Einleitung
Mit dem am 1. Januar 2007 erfolgten Beitritt Bulgariens und Rumäniens zurEuropäischen Union hat sich nicht nur die Zahl der EU-Mitglieder auf 27 Staaten erhöht. Durch diesen Beitritt von zwei Schwarzmeeranrainern sind vielmehr neue Länder zu unmittelbaren Nachbarstaaten der Union geworden bzw. sie sind nur durch das Schwarze Meer von ihr getrennt: Dabei handelt es sich um Moldawien, das eine direkte Grenze zu Rumänien hat, sowie um die kaukasischen Staaten Georgien, Armenien und Aserbaidschan - Länder, die wie weitere Nachbarstaaten der erweiterten EU - Weißrussland und die Ukraine - ihre Unabhängigkeit erst nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 erhielten.
Dabei sind die Abnabelungsprozesse dieser Staaten von Russland und voneinander noch keineswegs abgeschlossen: Es gibt separatistische Gebilde in Moldawien ("Transnistrien"), in Georgien ("Abchasien" und "Südossetien") und in Aserbaidschan ("Berg-Karabach"), "festgefahrene" oder "eingefrorene" Konflikte, in denen Russland Kontrolle ausübt, teilweise sogar Truppen stationiert hat, und fast nach Belieben Spannungen hoch- oder zurückfahren kann. Die Konfliktträchtigkeit dieser Regionen wird noch dadurch verstärkt, dass diese Länder ebenso wie die zentralasiatischen Staaten jenseits des Kaspischen Meeres entweder über große Energievorkommen verfügen oder als aktuelle oder potenzielle Transitländer für Gas- oder Ölpipelines in den Westen oder nach Asien strategische Bedeutung haben.
Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Europäische Union ihre bereits im Jahr 2003 begonnene "Europäische Nachbarschaftspolitik" (ENP) sachlich erweitert hat. Mit der Vorlage ihrer "Mitteilung über die Stärkung der Europäischen Nachbarschaftspolitik" vom Dezember 2006
Wie bereits bei ihrer Einführung im Jahr 2003 hat die Europäische Kommission auch dieses Mal deutlich gemacht, dass die ENP und der EU-Erweiterungsprozess zwei getrennte Dinge sind, dass die Beteiligung an der ENP nicht automatisch die Aussicht auf einen Beitritt zur EU beinhaltet. Die Partnerländer der ENP am südlichen Mittelmeerrand in Vorderasien und Afrika
Die deutsche Regierung hat bereits Ende 2006 betont, dass sie von der portugiesischen Ratspräsidentschaft in der zweiten Hälfte 2007 eine Schwerpunktlegung auf die Mittelmeerregion erwartet, während sie selbst sich im Verlauf ihrer eigenen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 insbesondere um dieöstlichen Nachbarn kümmern würde. DieKonzeption der Bundesregierung
Von Anfang an hat Russland eine Einbeziehung in die ENP als Zumutung abgelehnt, weil dies nicht seiner politisch-strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung gerecht würde. Vielmehr strebt es eine besondere "strategische Partnerschaft" mit der EU an, welche die sicherheitspolitischen und ökonomischen Potenziale beider Seiten angemessen berücksichtigt. In dem Maße, wie sich die EU auf eine dauerhafte Kodifizierung der bilateralen Beziehungen einlassen möchte, erweist sich Russland demnach als entscheidender Faktor für den Erfolg oder Misserfolg sämtlicher nachbarschaftspolitischer Initiativen der Union.
Dementsprechend legt die deutsche Ratspräsidentschaft Wert darauf, dass bei der für 2007 vorgesehenen Erneuerung des 1997 abgeschlossenen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Russland auf einen Interessenausgleich hingewirkt, ein konstruktives Engagement Russlands erreicht und Russland dauerhaft an die EU gebunden wird.
Ziele und Kennzeichen der zweiten Phase der ENP
Von Anfang an bestand das Hauptziel der ENP, dem Kernstück der "neuen" Ostpolitik, darin, den Ländern außerhalb der erweiterten EU eine Perspektive zur Einbeziehung in den europäischen Integrationsprozess zu geben, und zwar jenseits der EU-Mitgliedschaft.
