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Kriege und Konflikte Editorial Neues vom Chamäleon Krieg - Essay Kriegerische Konflikte: eine Übersicht Rüstungstransfers - Globaler Handel mit Tod und Gewalt Kriegsberichterstattung in der Mediengesellschaft Erfolge und Grenzen von Friedensmissionen

Erfolge und Grenzen von Friedensmissionen

Michael Brzoska

/ 16 Minuten zu lesen

Friedensmissionen leisten einen wichtigen Beitrag zur Beendigung von bewaffneten Konflikten, aber sie sind weniger erfolgreich bei der langfristigen Sicherung des Friedens in Nachkriegsgesellschaften. Die Konzepte der häufig kostenintensiven Friedensmissionen müssen deshalb überdacht und verändert werden.

Einleitung

Es ist knapp 13 Jahre her, dass das Bundesverfassungsgericht am 12. Juli 1994 den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland außerhalb des Verteidigungsfalls, aber im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit, für verfassungsgemäß erklärte. Seitdem sind mehrere Zehntausend deutscher Soldaten in viele Regionen der Welt gesandt worden. Anfang 2007 befinden sich knapp 10 000 deutsche Soldaten in Auslandseinsätzen.


Bis auf wenige Ausnahmen wie 1999 im Kosovo-Krieg und im Rahmen von Enduring Freedom seit 2001 sind die deutschen Soldaten in Nachkriegssituationen mit dem Auftrag zum Einsatz gekommen, einen instabilen und gefährdeten Frieden sichern zu helfen. In der Regel waren dies Interventionen, in denen zivile und militärische Mittel, Entwicklungshelfer und Streitkräfte mehr oder weniger gut koordiniert parallel eingesetzt wurden. Solche Einsätze sind auf der Schnittstelle von klassischer Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik ein Schwerpunkt deutscher und internationaler Politik geworden, als, wie es in der offiziellen Darstellung des Auswärtigen Amtes heißt, "fester Bestandteil deutscher Friedenspolitik".

Deutschland liegt damit im internationalen Trend zunehmender Interventionsbereitschaft. Die Zahl internationaler Interventionen zur Konflikteinhegung und Friedenskonsolidierung ist seit dem Ende des Kalten Krieges stark angestiegen (vgl. die Tabelle der PDF-Version). Ende 2006 waren weltweit in multinationalen, international legitimierten Friedensmissionen mehr als 130 000 Soldaten eingesetzt.

Aber wie erfolgreich sind diese Einsätze? Sind sie geeignet und in der Lage, Frieden zu bringen und zu stabilisieren? Und wie sieht es mit den Kosten aus? Ist der Einsatz von Soldaten kosteneffizient? Was folgt insgesamt aus der Analyse bisheriger Friedensmissionen für den künftigen Einsatz von Soldaten im Ausland?

Friedensmissionen und Kriegshäufigkeit

Statistische Untersuchungen deuten darauf hin, dass der vermehrte Einsatz von Soldaten mit dem Ziel, Frieden zu schaffen, zu einer geringeren Kriegshäufigkeit beigetragen hat. Die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte hat in den vergangenen 15 Jahren deutlich abgenommen, nach einigen Quellen fast um die Hälfte. Auch die Zahl direkter Kriegsopfer ist stark zurückgegangen. Dieser Rückgang ist vor allem auf die Beendigung einer im Zeitvergleich hohen Zahl innerstaatlicher bewaffneter Konflikte, oft auch Bürgerkriege genannt, zurückzuführen. Die Zahl der internationalen Kriege und bewaffneten Konflikte sinkt bereits seit den 1970er Jahren, seit Anfang der 1990er Jahre auch die der innerstaatlichen Kriege.

Eine Reihe von Autoren haben nach einer Kausalbeziehung zwischen der Zunahme von Friedensmissionen und der Abnahme der Zahl von Kriegen gesucht. Im 2005 erschienenen Human Security Report werden verschiedene alternative Erklärungsmöglichkeiten wie das Ende des Ost-West-Konflikts, Demokratie in einer zunehmenden Zahl von Staaten und wirtschaftliche Entwicklung geprüft. Die Autoren kommen aber zu dem Schluss, dass das stärkere internationale Engagement im Konfliktmanagement die beste Erklärung für den festgestellten Trend abnehmender Kriegshäufigkeit liefert. Methodisch anspruchsvollere Analysen kommen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Zunahme der Zahl der Friedensmissionen und der Abnahme der Kriegshäufigkeit besteht. Ein weiteresErgebnis ist, dass bewaffnete Konflikte, in denen Friedensmissionen zum Einsatz kamen, kürzer dauerten als solche, bei denen das nicht der Fall war.

