Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die Christliche Rechte in den USA | Religion in der Gesellschaft | bpb.de

Religion in der Gesellschaft Editorial Krieg der Religionen? Religionen in Konflikten - eine Herausforderung für die Friedenspolitik Die Zivilisierung der Religionen als Ziel staatlicher Religionspolitik? Die Christliche Rechte in den USA Politische Ethik im Christentum

Die Christliche Rechte in den USA

Manfred Brocker

/ 18 Minuten zu lesen

Seit 30 Jahren nimmt die "Christliche Rechte" Einfluss auf die amerikanische Politik. Nach aggressiven Anfängen hat sie inzwischen einen Prozess der Moderierung und Professionalisierung durchlaufen. Doch ihre Erfolgsbilanz bleibt bescheiden.

Einleitung

Entgegen allen Erwartungen hinsichtlich eines Bedeutungsverlustes religiöser Konfliktlinien in modernen westlichen Gesellschaften entstand in den USA in den 1970er Jahren die Protestbewegung der so genannten "Christlichen Rechten". Ihre Organisationen, darunter "Moral Majority", "Religious Roundtable" und "Christian Voice", stritten lautstark für eine Rechristianisierung Amerikas. Die politische Mobilisierung des evangelikalen, insbesondere des fundamentalistischen Protestantismus stellte ein neuartiges Phänomen dar, das sogleich Besorgnisse vor einer bibelbasierten Revision zentraler liberaler Verfassungselemente auslöste. Nicht wenige Beobachter sahen deutliche Parallelen zum islamischen Fundamentalismus. Es handele sich, so glaubten sie, bei dieser Bewegung um Radikale, die das politische System verändern und eine Theokratie errichten wollten. "I am beginning to fear", erklärte etwa US-Präsident Jimmy Carters Gesundheitsministerin Patricia Harris 1980, "that we could have an Ayatollah Khomeini in this country".


Buchtitel wie "Holy Terror", "God's Bullies" oder "The Anti-Americanism of the Religious Right" spiegelten die kritische Bewertung des politisierten "Fundamentalismus" in Amerika wider. Und während die einen seine weitere Radikalisierung fürchteten, sagten ihm andere angesichts seiner extrem konservativen Agenda nur eine kurze Lebensdauer voraus. Doch beide Prognosen erwiesen sich als falsch. Tatsächlich konnte sich die Christliche Rechte dauerhaft als politische Kraft in den USA etablieren. Nach aggressiven Anfängen durchlief sie einen Transformationsprozess, der durch organisatorische Reformen sowie eine programmatische und strategische Moderierung gekennzeichnet war. Diese Anpassung wurde durch jene Eigenschaften des amerikanischen politischen Systems veranlasst, die eine strukturelle Offenheit und Partizipationsorientiertheit gegenüber sozialen Gruppen und Bewegungen bedingen, deren Aktivitäten aber auch kanalisieren.

Im Folgenden soll nun die Christliche Rechte und ihre Entwicklung skizziert werden: Wer sind ihre Mitglieder, wie sehen ihre Ziele aus und welche Erfolge hat sie heute, 30 Jahre nach ihrer Gründung, vorzuweisen?

Der amerikanische "Evangelikalismus"

Die Anhänger der "Christlichen Rechten" rekrutieren sich aus dem Kreis der "Evangelikalen". Gemeint sind damit jene Gläubige, die die Verkündigung des Evangeliums als zentrale Aufgabe betrachten, an die Unfehlbarkeit der Bibel und an die Notwendigkeit einer persönlichen Hinwendung zu Jesus Christus als einzigem Weg der Erlösung glauben und diese meist als spirituelle "Wiedergeburt" ("born again") bezeichnen. Trotz solcher Gemeinsamkeiten bestehen in wichtigen theologischen Fragen durchaus Auffassungsunterschiede zwischen den verschiedenen ("neo-evangelikalen", "fundamentalistischen" und "pfingstlerisch-charismatischen") Strömungen des Evangelikalismus, die lange ein erhebliches Konfliktpotenzial bargen, inzwischen aber eher an Bedeutung verloren haben.

Angaben über den Anteil der weißen Evangelikalen an der amerikanischen Bevölkerung schwanken zwischen 23 und 26 Prozent, etwa ein Drittel davon sind protestantische Fundamentalisten und zirka ein Fünftel Pfingstler und Charismatiker. Umfragedaten zeigen, dass Evangelikale etwas schlechter ausgebildet und weniger vermögend sind als andere Weiße; sie wohnen vornehmlich im ländlichen Süden und Mittleren Westen der USA, sind aber auch in westlichen Bundesstaaten wie Washington und Oregon in größerer Zahl anzutreffen. Viele von ihnen haben sehr konservative Einstellungen in politischen wie soziomoralischen Fragen.

