Einleitung
Die deutsche Arbeitsgesellschaft befindet sich seit einigen Jahren in einem tief greifenden Wandel.
Anstatt wie vormals Güter zwischen sozialen Gruppen mit unterschiedlichen Marktchancen umzuverteilen, zielt der Umbau des Wohlfahrtsstaates auf mehr Eigenverantwortung und auf die Förderung von Chancengleichheit. Einige der Folgen dieses Prozesses sind bekannt: Befristete Beschäftigungsverhältnisse und Minijobs werden ausgedehnt, staatliche Zuwendungen an Arbeitslose gekürzt; die Anforderungen an die Flexibilität der Erwerbspersonen steigen. Dies kann dazu führen, dass sich einige Bevölkerungsgruppen, insbesondere Jugendliche, schlecht Ausgebildete und Migranten, von der gesellschaftlichen Wohlfahrtsproduktion ausgeschlossen fühlen.
Die zweite, weniger beachtete Seite des arbeitsgesellschaftlichen Wandels ist innerhalb der Orte der Wohlfahrtsproduktion zu finden: in den Unternehmen. Dort beobachten wir, neben vielfältigen weiteren Veränderungen, einen Wandel der Prinzipien, nach denen die Beschäftigten entlohnt werden. An die Stelle des überkommenen Systems aus Leistungsprinzip ("Leistung muss sich lohnen!") und Gleichheitsprinzip ("Gleicher Lohn für gleiche Arbeit") tritt in zunehmendem Maße die unmittelbare Kopplung der Entlohnung an den ökonomischen Erfolg des Unternehmens, dem die Beschäftigten jeweils angehören: Je besser (schlechter) ein Unternehmen auf dem Markt dasteht, desto mehr (weniger) verdienen seine Beschäftigten.
Auch dieser Wandel hat Folgen für die soziale Integration der Arbeitsgesellschaft. Er signalisiert einen Bruch mit den überkommenen Gerechtigkeitsprinzipien, die Lohn und Leistung über Jahrzehnte geprägt haben. Stoßen die einer Institution zugrunde liegende Verteilungsordnung oder die daraus resultierenden Verteilungsergebnisse auf moralische Ablehnung, so hat dies häufig zur Konsequenz, dass die Betroffenen ihre Folgebereitschaft gegenüber der Institution aufkündigen. Für die Legitimität erfolgsbezogener Vergütungsprinzipien würde dies bedeuten, dass sich Gerechtigkeitsbewertungen als Weichensteller von Entscheidungen für oder gegen Engagement und Leistungsbereitschaft der Beschäftigten gegenüber den Institutionen der Lohnfindung erweisen könnten.
Wird nun die Ausbreitung der erfolgsbezogenen Vergütung von den Beschäftigten als sozial gerecht oder als ungerecht bewertet? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich zunächst - im ersten Kapitel - klären, wie Entlohnungsgerechtigkeit im alten System der Lohnfindung vorrangig hergestellt wurde. Im Mittelpunkt steht dabei das Tarifvertragssystem. Dabei zeichne ich nach, welche Verteilungsprinzipien dem deutschen Tarifvertragssystem lange Zeit zugrunde lagen und warum es mehrheitlich als sozial angesehen wurde. Im zweiten Kapitel werde ich zeigen, in welcher Weise sich dieses Verteilungssystem in den vergangenen Jahren gewandelt hat. Im dritten Kapitel werde ich unter Rückgriff auf Ergebnisse empirischer Studien darlegen, ob die Beschäftigten diesen Wandel als sozial gerecht oder als ungerecht ansehen. Im vierten Kapitel schließlich formuliere ich einige Konsequenzen für die zukünftige Gestaltung der Lohnpolitik in Deutschland.
