Einleitung
Entgegen allen Erwartungen hinsichtlich eines Bedeutungsverlustes religiöser Konfliktlinien in modernen westlichen Gesellschaften entstand in den USA in den 1970er Jahren die Protestbewegung der so genannten "Christlichen Rechten". Ihre Organisationen, darunter "Moral Majority", "Religious Roundtable" und "Christian Voice", stritten lautstark für eine Rechristianisierung Amerikas. Die politische Mobilisierung des evangelikalen, insbesondere des fundamentalistischen Protestantismus stellte ein neuartiges Phänomen dar, das sogleich Besorgnisse vor einer bibelbasierten Revision zentraler liberaler Verfassungselemente auslöste. Nicht wenige Beobachter sahen deutliche Parallelen zum islamischen Fundamentalismus. Es handele sich, so glaubten sie, bei dieser Bewegung um Radikale, die das politische System verändern und eine Theokratie errichten wollten. "I am beginning to fear", erklärte etwa US-Präsident Jimmy Carters Gesundheitsministerin Patricia Harris 1980, "that we could have an Ayatollah Khomeini in this country".
Buchtitel wie "Holy Terror", "God's Bullies" oder "The Anti-Americanism of the Religious Right" spiegelten die kritische Bewertung des politisierten "Fundamentalismus" in Amerika wider. Und während die einen seine weitere Radikalisierung fürchteten, sagten ihm andere angesichts seiner extrem konservativen Agenda nur eine kurze Lebensdauer voraus. Doch beide Prognosen erwiesen sich als falsch. Tatsächlich konnte sich die Christliche Rechte dauerhaft als politische Kraft in den USA etablieren. Nach aggressiven Anfängen durchlief sie einen Transformationsprozess, der durch organisatorische Reformen sowie eine programmatische und strategische Moderierung gekennzeichnet war. Diese Anpassung wurde durch jene Eigenschaften des amerikanischen politischen Systems veranlasst, die eine strukturelle Offenheit und Partizipationsorientiertheit gegenüber sozialen Gruppen und Bewegungen bedingen, deren Aktivitäten aber auch kanalisieren.
Im Folgenden soll nun die Christliche Rechte und ihre Entwicklung skizziert werden: Wer sind ihre Mitglieder, wie sehen ihre Ziele aus und welche Erfolge hat sie heute, 30 Jahre nach ihrer Gründung, vorzuweisen?
Der amerikanische "Evangelikalismus"
Die Anhänger der "Christlichen Rechten" rekrutieren sich aus dem Kreis der "Evangelikalen". Gemeint sind damit jene Gläubige, die die Verkündigung des Evangeliums als zentrale Aufgabe betrachten, an die Unfehlbarkeit der Bibel und an die Notwendigkeit einer persönlichen Hinwendung zu Jesus Christus als einzigem Weg der Erlösung glauben und diese meist als spirituelle "Wiedergeburt" ("born again") bezeichnen. Trotz solcher Gemeinsamkeiten bestehen in wichtigen theologischen Fragen durchaus Auffassungsunterschiede zwischen den verschiedenen ("neo-evangelikalen", "fundamentalistischen" und "pfingstlerisch-charismatischen") Strömungen des Evangelikalismus, die lange ein erhebliches Konfliktpotenzial bargen,
Angaben über den Anteil der weißen Evangelikalen an der amerikanischen Bevölkerung schwanken zwischen 23 und 26 Prozent,
Die Christliche Rechte
Bis in die 1970er Jahre hinein war der amerikanische Evangelikalismus weitgehend unpolitisch. Erst danach kam es - in Reaktion auf die Protestaktivitäten linksliberaler sozialer Bewegungen wie der Studenten-, Friedens-, Frauen- und Homosexuellenbewegung, auf die Entstehung einer studentisch geprägten "Gegenkultur" mit ihrer Ablehnung von protestantischer Leistungsethik und bürgerlicher Sexualmoral und vor allem aufgrund verschiedener Urteile des Obersten Bundesgerichts, die das Morgengebet und die Bibellektüre an öffentlichen Schulen verboten und die Abtreibung legalisierten - zu einer (partiellen) politischen Mobilisierung.
