Das "Anthropozän" bringt den ökologischen Wandel unserer Welt auf den Begriff.
Natur als Objekt
Unsere Verfassungsordnung versteht die Natur als ein Objekt, das wir bewahren müssen. Dieses Verständnis hat seinen Ausdruck in Artikel 20a Grundgesetz (GG) gefunden: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Die Staatszielbestimmung "Umweltschutz" wurde 1994 in das Grundgesetz aufgenommen und 2002 um den Tierschutz ergänzt. Sie reflektiert in ihrem Regelungsgehalt die ökologischen Debatten der 1970er Jahre, die in den 1980er Jahren mit den Grünen in den Bundestag eingezogen sind.
Allerdings ist dieses Staatsziel "Umweltschutz" in vielerlei Hinsicht auch ein Kompromiss. Zwar versteht Artikel 20a GG seinen Anwendungsbereich grundsätzlich weit. Die Regelung schützt neben den Tieren alle Umweltmedien: Boden und Wasser, Landschaften und Ökosysteme, Luft und Klima.
Heute spielt der objektiv-rechtliche Schutz von Natur und Tieren in unserer Rechtsordnung sicherlich eine größere Rolle als noch in der klassischen Industriegesellschaft. Er ist vor allem in die Gesamt- und Fachplanung integriert, und er bestimmt auch das Arten-, Natur- und Landschafts-, das Wasser-, Immissions- und Klima- sowie das Umweltinformationsrecht. Allerdings verdanken wir dies weniger der Aufnahme des Staatsziels "Umweltschutz" in das Grundgesetz als vielmehr dem europäischen und internationalen Umweltrecht, das sich zu einem Impulsgeber und Schrittmacher des Naturschutzes entwickelt hat. So resümiert der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle vollkommen zu Recht: "Welchen Beitrag leistet das Grundgesetz zum Umweltschutz? Nüchtern ist festzuhalten: Der Befund ist eher mager!"
Was kommt nach der Nachhaltigkeit?
Angesichts der ökologischen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, gilt dieser Befund auch mit Blick auf die zentralen Konzepte, die sich im Kontext des Artikel 20a GG entwickelt haben: die Risikogesellschaft und das Nachhaltigkeitsprinzip.
Das Konzept der Risikogesellschaft wurde nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 zunächst durch den Soziologen Ulrich Beck profiliert
Das Prinzip der Nachhaltigkeit entstammt ursprünglich der Ressourcenbewirtschaftung des 17. und 18. Jahrhunderts.
Angesichts unserer ökologischen Entgleisungen stößt also der Schutz der Natur als Objekt an seine Grenzen: Was sollen wir tun, wenn das Risikokonzept wirklich zu risikoreich, also schlicht gefährlich wird? Und genügt das Nachhaltigkeitsprinzip, um noch angemessen auf diese ökologischen Gefahren und Störungen zu reagieren? Diese Fragen müssen wir beantworten, wenn Max Webers Prophezeiung nicht eintreten soll: "Als ich einmal" – so berichtet dessen Zeitgenosse Werner Sombart – "mit Max Weber über die Zukunftsaussichten sprach und wir die Frage aufwarfen: wann wohl der Hexensabbat ein Ende nehmen würde, den die Menschheit in den kapitalistischen Ländern seit dem Beginne des 19. Jahrhunderts aufführt, antwortete er: ‚Wenn die letzte Tonne Erz mit der letzten Tonne Kohle verhüttet sein wird.‘"
Natur als Subjekt
Die Verfassung des Anthropozän sollte die Natur als ein Rechtssubjekt begreifen, das seine Rechte selbstständig einfordern, einklagen und durchsetzen kann.
Darüber hinaus werden von Argentinien, Kolumbien und in den USA die Rechte von Tieren und in Ecuador, Indien, Kolumbien und Neuseeland die Rechte von Flüssen vor Gericht berücksichtigt.