Das alte System
Was ist ein gerechter Lohn? Um diese Frage zu beantworten, kannte die bundesdeutsche Arbeitsgesellschaft lange Zeit eine unangefochtene Institution: die Tarifautonomie. Die auf dem Arbeitsmarkt produzierten Ungleichheiten in der Einkommensverteilung wurden durch die Tarifparteien korrigiert, indem diese tendenziell egalitäre Einkommensanhebungen innerhalb eines Industriesektors vereinbarten. Dazu standen zwei tarifpolitische Instrumente zur Verfügung: der Entgelttarifvertrag und der Entgeltrahmentarifvertrag.
Entgelttarifverträge regeln das Ausmaß der Lohn- oder Gehaltsveränderungen der Beschäftigten in einer Vertragsperiode. Sie werden für eine Laufzeit von in der Regel 12 bis 18 Monaten abgeschlossen und machen einen Großteil der Tarifverträge aus. Obschon sie unmittelbar auf die Verteilung des Kooperationsertrags zwischen Kapital und Arbeit abzielen, sind Verhandlungen über die Entgelthöhe mehr als Veranstaltungen zur ungebremsten Maximierung der jeweiligen Einkommens- bzw. Gewinninteressen. Ihnen liegen auch normativ gehaltvolle Verteilungsprinzipien zugrunde, welche die Strategien der Verhandlungsakteure in je spezifischer Weise anleiten und die damit über die Höhe von Lohnforderungen mitentscheiden. Welche dies sind, kann man erkennen, wenn man die folgende Faustformel näher betrachtet, welche die Gewerkschaften bei der Festlegung von Lohnforderungen verwenden (vgl. Übersicht 1 der PDF-Version).
Der Berücksichtigung der Preissteigerung liegt das absolute Gleichheitsprinzip zugrunde, dem gemäß keine der beiden Seiten von der Belastung der Geldentwertung ausgenommen bleiben soll. Weil Preissteigerungen als kollektives Ereignis gelten, für das weder die eine noch die andere Seite unmittelbar verantwortlich ist, kann das Gleichheitsprinzip als Basalprinzip der Tarifverhandlung gelten.
Für lange Zeit ebenso unstrittig war die gewerkschaftliche Forderung nach Teilhabe der Beschäftigten an der gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsentwicklung. Sie gründet in der Idee, dass die Produktivitätsentwicklung Folge der Anstrengungen beider Kollektivakteure ist und nicht der Unternehmensseite allein zugeschrieben werden kann. Obschon die Arbeitgeberseite dieses Kollektivleistungsprinzip bereits in den 1960er Jahren akzeptiert hat, gehen die Meinungen darüber auseinander, wer den Produktivitätsanstieg zu welchem Leistungsanteil zu verantworten hat: die Beschäftigten zum Beispiel infolge höherer Motivation oder verbesserter Fähigkeiten, oder die Unternehmen aufgrund von Investitionen in technisch-organisatorische Reorganisationen oder aufgrund erfolgreicherer Marktstrategien.
Die Umverteilungsrate ist dagegen ein umstrittenes Element des gewerkschaftlichen Forderungskatalogs. Drei Begründungen dafür wurden von den Gewerkschaften in der Vergangenheit genannt: Erstens seien Umverteilungen gerecht, weil durch sie jene Ungleichheiten in der Einkommens- und Vermögensentwicklung nivelliert werden, die aus dem Marktmechanismus folgen. Zweitens würden durch Umverteilung verursachte Reallohnsteigerungen die Binnennachfrage erhöhen, was auf Seiten der Unternehmen zu zusätzlichen Investitionsimpulsen und in der Konsequenz zu Beschäftigungssteigerungen führen würde. Die dritte, im engeren Sinne verteilungspolitische Begründung bezieht sich auf die Ertragslage der Unternehmen in der vorangegangenen Tarifperiode. Sie wird ins Feld geführt, sobald die Unternehmensseite in höherem Maße von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert hat als die Beschäftigtenseite. Es ist hier nicht der Ort, die Überzeugungskraft der drei Begründungen zu beurteilen. Entscheidend ist allein, dass keine davon auf ungeteilte Zustimmung der Arbeitgeberseite gestoßen ist. Somit ist Umverteilung aus Sicht der Gewerkschaftsseite zwar ein normativer Anspruch, aber kein im Tarifvertrag institutionalisiertes Verteilungsprinzip.
