Einleitung
Es war ein wichtiger Tag für Bundesregierung, Verteidigungsministerium und Bundeswehr: Das "Weißbuch 2006" sollte deutschen und internationalen Medienvertretern in einer aufwändig vorbereiteten Pressekonferenz vorgestellt werden. Relevant ist das Thema: Immerhin beschreibt das Weißbuch, erstmals wieder seit 1994, wesentliche Ziele der deutschen Sicherheitspolitik und Perspektiven für die Bundeswehr.
Wenige Stunden vor der Pressekonferenz veröffentlichte die auflagenstärkste deutsche Boulevard-Zeitung skandalöse Bilder deutscher Soldaten, die während eines Einsatzes in Afghanistan mit einem Totenschädel hantierten. Die im Weißbuch dokumentierte Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik, die Wochen später eine Strafanzeige des Vereins "Aachener Friedenspreis" gegen Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Jung provozierte,
Höhere Ansprüche an sicherheitspolitische Kommunikation
Anders als noch zu Zeiten des Kalten Krieges haben die meisten politischen Akteure freilich die Spielregeln der Mediengesellschaft akzeptiert. Jung und Schneiderhan wussten, was auf sie zukommt, bevor sie die Pressekonferenz eröffneten. Denn am Vortag hatte ein Reporter der "Bild"-Zeitung im Verteidigungsministerium eine Stellungnahme zu den Totenschädel-Fotos aus Afghanistan eingefordert. Den Fachleuten im Ministerium war damit klar, dass die Pressekonferenz einen völlig anderen Verlauf als geplant nehmen würde. Eilig wurden alle verfügbaren Informationen zu dem Fall zusammengetragen, damit Verteidigungsminister und Generalinspekteur dem bevorstehenden Frageansturm der Journalisten begegnen konnten.
Öffentlichkeit, Journalismus und Public Relations spielen im sicherheitspolitischen Diskurs seit dem Ende der Ost-West-Konfrontation unverkennbar eine größere Rolle. Das gilt im Alltag der Berliner Republik genauso wie in Kriegs- und Krisensituationen, mit denen die Bundeswehr seit der Mitwirkung an der UN-Mission in Somalia 1993 in wachsendem Maß konfrontiert ist. Mit der größeren Anzahl von Auslandseinsätzen wuchsen die Anforderungen an die kommunikative Auseinandersetzung mit gegnerischen Streitkräften, an die zielgruppengerechte Information der Bevölkerung in den Einsatzgebieten und, nicht zuletzt, an die öffentliche Legitimation militärischer Operationen. Im Weißbuch 2006 findet sich dazu allerdings - Ironie der Geschichte - nur ein lapidarer Hinweis: "Neben den klassischen militärischen Faktoren Kräfte, Raum und Zeit gewinnt der Faktor Information zunehmend an Bedeutung."
Ungeachtet der mangelnden Berücksichtigung kommunikativer Aspekte im Weißbuch interessieren sich die politische Praxis wie die akademische Forschung seit längerem für die Beziehungen von Medien und Sicherheitspolitik - vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten. Zwei Fragen stehen dabei im Mittelpunkt:
Wie prägt das sicherheits- und verteidigungspolitische Management von Kommunikation die Krisenberichterstattung? Können Journalistinnen und Journalisten Kriege unabhängig beschreiben - trotz Zensur, PR-Kampagnen, Ereignisinszenierung und eingebettetem Journalismus (embedded journalism)?
Wie beeinflusst die Kriegsberichterstattung sicherheitspolitische Entscheidungen? Können Medien den Verlauf gewaltsamer Konflikte beeinflussen, also etwa Regierungen dazu bewegen, kriegerische Auseinandersetzungen zu beginnen - oder zu beenden?
Relevanzgewinn der Kriegsberichterstattung
Dass Kommunikation und Information für sicherheits- und verteidigungspolitische Entscheidungen - gerade in Kriegen oder Krisen - bedeutsam sind, wussten römische Imperatoren, spartanische Feldherrn oder chinesische Könige bereits vor der Herausbildung eines periodischen Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Mit den aufstrebenden Zeitungen der absolutistischen europäischen Gesellschaften begannen die Medien jedoch schrittweise, eigenständige Akteure der sicherheitspolitischen Kommunikation zu werden. Schon die gewaltsamen Konflikte zwischen 1618 und 1648, vereinfachend häufig als "Dreißigjähriger Krieg" bezeichnet, lieferten Stoff für publikumswirksam präsentierte Nachrichten, die in Inhalt und Aufmachung freilich eher Abenteuergeschichten glichen.