Rechtssubjektivität ist die aktive Rolle, die eine Person in einem Rechtssystem spielen kann:
Einer Rechtsordnung steht es grundsätzlich frei, wen oder was sie als ein Rechtssubjekt anerkennt. In einer schlicht funktionalen Perspektive differenzieren Rechtsordnungen immer dann Rechtssubjekte aus, wenn dies den Rechtsverkehr unter Rechtssubjekten erleichtert. Doch es kommt nicht nur auf diese funktionale Perspektive an. Auch die Verfassung entscheidet darüber, wer ein Rechtsubjekt ist und über welche Rechte und Pflichten dieses Rechtssubjekt verfügt. So erkennt das Grundgesetz mit der Gewährleistung der Menschenwürdegarantie an, dass jeder Mensch als natürliche Person ein Rechtssubjekt ist: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" lautet Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 GG; "Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt" Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 GG. Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Diktatur und Gewaltherrschaft, der Shoa und dem deutschen Vernichtungskrieg legt Artikel 1 Absatz 1 GG fest, dass kein Mensch zum bloßen Objekt gemacht werden darf. Aufgrund der Menschenwürdegarantie sind alle Menschen in der Bundesrepublik als Rechtssubjekte anerkannt, die ganz im Sinne Hannah Arendts aufgrund Artikel 1 Absatz 1 GG über ein "Recht auf Rechte" verfügen.
Dieses verfassungsrechtliche Versprechen wird sodann unmittelbar durch die Grundrechtsgewährleistungen eingelöst, insbesondere durch Artikel 2 bis 19 GG. Das Grundgesetz misst aber nicht nur natürlichen, sondern auch juristischen Personen Grundrechte zu: "Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind", lautet Artikel 19 Absatz 3 GG. Soweit sich also die deutsche Rechtsordnung dazu entschließt, eine soziale oder wirtschaftliche Entität als juristische Person anzuerkennen, verfügt diese aufgrund von Artikel 19 Absatz 3 GG "automatisch" auch über Grundrechte, soweit sich für sie eine grundrechtsgleiche Gefährdungslage ergibt. Auf diese Weise können sich etwa Unternehmen als Rechtssubjekte auf die Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) und die Eigentumsgarantie (Artikel 14 Absatz 1 GG) berufen, um ihre wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen.
Fairness
Angesichts der ökologischen Herausforderungen ist eines klar: Diese Verteilung von Rechtssubjektivität durch das Grundgesetz ist nicht mehr zeitgemäß. Menschen und Unternehmen können als Rechtssubjekte ihre individuellen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen unmittelbar selbst durchsetzen. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn es um die Zerstörung der Umwelt und die Tötung von Tieren geht. Demgegenüber verfügt die Natur nach dem vorherrschenden Verständnis des Artikel 20a GG über keine Rechtssubjektivität. Zwar muss die Natur aufgrund dieser ökologischen Staatszielbestimmung geschützt werden. Doch dieser Schutz bleibt hinter den rechtlichen Möglichkeiten zurück, die sich der Natur eröffnen würden, wenn sie ihre ökologischen Interessen als Rechtssubjekt selbst durchsetzen könnte. Zugespitzt formuliert: Es ist schlicht unfair, wenn wirtschaftlichem Kapital Rechte zustehen, der Natur aber nicht.
Die normative Leerstelle, die die fehlende Anerkennung der Rechte der Natur in unserer Rechtsordnung bedeutet, wird auch unmittelbar deutlich, wenn man sich noch einmal den dreidimensionalen Nachhaltigkeitsbegriff in Erinnerung ruft. Dieser soll einen angemessenen Ausgleich zwischen sozialen, ökonomischen und ökologischen Interessen herstellen. Doch während soziale und ökonomische Interessen von Rechtssubjekten selbst verfolgt werden können, werden ökologische Interessen nur objektiv-rechtlich geschützt. Erst wenn auch die Natur über Rechtssubjektivität verfügt und ihre ökologischen Interessen selbst durchsetzen kann, wird juristische "Waffengleichheit" hergestellt, die dem Gebot der Fairness genügt. Auf diese Weise könnte der Nachhaltigkeitsgrundsatz durch die Anerkennung der Rechte der Natur vielleicht doch neue politische und rechtliche Impulse für die Verfassung des Anthropozän entfalten.