Die Christliche Rechte

Bis in die 1970er Jahre hinein war der amerikanische Evangelikalismus weitgehend unpolitisch. Erst danach kam es - in Reaktion auf die Protestaktivitäten linksliberaler sozialer Bewegungen wie der Studenten-, Friedens-, Frauen- und Homosexuellenbewegung, auf die Entstehung einer studentisch geprägten "Gegenkultur" mit ihrer Ablehnung von protestantischer Leistungsethik und bürgerlicher Sexualmoral und vor allem aufgrund verschiedener Urteile des Obersten Bundesgerichts, die das Morgengebet und die Bibellektüre an öffentlichen Schulen verboten und die Abtreibung legalisierten - zu einer (partiellen) politischen Mobilisierung.

Fundamentalistische Radio- und Fernsehprediger wie Jerry Falwell, James Robison und Timothy LaHaye riefen jetzt eigene Organisationen ins Leben und warben unter ihren Zuschauern und in ihren Gemeinden Mitglieder und Aktivisten an. Seit Ende der 1980er Jahre betätigten sich zudem Geistliche und Laien anderer evangelikaler Strömungen als politische Unternehmer und gründeten Organisationen wie "Christian Coalition", "Family Research Council" und "American Family Association". Neben "Fundamentalisten" wurden so nun zunehmend auch "Neo-Evangelikale", "Pfingstler" und " Charismatiker" in größerer Zahl politisch aktiv.

Besonders effektiv agierte in den 1990er Jahren die "Christian Coalition", die der Fernsehprediger Pat Robertson nach seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur 1988 ins Leben gerufen hatte. Ihren enormen Erfolg verdankte sie ihrem lokalen, dezentralisierten Aufbau. Während ältere Organisationen wie die kurzlebige "Moral Majority" allein auf der nationalen Bühne politisch tätig geworden waren und langfristig kaum Mitglieder an sich hatten binden können, gründeten Robertson und sein Generalsekretär Ralph Reed gezielt lokale und regionale Untergliederungen, für deren Leitungsgremien sie keine Geistlichen, sondern Geschäftsleute, Hausfrauen, Lehrer und Pensionäre rekrutierten.

Bis 1998 wuchs die "Christian Coalition" stetig: Die Zahl ihrer Mitglieder stieg von 25 000 im Jahr 1990 auf 2,1 Millionen im Jahr 1998. Danach allerdings verlor sie deutlich an Zuspruch. Innerorganisatorische Querelen und personalpolitische Fehlentscheidungen des Gründers verursachten den Niedergang der in den 1990er Jahren öffentlichkeitswirksamsten Gruppierung. Im Ganzen veränderte sich dadurch die Zahl der Anhänger der Christlichen Rechten allerdings kaum: Ähnlich einem System kommunizierender Röhren konnten die Verluste dort durch steigende Mitgliederzahlen bei anderen Gruppierungen aufgefangen werden. Insgesamt dürften heute etwa sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder und 100 000 bis 150 000 als Aktivisten zur Christlichen Rechten zu zählen sein; mehr als 15 Prozent aller Wähler bekunden in Umfragen Sympathien für die Organisationen.

Von Beginn an versuchte die Christliche Rechte auf die Grundstrukturen der soziokulturellen Normierung Einfluss zu nehmen. Doch während in den achtziger Jahren der Kampf für die moralische Erneuerung der Gesellschaft als Feldzug gegen den Liberalismus, Humanismus, Feminismus und Säkularismus verstanden worden war, dominieren seit den neunziger Jahren konkretere politische Forderungen die Programme. Innenpolitisches Ziel der Christlichen Rechten ist es, durch ein Verbot der "Homo-Ehe", der Internet-Pornographie und des (Internet-) Glücksspiels, ein Verbot der Abtreibung, der Euthanasie, der Stammzellforschung und des Klonens, die Wiedereinführung des Schulgebets, die Berücksichtigung der biblischen Schöpfungsgeschichte (statt der Darwin'schen Evolutionstheorie) im Biologieunterricht, die staatliche Förderung religiöser (evangelikaler) Privatschulen u.a. die christlich-protestantisch geprägte "Leitkultur" der USA in ihrem Sinne wieder herzustellen und den seit den 1960er Jahren beschleunigten Prozess der soziokulturellen Modernisierung und Liberalisierung aufzuhalten bzw. umzukehren. Sie betrachten Amerika als erwählte Nation, deren christliche Grundlagen erhalten werden müssten, um Gottes Schutz und Gnade nicht zu verlieren.