Entgeltrahmentarifverträge legen die Kriterien fest, nach denen bestimmten Anforderungen und Belastungen im Arbeitsprozess entsprechende Entgelte zugewiesen werden. Sie sind eine Mischform aus dem Gleichbehandlungsprinzip und dem Prinzip der Individualleistung. Der Begriff der Gleichbehandlung zielt dabei primär auf die Anforderungen einer Tätigkeit: Sind die Anforderungen zweier Tätigkeiten im Hinblick auf die erforderlichen Fertigkeiten, die körperlichen und geistigen Belastungen gleich, ist dafür der gleiche Grundlohn zu zahlen.
Das Individualleistungsprinzip regelt die Entgeltverteilung auf einem tariflichen und einem betrieblichen Weg. Tariflich ergibt sich, dass ungleiche Anforderungen und Belastungen entsprechend auch zu ungleichen Entgelten führen sollen. Diese Ungleichheiten finden ihren Ausdruck in der Hierarchie der Lohn- und Gehaltsgruppen. Betrieblich kommt das Leistungsprinzip zur Anwendung, wenn die Regelungen des Rahmentarifs in die Entlohnungssystematik eines konkreten Unternehmens übersetzt werden. Entscheidend sind hierbei die betrieblichen Entlohnungskriterien. Wird das Entgelt allein im Zeitlohn gezahlt (wie etwa im öffentlichen Dienst), dann hat die erbrachte Leistung - von möglichen Zuschlägen für Schicht- oder Wochenendarbeit einmal abgesehen - faktisch keine Auswirkung auf die individuelle Entgelthöhe. Im Falle von Leistungslöhnen (etwa dem Stückakkord) führen unterschiedliche Individualleistungen jedoch zu Differenzen zwischen den Individualentgelten.
Fazit: Das deutsche Tarifvertragssystem beruhte lange Zeit auf unterschiedlichen Verteilungsprinzipien, die - da arbeitsteilig institutionalisiert - sich wechselseitig ergänzen und entlasten (vgl. Übersicht 2 der PDF-Version). Diese Kombination aus Leistungs- und Gleichheitsprinzip führte dazu, dass die institutionalisierten Verteilungsprinzipien der Tarifautonomie von Unternehmern und Beschäftigten lange Zeit mehrheitlich als sozial gerecht angesehen wurden. Dies kann man unter anderem daran ablesen, dass dieses Regelwerk trotz zum Teil heftiger Konflikte über Tarifinhalte (beispielsweise Lohnforderungen oder Arbeitszeitverkürzungen) nicht grundlegend in Frage gestellt wurde. Auch dann, wenn sich die Akteure auf einem der beiden Tariffelder ohne externe Hilfe (vor allem Schlichtung) zu keiner inhaltlichen Einigung durchringen mochten, waren dem Verhandlungsverhalten durch die zugrunde liegenden Prinzipien der Verteilungsgerechtigkeit Grenzen des moralisch Erträglichen gesetzt, die selten überschritten wurden. Daran lässt sich ablesen, dass die Legitimität des Tarifvertrags nicht allein auf seiner Eigenschaft als "second best"-Option der Nutzenmaximierung beruhte, sondern auch die Folge der Überschneidung wechselseitiger Gerechtigkeitsansprüche war.