Verfassungsauslegung
Wie kann aber nun unsere Verfassungsordnung die Rechtssubjektivität der Natur anerkennen und die Rechte der Natur ausdifferenzieren? Durch Auslegung des Grundgesetzes sind zwei Wege denkbar:
Der erste Weg knüpft unmittelbar an Artikel 20a GG an. Wir haben bereits gesehen, dass sich aus dieser Regelung nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers keine verfassungsunmittelbaren Rechte für die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere ergeben sollen. Doch dies hindert den einfachen Gesetzgeber nicht, diesen objektiv-rechtlichen Verfassungsauftrag des Umweltschutzes subjektiv-rechtlich umzusetzen.
Der zweite Weg stellt die Natur den juristischen Personen gleich. Ganz in diesem Sinn hat der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano vorgeschlagen, dass sich die in Artikel 20a GG verfassungsrechtlich anerkannten natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere nach Artikel 19 Absatz 3 GG wie juristische Personen auf die Grundrechte berufen können, die wesensmäßig auf sie anwendbar sind.
Verfassungsänderung
Die Anerkennung der Rechtssubjektivität der Natur durch Verfassungsauslegung ist also durchaus möglich. Doch aufgrund der verbleibenden Unwägbarkeiten würde eine Verfassungsänderung, die die Rechtssubjektivität und Rechte der Natur ausdrücklich anerkennt, größere Klarheit bringen. Dem Gesetzgeber steht insofern eine Reihe von Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung, von denen im Folgenden zwei näher erörtert werden sollen.
Erstens könnte der verfassungsändernde Gesetzgeber eine Regelung in das Grundgesetz aufnehmen, welche die Rechte der Natur ausdrücklich anerkennt: "Die Rechte der Natur sind zu achten und zu schützen." Dabei könnte die Begründung dieser Grundgesetzänderung festhalten, dass der Begriff der "Natur" weit zu verstehen ist und deshalb Tiere, Pflanzen und Umweltmedien umfasst. Damit würde das Grundgesetz an Regelungen anknüpfen, die sich bereits in Landesverfassungen finden. Nach Artikel 31 Absatz 2 der Verfassung von Berlin sind Tiere als Lebewesen zu achten und vor vermeidbarem Leiden zu schützen. Und Artikel 39 Absatz 3 der Brandenburgischen Verfassung geht noch einen Schritt weiter: Tiere und Pflanzen werden als Lebewesen geachtet. Art und artgerechter Lebensraum sind zu erhalten und zu schützen. Zwar könnte man auf die Idee kommen, auch diese landesverfassungsrechtlichen Regelungen und die für das Grundgesetz vorgeschlagene Formulierung ebenfalls nur als objektiv-rechtliche Staatszielbestimmungen zu verstehen. Doch dies überzeugt nicht. Denn das Grundgesetz erkennt mit der Verwendung des Begriffs der "Achtung" eines Rechts in der Regel eine subjektiv-rechtliche Rechtsposition an. Ein Beispiel hierfür ist die Menschenwürdegarantie. Die Würde des Menschen ist nach Artikel 1 Absatz 1 Satz 2 GG (als subjektives Recht) zu achten und (objektiv-rechtlich) zu schützen. Auf der Grundlage einer solchen Anerkennung der Rechtssubjektivität der Natur wäre es dem Gesetzgeber möglich, deren Rechte auf Integrität und Entfaltung weiter auszudifferenzieren.