Die Relevanz dieser schriftstellernden Kriegsberichterstattung reduzierte sich im 19. Jahrhundert. In dieser Zeit entstanden die Basisprinzipien des heutigen Informationsjournalismus sowie ein differenziertes journalistisches Berufsfeld, auch die Arbeitsrolle des "Kriegsberichterstatters". Als erster Protagonist der modernen Kriegsberichterstattung gilt William Howard Russell, der für die Londoner "Times" 1854 von der Krim über den Krieg berichtete, den Großbritannien und Frankreich gegen Russland führten. Russell ordnete seine Berichterstattung keineswegs den kriegspolitischen Interessen der Briten unter und geriet deshalb in Konflikt mit den Militärs, die ihm einen Maulkorb verpassten.Das zeigte frühzeitig, wie hoch sicherheitspolitische Akteure die Relevanz von Kriegsberichterstattung einschätzen.
Mit allen folgenden gewaltsamen Konflikten - vom amerikanischen Bürgerkrieg (1861 - 1865) bis zum Krieg im Irak (seit 2003) - veränderte sich die Kriegsberichterstattung genauso gravierend wie der Journalismus generell. So haben Live-Berichterstattung, Satellitenkommunikation oder Online-Journalismus die Bedingungen und Formen der Kriegs- und Krisenberichterstattung nachhaltig verändert. Gleichwohl gibt es Konstanten der Berichterstattung über Kriege und Krisen, welche sich seit dem 19. Jahrhundert kaum gewandelt haben. Neben den ökonomischen Interessen von Medienunternehmen gelten vor allem die politischen Versuche zur Instrumentalisierung des Journalismus als maßgebliche Triebkräfte der Entwicklung.Vor allem die medienbezogenen Aktivitäten der US-Regierung setzen aus Sicht der einen Maßstäbe für eine professionelle Krisenkommunikation, aus Sicht anderer bieten sie Anlass für heftige Kritik. Professionalisierung des Kommunikationsmanagements
Gezielten politischen Einfluss auf den Journalismus nahmen bereits die Gründerväter der USA: Durch für Medien inszenierte Pseudo-Ereignisse - wie die "Boston Tea Party" (1773) - versuchten sie (wie wir heute wissen: erfolgreich), die Briten zum Feind zu stilisieren und damit die öffentliche Meinung auf den Unabhängigkeitskrieg (1775 - 1783) einzustimmen.Eine differenzierte staatliche Struktur zur Instrumentalisierung der Medien entwickelte sich jedoch erst im Ersten Weltkrieg (1914 - 1918) - exemplifiziert etwa durch das in New York angesiedelte British Bureau of Information, das mit rund 500 festen Mitarbeitern und 10 000 Assistenten die öffentliche Meinung in den USA für einen Kriegseintritt gewinnen sollte.
Mit der Niederlage der US-Streitkräfte im Vietnamkrieg (1965 - 1973) erhielten die Public Relations weiteren Auftrieb und wurden zu einem festen Bestandteil der sicherheitspolitischen Kommunikation. Die Unterstellung, der Krieg sei weniger auf dem südostasiatischen Schlachtfeld als auf der nordamerikanischen Medienbühne verloren worden, führte zu einer Professionalisierung der sicherheitspolitischen Kommunikation - zunächst in den USA,später auch in Deutschland.
Ein weiterer fundamentaler Wandel begann mit dem Ende des Kalten Krieges und beschleunigte sich nach den terroristischen Anschlägen des 11. September 2001:Für die US-amerikanischen Streitkräfte rücken Information und Kommunikation seit den 1990er Jahren zunehmend ins Zentrum. In der Folge kam es zu einer Neudefinition der "harten Realität weicher Kräfte", konkret: zu einem Relevanzgewinn der so genannten "Informationsoperationen" mit dem Ziel, jegliche verteidigungspolitisch relevanten Kommunikationsstrukturen miteinander zu vernetzen.