Außenpolitisch vertrat die Christliche Rechte lange Zeit eher eine isolationistische denn eine aktiv-interventionistische Position: Amerika wurde als "exemplar nation" gesehen, als Vorbild für die Welt, nicht als " crusader state". Der 11. September 2001 und der Beginn des Irakkrieges bewirkten jedoch - parallel zum allgemeinen Trend in der Bevölkerung - eine Änderung ihrer Haltung und führten zu einer Allianz mit den Neo-Konservativen, die eine unilaterale Politik der Interventionen befürworten. Diese Verbindung ist erstaunlich, da beide Gruppen in ideologischer Hinsicht und bei der Beurteilung anderer politischer Fragen durchaus unterschiedliche Meinungen vertreten.

Eher typisch für die Christliche Rechte ist die Ablehnung Internationaler Organisationen (wie der UNO, UNESCO etc.), die in ihren Augen die Souveränität der USA bedrohen und durch Konferenzen und das Lancieren internationaler Konventionen eine "säkular-liberale", "antichristliche" Politik betreiben. Genannt werden etwa die UN-Konferenz über die Rechte der Frauen und über Bevölkerungspolitik, die UN-Konvention über die Rechte der Kinder oder das UN-Biosphären-Programm.

Starke Unterstützung findet bei der Christlichen Rechten der Staat Israel. Die Forderung nach einer israelfreundlichen Politik der US-Regierung wird dabei eschatologisch begründet: Danach gilt die Gründung des Staates Israel als Zeichen für die bevorstehende Wiederkehr Christi, die ohne die Existenz eines jüdischen Staates in seinen biblischen Grenzen nicht erfolgen könne. Insofern spricht man sich u.a. gegen die Rückgabe besetzten Landes und gegen die Gründung eines eigenen Palästinenserstaates aus.

Weiterhin setzt sich die Christliche Rechte für die Religionsfreiheit "in Übersee" ein und protestiert gegen "Christenverfolgungen" in China und in muslimischen Ländern wie dem Sudan, gegen die nach ihrer Auffassung Handelssanktionen verhängt werden sollten. Insbesondere der Islam ist seit den Anschlägen des 11. September 2001 zu einem neuen Feindbild avanciert. Führer der Christlichen Rechten sehen in ihm eine "böse, unmenschliche Religion", die einen "Heiligen Krieg" gegen den ("christlichen") Westen führe. Diese Herausforderung müsse man annehmen und sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr setzen.

Politische Strategien

Um ihre Forderungen durchzusetzen, bedienten sich die Organisationen der Christlichen Rechten anfänglich durchaus aggressiver - wenn auch nicht militanter - Mittel. Konfrontative Aktionen wie die Blockade von Abtreibungskliniken, Massendemonstrationen vor dem Gebäude des Kongresses und des Obersten Bundesgerichts prägten ihr öffentliches Erscheinungsbild in den frühen 1980er Jahren. Als sich jedoch im Laufe der Zeit die Erfolglosigkeit ihres Vorgehens zeigte und ihr "bullying" selbst nahe stehende Abgeordnete und Präsident Reagan abschreckte, adaptierten sie sukzessive die Methoden anderer bereits etablierter politischer Interessengruppen. Seither operieren die Organisationen eher wie die amerikanische "United Auto Workers"-Gewerkschaft denn als religiös-fundamentalistische Protestbewegungen in anderen Teilen der Welt. So gehört zu ihrem neuen Strategien-Repertoire das (Insider-)Lobbying in Kongress, Weißem Haus und vor den Gerichten (letzteres durch das Führen von Musterprozessen oder das Einreichen eigener Rechtsgutachten in wichtigen Verfahren), die Initiierung oder Unterstützung von Referenden auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene (etwa gegen die "Homo-Ehe"), die Beeinflussung des "Meinungsklimas" durch Anzeigenkampagnen in den Medien sowie die Publikation von Büchern und Broschüren. Darüber hinaus aber hat die Christliche Rechte in den letzten 20 Jahren vor allem zwei Wege der politischen Einflussnahme beschritten: die "Infiltration" der Führungsgremien der Republikanischen Partei (G.O.P.) und die Wählermobilisierung für konservative Kandidaten auf lokaler, einzelstaatlicher und nationaler Ebene.