Zweitens könnte der verfassungsändernde Gesetzgeber aber auch eine an Artikel 19 Absatz 3 Grundgesetz orientierte Regelung in das Grundgesetz aufnehmen: "Die Grundrechte gelten auch für die Natur, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind." Auch hier wäre in der Begründung der Verfassungsänderung klarzustellen, dass der Begriff der "Natur" weit zu verstehen ist und damit Tiere, Pflanzen und Umweltmedien umfasst. Dieser zweite Regelungsvorschlag würde sehr viel weiter als die soeben genannte erste Regelungsalternative gehen. Denn mit einer solchen Formulierung würde das Grundgesetz nicht nur die Rechtssubjektivität, sondern auch die Rechte der Natur unmittelbar auf verfassungsrechtlicher Ebene ausgestalten. Wie im Fall von juristischen Personen – also beispielsweise von Wirtschaftsunternehmen – wäre in jedem Einzelfall zu prüfen, welche Grundrechte ihrem Wesen nach auch auf die Natur anwendbar sind. Insofern kommen beispielsweise in Betracht: die Entfaltungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 1 GG), Leben und körperliche Integrität (Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 GG), Bewegungsfreiheit (Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 GG), Gleichheit (Artikel 3 Absatz 1 GG) und die Unverletzlichkeit der ökologischen Wohnung, also von Ökosystemen (Artikel 13 Absatz 1 GG). Darüber hinaus ist es auch grundsätzlich möglich, dass die Natur wirtschaftliche Freiheiten für sich in Anspruch nehmen könnte, also insbesondere die Berufsfreiheit (Artikel 12 Absatz 1 GG) und Eigentumsgarantie (Artikel 14 Absatz 1 GG). So wäre es beispielsweise nicht ausgeschlossen, dass etwa Tiere oder Landschaften ihren eigenen Naturpark wirtschaftlich betreiben, der in ihrem Eigentum steht. Das mag zwar auf den ersten Blick (noch) ungewohnt erscheinen, ist aber in der juristischen Konstruktion keineswegs ausgeschlossen. Auch die Inanspruchnahme von grundrechtsgleichen Justizgewährleistungsrechten ist der Natur problemlos möglich. Dies gilt insbesondere für die Garantie des effektiven Rechtschutzes (Artikel 19 Absatz 4 GG), die Geltendmachung einer Verfassungsbeschwerde (Artikel 93 Absatz 1 Nummer 4a GG) sowie das Recht auf den gesetzlichen Richter (Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 GG) und auf rechtliches Gehör (Artikel 103 Absatz 1 GG).
Abwägungen
Die Anerkennung der Rechtssubjektivität der Natur darf jedoch nicht zu dem Fehlschluss führen, dass die Rechte der Natur im Konflikt mit sozialen oder wirtschaftlichen Interessen stets überwiegen würden. Für die Natur gelten insofern die gleichen Grundsätze, die auch bei Menschen oder Unternehmen Anwendung finden: Wenn zwei oder mehrere Rechte miteinander kollidieren, findet eine Abwägung statt. In diesem Fall ist unter Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ein angemessener Ausgleich zwischen den konfligierenden Rechtspositionen und Rechtssubjekten herzustellen. Nach dem Grundgesetz gilt nur ein Grundrecht absolut und ist damit jeder Form der Abwägung entzogen: die Menschenwürdegarantie (Artikel 1 Absatz 1 GG). Auf diese kann sich die Natur nicht berufen, weil sie Menschen vorbehalten ist. Für die Abwägung der Rechte der Natur mit sozialen oder wirtschaftlichen Interessen werden sich neue Abwägungsregeln entwickeln. So sind beispielweise Regressionsverbote denkbar, wenn die Zerstörung eines unwiederbringlichen Ökosystems im Raum steht. In der Abwägung können sich aber auch Entwicklungs- und Progressionsgebote entfalten, wenn es etwa um die Steigerung der Resilienz eines Ökosystems geht. Es versteht sich von selbst, dass in diesen Abwägungen aber die Interessen von Menschen ebenfalls eine entscheidende Rolle spielen: Auch wenn ein Tierpark in Zukunft den Tieren gehören sollte, können diese nicht schlicht die Tierpflegerinnen und Tierpfleger entlassen, wenn das zu einer Gefährdung von Menschen führen würde. Vielmehr stellt sich in der Abwägung die Frage, ob die Tiere ihren Park mit den von ihnen eingenommenen Mitteln nicht so gestalten wollen, dass es ihrer tierlichen Persönlichkeit besser entspricht, und welche Entlassungen in die freie Wildbahn in Betracht kommen.
Rechte sind der Schlüssel zur modernen Gesellschaft. Deshalb liegt die Antwort auf die ökologischen Herausforderungen des Artensterbens, der Globalvermüllung und des Klimawandels nicht in einer Kritik der Rechte, sondern in einer verfassungsmäßig verankerten Anerkennung der Rechte der Natur – als Ausdruck eines neuen ökologischen Liberalismus im Anthropozän.