Zwar kann auch mit diesen Untersuchungen die Kausalität nicht belegt, sondern nur nahegelegt werden. Aber auch theoretische Überlegungen gehen in diese Richtung. Die Stabilisierung von Waffenstillständen erfordert, dass die Konfliktparteien darauf vertrauen, dass die andere Seite den Waffenstillstand nicht bricht. Ausländische Soldaten können dieses häufig nicht vorhandene Vertrauen kompensieren. Den Kampfparteien fällt so die Zustimmung zu weitergehenden Maßnahmen, wie die Demobilisierung von Streitkräften und die Abgabe von Waffen, leichter.

Diese statistischen Durchschnittsergebnisse überdecken eine weiterhin nicht geringe Zahl von misslungenen Friedenseinsätzen, wie aktuell etwa im Sudan. Allerdings war der Anteil gescheiterter Missionen früher höher; die Erfolgsquote ist gestiegen. Auch kommen nicht in allen Fällen, in denen der Einsatz von Soldaten zur Friedenssicherung denkbar wäre, Friedensoperationen zu Stande, so in Palästina, der Westsahara oder Tschetschenien. Empirische Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass vor allem zwei gegenläufige Faktorenbündel dafür bestimmend sind, ob und wann die internationale Staatenwelt machtvoll eingreift. Das eine umfasst die Aufmerksamkeit, die ein Konflikt findet, insbesondere in der westlichen Welt - eine Frage der Zahl der Opfer, der Medienberichterstattung, aber auch materieller Interessen, etwa an Rohstofflieferungen aus Krisengebieten. Das zweite Faktorenbündel ist die Stärke der Gegenmacht gegen den Interventionswillen. Ständige Mitglieder des Sicherheitsrates und deren Verbündete sind infolge ihres Vetorechtes gegen Beschlüsse dieses Gremiums sowieso gefeit, aber generell gilt, dass große militärische Stärke eines Staates andere Staaten davon abhält, Interventionen zu beschließen.

Friedensmissionen und Nachkriegskonsolidierung

Deutlich weniger erfolgreich als in der unmittelbaren Sicherung von Frieden - definiert als Rückgang offener Gewaltanwendung - waren und sind Friedensmissionen bei der längerfristigen Sicherung des Friedens und der Unterstützung des Aufbaus von stabilen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen. In der wissenschaftlichen Literatur sind verschiedene Kriterien für den Erfolg von Friedenskonsolidierung vorgeschlagen worden. Michael W. Doyle und Nicholas Sambanis zum Beispiel unterscheiden mehrere Konzepte von Frieden in Nachbürgerkriegszeiten. Das wichtigste nennen sie "partizipatorischer Frieden", definiert als Abwesenheit von Kampfhandlungen und organisierter Gewalt sowie zwischen den Konfliktparteien geteilte territoriale Verantwortung und das Vorhandensein eines Mindestmaßes an offenem politischem Wettbewerb zwischen den früheren Kriegsparteien.

Sie untersuchten 121 Friedensprozesse nach Bürgerkriegen. Ausgehend von der Frage, ob zwei Jahre nach Kriegsende "partizipatorischer Frieden" herrschte, verzeichneten sie 84 Fehlschläge und 37 Erfolge, eine Erfolgsquote von 31 Prozent. Die Erfolgsrate steigt mit der Anwesenheit externer peacekeeping-Akteure nicht an, sie bleibt bei 31 Prozent. Nur für Missionen der Vereinten Nationen (VN) liegt sie mit 42 Prozent höher. Auch Fallstudien führen zu eher ernüchternden Ergebnissen. Necla Tschirgi, Vizepräsidentin der International Peace Academy in New York, fragt in einer Übersicht über die Literatur zum post-conflict peacebuilding: "Warum ist das internationale Projekt Friedenskonsolidierung nach mehr als zehn Jahren Erfahrung immer noch so experimentell, amorph und vorläufig?"