Aufeinander abgestimmt werden sollen dabei alle Bereiche der militärischen Kommunikation, die Öffentlichkeitsarbeit sicherheitspolitischer Akteure (z.B. Pentagon, NATO) und die zivil-militärische Kommunikation (z.B. Kooperation von Militär und Nichtregierungsorganisationen im Einsatzland). Auf diese Weise wollen die US-Streitkräfte eine "informationelle Überlegenheit" erreichen: beim Kriegsgegner, bei der Bevölkerung in Einsatzgebieten, aber auch bei den Bürgerinnen und Bürgern im eigenen Land sowie verbündeter Staaten. Die Beeinflussung von Medien gehört dabei zu den bewusst einkalkulierten Zielen.
Entsprechend differenziert erscheinen die Kommunikationsinstrumente, welche die USA zur Durchsetzung ihrer angestrebten Informationsüberlegenheit verwenden - zuletzt vor und während des Irakkrieges. Neben scheinbar neuen Instrumenten wie dem embedded journalism wurden bereits erprobte Maßnahmen zur Einflussnahme auf Medien, Bevölkerung und gegnerische Streitkräfte eingesetzt - von der Zensur über Desinformationskampagnen bis zur vorgeblich sachorientierten Bereitstellung von Bildmaterial und Nachrichten.
Diese Aufwertung medienbezogener Strategien im sicherheitspolitischen Kommunikationsmanagement korrespondiert mit einem Bedeutungsverlust traditioneller Formen zur Aushandlung von Entscheidungen über Krieg und Frieden. Wenn generell "Politik als Theater"organisiert wird, erscheint eine "Tribunalisierung der internationalen Politik zwecks Legitimierung militärischer Interventionen" konsequent. Eine Orientierung an den Regeln der Mediengesellschaft wird damit für Sicherheitspolitik und Militär alternativlos - auch in Deutschland, dessen sicherheitspolitische Kommunikation sich in wichtigen Aspekten von jener der USA abhebt. Paradigmenwechsel und Neukonzeption in Deutschland
In Deutschland veränderte sich das sicherheitspolitische Kommunikationsmanagement seit Ende des Kalten Krieges ebenfalls gravierend. Die Auflösung der "Akademie für Psychologische Verteidigung" und die Gründung der "Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation" (AIK) im März 1990 in Strausberg symbolisierten einen Paradigmenwechsel: Statt eines Gegeneinanders von Bundeswehr und Öffentlichkeit rückte zunehmend die Idee eines stärkeren Miteinanders in den Vordergrund.
Die aktuellen Ziele und Arbeitsgrundsätze der sicherheitspolitischen Kommunikation von Verteidigungsministerium und Bundeswehr beschreibt die im August 2005 vorgelegte "Teilkonzeption Informationsarbeit der Bundeswehr".Anders als in den USA unterscheidet das Ministerium dabei zwischen der "Informationsarbeit" - gemeint sind Kommunikationsinstrumente, die auf Medien und Bevölkerung in Deutschland und verbündeter Staaten bzw. auf Truppenbetreuung und Nachwuchswerbung zielen - und den einsatzbezogenen "Informationsoperationen" "zur Beeinträchtigung von fremden und zum Schutz eigener Informationen und Informations- und Kommunikationssystemen sowie zugehöriger Prozesse". Zu den "Informationsoperationen" gehören zum Beispiel die Einsätze des Bataillons für Operative Information, das 1990 die "Psychologische Verteidigung" ablöste.
Verantwortlich für alle kommunikationsbezogenen Aktivitäten des Verteidigungsministeriums und der Bundeswehr ist - aufgrund des Primats der Politik - der Verteidigungsminister. Im Ministerium führt der "Presse- und Informationsstab", bestehend aus etwa 50 Personen, die Informationsarbeit der Bundeswehr. Die Inspekteure der Teilstreitkräfte sowie die Presse- und Informationszentren von Heer, Luftwaffe, Marine, Streitkräftebasis und Sanitätsdienst stimmen sich mit der ministeriellen Stabsabteilung ab. Die AIK als Ausbildungseinrichtung, das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr als Forschungsinstitution und die Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr als zentrale Medienproduktionsstätte unterliegen der Fachaufsicht des Presse- und Informationsstabes.