Strukturwandel der Entlohnungsprinzipien
Seit einiger Zeit mehren sich jedoch die Anzeichen dafür, dass es mit dieser normativen Stabilität des deutschen Tarifvertragssystems vorbei ist. Warum dies so ist, zeigt ein Blick auf den anhaltenden Strukturwandel, der als "Dezentralisierung der Tarifpolitik" bezeichnet wird. Auf der einen Seite weichen Kollektivvereinbarungen, die für viele Unternehmen und Beschäftigte verbindlich sind, in zunehmendem Maße einzelbetrieblich abgeschlossenen Vereinbarungen ("Bündnisse für Arbeit"), durch Öffnungsklauseln ermöglichten Tarifabweichungen und von den Belegschaften teilweise mitgetragenen offenen Tarifbrüchen. Auf der anderen Seite ist eine zunehmende Ausweitung ertragsabhängiger Lohnkomponenten in den betrieblichen Lohnsystemen zu beobachten.
In der Konsequenz bewirken beide Trends eine stärkere Kopplung des Lohns an die jeweilige Marktlage eines Unternehmens. Diese Trends sind seit geraumer Zeit bekannt. Weniger bekannt scheint, dass sie beträchtliche Konsequenzen für die Legitimität der betrieblichen Lohnfindung in sich bergen. Denn mit der Verschiebung der Verhandlungskompetenz von der Fläche auf das einzelne Unternehmen ändert sich auch der Maßstab der Verteilungspolitik. Das Tarifsystem folgt zunehmend einer Verteilungsregel, die man als Prinzip erfolgsabhängiger Vergütung, oder prägnanter, als Marktprinzip bezeichnen kann: Derjenige Beschäftigte soll am meisten verdienen, dessen Unternehmen die höchsten Erträge am Markt erzielt.
Kern des Marktprinzips ist, dass individuelle Leistung und Entlohnung weitgehend entkoppelt sind. Nicht die Anstrengungen des Einzelnen, sondern die durch den Markt bewerteten kollektiven Anstrengungen des gesamten Unternehmens entscheiden über die Höhe der Vergütung. Zwischen Leistungs- und Marktprinzip besteht damit ein entscheidender Unterschied: Während dem Markt die Vorstellung der Maximierung von Erträgen zugrunde liegt, basiert das Leistungsprinzip auf der Idee der Reziprozität. Der Markt zielt auf maximale Erträge ab, und zwar unabhängig davon, wie hoch die Anstrengungen waren, die dazu eingesetzt wurden. Dagegen kommt dem Leistungsprinzip "immer auch eine Entschädigungsfunktion für den spezifischen Aufwand zu, der mit einem wirtschaftlichen Ergebnis verbundenwar, was die wechselseitigen Ansprüchevon Leistungen und Gegenleistungen begründet".
Das Marktprinzip verdrängt jedoch nicht nur das Leistungsprinzip, sondern auch das dem Entgelttarifvertrag zugrunde liegende Gleichheitsprinzip. Kommt es in einem Unternehmen zum Umsatzeinbruch und wird die Öffnungsklausel des Tarifvertrags in Anspruch genommen, sinken die nun gezahlten Löhne unter das vormals übliche Tarifniveau. Steigen die Unternehmenserträge wieder an, so kommt es - zumindest idealtypisch - wieder zur entsprechenden Anhebung.
Zwar sind dieser Kopplung von Unternehmenserfolg und Lohnhöhe häufig Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Management und Prüfungen durch die Tarifkommission zwischengeschaltet. Aber in der Folge wird die Einkommensungleichheit zwischen jenen Beschäftigten zunehmen, die unterschiedlichen Unternehmen angehören. In die gleiche Richtung wirken Beteiligungen am Unternehmensertrag. Da wir es hier mit einem entgeltpolitischen Automatismus zu tun haben, machen sich Schwankungen im Ertrag in der Lohntüte bemerkbar. Im Ergebnis nehmen Ungleichheiten zwischen den Beschäftigten unterschiedlicher Unternehmen der gleichen Branche im gleichen Tarifgebiet zu: Gleiche Anforderungen und Belastungen können mit ungleicher Vergütung einhergehen.