Die Konfliktfalle

Ein Grund für die relativ hohe Rückfallrate von bewaffneten Konflikten ist die "Konfliktfalle": Bewaffnete Konflikte fördern genau die Faktoren, die ihrerseits mit hoher Konfliktwahrscheinlichkeit verbunden sind, insbesondere ein niedriges Niveau der wirtschaftlichen Aktivität und geringes wirtschaftliches Wachstum, aber auch schwache staatliche Institutionen und Spannungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen und ethnischen Gruppen. Erfolgreiche Friedenskonsolidierung in Nachkriegsgesellschaften, die durch derartige Konfliktfaktoren gekennzeichnet sind, gestaltet sich schwierig. Die Schaffung von Sicherheit, für die die Stationierung von ausländischen Soldaten hilfreich sein kann, ist nur ein Element des Erfolgs, in vielen Fällen sogar nur eines von untergeordneter Bedeutung. Langfristig ist im Durchschnitt der untersuchten Fälle wirtschaftlicher Aufschwung der stärkste Erklärungsfaktor für die Vermeidung von Rückfällen in kriegerische Konflikte. Friedensmissionen, die zu starkes Gewicht auf den militärischen Aspekt legen, können nicht nur in ihrer Wirkung beschränkt, sondern sogar kontraproduktiv sein.

Die hohen Kosten der militärischen Auslandseinsätze schränken die Möglichkeiten finanzieller Hilfe für den wirtschaftlichen Aufbau ein. In Afghanistan sind sowohl für den ISAF-Einsatz als auch für die Entwicklungszusammenarbeit bisher fünf Milliarden Euro ausgegeben worden, mit mangelhaften Ergebnissen für die Entwicklung, die auch Rückwirkungen auf die sich verschlechternde Sicherheitslage haben. Unter dem Gesichtspunkt langfristiger Friedenskonsolidierung stehen die Ausgaben für die Stabilisierung von Sicherheit in der Mehrzahl der Friedensmissionen nicht in einem angemessenen Verhältnis zu jenen für die Stabilisierung der wirtschaftlichen Verhältnisse. Zum Vergleich: Selbst bei Staaten im Kriegszustand liegt der Anteil der Militärausgaben am Bruttosozialprodukt selten höher als bei 30 Prozent. Die zum Teil deutlich höheren militärischen Anteile an der Finanzierung der externen Unterstützung von Friedensmissionen und Nachkriegskonsolidierung sind mit diesen Zahlen zwar nur bedingt vergleichbar, sie weisen aber darauf hin, dass die Ausgaben für zivile Aufgaben im Vergleich zu den Militärausgaben unverhältnismäßig gering sind, selbst wenn diese halbwegs gerechtfertigt sind.

Erweitertes Aufgabenspektrum bei den Vereinten Nationen

In den Vereinten Nationen hat der mangelnde Erfolg in der langfristigen Friedenskonsolidierung zu einem ständig wachsenden Katalog von Ansprüchen an Friedensmissionen geführt. Schon in den frühen 1990er Jahren wurde in der "Agenda for Peace" von VN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali ein umfassendes Konzept von Friedensmissionen entworfen und unter anderem im Bericht einer von VN-Generalsekretär Kofi Annan 1999 eingesetzten Expertengruppe unter dem Vorsitz von Lakhdar Brahimi weiter entwickelt. Um Erfolg zu haben, sollen Friedensmissionen mit umfangreicheren Mandaten versehen werden, welche die drei Elemente "Konsolidierung der inneren und äußeren Sicherheit", "Stärkung der politischen Institutionen und der guten Regierungsführung" und "Förderung von wirtschaftlichem und sozialem Wiederaufbau und Transformation" beinhalten.

Aber das vernünftige Ziel einer engen Kooperation der militärischen und zivilen Akteure wird nur selten umgesetzt, Konkurrenz und mangelnde Kommunikation sind die Regel. Der Zeitplan für die externe Unterstützung nach einem Bürgerkrieg hängt oft weniger vom Bedarf vor Ort als von Haushaltszwängen und politischen und wirtschaftlichen Interessen der wichtigsten Geberländer ab. Zahlreiche Untersuchungen belegen die hohen Kosten mangelnder Abstimmung unter den Akteuren in New York, in den Hauptstädten der Geberländer und Truppensteller sowie nicht zuletzt in den Krisengebieten.