Seit dem Erlass der "Teilkonzeption Informationsarbeit" nimmt der Presse- und Informationsstab damit "erstmals eine Rolle ein, die ihm machtpolitisch weitgehende Durchgriffsrechte sichert".Die strukturellen Voraussetzungen für eine effiziente Kommunikation der Bundeswehr sind also vorhanden. Eine theoretische Analyse der "Teilkonzeption Informationsarbeit" offenbart jedoch konzeptionelle und definitorische Defizite. Aus der Perspektive eines integrativen Modells von Organisationskommunikation präsentiert sich diese Konzeption als "inhaltlich weitgehend unstrukturierte Sammlung von Aufgabenbeschreibungen und Zuständigkeitszuweisungen auf Basis nicht klar definierter Begrifflichkeiten, die keinen erkennbaren Bezug zum aktuellen Stand der Forschung haben".
Inwieweit diese kritische Analyse des sicherheitspolitischen Kommunikationsmanagements in Deutschland empirisch nachweisbare Probleme indiziert, ist wissenschaftlich bisher unklar. Empirisch analysiert wurden nur wenige Aspekte der Bundeswehr-Kommunikation.Das ist deshalb bedeutsam, weil verlässliche Aussagen über den Einfluss der sicherheitspolitischen Public Relations auf Medien und Bevölkerung nur getroffen werden können, wenn Verteidigungsministerium, Bundeswehr und andere sicherheitspolitisch relevante Institutionen nicht als Black Box, als in sich homogene Institutionen, betrachtet werden.
Dazu ein Beispiel: Die Kommunikationsziele von Großorganisationen wie der Bundeswehr folgen, trotz hierarchischer Struktur, nicht zwangsläufig einheitlichen Interessen. Allein schon die die Parteipolitik berücksichtigende Kommunikation des Verteidigungsministers unterscheidet sich von der primär auf militärische Qualitätskriterien gründenden Kommunikation der Bundeswehr. Die Teilstreitkräfte wiederum verfolgen ebenfalls nicht zwingend einheitliche Kommunikationsziele, da sie angesichts knapper Haushaltszuweisungen in Konkurrenz zueinanderstehen, etwa bei der Modernisierung von Waffen und Gerät. Die Komplexität des sicherheitspolitischen Kommunikationsmanagements spricht dafür, simplen Kausalmodellen, nach denen die sicherheitspolitischen Public Relations die Kriegs- und Krisenberichterstattung deterministisch prägen, eine Absage zu erteilen.Determinieren Public Relations die Kriegsberichterstattung?
Selbstverständlich: Dass sicherheitspolitische Akteure - auch in Demokratien - bemüht sind, ihre Handlungen in einem positiven Licht erscheinen zu lassen und dafür (selten, gelegentlich, oft?) unredliche Mittel einsetzen, kann als gesichert gelten. Darauf verweist die große Zahl lancierter und nachträglich entlarvter Falschinformationen, die in bestimmten historischen Konstellationen gravierende Konsequenzen für Entscheidungen über Krieg und Frieden hatten. Zu nennen sind etwa die von einer PR-Agentur erfundene "Brutkastenlüge" vor Beginn des Zweiten Golfkriegs (1991),der offenkundig konstruierte "Hufeisenplan" im Kosovokrieg (1999) oder die von der US-Regierung vorgelegten "Beweise" für Massenvernichtungswaffen vor dem Angriff auf den Irak (2003).
Diese Beispiele, so bedenkenswert sie sind, sagen allerdings nur begrenzt etwas darüber aus, welche Organisationen oder Personen unter welchen Bedingungen mit welchen Zielen bei welchen Medien welche Inhalte mit welchen Auswirkungen auf welche Bevölkerungssegmente erreichen. Weder Sicherheitspolitik noch Militär können trotz eines enormen Kommunikationsaufwandes - gerade in den USA - voraussagen, wie Journalisten sich in bestimmten Kriegen oder Krisen verhalten, welche Themen geheim gehalten werden können oder welche Ereignisse mediale Breitenwirkung erzielen. Das zeigte sich beispielsweise im Frühsommer 2004, als Medien Folterbilder aus einem von US-Militärs geleiteten Gefängnis in Bagdad publizierten und damit eine weltweite Debatte auslösten, die das Pentagon sicherlich gerne vermieden hätte.