Die Vision der ENP ist unverändert ein die EU umgebender Ring aus Ländern, welche die grundlegenden Werte und Ziele der EU teilen und in eine zunehmend engere Beziehung eingebunden werden, die, sehr viel mehr als frühere Vereinbarungen der EU mit Nachbarstaaten es tun, bereits ein erhebliches Maß an wirtschaftlicher und politischer Integration beinhaltet. Zusammen mit den Partnerländern werden Prioritäten und Aktionspläne festgelegt, deren Erfüllung sie näher an die EU heranrücken soll.
Auf der Grundlage erster Erfahrungen zielt die zweite Phase der ENP darauf ab, in den Nachbarländern eingeleitete Reformen zu unterstützen, indem sie schneller, besser und mit geringeren finanziellen Belastungen für die Bürger durchgeführt werden. Darüber hinaus werden wirtschaftliche Vorteile gewährt, z.B. die Teilnahme am EU-Binnenmarkt, sowie finanzielle Mittel aus dem EU-Haushalt zur Verfügung gestellt, die zur wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder beitragen sollen. Indem die deutsche Präsidentschaft sich in der ersten Hälfte 2007 mit der östlichen und - aufeinander abgestimmt - die portugiesische sich danach mit der südlichen Komponente der ENP beschäftigt, hat faktisch auch, wie von Kritikern angeregt,
Wirtschafts- und finanzpolitische Instrumente
Bis 2006 erfolgte die Unterstützung der EU für ENP-Länder im Rahmen von verschiedenen geographischen Programmen, unter anderem TACIS (für die östlichen Nachbarn und Russland), sowie im Rahmen von thematischen Programmen wie zum Beispiel der Europäischen Initiative für Demokratie und Menschenrechte (EIDHR). Für den Programmplanungszeitraum 2000 - 2006 wurden für TACIS 3,1 Milliarden Euro bereitgestellt. Außerdem gewährte die Europäische Investitionsbank TACIS-Empfängerländern Darlehen im Gesamtwert von 500 Millionen Euro.
Die "neue" ENP geht weit über diese Möglichkeiten hinaus:
Diese Anreize sollen bewirken, dass das Wirtschaftswachstum der Zielländer durch drei Kanäle gefördert wird: durch Strukturreformen, durch die Schaffung eines makroökonomischen Ankers, der effizientere Geld- und Fiskalpolitiken erlaubt, sowie durch die Liberalisierung von Handel und Faktorbewegungen.
Für die EU-Mitgliedstaaten kann die wirtschaftliche Öffnung der Nachbarländer jedoch durchaus negative Effekte bewirken, z.B. durch einen besseren Marktzugang dieser Länder zur EU und dadurch verursachte Handelsumlenkungen. Schließlich sind die Lohnkosten in den ENP-Staaten vergleichsweise niedrig. Weiterhin dürfte es als Folge geringerer Barrieren zu zusätzlichen Direktinvestitionen in den Zielländern kommen, die nicht nur zur Verlagerung von Arbeitsplätzen aus der EU in die ENP-Staaten führen, sondern - und das wäre sozusagen ein komplementärer Effekt - auch politische Risiken bewirken können, wenn nationale Populisten Kapitalflucht und den Ausverkauf nationaler Ressourcen zur Grundlage ihrer politischen Kampagne machen.
Politische Risiken entstehen auch durch die Rückwirkungen der wirtschaftlichen Öffnung auf den Arbeitsmarkt, wenn unproduktive nationale Unternehmen geschlossen werden und die Arbeitslosigkeit steigt. Das wiederum kann den Migrationsdruck steigern und damit auch die politische Opposition in der EU selbst stärken.