Die Ende 2005 von der Vollversammlung und dem Sicherheitsrat der VN eingerichtete "Peacebuilding Commission" stellt einen erneuten Anlauf dar, den umfassenden Anspruch einzulösen. Leider sind die Aussichten für die Peacebuilding Commission eher schlecht. Ihre personelle und finanzielle Ausstattung ist dünn, ihr Maß an Autorität gegenüber anderen internationalen Organisationen und Nationalstaaten gering. Sie wird bestenfalls zu einer Verbesserung der Kommunikation der wichtigsten Akteure untereinander beitragen können - was auch schon ein nicht zu verachtender, aber für eine Steigerung der Erfolgsrate von Friedensmissionen vermutlich nicht ausreichender Fortschritt wäre.

Friedensmissionen und "liberaler Friede"

Der Ausweitung des Aufgabenspektrums internationaler Friedensmissionen liegt ein Modell zur Überwindung der Konfliktfalle zu Grunde, für das die Bezeichnung des "liberalen Friedens" geprägt worden ist. Liberal peace umfasst die Kombination von freier, offener Marktwirtschaft, stabilen demokratischen politischen Verhältnissen, Achtung von Menschenrechten und persönlicher Sicherheit. Dieses Modell gesellschaftlicher Organisation ist von westlichen Vorstellungen geprägt. Im historischen Vergleich ist es in besonderem Maße friedensförderlich, sowohl nach innen als auch gegenüber anderen Gesellschaften mit ähnlicher Verfassung. Aber ist es in Nachkriegsgesellschaften - insbesondere solchen, die in sich in der Konfliktfalle befinden - realisierbar? Die Basis für den Ausbau wirtschaftlicher Aktivitäten ist häufig schmal, und lokale Akteure, welche die Ziele der Agenda des "liberalen Friedens" umsetzen wollen, sind oft in einer schwachen Position.

Die Erfolgsaussichten für die Etablierung von liberal peace sind von Fall zu Fall höchst unterschiedlich. In wenig westlich geprägten Ländern, wie etwa Afghanistan, stößt die Umsetzung des Programms auf große Widerstände und ist daher besonders schwierig. In Ländern mit besonders armer Bevölkerung, wie Haiti oder in weiten Teilen Afrikas, sind die Erfolgsaussichten für den "liberalen Frieden" ebenfalls eher gering. Die institutionellen Rahmenbedingungen lassen sich beispielsweise durch Wahlen schaffen, aber sie allein können die Wirtschaft nicht in Schwung bringen und so die Erwartungen der Bevölkerung auf Verbesserung ihrer Lage erfüllen.

Externe Akteure können versuchen, die fehlenden Bedingungen für "liberalen Frieden" zu kompensieren; sie tun dies in einer Reihe von Fällen, in Afghanistan wie in Bosnien-Herzegowina, wo der Repräsentant der internationalen Gemeinschaft die höchste politische Autorität ist. Dafür bedarf es eines langen Atems, eines hohen Einsatzes finanzieller und personeller Ressourcen und der Bereitschaft, die eigenen Vorstellungen gegen lokale Akteure mit anderen Zielen durchzusetzen. Diesen Einsatz ist die internationale Gemeinschaft nur in wenigen Fällen bereit zu leisten. Darüber hinaus eröffnet sich ein massives Legitimationsdefizit: Entscheidend ist nicht, was die Bevölkerung will, sondern was die internationale Gemeinschaft ihr - mit Bezug auf die Maßstäbe westlicher Staaten und die in internationalen Organisationen beschlossenen Grundsätze - verordnet.