Die Beziehungen zwischen sicherheitspolitischem Kommunikationsmanagement und den Medien sind in offenen Gesellschaften insofern als prinzipiell nicht-deterministisch zu charakterisieren. Das ergibt sich zum einen aus kommunikationswissenschaftlichen Theorien und Befunden, nach denen die Beziehungen von Öffentlichkeitsarbeit und Journalismus keineswegs durch einseitige Einflussnahme, sondern durch wechselseitige Abhängigkeiten charakterisiert sind.Zum anderen unterliegt die Kriegs- und Krisenberichterstattung in demokratischen Gesellschaften einer Vielzahl von Einflüssen: Neben dem Kommunikationsmanagement spielen journalismusimmanente Aspekte (wie Arbeitsregeln, Organisationsformen), die Situation in Kriegsgebieten (wie Sicherheitslage, Zugang), die Interessen der Rezipienten sowie das öffentliche Klima eine Rolle.
Versuche zur Instrumentalisierung des Journalismus können darüber hinaus zu Konsequenzen führen, die die politischen Akteure keineswegs intendieren. In Spanien überholte der Privatsender Telecinco in den ersten Monaten des Irakkrieges erstmals das Staatsfernsehen TVE in der Zuschauergunst. Offenkundig auf politischen Druck hin hatte TVE darauf verzichtet, über die europaweit größte Antikriegsveranstaltung zu berichten, an der in Spanien rund fünf Millionen Menschen teilgenommen hatten. Von dieser journalistische Standards ignorierenden Berichterstattung profitierte Telecinco, das sich im Gegensatz zu TVE nicht auf den kriegsfreundlichen Kurs der Regierung Aznar eingelassen hatte.Ein regierungskritischer Journalismus kann also ein einträgliches Geschäft sein, solange die redaktionelle Linie sich an den Interessen der Publikumsmehrheit orientiert. Welche Konsequenzen sich aus einer eher kritischen oder aber einer eher affirmativ-propagandistischen Berichterstattung - wie etwa 2003 von Fox News über den Irakkrieg - für Sicherheitspolitik, Diplomatie und Kriegsführung ergeben, wird in Wissenschaft und Politik intensiv diskutiert. Sicherheitspolitische Effekte der Kriegsberichterstattung
John Shattuck, ehemaliger Vize-Außenminister der Vereinigten Staaten, illustrierte vor einigen Jahren die Folgen eines zunehmend globalen Kommunikationssystems wie folgt: "Die Medien brachten uns nach Somalia und dann wieder hinaus."Diese Einschätzung steht exemplarisch für eine gerade in der US-Politik vertretene Position, nach welcher Nachrichtenmedien einen großen und unmittelbaren Einfluss auf sicherheitspolitische Entscheidungsprozesse ausüben. Tatsächlich entsandte die US-Regierung Anfang der 1990er Jahre im Rahmen einer UN-Mission Truppen nach Somalia - aufgerüttelt durch dramatische Bilder verhungernder Flüchtlinge. Ein Jahr später bewegten grausame Bilder einer verstümmelten, durch die Straßen von Mogadischu geschleiften Leiche eines US-Soldaten die amerikanische Öffentlichkeit - die USA zogen sich aus Somalia zurück.
Seit das Cable News Network (CNN) zum globalen Nachrichtenlieferanten aufstieg, werden solche Zusammenhänge zwischen Kriegsberichterstattung und politischen Entscheidungen als "CNN-Effekt" bezeichnet. Gemeint ist das Einflusspotenzial des globalen Kriegs- und Krisenjournalismus auf Politik, Diplomatie und Militär. Live-Berichterstattung kann für Streitkräfte in der Tat problematisch werden, wenn der Gegner dadurch beispielsweise Informationen über die eigene Truppenstärke erhält. Angenommen wird des Weiteren, dass die beschleunigte Medienberichterstattung zu einer geringeren Bedeutung traditioneller Diplomatie und zur Herausbildung einer Public Diplomacy führt. Schließlich richten international operierende Medien ihre Aufmerksamkeit auf bestimmte Krisenherde und setzen diese damit möglicherweise erst auf die Tagesordnung politischer Entscheidungsträger.