Zur Abfederung dieser Risiken hat die EU mit ihrer neuen ENP eine Reihe kompensierender Instrumente entwickelt: Im Zuge der Reform der Außenhilfe der EU werden ab 2007 Programme wie TACIS durch das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI) ersetzt.Dieses neue politikgesteuerte Instrument ermöglicht eine weitaus größere Flexibilität. Zur Unterstützung der in den ENP-Aktionsplänen gemeinsam festgelegten Prioritäten ist dieses Instrument auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung und die Annäherung an die Politiken und Standards in der EU ausgerichtet. Außerdem wird das ENPI einen spürbaren Beitrag zur Verbesserung der grenzübergreifenden Zusammenarbeit mit diesen Ländern an den Außengrenzen der EU leisten. Für den Programmplanungszeitraum 2007 - 2013 werden aus EU-Mitteln für alle ENP-Länder ungefähr zwölf Milliarden Euro bereitgestellt, was einer effektiven Erhöhung um 32 Prozent entspricht. Die Aufteilung der Mittel auf die einzelnen Länderprogramme wird sich nach dem Bedarf und der Aufnahmekapazität der einzelnen Länder sowie ihren Fortschritten bei der Umsetzung der vereinbarten Reformen richten.
Im Rahmen der neuen Instrumente werden die Prioritäten der Außenhilfe der EU gemeinsam mit dem begünstigten Land und den anderen einschlägigen Akteuren in allgemein gefassten Länder-Strategiepapieren (LSP) festgelegt, die einen Zeitraum von sieben Jahren abdecken. Für Ausschreibungen im Rahmen von EU-Hilfsprogrammen können Unternehmen aus den 27 Mitgliedstaaten der EU, den Kandidatenländern, den potenziellen Kandidatenländern und den Nachbarstaaten selbst Angebote abgeben. Die Auftragsvergabe erfolgt gemäß den standardisierten Vergabevorschriften der EU.
Länderberichte, in denen die politische und wirtschaftliche Situation der ENP-Staaten evaluiert wird, stellen die Grundlage für Aktionspläne dar, den Hauptinstrumenten der ENP. Sie enthalten mehrjährige, auf die Eigenheiten der spezifischen Länder ausgerichtete Programme, die eine Vielzahl von Politikbereichen abdecken (vgl. Abb. der PDF-Version).
Die Umsetzung der in den Aktionsplänen vereinbarten Maßnahmen unterliegt einer gemeinsamen Kontrolle und wird in Fortschrittsberichten dokumentiert. Dabei wird nach Partnerländern entsprechend ihrer Unterschiedlichkeit differenziert, und es findet außerdem eine Konzentration der Förderung auf regionale grenzübergreifende Vorhaben statt. Vor allem aber wird das Engagement der EU an Bedingungen geknüpft: an das klare Bekenntnis zu gemeinsamen Werten und die konsequente Umsetzung von vereinbarten Reformen. Die Schaffung von Motivation in den Partnerländern durch die Gewährung von wirtschaftlichen und politischen Anreizen stellt ein zentrales Element der ENP dar.
Politische und sicherheitspolitische Zusammenarbeit
Neben der wirtschaftlichen Stabilisierung gehören der politische Dialog über Grundwerte, institutionelle Reformen sowie innere und äußere Sicherheit zu den Schlüsselbereichen der ENP. Der politische Dialog über Fragen wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierung ("good governance") und Menschenrechte bleibt naturgemäß abstrakt und kann kaum konkret verifiziert werden.
Umso mehr muss geprüft werden, ob und inwieweit konkrete Maßnahmen zu Erfolgen im Sinne dieser Ziele führen. Dazu gehören punktuelle oder regelmäßige Treffen auf Minister- oder Arbeitsebene mit den ENP-Partnern zu Themen wie Energie, Verkehr, Umwelt und öffentliche Gesundheit. Dieser multilaterale Ansatz kann die bilaterale Arbeit, welche die Grundlage der ENP bildet, sinnvoll ergänzen. Das umfasst weiterhin verstärkte politische Zusammenarbeit und eine systematischere Einbindung der ENP-Partner in Initiativen der EU (außenpolitische Erklärungen der EU, Standpunkte in internationalen Foren sowie Beteiligung an wichtigen Gemeinschaftsprogrammen und -einrichtungen). Außerdem können erhebliche Verbesserungen bei der Visumserteilung für bestimmte Kategorien von Reisenden erreicht werden, beim Kampf gegen Schmuggel, Menschenhandel und illegale Migration sowie beim Grenzmanagement.