In der Praxis von Friedensmissionen werden, um die Kosten zu senken und dem Legitimationsproblem zu begegnen, möglichst rasch möglichst viele lokale Akteure in die Maßnahmen der internationalen Akteure eingebunden. Das Ziel ist die Herstellung von local ownership. Lokale Akteure sollen die notwendigen Veränderungen entwickeln und tragen. Dadurch vermischen sich die Interessen lokaler und externer Akteure, und es werden Kompromisslösungen erzeugt, die möglicherweise die Ziele des "liberalen Friedens" kompromittieren, wie dies der internationalen Gemeinschaft etwa im Falle Afghanistans vorgeworfen wird. Außerdem kann die Übertragung der Verantwortung auf nationale Akteure zu rasch erfolgen, und die Konflikte können wieder aufbrechen. Wie in Haiti und Osttimor macht dies dann erneut Friedensmissionen notwendig.

Zukunft der Friedensmissionen

Was folgt aus dieser parallelen Diagnose des relativ hohen Erfolgs von Friedensmissionen in der Sicherung von Waffenstillständen einerseits und der Probleme der Nachkriegskonsolidierung auf der Grundlage des Modells des "liberalen Friedens" andererseits?

Eine mögliche Antwort wäre, auf Friedensmissionen ganz zu verzichten oder sie doch auf ein Minimum zu reduzieren. Damit wäre der seit Anfang der 1990er Jahre messbare Rückgang der Kriegshäufigkeit gefährdet, und es könnte wieder schwieriger werden, Friedensschlüsse zwischen einander misstrauenden Kriegsparteien auszuhandeln. Darüber hinaus würde die internationale Gemeinschaft ihre Glaubwürdigkeit strapazieren. Im September 2005 wurde in das Abschlussdokument des "Millennium-plus-Fünf"-Gipfels der Staatschefs der Welt die reponsibility to protect als Verpflichtung für die internationale Staatengemeinschaft aufgenommen. Diese Selbstverpflichtung der VN-Mitgliedstaaten hat sich der Sicherheitsrat in der Resolution 1674 vom 28. April 2006 zur Frage des Schutzes von Zivilisten in bewaffneten Konflikten ausdrücklich zu Eigen gemacht.

Eine andere Alternative wäre, auf die hohen Ansprüche des Modells des "liberalen Friedens" zu verzichten und nur dann zu intervenieren, wenn dadurch ein unmittelbarer Beitrag zur Sicherung eines bereits ausgehandelten Friedensschlusses vor Ort geleistet werden könnte. Friedenseinsätze würden wieder - wie vor der Ausweitung des Aufgabenspektrums - vor allem zur Sicherung eines Waffenstillstandes durchgeführt. Ausländische Truppen würden so bald wie möglich wieder abgezogen, auch ohne Stabilisierung der politischen und gesellschaftlichen Strukturen. Die Kosten für Friedensmissionen lassen sich so begrenzen, aber die Gefahr eines Rückfalls in den Kriegszustand ist hoch. Die betroffenen Länder würden nicht aus der Konfliktfalle herauskommen, und die internationale Gemeinschaft müsste möglicherweise bald wieder über die Entsendung einer Friedensmission diskutieren. Auch könnten die abziehenden Truppen eine Nachkriegsordnung hinterlassen, die den Wertvorstellungen der westlichen Geberländer nicht entspricht. Beispiel Afghanistan: Ein Abzug der ausländischen Truppen könnte zu einem neuen Krieg führen oder auch zur Errichtung einer Herrschaft von Kriegsfürsten, die sich um Menschenrechte nicht scheren. Das muss jedoch nicht so sein; auch Mischformen traditioneller und demokratischer Herrschaft können dauerhaften Frieden schaffen.

Schließlich sollten Friedensmissionen so ausgestattet und so lange durchgehalten werden, bis die wirtschaftliche und gesellschaftliche Konsolidierung des Friedens erreicht ist. Die dafür notwendigen Veränderungen dauern im günstigsten Fall viele Jahre, in der Regel eher Jahrzehnte. So lange müssten externe Akteure für die Sicherheit im Lande verantwortlich bleiben und darüber hinaus versuchen, die Entwicklung einer florierenden, nicht von illegalen und kriminellen Aktivitäten abhängigen Wirtschaft zu befördern. Die Kosten für diese Alternative wären hoch, in finanzieller wie personeller Hinsicht.