Zwar war die Bezahlung in Abhängigkeit vom Markterfolg auch in der bisherigen Entlohnungspraxis keine unbekannte Größe. In dem Maße jedoch, wie das Prinzip erfolgsbezogener Entlohnung in das Zentrum der Lohnfindung rückt, steht damit auch der Kern der tradierten Vorstellung einer gerechten Entlohnungspraxis zur Disposition: die Korrektur freier Marktlöhne durch tariflich ausgehandelte Entgeltsysteme.
Die Gerechtigkeitsvorstellungen der Beschäftigten
Damit stellt sich die Frage, wie die Beschäftigten diesen Strukturwandel vom Gleichheits- und Leistungsprinzip hin zum Marktprinzip aus dem Blickwinkel der sozialen Gerechtigkeit bewerten. Dass die Beschäftigten in hohem Maße für das Marktprinzip plädieren, ist relativ unwahrscheinlich, weil es ihnen ein deutlich höheres Einkommensrisiko aufbürdet. Insofern ist zu erwarten, dass sie an den etablierten Normen der Leistungsgerechtigkeit und des tariflichen Gleichheitsprinzips festhalten.
Die neueren empirischen Studien, die zu diesem Themenbereich durchgeführt wurden, bestätigen diese Vermutung. Schauen wir uns zunächst die Ergebnisse einer standardisierten Beschäftigtenbefragung an, die im Jahr 1999 in der westdeutschen Metallindustrie durchgeführt wurde.
Wie wir sehen, begrüßen es fast 90 Prozent der Befragten, wenn besonders leistungsfähige Beschäftigte hohe Prämien bekommen. Dagegen halten es nur rund 40 Prozent für gerecht, wenn der eigene Lohn ausschließlich von der Zugehörigkeit zu einer Tarifgruppe abhängen sollte; 60 Prozent lehnen diesen Vorschlag ab. Diese Befunde deuten auf eine nach wie hohe Akzeptanz des Prinzips der Individualleistung hin. Dagegen hat das tarifliche Gleichheitsprinzip offenbar mehrheitlich an Legitimität verloren. Im Hinblick auf das Marktprinzip fällt die Meinung der Befragten gespalten aus: Zwar finden es über 90 Prozent der Beschäftigten gerecht, an den Erfolgen des Unternehmens beteiligt zu werden. Jedoch ist nur ein gutes Drittel der Befragten bereit, im Falle von Verlusten auf einen Teil des Lohns zu verzichten.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Wandel von der Individualleistung als dominante Gerechtigkeitsregel zum Marktprinzip (Beteiligung am Unternehmenserfolg und am Unternehmensverlust) nur von einem Teil der Beschäftigten mitgetragen wird. Diesen Befund bestätigt auch eine in den Jahren 2001 bis 2003 durchgeführte Fallstudie in je einem Unternehmen der deutschen Metall- und Elektroindustrie.
Nun sind Gerechtigkeitsvorstellungen für den Einzelnen keine unverrückbaren Glaubensgrundsätze. Vielmehr eignen sich die Menschen ihre Ansichten auch in Abhängigkeit von der sozialen Umgebung an, in der sie sich für längere Zeit aufhalten. Einer der recht gut dokumentierten Einflussfaktoren ist in den Unternehmen selbst zu suchen. In einer weiteren Analyse der oben erwähntenstandardisierten Beschäftigtenbefragung konnte nachgewiesen werden, dass die Beteiligung am Unternehmensergebnis dann als sozial gerecht gilt, wenn die Beschäftigten sich sicher sein können, dass sie bei der rechnerischen Ermittlung des Betriebsergebnisses vom Management des jeweils eigenen Unternehmens nicht benachteiligt werden.