Infiltration der Republikanischen Partei

Spätestens mit der Präsidentschaftskandidatur des Fernsehpredigers Pat Robertson 1987/1988 begann die Christliche Rechte, die Führungsgremien der G.O.P. gezielt zu "unterwandern", um Einfluss auf deren Kandidaten- bzw. Delegiertenauswahl (für die Parteitage) und das Parteiprogramm zu nehmen. Untersuchungen belegen den Erfolg dieser Strategie. Kimberly Conger und John Green konnten zeigen, dass die Christliche Rechte im Jahr 2000 in 18 Bundesstaaten über einen "starken Einfluss" auf die Partei (vor allem im Süden, Mittleren Westen und Westen der USA) verfügte, d.h. mehr als 50 Prozent der jeweiligen Parteivorstände stellte. In 26 Staaten hatte sie einen "moderaten Einfluss" - ihre Mitglieder hatten dort zwischen 25 und 50 Prozent der Vorstandssitze inne. Nur in sechs Staaten war ihre Bedeutung "gering" (Nordosten).

Die starke Position, die die Christliche Rechte in der Bundespartei und zahlreichen Landesverbänden der G.O.P. aufbauen konnte, versetzte sie in die Lage, bei der Auswahl von Kandidaten ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Dabei verzichtete sie jedoch weitgehend darauf, eigene Leute auf dem Ticket der Partei zu platzieren, die in den Augen der Wähler als zu "ideologisch" betrachtet worden wären. Als aussichtsreicher erwies es sich, konservative Kandidaten aus der G.O.P. selbst zu unterstützen, die der Bewegung zwar nicht angehörten, ihrem Forderungskatalog aber aufgeschlossen gegenüberstanden. Dieses Vorgehen hatte in nicht wenigen Fällen Erfolg. Es trug mit dazu bei, dass die Reihen der G.O.P. in beiden Häusern des Kongresses mit einer Vielzahl äußerst konservativer Abgeordneter besetzt werden konnten.

Auch der Blick auf die Programmatik der G.O.P. macht den wachsenden Einfluss der Christlichen Rechten vor allem in soziomoralischen Fragen sichtbar: Die Bundeswahlprogramme, die allerdings kaum Verbindlichkeit für erfolgreiche Kandidaten besitzen, sind - ebenso wie die "platforms" zahlreicher "state parties" - deutlich konservativer geworden. So fordern sie seit einiger Zeit ein verfassungsrechtlich verankertes striktes Abtreibungsverbot und ein Verbot der Sterbehilfe. Homosexuelle sollen nach Auffassung der Partei nicht mehr im Militär dienen und keine gleichgeschlechtlichen Ehen eingehen dürfen. Der Konfessionsschulbesuch sollte durch Bildungsgutscheine oder steuerliche Maßnahmen gefördert, das Recht zum "home schooling" von allen Bundesstaaten anerkannt werden. Das Schulgebet sollte an die öffentlichen Schulen zurückkehren, der Sexualkundeunterricht dagegen abgeschafft oder durch ein "Abstinence Only" -Programm ersetzt werden, das die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe als moralisches Leitbild vermittelt.

Wählermobilisierung

Gerade durch ihre programmatische Neu-Positionierung gelang es umgekehrt der G.O.P., Evangelikale als Stammwähler zu gewinnen. Mobilisiert wurden sie dabei von den Organisationen der Christlichen Rechten, die Evangelikale vor den Wahlen gezielt ansprachen und zur Stimmabgabe für Republikanische Kandidaten motivierten. Umfragen dokumentieren den Erfolg dieser Strategie: Allein zwischen 1994 und 1998 stieg der Anteil aller "traditionalistischen", d.h. besonders strenggläubigen Evangelikalen (das sind etwa 13 Prozent der Bevölkerung), die für einen Republikanischen Abgeordneten oder Senator votiert hatten, von 71 auf 79 Prozent. Schließt man die "nicht-traditionalistischen" Evangelikalen mit ein, stellten evangelikale Protestanten Ende der 1990er Jahre mehr als ein Drittel aller Republikanischen Wähler.

Sofern sie nicht politisch gänzlich Abstinenz geübt hatten, waren Evangelikale in den 1950er und 1960er Jahren noch ein fester Bestandteil der demokratischen "New Deal"-Wählerkoalition. Seither hatte sich offenbar ein religiöses "realignment" vollzogen. Evangelikale kehrten - wie auch konservative Katholiken - der Demokratischen Partei zunehmend den Rücken. Nicht zuletzt deshalb trug George W. Bush in der Präsidentschaftswahl 2004 den Sieg über John F. Kerry davon: 82 Prozent der weißen evangelikalen Wähler, die mindestens einmal pro Woche zur Kirche gingen, hatten für Bush votiert, während nur 46 Prozent der übrigen Stimmen an ihn gegangen waren. Fast ein Viertel dieser weißen Evangelikalen sagte, mit Blick auf die persönlichen Eigenschaften der Kandidaten habe vor allem deren Glaube ihre Wahlentscheidung beeinflusst; nur fünf Prozent der übrigen Wähler erklärten sich ebenso.