Der CNN-Effekt unterstellt eine starke kausale Wirkung der globalen Echtzeitberichterstattung auf sicherheitspolitische Prozesse. Diese These eines unilinearen Zusammenhangs von Kriegsberichterstattung und Sicherheitspolitik ist jedoch "angesichts widersprüchlicher empirischer Ergebnisse nicht haltbar bzw. tritt der unterstellte Wirkungsmechanismus nur unter bestimmten Bedingungen ein".Es scheint daher sinnvoller, die Medien nicht als einen die Sicherheitspolitik bestimmenden Faktor anzusehen, sondern vielmehr davon auszugehen, dass Politikgestaltung in einer von Medien geprägten Umgebung stattfindet ("Mediengesellschaft") und die Beschleunigung der globalen Krisenberichterstattung zu Veränderungen im politischen Prozess führt. So stellen Medienangebote mittlerweile eine starke Konkurrenz zu klassischen Informationsquellen der Sicherheitspolitik dar, etwa den Botschaften oder den Geheimdiensten. Und der durch die öffentliche Diskussion sicherheitsrelevanter Themen erhöhte Zeitdruck verstärkt die Gefahr überstürzter politischer Entscheidungen.
Neben diesen Veränderungen kommt es in Kriegs- und Krisensituationen unter bestimmten Bedingungen zu einem sprunghaften Popularitätsgewinn staatlicher Institutionen. Der so genannte Rally-Effekt ("Rally round the flag") beschreibt eine auffällige, aber vergleichsweise kurzfristige Zunahme der öffentlichen Unterstützung für den Präsidenten, seine Politik, den Kongress und das Militär. Zu erklären ist der Effekt durch die monothematische, möglicherweise auf Instrumentalisierungsabsichten politischer Akteure zurückgehende regierungsfreundliche Aufbereitung kriegsbezogener Ereignisse in der Medienberichterstattung. Nicht alle Teile der Bevölkerung beteiligen sich dabei an der Rally: Parteiaffinität und Mediennutzungspräferenzen spielen eine wichtige Rolle.
In Deutschland wurden Rally-Effekte am Beispiel des Kosovokrieges nachgewiesen. Während des ersten Kriegsmonats, im April 1999, stieg die Popularität wichtiger Regierungspolitiker (Gerhard Schröder, Rudolf Scharping, Joschka Fischer) sprunghaft an, nahm in den darauffolgenden Wochen jedoch kontinuierlich ab, um sich im Juni 1999 auf dem Ausgangsniveau einzupendeln. Ein ähnliches Muster zeigte sich bei der öffentlichen Bewertung des US-Präsidenten in den ersten Monaten des Irakkrieges 2003.Fazit: Kernressourcen - Think Tank - Netzwerk
In demokratischen Gesellschaften gewinnen das sicherheitspolitische Kommunikationsmanagement und die Public Diplomacy an Relevanz, während traditionelle Formen zur Aushandlung politischer Entscheidungen über Krieg und Frieden an Bedeutung verlieren. Vor allem das US-Militär versteht Information und Kommunikation als Kernressourcen der globalen Kriegsführung des 21. Jahrhunderts. Der nicht-deterministische Charakter der Beziehungen von Medien und Sicherheitspolitik wird dabei zunehmend berücksichtigt. Ob der Journalismus vorbereitet ist, den aktuellen Herausforderungen der Kriegs- und Krisenkommunikation zu begegnen, erscheint aber zweifelhaft.
Die Analyse der Beziehungen von Kriegsberichterstattung und sicherheitspolitischem Kommunikationsmanagement steht allerdings - trotz einer großen Zahl von Einzelstudien - erst am Anfang. Untersuchungen, in denen die Produktion von Medienaussagen inklusive der dahinterstehenden Einflüsse mit den journalistischen Produkten und der Rezeption von Kriegs- und Krisenberichterstattung systematisch verknüpft werden, gibt es bislang genauso wenig wie einen Think Tank, der die Veränderungen der sicherheitspolitischen Kommunikation in Deutschland systematisch in den Blick nimmt.
Diese Funktion übernehmen weder die Bundeswehrhochschulen noch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr noch die Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation oder die Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS).Um die Beziehungen von Kriegsberichterstattung und sicherheitspolitischem Kommunikationsmanagement systematischer zu erschließen, ist es deshalb an der Zeit, neben einer verbesserten Kooperation interessierter Fachwissenschaftler in Deutschland ein Forschungsnetzwerk einzurichten, das dazu beiträgt, den vielfältigen Herausforderungen der Krisen- und Kriegskommunikation im 21. Jahrhundert besser zu begegnen.