Keine dieser Alternativen ist optimal. Sie schließen sich aber auch nicht gegenseitig aus; die internationale Gemeinschaft kann in einem Falle so und in einem anderen anders verfahren. Auch können verschiedene internationale Organisationen unterschiedlich vorgehen, in einer Art Arbeitsteilung, die immer üblicher wird. Allerdings ist die Kenntnis über die besten Strategien externer Akteure in Nachkriegssituationen nicht sehr groß. Politische Entscheidungen darüber, wann eine extern geförderte umfassende Transformation zur langfristigen Friedenskonsolidierung notwendig ist, wann darauf verzichtet werden kann und wann sie sogar kontraproduktiv sein könnte, beruhen häufig auf einer sehr dünnen Informationsbasis. Das Wissen um Chancen und Bedingungen von Nachkriegskonsolidierung und insbesondere um die Wirkung bestimmter Maßnahmen in einzelnen Ländern ist ebenfalls gering.

Deutsche Beteiligung an Friedensmissionen

Über die deutsche Beteiligung an Friedensmissionen ist immer wieder heftig diskutiert worden, in der Regel allerdings anhand einzelner Konflikte, bei denen konkrete Entscheidungen anstanden, wie etwa 2006 in den Fällen der DR Kongo und des Libanon. Eine grundsätzliche Diskussion darüber, unter welchen Bedingungen deutsche Soldaten in welche Gebiete entsandt werden und wie lange sie bleiben sollen, ist bisher nicht in Gang gekommen.

Die Betrachtung der größeren Einsätze mit deutscher Beteiligung liefert aber einige Anhaltspunkte. So waren deutsche Soldaten besonders häufig in Europa stationiert, in Afrika hingegen - im Vergleich zur Zahl der Soldaten aus anderen Ländern - besonders selten. Für die von den VN geführten Einsätze stellt die Bundeswehr eher selten Soldaten zur Verfügung, und wenn, dann in der Regel für Beobachtungsmissionen. Eine Ausnahme ist der Einsatz der Marine vor der Küste des Libanon im Rahmen von UNIFIL. Die großen Einsätze werden hingegen meist von anderen Organisationen wie der NATO geführt, zunehmend auch von der Europäischen Union. Die deutschen Einsätze auf dem Balkan und in Afghanistan sollen der langfristigen Friedenskonsolidierung dienen und dauern entsprechend lange an. Artemis und EUFOR DR Kongo, die beiden größeren Einsätze in Afrika der vergangenen Jahre hingegen, waren kurz und hatten begrenzte Ziele.

Die deutsche Beteiligung an Friedensmissionen war bisher vor allem von drei Interessen bestimmt. Das eine war die Stabilisierung des Balkan, einer Region in der unmittelbaren Nachbarschaft. Das zweite war die Beteiligung an Einsätzen der Europäischen Union im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Schließlich kam die Bundeswehr nach Krisen mit besonders hohem internationalen Profil zum Einsatz, so in Afghanistan und im Libanon. Die Bereitschaft, den VN deutsche Truppen zu unterstellen, ist seit der gescheiterten UNOSOM-Mission in Somalia im Jahre 1993 gering.

Deutschland hat stärker als andere Staaten den Vorrang des zivilen Beitrags zur Konflikteindämmung und Nachkriegskonsolidierung betont. Ein Ausdruck dieses Bekenntnisses ist der Aktionsplan "Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Krisenprävention." Für die Zusammenarbeit militärischer und ziviler Akteure in Nachkriegssituationen sind neue Instrumente entwickelt und ausgebaut worden, wie die Zivil-militärische Zusammenarbeit und die "Provincial Reconstruction Teams" in Afghanistan.

Trotz dieser Bekenntnisse und Bemühungen sind die lang anhaltenden Missionen mit deutscher Beteiligung bisher keine Erfolgsgeschichten geworden. Zwar hat sich die Lage für die Mehrheit der Bevölkerung sowohl in Bosnien-Herzegowina als auch im Kosovo verbessert, aber auch nach vielen Jahren ausländischer Truppenpräsenz ist noch immer nicht gesichert, dass nach einem Abzug der ausländischen Soldaten der Frieden stabil bleibt. In beiden Krisengebieten sind grundsätzliche politische Fragen zwischen wichtigen Bevölkerungsgruppen kontrovers, und die wirtschaftliche Entwicklung stagniert. In Afghanistan verschlechtert sich die Lage sogar. Demgegenüber haben die kurzfristigen Missionen in Afrika ihre deutlich eingeschränkteren Ziele erreicht. Die Mission Artemis leistete einen Beitrag zur Befriedung einer besonders unruhigen Region im Osten des Kongos, und die Mission EUFOR DR Kongo half, die Durchführung der Präsidentschaftswahlen im Kongo abzusichern.