Die Kongresswahlen 2006 bedeuteten jedoch eine Zäsur in der Erfolgsgeschichte der Republikanisch-evangelikalen Wählerallianz. Erstmals seit 1995 übernahm die Demokratische Partei in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit. Hieraus auf ein Ende der nationalen Bedeutung dieser Allianz zu schließen, wäre allerdings verfrüht: Denn es waren kurzfristig wirksame Faktoren, insbesondere der Verlauf des Irakkrieges und eine Reihe von Sex- und Korruptionsskandalen, die die Stimmverluste der Republikaner bei allen Wählergruppen - auch bei den Evangelikalen, von denen diesmal nur etwa 70 Prozent für die Partei votierten - verursachten. Zahlreiche der aktivsten Förderer der Christlichen Rechten im Kongress wie der Senator Rick Santorum (Pennsylvania) und die Abgeordneten Jim Ryun (Kansas) sowie John Hostettler (Indiana) verloren ihre Mandate.

Die Christliche Rechte und George W. Bush

Anders als es in Europa vor allem zu Beginn des Irakkriegs wiederholt geschah, darf George W. Bush nicht als Exponent oder gar "Marionette" des politisierten "Fundamentalismus" in den USA betrachtet werden. Der gegenwärtige US-Präsident hat ein primär wahlstrategisch bestimmtes Verhältnis zur Christlichen Rechten. Von Anfang an war er sich der Tatsache bewusst, dass er ohne das evangelikale Wählersegment keine Wahl- bzw. Wiederwahlchance hatte. Zugleich war ihm klar, dass er ebenso dringend - vielleicht dringlicher noch - die Unterstützung der anderen republikanischen Stammwählergruppen brauchte - etwa der Wirtschaftsliberalen, die in soziomoralischen und religionspolitischen Fragen eher moderat eingestellt sind. Entsprechend beließ es Bush gegenüber der Christlichen Rechten bei symbolischen Gesten und rhetorischen Avancen, die diese Klientel zufrieden stellen sollte, ohne andere Wählergruppen zu verprellen.

So unternahm er keine konkreten Schritte, um die Abtreibung zu verbieten oder das Schulgebet wieder einzuführen. Im Gegenteil: Mit Blick auf moderate Wählergruppen distanzierte er sich schon in seinem ersten Wahlkampf 1999/2000 von der Forderung nach einem strikten Verbot aller Abtreibungen (auch bei Inzest, Vergewaltigung und Lebensgefahr für die Schwangere) der Republikanischen Wahlkampfplattform. Zwar setzte er sich nach seinem Amtsantritt vor allem vor den Kongress- bzw. Präsidentschaftswahlen 2002, 2004 und 2006 immer wieder demonstrativ für Themen ein, die der Christlichen Rechten am Herzen lagen: das verfassungsrechtliche Verbot von "Homo-Ehen" etwa oder das Verbot von Spätabtreibungen oder die Beschränkung der embryonalen Stammzellforschung. Kostbares politisches Kapital investierte er jedoch nicht, um diese - in der Bevölkerung umstrittenen - Forderungen durchzusetzen. Der Verfassungszusatz zum Verbot der "Homo-Ehe" scheiterte so bereits im Kongress, ohne dass der Präsident besonders intensiv um Unterstützung für die Vorlage geworben hätte. Das verabschiedete und von Bush unterzeichnete gesetzliche Verbot von Spätabtreibungen erklärten Bundesgerichte später - wie zu erwarten war - für verfassungswidrig. Dies hätte nur durch eine Verfassungsänderung verhindert werden können, die der Präsident jedoch nicht anregte. Und die von ihm gefundene Regelung zur Stammzellforschung bedeutete einen Kompromiss, der erkennbar die Interessen von Wirtschaft und Wissenschaft berücksichtigte und die Rechtschristen entsprechend wenig zufrieden stellte.