Im Einzelnen ergab diese Untersuchung Folgendes: Die Beschäftigten sprechen sich - erstens - dann für das Marktprinzip aus, wenn in ihrem Unternehmen ein durchsetzungsstarker Betriebsrat existiert. Ursächlich dafür ist, dass ein starker Betriebsrat am ehesten imstande ist, die Ermittlung des unternehmerischen Markterfolgs und die daraus folgenden Verteilungsprozesse zu kontrollieren. Zweitens stimmen sie stärker dem Prinzip der Marktgerechtigkeit zu, wenn sie sich in der Vergangenheit durch das Management fair behandelt fühlten. Unter diesen Umständen vertrauen sie darauf, zukünftig auch bei einer größeren Marktabhängigkeit der Entlohnung vom Management gerecht behandelt zu werden. Ein Management, das Offenheit bei der Bestimmung des Markterfolgs walten lässt, kann damit auf höhere Akzeptanz des Marktprinzips hoffen als eine Unternehmensleitung, die versucht, das Betriebsergebnis zum Nachteil der Beschäftigten klein zu rechnen.
Wie bedeutsam eine um Offenheit bemühte Politik des Managements für die Akzeptanz von Lohnkürzungen ist, bestätigt auch eine jüngst durchgeführte repräsentative Bevölkerungsumfrage, in der Gerechtigkeitsbewertungen gegenüber Entlassungen und Lohnkürzungen erhoben wurden.
Schlussfolgerungen
Aus den vorgestellten Befunden lassen sich meines Erachtens zwei Schlussfolgerungen für die zukünftige Lohnpolitik in einer sich rasch wandelnden Arbeitsgesellschaft ziehen. Die erste Schlussfolgerung lautet: Die derzeitige Umstellung der Lohnfindungskriterien weg vom Leistungs- und Gleichheitsprinzip und hin zum Marktprinzip kann dazu führen, dass die Akteure der deutschen Arbeitsbeziehungen weiter an Legitimität verlieren werden. Wie die vorgestellten empirischen Befunde zeigen, wird das Marktprinzip von den Beschäftigten überwiegend mit Skepsis aufgenommen. Zwar hält eine Mehrheit der Befragten die Gewinnbeteiligung für gerecht, nicht aber die Kopplung des eigenen Lohns an eventuelle Unternehmensverluste.
Von diesem Legitimationsverlust werden vor allem die Gewerkschaften betroffen sein. Auf der einen Seite haben sie dem seit Jahren aufgebauten Druck der Arbeitgeberseite nachgegeben und in zunehmendem Maße betriebsspezifischen Öffnungen von Tarifverträgen zugestimmt. Auf der anderen Seite sind es genau diese Flexibilisierungen, deren Folgen - temporäre Lohnsenkungen - im Falle von unternehmerischen Absatzkrisen von den Beschäftigten mehrheitlich als sozial ungerecht angesehen werden.
Aber auch die Unternehmen können in die Kritik der Beschäftigten geraten. Dies ist dann der Fall, wenn sie versuchen, einen Teil des Marktrisikos auf die Beschäftigten abzuwälzen, indem sie maßgebliche Lohnanteile an den Unternehmenserfolg koppeln. Wie die Gerechtigkeitsforschung zeigt, kann dieser Bruch mit dem Leistungsprinzip als zentraler Legitimationsnorm der Arbeitsgesellschaft unter bestimmten Bedingungen zu Motivationsverlusten auf der Beschäftigtenseite ("Dienst nach Vorschrift") bis hin zu Kündigungen führen.
Die zweite Schlussfolgerung bezieht sich auf die Frage, ob es möglich ist, die beschriebenen Legitimationsverluste zu vermeiden oder zumindest gering zu halten. Dies könnte möglicherweise dann gelingen, wenn sich die deutsche Arbeitsgesellschaft auf ihre langjährige korporatistische Tradition besinnt, nämlich auf Verhandlung und Interessenausgleich zwischen Kapital und Arbeit sowie auf Berechenbarkeit von Unternehmensentscheidungen und Teilhabebereitschaft gegenüber den Beschäftigten. Genau dies lehren uns die oben präsentierten empirischen Befunde: Sind die Betriebsräte stark und bemüht sich das Management um Offenheit und Vertrauen, so können sich Ungerechtigkeitsbewertungen und damit verbundene Legitimitätsverluste in Grenzen halten.