Ausblick

Friedensmissionen sind ein beschränkt erfolgreiches Instrument der Konflikteindämmung. Sie können einen wichtigen Beitrag zur Friedenssicherung leisten, sowohl in der Phase unmittelbar nach Beendigung eines Konfliktes als auch bei der langfristigen Sicherung des Friedens in einer Nachkriegsgesellschaft. Aber während Erfolge in der ersten Phase unmittelbar nach einem Krieg relativ einfach zu erzielen sind, stellt die langfristige Friedenskonsolidierung Anforderungen an Friedensmissionen, die diese in der Vergangenheit nur in etwa der Hälfte der Fälle erfüllen konnten. Ein Grund dafür ist, dass die kurzfristige Sicherung des Friedens oft als vorrangig militärische Aufgabe organisiert werden kann, während für die langfristige Friedenskonsolidierung militärische Aspekte in der Regel eine untergeordnete Bedeutung haben. Die unbefriedigende Erfolgsrate von Friedensmissionen für die Schaffung von Frieden spiegelt daher vor allem den weiter bestehenden Mangel an Kenntnissen darüber wider, wie Friedenskonsolidierung im konkreten Einzelfall von außen wirkungsvoll unterstützt werden kann, sowie die begrenzten zivilen Kapazitäten, die dafür zur Verfügung gestellt werden.

Langfristig erfolgreiche Friedenskonsolidierung erfordert einen Mitteleinsatz, den aufzubringen die internationale Gemeinschaft zukünftig vermutlich nur in Einzelfällen bereit sein wird. Soldaten dürften stärker im Krisenmanagement, insbesondere zur unmittelbaren Absicherung einer Friedensvereinbarung, zum Einsatz kommen. Deshalb ist es umso mehr geboten, zivile Instrumente der Friedenskonsolidierung besser auszustatten und zum Einsatz zu bringen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Sabine Jaberg, Sag mir, wo ...?, Auf der Suche nach der grundgesetzlichen Friedensnorm beim Streitkräfteeinsatz, Hamburger Beiträge zur Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Heft 143, Hamburg 2006.

  2. Informationen zu den einzelnen Missionen mit deutscher Beteiligung unter http://www.einsatz.bun deswehr.de.

  3. Einsatz im Kampf gegen den internationalen Terrorismus, der vom Regionalkommando USCENTCOM der US-Streitkräften geführt, aber vom VN-Sicherheitsrat in Resolution 1368 autorisiert wurde.

  4. http://www.auswaertiges-amt.de/ diplo/de/Aussen politik/FriedenSicherheit/Uebersicht.html.

  5. Diese Zahlen nach http://www.stimson.org/pub.cfm?id=339.

  6. Nach den Zahlen des Uppsala Conflict Data Project, die in vielen internationalen Statistiken Verwendung finden, ist die Zahl der bewaffneten Konflikte von über 50 im Jahre 1992 auf 32 im Jahre 2005 zurückgegangen; vgl. www.pcr.uu.se/database/index.php. Die Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg weisen einen ähnlichen Trend aus; vgl. http://www.sozialwiss.uni-hamburg. de/publish/Ipw/Akuf/index.htm.

  7. Vgl. etwa http://www.prio.no/cscw/cross/battle deaths.

  8. Vgl. Human Security Center, The University of British Columbia, Canada, Human Security Report 2005. War and Peace in the 21st Century, Oxford 2005.

  9. Vgl. etwa Virginia Page Fortna, Does Peacekeeping Keep Peace? International Intervention and the Duration of Peace After Civil War, International Studies Quarterly, 48 (2003) 2, S. 269 - 292.

  10. Vgl. Barbara F. Walter, Committing to Peace: The Successful Settlement of Civil Wars, Princeton 2003.

  11. Vgl. Patrick M. Regan, Civil Wars and Foreign Powers: Outside Intervention in Intrastate Conflict, Ann Arbor 2002.

  12. Errechnet aus http://pantheon.yale.edu/~ns237/ index/research/ nonUN.pdf, Anhang zu den Daten.

  13. Necla Tschirgi, Post-Conflict Peacebuilding Revisited: Achievements, Limitations, Challenges, New York, October 2004, S. 1.

  14. Vgl. Paul Collier et al., The Conflict Trap, Oxford 2004.

  15. Vgl. http://pantheon.yale.edu /~ns237/index/ research/Oxford.pdf.

  16. Diese Mittel werden allerdings häufig auch schlecht eingesetzt. So ist die Korruption in Nachkriegsgesellschaften mit schwachen politischen Kontrollinstanzen häufig weit verbreitet; vgl. etwa die "Reconstruction National Integrity System Surveys" der Organisation Tiri, http://www.tiri.org.

  17. Über diesen Punkt besteht weitgehender politischer Konsens. Dies wurde anlässlich des NATO-Gipfels in Riga im November 2006 deutlich.

  18. Vgl. United Nations, Report of the Secretary-General, An Agenda for Peace, Preventive diplomacy, peacemaking and peace-keeping, A/47/277 - S/24111 vom 17. Juni 1992; http://www.un.org/ Docs/SG/ agpeace.html.

  19. United Nations, Report of the Secretary-General, No Exit without Strategy, S/2001/394 vom 20. April 2001; http://daccessdds. un.org/doc/ UNDOC/GEN/N01/343/ 62/PDF/N0134362.pdf? OpenElement, para 20.

  20. Vgl. Espen Barth Eide/Anja Therese Kaspersen/Randolph Kent/Karen von Hippel, Report on Integrated Missions: Practical Perspectives and Recommendations, Independent Study for the Expanded UN ECHA Core Group, New York, May 2005; http://ochaonline.un. org/GetBin.asp?DocID =3352; Alberto Cutillo, International Assistance to Countries Emerging from Conflict. A Review of Fifteen Years of Interventions and the Future of Peacebuilding, Policy paper, New York, February 2006; http://www. ipa cademy.org/PDF_Reports/Cutillo_E_RPT.pdf.

  21. Vgl. http://www.un.org /News/Press/docs /2005/fa10439.doc.htm.

  22. Vgl. Roland Paris, Bringing the Leviathan back in: Classical versus contemporary conceptions of the liberal peace, in: International Studies Review, 8 (2006) 3, S. 425 - 440.

  23. Vgl. die Debatte zum "demokratischen Frieden", etwa Anna Geis, Diagnose: Doppelbefund? Ursache ungeklärt? Die Kontroversen um den demokratischen Frieden, in Politische Vierteljahresschrift, 42 (2001) 2, S. 282 - 298.

  24. Vgl. Volker Matthies (Hrsg.), Vom Krieg zum Frieden, Bremen 1995; Mir A. Ferdowsi/Volker Matthies (Hrsg.), Den Frieden gewinnen, Bonn 2003; Roland Paris, At War's End: Building Peace After Civil Conflict, Cambridge 2004.

  25. Vgl. United Nations, General Assembly, 2005 World Summit Outcome Document, http:// www.un.org/summit2005/ documents.html, Absatz 139.

  26. Vgl. http://daccessdds.un.org/ doc/UNDOC/GEN/ N06/331/99/PDF/ N0633199.pdf? Open-Element.

  27. Vgl. etwa Marina Ottaway, Nation building, Foreign Policy, 132 (2000), S. 16 - 24.

  28. Vgl. etwa Volker Böge, Muschelgeld und Blutdiamanten - Traditionelle Konfliktbearbeitung in zeitgenössischen Gewaltkonflikten, Schriften des Deutschen Übersee-Instituts, Hamburg 2004.

  29. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussen politik/FriedenSicherheit/Krisenpraevention/ Aktions planZusammenfassung.html.

  30. Vgl. Markus Gauster, Provincial Reconstruction Teams in Afghanistan. Ein innovatives Instrument des internationalen Krisenmanagements auf dem Prüfstand, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie, November 2006; www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/mg_prt_studie_ okt_2006.pdf.

Prof. Dr., geb. 1953; Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg, Falkenstein 1, 22587 Hamburg.
E-Mail: E-Mail Link: brzoska@ifsh.de