Dass Bushs Umgang mit der Christlichen Rechten wahlstrategisch motiviert war, zeigt schließlich der Blick auf seine Außenpolitik. Hier machte er der Bewegung nicht einmal rhetorisch Zugeständnisse. Während die Christliche Rechte früh "den Islam" als neuen "Satan" und "Inbegriff des Bösen" angeprangert hatte, den die USA bekämpfen müsse, bemühte sich Bush immer wieder - insbesondere während des Afghanistan- und Irak-Feldzugs -, den Eindruck eines "clash of civilizations", eines religiös motivierten "Kreuzzuges" gegen den Islam zu vermeiden. Verantwortlich für die Anschläge des 11. September 2001 sei nicht "der Islam", betonte Bush wiederholt, sondern "Terroristen", die den Namen dieser Religion missbrauchten. Während führende Vertreter der Christlichen Rechten verkündeten, der Islam sei antisemitisch, ja "abgrundtief böse", distanzierte sich Bush mehrfach mit deutlichen Worten von diesen pauschalen Verurteilungen - und nahm dafür die scharfe Kritik der Christlichen Rechten in Kauf.

Bushs Außenpolitik ist durch realpolitisch orientierte "standard-konservative" Berater beeinflusst, für die weniger christlich-evangelikale Glaubensinhalte als vielmehr amerikanische Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen im Vordergrund stehen - wie im Übrigen in der Innenpolitik vor allem die Wirtschaftslobby (und nicht die Christliche Rechte) mit der Bilanz der Bush-Administration zufrieden sein kann.

Erfolgsbilanz

Überblickt man die 30 Jahre ihrer Existenz, so hat die Christliche Rechte einen Lern- und Anpassungsprozess durchlaufen, der ihre organisatorische Struktur gestärkt und ihr Strategienrepertoire erweitert hat. Sehr viel besser als in den Anfangsjahren gelingt es ihr heute, Mitglieder langfristig an sich zu binden, stabile Finanzierungsquellen aufzutun und sich als seriöser "Mitspieler" im politischen Prozess in Szene zu setzen.

Doch trotz der erfolgreichen Anpassung an die Funktionsimperative des politischen Systems und der positiven innerorganisatorischen Entwicklung blieben größere Erfolge bei der Durchsetzung der Agenda aus. Zwar zeigten ihre Lobbyaktivitäten bisweilen durchaus Wirkung: So wurden gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz von Homosexuellen vor Diskriminierung im Kongress wiederholt blockiert; "Abstinence only"-Programme" (statt des früheren Sexualkundeunterrichts) werden inzwischen an vielen öffentlichen Schulen durchgeführt und vom Kongress finanziell unterstützt. Das milliardenschwere Programm zur Bekämpfung von AIDS in Afrika und der Karibik wurde im Kongress so formuliert, dass vor- und außereheliche Enthaltsamkeit als Leitbild vermittelt werden muss. Zudem reaktivierte Bush die "Mexico City Policy", wonach keine staatlichen Gelder an Organisationen fließen dürfen, die in ihren Familienplanungsprogrammen Abtreibung nicht ausschließen. Aus eben diesem Grund wurde dem "UN Fund for Population Activities" die Zuweisung von bereits bewilligten Mitteln durch den Präsidenten verweigert. Weiterhin erhebt der "International Religious Freedom Act" von 1998 die Verteidigung der Religionsfreiheit zu einem wesentlichen Ziel der amerikanischen Außenpolitik.

Ihre zentralen Anliegen aber konnte die Christliche Rechte letztlich nicht durchsetzen: So bleibt das Schulgebet an den öffentlichen Schulen verboten, und auch die Abtreibungsentscheidung des Obersten Bundesgerichts von 1973 (Roe v. Wade) erfuhr keine Revision. Weder wurde die Pornographie vollständig illegalisiert noch der Zugang zu ihr via Internet oder Kabelfernsehen effektiv eingeschränkt. Darwins Evolutionstheorie wird weiterhin an den öffentlichen Schulen unterrichtet, die zudem nach wie vor "säkular humanistische" Lehrbücher verwenden und ihre Curricula multikulturell ausrichten.

Zwar gelang es der Christlichen Rechten, die öffentliche Diskussion über die Bedeutung von Werten und die Grundlagen der Moral wiederzubeleben und zu intensivieren. Tatsächlich ist die "religiöse Rede" ("God Talk") in der Öffentlichkeit längst wieder hoffähig geworden, und selbst viele demokratische Bewerber präsentierten sich in ihren Wahlkämpfen 2006 häufig als "people of faith". Doch Auswirkungen auf den sozialen und politischen Wandel in den USA hatte all dies nicht. Vielmehr zeigen Umfragen, dass die Einstellung der amerikanischen Bevölkerung zur Stellung der Frau in der Gesellschaft, zur Homosexualität, zur Pornographie und zu anderen soziomoralischen Fragen (mit Ausnahme der Abtreibung) nach der Jahrtausendwende liberaler ist als 30 Jahre zuvor, als die Christliche Rechte ihre Anhänger politisch zu mobilisieren begann. Das selbst gesteckte Ziel, die in der "jüdisch-christlichen Tradition" der USA begründete Werteordnung gegen das Vordringen "individualistisch-hedonistischer" Auffassungen und Lebensformen zu verteidigen oder diesen Trend gar umzukehren, hat sie damit eindeutig verfehlt. Im Hinblick auf ihren gesamtgesellschaftlichen Einfluss, so lässt sich abschließend sagen, fällt die Christliche Rechte deutlich hinter andere soziale Bewegungen des 20. Jahrhunderts wie beispielsweise die Bürgerrechts- oder die Frauenbewegung zurück.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Zitiert in: Jeffrey K. Hadden/Charles E. Swann, Prime Time Preachers. The Rising Power of Televangelism, Reading, Mass. 1981, S. 149.

  2. Vgl. hierzu im Einzelnen: Manfred Brocker, Protest - Anpassung - Etablierung. Die Christliche Rechte im politischen System der USA, Frankfurt/M.-New York 2004.

  3. Zum amerikanischen Evangelikalismus vgl. James D. Hunter, American Evangelicalism. Conservative Religion and the Quandary of Modernity, New Brunswick, N. J. 1983; Nancy T. Ammerman, Bible Believers. Fundamentalists in the Modern World, New Brunswick, N. J.-London 1987.

  4. Vgl. Manfred Brocker/Clyde Wilcox, Die Christliche Rechte und die Präsidentschaftswahl von 2004, in: Torsten Oppelland/Werner Kremp (Hrsg.), Die USA im Wahljahr 2005, Trier 2005, S. 164ff.

  5. Vgl. Clyde Wilcox, Onward Christian Soldiers? The Religious Right in American Politics, Boulder, Col. 2000 2 , S. 45ff.; John Cochran, New Heaven, New Earth, in: Congressional Quarterly vom 17. 10. 2005, S. 2773.

  6. Vgl. M. Brocker (Anm. 2), S. 35ff.

  7. Vgl. Clyde Wilcox, Whither the Christian Right? The Elections and Beyond, in: ders./Stephen J. Wayne (Eds.), The Election of the Century, Armonk, N. Y.-London 2002, S. 116f.

  8. 84 Prozent der weißen Evangelikalen missbilligen die Zulassung von gleichgeschlechtlichen Ehen, 73 Prozent sprechen sich auch gegen "eingetragene Lebenspartnerschaften" für Homosexuelle aus. Der Unterschied zum Bevölkerungsdurchschnitt ist in dieser Frage allerdings nicht besonders groß: Nur 25 Prozent unterstützen die "Homo-Ehe", 35 Prozent die eingetragene Lebenspartnerschaft ("civil union"); vgl. David Brooks, The Values-Vote Myth, in: New York Times on the Web, 6. 11. 2004 (14. 11. 2005).

  9. Evangelikale lehnen mehrheitlich das in den USA bestehende (sehr liberale) Abtreibungsrecht ab, doch für ein ausnahmsloses Verbot plädiert nur eine Minderheit; vgl. C. Wilcox (Anm. 5), S. 49ff.

  10. In der Außenpolitik räumen jetzt 40 Prozent der Evangelikalen dem Aufbau militärischer Stärke die oberste Priorität ein und 30 Prozent dem Kampf gegen den Terrorismus; vgl. Poll: America's Evangelicals More and More Mainstream But Insecure, in: Religion & Ethics News Weekly vom 16. 4. 2004; http://www.pbs.org/wnet/religionandethics/week733/p-release.html (16. 11. 2006).

  11. Vgl. Tarek Mitri, In Gottes Namen? Politik und Religion in den USA, Frankfurt/M. 2005, S. 131ff.; Stefan Halper/Jonathan Clark, America Alone. The Neo-Conservatives and the Global Order, Cambridge 2004, S. 18ff.

  12. Martin Kilian, Eine böse, verdorbene Religion, in: Die Weltwoche, (2003) 7; http://www.weltwoche.ch; Verbal Attacks on Muslims by Conservative Christians, in: http://www.religioustolerance.org/reac_ter 18.htm (15. 11. 2006).

  13. Initiativen und Referenden verliefen für die Christliche Rechte überwiegend erfolgreich: In einer Zufallsstichprobe wurden für die Zeit zwischen 1994 und 2000 150 "ballot initiatives" auf kommunaler und einzelstaatlicher Ebene ausgewählt. In 42 Fällen (= 28 Prozent) waren Organisationen der Christlichen Rechten aktiv, und in 24 davon entsprach der Ausgang des Referendums ihrer Position (= 57 Prozent); vgl. M.Brocker (Anm. 2), S. 249ff. Verhindert wurden auf diese Weise etwa die Zulassung der aktiven Sterbehilfe, die Legalisierung von Marihuana und die Einführung der "Homo-Ehe". Vor allem letzteres wurde zu einem zentralen Thema der Christlichen Rechten.

  14. Vgl. M. Brocker (Anm. 2), S. 191ff.

  15. Vgl. etwa John F. Persinos, Has the Christian Right Taken Over the Republican Party?, in: Campaigns and Elections, 15 (September 1994), S. 20-24.

  16. Kimberly H. Conger/John C. Green, Spreading Out and Digging In. Christian Conservatives and State Republican Parties, in: Campaigns and Elections, 23 (Februar 2002), S. 58-65.

  17. Für Einzelnachweise aus den Programmen der 1990er Jahre vgl. M. Brocker (Anm. 2), S. 208ff. Für die "Republican Party Platform" 2004, die die meisten der genannten Forderungen wiederholte, vgl. http://www.gop.com/media/2004platform.pdf. (25. 7. 2005).

  18. Vgl. C. Wilcox (Anm. 7), S. 116f.; Scott Keeter, Evangelicals and the GOP. Pew Research Center, 18.10.2006, in: http://pewresearch.org/obdeck/?ObDeckID=78 (16. 12. 2006).

  19. Angaben nach: John C. Green, Religion and Politics in the 1990s. Confrontations and Coalitions, in: Mark Silk (Ed.), Religion and American Politics. The 2000 Election in Context, Hartford, Ct. 2000, S. 20ff.; S.Keeter, ebd.

  20. Vgl. M. Brocker/C. Wilcox (Anm. 4), S. 180f.

  21. Vgl. WHIOTV.com, Sex, Corruption Peeved Evangelical Voters; 9. 11. 2006, in: www.whiotv.com/print/10282754/detail.html (16.11. 2006); Jane Little, US elections: Which side was God on?, in: BBC News vom 14. 11. 2006, in: http://news vote.bbc.co.uk (16.11. 2006).

  22. Vgl. Manfred Brocker, Europäische Missverständnisse über die öffentliche Präsenz von Religion in den USA, in: Gerhard Besier/Hermann Lübbe (Hrsg.), Politische Religion und Religionspolitik, Göttingen 2005, S. 145 - 166.

  23. Nach seiner Nominierung für die Präsidentschaftswahl 2000 deklarierte Bush etwa kurzerhand den 10.Juni zum "Jesus Tag" in Texas.

  24. Vgl. Matthias Rüb, Streit um den "Heiligen Bund". Ehe und gleichgeschlechtliche Partnerschaften als Thema im amerikanischen Wahlkampf, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom 13. 2. 2004; Robin Toner, A Call to Arms by Abortion Rights Groups, in: New York Times on the Web vom 22. 4. 2004; Sheryl G. Stolberg, Limits on Stem-Cell Research Re-emerge as a Political Issue, in: New York Times on the Web vom 6. 5. 2004; Peter Baker, Bush Re-Enters Gay Marriage Fight, in: Washington Post vom 3. 6. 2006, S.A4; Bush verhindert Embryo-Forschung, in: FAZ vom 21. Juli 2006, S. 6.

  25. Susan Sachs, Baptist Pastor Attacks Islam, Inciting Cries of Intolerance, in: New York Times on the Web vom 15. 6. 2002.

  26. Vgl. Dana Milbank, Hawks Chide Bush over Islam, in: Washington Post vom 2. 12. 2002; Bush Steps Away From Christian Fundamentalists' Comments on Islam, in: Ethics Daily.com vom 15. 11. 2002; www. ethicsdaily.com/article_detail.cfm?AID=1812 (16. 11. 2005).

  27. Vgl. hierzu auch die Ergebnisse einer Gallup-Umfrage vom April 2005: The Brookings Institution, American Politics and the Religious Divide, Washington, D.C., 26. 9. 2006, S. 32.

  28. Vgl. M. Brocker (Anm. 2), S. 283ff.

  29. Dies gilt vor allem für die jüngeren Alterskohorten; vgl. C. Wilcox (Anm. 5), S. 147-153; Brookings Institution (Anm. 27), S. 56ff.; Carolyn Lochhead, Bush rallies the right on same-sex marriage, in: San Francisco Chronicle vom 6. 6. 2006, S. A1.

Dr. phil., Dr. rer. pol., geb. 1959; Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, Lehrstuhl für Politische Theorie und Philosophie. Universitätsallee 1, 85072 Eichstätt.
E-Mail: E-Mail Link: manfred.brocker@ku-eichstaett.de