düsseldorf 2007 (i.E.).

  6. Vgl. Ernst Kistler, Die MethusalemLüge. Wie mit demographischen Mythen Politik gemacht wird, München 2006, S. 109ff.

  7. Vgl. Kommission zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Umstrukturierung der Bundesanstalt für Arbeit, Bericht der Kommission, Berlin 2002, S. 118.

  8. Vgl. E. Kistler (Anm. 6), S. 56.

  9. Olaf Storbeck, Deutschlands Zukunft fehlen Jobs, in: Handelsblatt vom 3.4. 2006.

  10. Vgl. Johann Fuchs/Doris Söhnlein, Vorausschätzung der Erwerbsbevölkerung bis 2050, IABForschungsbericht Nr. 16, Nürnberg 2005.

  11. Vgl. Johann Fuchs, Rente mit 67. Neue Herausforderungen für die Beschäftigungspolitik, IABKurzbericht Nr. 16, Nürnberg 2006.

  12. Vgl. dazu und zum Folgenden A. Ebert/E. Kistler/F. Trischler (Anm. 5).

  13. Vgl. Lutz Bellmann/Ernst Kistler/Jürgen Wahse, Betriebliche Sicht- und Verhaltensweisen gegenüber älteren Arbeitnehmern, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ), (2003) 20, S. 26 - 34.

  14. Vgl. Stefan Böhme u.a., Beschäftigungstrends im Freistaat Bayern 2004, Stadtbergen 2005, S. 81 und Lutz Bellmann/Vera Dahms/Jürgen Wahse, IAB Betriebspanel Ost - Ergebnisse der neunten Welle 2004 - Teil II, IABForschungsbericht Nr. 21, Nürnberg 2005, S. 73.

  15. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 2006.

  16. Vgl. Helmut Kuwan/Frauke Thebis, Berichtssystem Weiterbildung IX. Ergebnisse der Repräsentativbefragung zur Weiterbildungssituation in Deutschland, München 2004, S. 26.

  17. Gerade im Vergleich zu anderen Ländern zeigt sich, dass die Weiterbildungsbeteiligung in Deutschland deutlich niedriger ausfällt und insgesamt ausgebaut werden muss (vgl. Werner Eichhorst/Cornelia Sproß, Arbeitsmarktpolitik für Ältere. Die Weichen führen noch nicht in die gewünschte Richtung, IAB-Kurzbericht Nr. 16, Nürnberg 2005, S. 2 - 3).

  18. Vgl. Frerich Frerichs/Philip Taylor, The Greying of the Labour Market. What can Britain und Germany learn from each other?, London 2005.

  19. Werner Sesselmeier, Die demographische Herausforderung der Alterssicherung, in: APuZ, (2006) 8 - 9, S. 25 - 31.

  20. European Commission, Employment in Europe 2005, Brüssel 2005, S. 242 (Übers. d. V.).

M.A., geb. 1980; wiss. Mitarbeiter am Internationalen Institut für Empirische Sozialökonomie (INIFES) gGmbH. Haldenweg 23, 86391 Stadtbergen.
E-Mail: E-Mail Link: info@inifes.de Internet: www.inifes.de

Prof. Dr., geb. 1952; Direktor am INIFES.
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Dipl.-Geogr., geb. 1979; wiss. Mitarbeiter am INIFES.
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