"Konditionalität" und "Sozialisierung" als Bestandteile der EU-Strategie
Durch das konditionierte Angebot von wirtschaftlichen und politischen Vorteilen und die Festlegung der Bedingungen, unter denen diese Anreize in Anspruch genommen werden können, versucht die EU, auf die politischen Akteure in den Zielländern Einfluss auszuüben, um eine Annäherung an die EU zu erreichen. Ähnlich wie im Verhältnis zu den zentraleuropäischen Beitrittsländern vor 2004 erwartet die EU auch hier, durch eine an Bedingungen geknüpfte materielle Unterstützung den Erfolg wirtschaftlicher und politischer Reformen in den Zielländern beeinflussen zu können. Aus ihrer Sicht erweist sich innenpolitische Veränderung damit als Antwort auf wirtschaftliche und soziale Unterstützung der EU wie z.B. finanzielle und technische Hilfe, institutionelle Verknüpfung, Marktzugang und politischer Dialog. Der Unterschied besteht darin, dass den östlichen ENP-Ländern auf lange Sicht die Tür zur Mitgliedschaft verschlossen bleiben wird und sich somit die Frage stellt, ob die angebotenen materiellen Anreize ausreichen, um das Interesse dieser Länder an einer Zusammenarbeit mit der Union längerfristig zu konservieren.
Andererseits ist mit der EU-Strategie auch ein Sozialisierungsaspekt verbunden, der darin besteht, dass die ENP-Länder nicht nur demokratisiert, sondern auch "europäisiert" werden. Damit ist nicht nur gemeint, dass in den Partnerländern Institutionen geschaffen werden, die ganz allgemein die Herrschaft des Rechts, der Menschen- sowie Minderheitenrechte garantieren. Vielmehr sollen darüber hinaus Dynamiken veranlasst werden, die sich aus den rechtlich bindenden Normen der Europäischen Union (und des Europarates) für Demokratie und Menschenrechte, der Transformation von Unternehmen und Individuen als Konsequenz des europäischen Integrationsprozesses und aus der Veränderung von subjektiven Werten und Identitäten auf der gesellschaftlichen Ebene ergeben. Zunehmende Interaktionen auf den unterschiedlichsten Ebenen (Staat und Verwaltung, Unternehmen, Zivilgesellschaft, Lehre und Forschung usw.) induzieren Verhaltens- undIdentitätsveränderungen, die wiederum Denkmuster verändern und Sozialverhalten beeinflussen.
Institutionen
Hieraus ergibt sich zwingend, dass Partnerstaaten die Möglichkeit erhalten müssen, in EU-Institutionen mitzuwirken und sich an EU-Programmen beteiligen zu können. Eine derartige Einbeziehung kann auf zweierlei Arten erfolgen: ENP-Staaten können zum einen die Möglichkeit erhalten, sich an spezifischen Einrichtungen (z.B. der Europäischen Umweltagentur, der Galileo-Aufsichtsbehörde) aktiv zu beteiligen, mit Beobachterstatus daran teilzunehmen oder eine Zusammenarbeit mit diesen einzugehen. ENP-Partner können zum anderen auch in die Durchführung der Gemeinschaftspolitik auf bestimmten Gebieten (z.B. Verbraucherschutz, Informationsgesellschaft, Wettbewerbsfähigkeit und Innovation, Forschung und Entwicklung usw.) einbezogen werden.
Die Erfüllung der Voraussetzungen für die Beteiligung an solchen Institutionen und/oder Programmen wird in vielen Fällen den Reformen und der Modernisierung in den betreffenden Sektoren den Weg ebnen und nachhelfen. Im Hinblick auf Vorschriften, Normen, beste Verfahren und rechtliche Anforderungen der EU dürfte solche Kooperation die Konvergenz zwischen ENP-Partnern und der Union erheblich fördern.