Fundamentalistische Radio- und Fernsehprediger wie Jerry Falwell, James Robison und Timothy LaHaye riefen jetzt eigene Organisationen ins Leben und warben unter ihren Zuschauern und in ihren Gemeinden Mitglieder und Aktivisten an. Seit Ende der 1980er Jahre betätigten sich zudem Geistliche und Laien anderer evangelikaler Strömungen als politische Unternehmer und gründeten Organisationen wie "Christian Coalition", "Family Research Council" und "American Family Association". Neben "Fundamentalisten" wurden so nun zunehmend auch "Neo-Evangelikale", "Pfingstler" und " Charismatiker" in größerer Zahl politisch aktiv.
Besonders effektiv agierte in den 1990er Jahren die "Christian Coalition", die der Fernsehprediger Pat Robertson nach seiner gescheiterten Präsidentschaftskandidatur 1988 ins Leben gerufen hatte. Ihren enormen Erfolg verdankte sie ihrem lokalen, dezentralisierten Aufbau. Während ältere Organisationen wie die kurzlebige "Moral Majority" allein auf der nationalen Bühne politisch tätig geworden waren und langfristig kaum Mitglieder an sich hatten binden können, gründeten Robertson und sein Generalsekretär Ralph Reed gezielt lokale und regionale Untergliederungen, für deren Leitungsgremien sie keine Geistlichen, sondern Geschäftsleute, Hausfrauen, Lehrer und Pensionäre rekrutierten.
Bis 1998 wuchs die "Christian Coalition" stetig: Die Zahl ihrer Mitglieder stieg von 25 000 im Jahr 1990 auf 2,1 Millionen im Jahr 1998. Danach allerdings verlor sie deutlich an Zuspruch. Innerorganisatorische Querelen und personalpolitische Fehlentscheidungen des Gründers verursachten den Niedergang der in den 1990er Jahren öffentlichkeitswirksamsten Gruppierung. Im Ganzen veränderte sich dadurch die Zahl der Anhänger der Christlichen Rechten allerdings kaum: Ähnlich einem System kommunizierender Röhren konnten die Verluste dort durch steigende Mitgliederzahlen bei anderen Gruppierungen aufgefangen werden. Insgesamt dürften heute etwa sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder und 100 000 bis 150 000 als Aktivisten zur Christlichen Rechten zu zählen sein; mehr als 15 Prozent aller Wähler bekunden in Umfragen Sympathien für die Organisationen.
Von Beginn an versuchte die Christliche Rechte auf die Grundstrukturen der soziokulturellen Normierung Einfluss zu nehmen. Doch während in den achtziger Jahren der Kampf für die moralische Erneuerung der Gesellschaft als Feldzug gegen den Liberalismus, Humanismus, Feminismus und Säkularismus verstanden worden war, dominieren seit den neunziger Jahren konkretere politische Forderungen die Programme. Innenpolitisches Ziel der Christlichen Rechten ist es, durch ein Verbot der "Homo-Ehe",
Außenpolitisch vertrat die Christliche Rechte lange Zeit eher eine isolationistische denn eine aktiv-interventionistische Position: Amerika wurde als "exemplar nation" gesehen, als Vorbild für die Welt, nicht als " crusader state". Der 11. September 2001 und der Beginn des Irakkrieges bewirkten jedoch - parallel zum allgemeinen Trend in der Bevölkerung - eine Änderung ihrer Haltung und führten zu einer Allianz mit den Neo-Konservativen, die eine unilaterale Politik der Interventionen befürworten.
Eher typisch für die Christliche Rechte ist die Ablehnung Internationaler Organisationen (wie der UNO, UNESCO etc.), die in ihren Augen die Souveränität der USA bedrohen und durch Konferenzen und das Lancieren internationaler Konventionen eine "säkular-liberale", "antichristliche" Politik betreiben. Genannt werden etwa die UN-Konferenz über die Rechte der Frauen und über Bevölkerungspolitik, die UN-Konvention über die Rechte der Kinder oder das UN-Biosphären-Programm.
Starke Unterstützung findet bei der Christlichen Rechten der Staat Israel. Die Forderung nach einer israelfreundlichen Politik der US-Regierung wird dabei eschatologisch begründet: Danach gilt die Gründung des Staates Israel als Zeichen für die bevorstehende Wiederkehr Christi, die ohne die Existenz eines jüdischen Staates in seinen biblischen Grenzen nicht erfolgen könne. Insofern spricht man sich u.a. gegen die Rückgabe besetzten Landes und gegen die Gründung eines eigenen Palästinenserstaates aus.
Weiterhin setzt sich die Christliche Rechte für die Religionsfreiheit "in Übersee" ein und protestiert gegen "Christenverfolgungen" in China und in muslimischen Ländern wie dem Sudan, gegen die nach ihrer Auffassung Handelssanktionen verhängt werden sollten. Insbesondere der Islam ist seit den Anschlägen des 11. September 2001 zu einem neuen Feindbild avanciert. Führer der Christlichen Rechten sehen in ihm eine "böse, unmenschliche Religion", die einen "Heiligen Krieg" gegen den ("christlichen") Westen führe.
Politische Strategien
Um ihre Forderungen durchzusetzen, bedienten sich die Organisationen der Christlichen Rechten anfänglich durchaus aggressiver - wenn auch nicht militanter - Mittel. Konfrontative Aktionen wie die Blockade von Abtreibungskliniken, Massendemonstrationen vor dem Gebäude des Kongresses und des Obersten Bundesgerichts prägten ihr öffentliches Erscheinungsbild in den frühen 1980er Jahren. Als sich jedoch im Laufe der Zeit die Erfolglosigkeit ihres Vorgehens zeigte und ihr "bullying" selbst nahe stehende Abgeordnete und Präsident Reagan abschreckte, adaptierten sie sukzessive die Methoden anderer bereits etablierter politischer Interessengruppen. Seither operieren die Organisationen eher wie die amerikanische "United Auto Workers"-Gewerkschaft denn als religiös-fundamentalistische Protestbewegungen in anderen Teilen der Welt. So gehört zu ihrem neuen Strategien-Repertoire das (Insider-)Lobbying in Kongress, Weißem Haus und vor den Gerichten (letzteres durch das Führen von Musterprozessen oder das Einreichen eigener Rechtsgutachten in wichtigen Verfahren), die Initiierung oder Unterstützung von Referenden auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene (etwa gegen die "Homo-Ehe"),
Infiltration der Republikanischen Partei
Spätestens mit der Präsidentschaftskandidatur des Fernsehpredigers Pat Robertson 1987/1988 begann die Christliche Rechte, die Führungsgremien der G.O.P. gezielt zu "unterwandern", um Einfluss auf deren Kandidaten- bzw. Delegiertenauswahl (für die Parteitage) und das Parteiprogramm zu nehmen.
Die starke Position, die die Christliche Rechte in der Bundespartei und zahlreichen Landesverbänden der G.O.P. aufbauen konnte, versetzte sie in die Lage, bei der Auswahl von Kandidaten ein gewichtiges Wort mitzusprechen. Dabei verzichtete sie jedoch weitgehend darauf, eigene Leute auf dem Ticket der Partei zu platzieren, die in den Augen der Wähler als zu "ideologisch" betrachtet worden wären. Als aussichtsreicher erwies es sich, konservative Kandidaten aus der G.O.P. selbst zu unterstützen, die der Bewegung zwar nicht angehörten, ihrem Forderungskatalog aber aufgeschlossen gegenüberstanden. Dieses Vorgehen hatte in nicht wenigen Fällen Erfolg. Es trug mit dazu bei, dass die Reihen der G.O.P. in beiden Häusern des Kongresses mit einer Vielzahl äußerst konservativer Abgeordneter besetzt werden konnten.
Auch der Blick auf die Programmatik der G.O.P. macht den wachsenden Einfluss der Christlichen Rechten vor allem in soziomoralischen Fragen sichtbar: Die Bundeswahlprogramme, die allerdings kaum Verbindlichkeit für erfolgreiche Kandidaten besitzen, sind - ebenso wie die "platforms" zahlreicher "state parties" - deutlich konservativer geworden. So fordern sie seit einiger Zeit ein verfassungsrechtlich verankertes striktes Abtreibungsverbot und ein Verbot der Sterbehilfe. Homosexuelle sollen nach Auffassung der Partei nicht mehr im Militär dienen und keine gleichgeschlechtlichen Ehen eingehen dürfen. Der Konfessionsschulbesuch sollte durch Bildungsgutscheine oder steuerliche Maßnahmen gefördert, das Recht zum "home schooling" von allen Bundesstaaten anerkannt werden. Das Schulgebet sollte an die öffentlichen Schulen zurückkehren, der Sexualkundeunterricht dagegen abgeschafft oder durch ein "Abstinence Only" -Programm ersetzt werden, das die sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe als moralisches Leitbild vermittelt.
Wählermobilisierung
Gerade durch ihre programmatische Neu-Positionierung gelang es umgekehrt der G.O.P., Evangelikale als Stammwähler zu gewinnen.
Sofern sie nicht politisch gänzlich Abstinenz geübt hatten, waren Evangelikale in den 1950er und 1960er Jahren noch ein fester Bestandteil der demokratischen "New Deal"-Wählerkoalition. Seither hatte sich offenbar ein religiöses "realignment" vollzogen. Evangelikale kehrten - wie auch konservative Katholiken - der Demokratischen Partei zunehmend den Rücken. Nicht zuletzt deshalb trug George W. Bush in der Präsidentschaftswahl 2004 den Sieg über John F. Kerry davon: 82 Prozent der weißen evangelikalen Wähler, die mindestens einmal pro Woche zur Kirche gingen, hatten für Bush votiert, während nur 46 Prozent der übrigen Stimmen an ihn gegangen waren. Fast ein Viertel dieser weißen Evangelikalen sagte, mit Blick auf die persönlichen Eigenschaften der Kandidaten habe vor allem deren Glaube ihre Wahlentscheidung beeinflusst; nur fünf Prozent der übrigen Wähler erklärten sich ebenso.
Die Kongresswahlen 2006 bedeuteten jedoch eine Zäsur in der Erfolgsgeschichte der Republikanisch-evangelikalen Wählerallianz. Erstmals seit 1995 übernahm die Demokratische Partei in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit. Hieraus auf ein Ende der nationalen Bedeutung dieser Allianz zu schließen, wäre allerdings verfrüht: Denn es waren kurzfristig wirksame Faktoren, insbesondere der Verlauf des Irakkrieges und eine Reihe von Sex- und Korruptionsskandalen, die die Stimmverluste der Republikaner bei allen Wählergruppen - auch bei den Evangelikalen, von denen diesmal nur etwa 70 Prozent für die Partei votierten - verursachten.
Die Christliche Rechte und George W. Bush
Anders als es in Europa vor allem zu Beginn des Irakkriegs wiederholt geschah, darf George W. Bush nicht als Exponent oder gar "Marionette" des politisierten "Fundamentalismus" in den USA betrachtet werden.
So unternahm er keine konkreten Schritte, um die Abtreibung zu verbieten oder das Schulgebet wieder einzuführen. Im Gegenteil: Mit Blick auf moderate Wählergruppen distanzierte er sich schon in seinem ersten Wahlkampf 1999/2000 von der Forderung nach einem strikten Verbot aller Abtreibungen (auch bei Inzest, Vergewaltigung und Lebensgefahr für die Schwangere) der Republikanischen Wahlkampfplattform. Zwar setzte er sich nach seinem Amtsantritt vor allem vor den Kongress- bzw. Präsidentschaftswahlen 2002, 2004 und 2006 immer wieder demonstrativ für Themen ein, die der Christlichen Rechten am Herzen lagen: das verfassungsrechtliche Verbot von "Homo-Ehen" etwa oder das Verbot von Spätabtreibungen oder die Beschränkung der embryonalen Stammzellforschung.
Dass Bushs Umgang mit der Christlichen Rechten wahlstrategisch motiviert war, zeigt schließlich der Blick auf seine Außenpolitik. Hier machte er der Bewegung nicht einmal rhetorisch Zugeständnisse. Während die Christliche Rechte früh "den Islam" als neuen "Satan" und "Inbegriff des Bösen" angeprangert hatte, den die USA bekämpfen müsse, bemühte sich Bush immer wieder - insbesondere während des Afghanistan- und Irak-Feldzugs -, den Eindruck eines "clash of civilizations", eines religiös motivierten "Kreuzzuges" gegen den Islam zu vermeiden. Verantwortlich für die Anschläge des 11. September 2001 sei nicht "der Islam", betonte Bush wiederholt, sondern "Terroristen", die den Namen dieser Religion missbrauchten. Während führende Vertreter der Christlichen Rechten verkündeten, der Islam sei antisemitisch, ja "abgrundtief böse",
Bushs Außenpolitik ist durch realpolitisch orientierte "standard-konservative" Berater beeinflusst, für die weniger christlich-evangelikale Glaubensinhalte als vielmehr amerikanische Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen im Vordergrund stehen - wie im Übrigen in der Innenpolitik vor allem die Wirtschaftslobby (und nicht die Christliche Rechte) mit der Bilanz der Bush-Administration zufrieden sein kann.
Erfolgsbilanz
Überblickt man die 30 Jahre ihrer Existenz, so hat die Christliche Rechte einen Lern- und Anpassungsprozess durchlaufen, der ihre organisatorische Struktur gestärkt und ihr Strategienrepertoire erweitert hat. Sehr viel besser als in den Anfangsjahren gelingt es ihr heute, Mitglieder langfristig an sich zu binden, stabile Finanzierungsquellen aufzutun und sich als seriöser "Mitspieler" im politischen Prozess in Szene zu setzen.
Doch trotz der erfolgreichen Anpassung an die Funktionsimperative des politischen Systems und der positiven innerorganisatorischen Entwicklung blieben größere Erfolge bei der Durchsetzung der Agenda aus. Zwar zeigten ihre Lobbyaktivitäten bisweilen durchaus Wirkung: So wurden gesetzgeberische Maßnahmen zum Schutz von Homosexuellen vor Diskriminierung im Kongress wiederholt blockiert; "Abstinence only"-Programme" (statt des früheren Sexualkundeunterrichts) werden inzwischen an vielen öffentlichen Schulen durchgeführt und vom Kongress finanziell unterstützt. Das milliardenschwere Programm zur Bekämpfung von AIDS in Afrika und der Karibik wurde im Kongress so formuliert, dass vor- und außereheliche Enthaltsamkeit als Leitbild vermittelt werden muss. Zudem reaktivierte Bush die "Mexico City Policy", wonach keine staatlichen Gelder an Organisationen fließen dürfen, die in ihren Familienplanungsprogrammen Abtreibung nicht ausschließen. Aus eben diesem Grund wurde dem "UN Fund for Population Activities" die Zuweisung von bereits bewilligten Mitteln durch den Präsidenten verweigert. Weiterhin erhebt der "International Religious Freedom Act" von 1998 die Verteidigung der Religionsfreiheit zu einem wesentlichen Ziel der amerikanischen Außenpolitik.
Ihre zentralen Anliegen aber konnte die Christliche Rechte letztlich nicht durchsetzen: So bleibt das Schulgebet an den öffentlichen Schulen verboten, und auch die Abtreibungsentscheidung des Obersten Bundesgerichts von 1973 (Roe v. Wade) erfuhr keine Revision. Weder wurde die Pornographie vollständig illegalisiert noch der Zugang zu ihr via Internet oder Kabelfernsehen effektiv eingeschränkt. Darwins Evolutionstheorie wird weiterhin an den öffentlichen Schulen unterrichtet, die zudem nach wie vor "säkular humanistische" Lehrbücher verwenden und ihre Curricula multikulturell ausrichten.
Zwar gelang es der Christlichen Rechten, die öffentliche Diskussion über die Bedeutung von Werten und die Grundlagen der Moral wiederzubeleben und zu intensivieren. Tatsächlich ist die "religiöse Rede" ("God Talk") in der Öffentlichkeit längst wieder hoffähig geworden, und selbst viele demokratische Bewerber präsentierten sich in ihren Wahlkämpfen 2006 häufig als "people of faith". Doch Auswirkungen auf den sozialen und politischen Wandel in den USA hatte all dies nicht. Vielmehr zeigen Umfragen, dass die Einstellung der amerikanischen Bevölkerung zur Stellung der Frau in der Gesellschaft, zur Homosexualität, zur Pornographie und zu anderen soziomoralischen Fragen (mit Ausnahme der Abtreibung) nach der Jahrtausendwende liberaler ist als 30 Jahre zuvor, als die Christliche Rechte ihre Anhänger politisch zu mobilisieren begann.