"Neue" Ostpolitik: Zentralasien, die Schwarzmeerregion und Russland
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft strebt im Rahmen ihrer Initiativen zur Entwicklung einer neuen Ostpolitik der EU an, auch eine kohärente geopolitische Strategie gegenüber den rohstoffreichen zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan zu erarbeiten. Bislang war die EU nur Partner für Hilfs- und Kooperationsprojekte in der Region. Nachdem das Thema Energiesicherheit zu einem herausgehobenen Thema der EU-Außenpolitik geworden ist, zeigt sich schon jetzt ein stärkeres Interesse der EU an dieser Region, die nicht nur an die Krisenherde Iran und Afghanistan grenzt, sondern auch über umfangreiche Öl- und Gasvorkommen verfügt. Umgekehrt streben auch diese Länder ausdrücklich nähere Beziehungen zur EU an. Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew kann sich sogar vorstellen, im Rahmen der ENP zusammen mit einer neuen zentralasiatischen Strategie die Beziehungen zur EU zu vertiefen.
Umgekehrt verschafft sich die russische Außenpolitik zusätzliche Optionen, indem sie sich verstärkt auf Asien konzentriert. Hier konkurriert Russland mit der EU hinsichtlich der Wirtschafts- und vor allem der Energiebeziehungen. Russland pflegt enge Beziehungen mit dem ölreichen Kasachstan und möchte die Schanghai-Organisation, in der es gemeinsam mit China Mitglied ist, ausbauen sowie Indien und Pakistan darin aufnehmen. So könnte die Schanghai-Organisation künftig zu einem energie- und sicherheitspolitischen Machtzentrum werden.
Die Schwarzmeerregion ist nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens näher an die EU gerückt, damit auch der südliche Kaukasus. Einen zentralen Schwerpunkt stellt auch hier die Energiesicherheit dar, die aus der Sicht Deutschlands und auch der EU durch eine umfassende regionale Kooperation erreicht werden kann. Eine Zusammenarbeit von Liefer-, Transit- und Abnehmerländern kann eine schrittweise Verflechtung im Energie- und Wirtschaftssektor bewirken und auf der Grundlage wechselseitiger Abhängigkeiten der beteiligten Länder durchgeführt werden.
Das bei weitem bedeutendste Zielland der "neuen Ostpolitik" der EU, Russland, beteiligt sich nicht an der ENP, sondern regelt seine Beziehungen zur EU durch das System der "strategischen Partnerschaft", die durch das Konzept der "vier Räume" umgesetzt werden soll.
Hinzu kommt, dass die bislang betrachteten Zielregionen der "neuen EU-Ostpolitik" von Russland nach wie vor als eigene Einflusszone betrachtet werden und alle diese Länder Mitglieder der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) sind, der mit Ausnahme der baltischen Staaten alle Teilrepubliken der ehemaligen Sowjetunion angehören. Eine "neue" Ostpolitik, die durch die Neuformulierung der ENP, durch die explizite Konzentration auf die Schwarzmeerregion und den Südkaukasus sowie durch die intendierte Einbeziehung zentralasiatischer Staaten einen neuen geopolitischen Schwerpunkt der EU-Außenpolitik markiert, sollte die historischen Bindungen Russlands zu diesen Regionen, die ja auch Nachbarn sind, und seine legitimen Interessen nicht außer Acht lassen, weil das zu Missverständnissen oder sogar Konflikten führen kann.
Es kann also zu einer Konkurrenz zwischen Russland und der EU um dieselben geographischen Räume kommen. Die Unterstützung von Ländern wie der Ukraine und Georgien sowie anderen Zielländern, die versuchen, ihre postsowjetischen Blockaden durch die Orientierung an westlichen Werten zu überwinden, wird von russischen Eliten als potenzielle Gefahr begriffen. Ein aktives Engagement der EU einschließlich des Konfliktmanagements der "eingefrorenen Konflikte" wird nicht begrüßt. Konfliktregulierend könnte ein explizit regionaler Ansatz wirken, der auf die Unterstützung antirussischer Projekte wie GUUAM
Die Atmosphäre zwischen Russland und der Europäischen Union hat sich Ende 2006 weiter verschlechtert, weil als Folge von Preisbildungsdifferenzen mit Belarus russische Energielieferungen nach Westeuropa ohne entsprechende Benachrichtigung der Empfänger unterbrochen wurden. Überdies wird im Jahr 2007 das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen von 1997 neu verhandelt. Kern der europäischen Strategie ist eine engere Einbindung des als Energielieferant immer wichtiger werdenden Russlands. Das Abkommen soll eine Freihandelszone und gemeinsame Bildungs- und Forschungsprojekte mit einschließen. Ein wichtiges Ziel für die EU ist die Öffnung Russlands für europäische Investitionen im Energiebereich, die Moskau jedoch verweigert.
Einflussnahme der USA
Neben Russland sind auch die USA ein wichtiger regionaler Akteur in Osteuropa, im Südkaukasus und in Zentralasien. In diesen Regionen stehen beide Akteure - USA und EU - in direkter Konkurrenz zueinander. Das vorrangige Ziel der USA besteht darin, ihren Einfluss langfristig zu sichern und auszubauen. Aus diesem Grund wirken die USA aktiv auf einen NATO-Beitritt von Georgien und der Ukraine hin. Des Weiteren wollen sie die Energieversorgung der westlichen Industrienationen durch den Bezug von Erdöl und Gas aus dem Schwarzmeer- und Kaspischen Raum absichern sowie die Transportwege weiter ausbauen (Stichwort: Pipeline-Projekt Baku-Tiflis-Ceyhan-Ankara).
Trotz vieler kongruenter Interessen unterscheiden sich die Vorgehensweisen der EU und der USA. Die "neue Ostpolitik" der EU erweist sich mit ihrem reformerischen Ansatz als werteorientiert, während die Strategie der USA primär von unmittelbaren Interessen geleitet ist, die vor allem ökonomisch und mit dem Kampf gegen den Terrorismus begründet werden. Die EU strebt eine langfristig ausgeglichene und stabile Beziehung zu Russland an, während die USA vor Konfrontationen nicht zurückschrecken und auch bereit sind, Russland in seiner Nachbarschaft herauszufordern. Meinungsverschiedenheiten traten etwa bei der Regelung der "eingefrorenen Konflikte" im Südkaukasus hinsichtlich eines NATO-Beitritts z.B. der Ukraine und Georgiens auf. Eine mangelnde Bereitschaft der USA, sich im Bereich der europäischen Nachbarschaft auf die von der EU entwickelten Maßstäbe einzulassen, kann also zu konkurrierenden Maßnahmen und deshalb zueinem Konflikt in den transatlantischen Verhältnissen führen.
Schlussfolgerungen und Ausblick
Für die östlichen Nachbarn der EU - die ENP-Staaten, Zentralasien und Russland - verspricht die "neue Ostpolitik" einen Abbau von wirtschaftlichen und politischen Asymmetrien, sie gibt die Möglichkeit einer größeren Öffnung und verspricht gesteigerte Sicherheit und Wohlstand. Bei einer konsequenten Nutzung der bereitgestellten Instrumente wird der EU-Beitritt für einige europäische Zielländer auf längere Sicht zu einer realistischen Perspektive. Je effektiver die Union die Europäisierung ihrer Nachbarländer betreibt und ihr eigenes System von Demokratie, Regierung und Verwaltung auf die europäischen Nachbarn überträgt, umso schwerer wird es sein, den Partnerländern eine positive Antwort auf die Frage nach einer eventuellen Mitgliedschaft zu verweigern. Somit ergibt sich die paradoxe Situation, dass der Erfolg einer Politik, welche die Mitgliedschaft verhindern sollte, Voraussetzungen für eben diese Mitgliedschaft schafft.
Sollten sich die bislang entwickelten ökonomischen und politischen Anreize für die im Rahmen der Ostpolitik angestrebten Reformen als unzureichend erweisen, kann eine Reihe von zusätzlichen Maßnahmen geprüft werden: Dazu gehören die Bestellung eines gesonderten ENP-Kommissars, eine Aufstockung der zur Verfügung stehenden EU-Mittel, regionale Kooperation, die Bildung einer gesamteuropäischen Freihandelszone, dieEinbeziehung der osteuropäischen, südkaukasischen und zentralasiatischen Staaten sowie Russlands in eine EU-Energiepolitik und die Herstellung eines politischen Dialogs auf allen Ebenen.
Eine weitere hingenommene, vielleicht sogar angestrebte strategische Konsequenz der "Neuen Ostpolitik" besteht darin, dass eine Europäisierung von Regionen erreicht wird, die im weltweiten Wettbewerb zwischen Asien (mit mächtigen neuen Akteuren wie China und Indien), Nordamerika und Europa sonst anderen Einflusssphären zufallen könnten. Durch den gezielten Einsatz von Anreizen, durch das Angebot von Vorteilen bei Kooperation versucht diese Politik, dauerhafte politische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Sicherheit - vor allem auch im Bereich der Energieversorgung - zu bewirken.
Eine regionale Initiative wie die ENP bzw. die noch umfassendere Idee der Europäischen Union, mittels einer "neuen" Ostpolitik die Nachbarstaaten - und deren Nachbarn - in ein gemeinsames Werte-, Politik- und Wirtschaftssystem einzubinden, konkurriert also nicht nur mit Ambitionen Russlands und der USA, sondern auch mit dem Versuch, Antworten auf globale Herausforderungen zu finden, z.B. in der Welthandelsorganisation WTO. Die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung in Ländern wie China und Indien und ihre wachsende Bedeutung in der Weltwirtschaft haben offenbar bereits eine solche Dimension entwickelt, dass deren Konkurrenten regionale Antworten suchen. Für die Europäische Union erweisen sich Osteuropa (einschließlich Russland!), der Kaukasus und Zentralasien als geeignete Regionen, um globale Umstrukturierungen und größer werdende Herausforderungen längerfristig bewältigen zu können.
Damit wird die auf Sicherheit und Stabilität angelegte "neue Ostpolitik" nicht nur zu einer neuen Spielart einer langfristig angelegten "Heranführungsstrategie", die bereits das Verhältnis zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern gekennzeichnet hat. Vielmehr ist sie auch ein geopolitischer Ansatz, um die aus der politischen und wirtschaftlichen Globalisierung resultierenden Herausforderungen beantworten zu können.
Abschließend lässt sich der aktuelle Stand der EU-Ostpolitik unter deutscher Führung Anfang 2007 wie folgt zusammenfassen:
Die Gespräche zwischen der EU und Russland am 21. Januar 2007 in Sotschi sind erneut ergebnislos geblieben. Fortschritte bei den Verhandlungen zwischen beiden Seiten über den Abschluss eines neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) - das alte PKA läuft am 30. November 2007 aus -, sind frühestens, wenn überhaupt, erst vom EU-Russland-Gipfel am 18. Mai 2007 zu erwarten.
Der Europäische Rat hat Deutschland das Mandat erteilt, eine Zentralasien-Strategie zu entwickeln. Diese Strategie will der Rat auf dem EU-Juni-2007-Gipfel annehmen.
Alle ökonomischen Maßnahmen der EU-Ostpolitik für alle Zielländer im Osten Europas und Zentralasiens lassen sich nicht quantifizieren. Sie können bestenfalls qualitativ beschrieben werden (die Ostpolitik - und mit ihr die ENP - stellt kein klar definiertes Handlungsprogramm dar; es handelt sich vielmehr um einen vielfach unbestimmten Prozess). Die wirtschaftlichen Konsequenzen für alle diese Partnerländer lassen sich infolgedessen weder genau erfassen noch zuverlässig schätzen. Hier gilt vielmehr der Satz: "An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen."