Einleitung
Seit geraumer Zeit prognostiziert die Politikwissenschaft das Ende des Krieges als Mittel der Politik.
Was ist Krieg? Oder besser, was gilt in der empirischen Forschung als Krieg? Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung an der Universität Hamburg (AKUF)
Kriege werden als solche gezählt, wenn erstens zwei oder mehr Parteien in bewaffnete Auseinandersetzungen verstrickt sind, wobei mindestens eine aus den regulären Streitkräften einer Regierung bestehen sollte; wenn zweitens ein "Mindestmaß" an zentral gelenkter Organisation der Kriegführung gegeben ist; und wenn drittens eine gewisse Kontinuierlichkeit der Feindseligkeiten herrscht. Wenn nicht alle diese Kriterien erfüllt sind, wird von bewaffneten Konflikten gesprochen. Andere Forschungsprojekte definieren zusätzlich eine quantitative Schwelle, in der Regel 1000 Kriegsopfer insgesamt oder pro Jahr.
Formen der Gewalt: Krieg als " Chamäleon"
Was die inhaltliche Bestimmung des Begriffes "Krieg" betrifft, so kann man sich auch heute noch an den preußischen Militärtheoretiker Carl von Clausewitz halten; er spricht von der "wunderlichen Dreifaltigkeit" des Krieges: seiner "ursprünglichen Gewaltsamkeit", dem "Spiel der Wahrscheinlichkeiten und des Zufalls" und seinem instrumentellen Charakter eines "politischen Werkzeuges". Diese drei "Tendenzen" seien "tief in der Natur des Gegenstandes begründet und zugleich von veränderlicher Größe".
Für eine Klassifizierung von Konflikten und Kriegen lassen sich zunächst zwei Dimensionen unterscheiden (vgl. die Abbildung der PDF-Version): die vertikale der Akteurskategorie, die von Dorfgemeinschaften bis hin zu Militärallianzen und Supermächten reicht; und die horizontale der Gewaltsamkeit. Auf dieser sind wiederum verschiedene Schwellen unterscheidbar: der Übergang zu einem sichtbaren Interessenkonflikt, der auf gewaltlose Weise abgearbeitet werden kann, bei Misserfolg dann über die Schwelle des Waffeneinsatzes gerät, was den Konflikt zum Krieg geringer Intensität macht. Eine weitere Schwelle ist jene des Einsatzes schweren militärischen Geräts, womit der Konflikt zum konventionellen Krieg mutiert. Die letzte Schwelle ist schließlich jene des Einsatzes von Nuklearwaffen. Die wichtigsten Konfliktformen seien nachfolgend skizziert.
Als innerstaatliche Konflikte bezeichnet man eine größere Klasse unterschiedlichster Ereignisse, bei denen in erster Linie innerstaatliche Gruppierungen und Parteien aufeinander treffen. Diese Konflikte werden zu innerstaatlichen Kriegen, wenn sie die Schwelle des Waffeneinsatzes überschreiten und die vorher genannten Merkmale andauernder und organisierter Gewaltanwendung aufweisen. Als tribale Kriege lassen sich organisierte, bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Lokalgruppen in Regionen ohne staatliche Zentralgewalt bezeichnen, d.h. in Gegenden, in denen der nominal verantwortliche Staat sein Gewaltmonopol nicht durchzusetzen vermag.
Gerade der innerstaatliche Konflikt ist ein "Chamäleon", d.h. man findet eine Vielfalt von Erscheinungsformen, beginnend bei Parteien und Gruppen, die mit dem Instrument des passiven Widerstandes die jeweilige Staatsgewalt herausfordern. Aufstände tendieren dann zur Eskalation in den Bereich der Gewaltanwendung, wenn Behörden diese mit dem Einsatz militärischer Mittel niederzuschlagen versuchen. Wenn Aufständische der direkten Konfrontation mit den militärisch überlegenen regulären Streitkräften ausweichen und sich primär verdeckter Taktiken bedienen, nennt man sie Guerilla. In kleinen Einheiten agierend, setzen sie auf die Bekämpfung des Gegners etwa durch Attacken aus dem Hinterhalt oder hohe Kosten verursachende Sabotageakte.
Als Staatsstreich oder Putsch bezeichnet man den irregulären Transfer der Regierungsgewalt, oft ohne den Einsatz militärischer Mittel, meist aber unter Androhung dieser, üblicherweise durch das Militär oder mit dessen Hilfe. Er bringt in der Regel einen zumindest temporären Wandel der politischen Ordnung mit sich. Revolutionen hingegen zielen immer auf die Umwälzung der politischen und sozialen Ordnung ab; sie tendieren ebenfalls zur Eskalation in den Bereich der Gewalt, wenn sich die Exponenten der alten Ordnung mit militärischen Mitteln wehren. Aufstände und Revolutionen werden auf diese Weise zu Bürgerkriegen.
Unter anderem als so genannte neue Kriege sind innerstaatliche Kriege und Konflikte seit Ende des Kalten Krieges wieder stark in der Diskussion. Diese zeichnen sich gemäß Herfried Münkler
Die Bezeichnung "neuer Krieg" ist an sich irreführend, weil diese Form der militärischen Auseinandersetzung erstens historisch gesehen älter ist als der zwischenstaatliche Krieg, der erst mit der Entstehung des internationalen Systems als Nebeneinander souveräner Staaten möglich wurde, und weil zweitens kriegerische Auseinandersetzungen zwischen substaatlichen Gruppierungen immer schon häufiger waren als zwischenstaatliche Kriege. In der Konfliktforschung findet denn auch vermehrt eine Abkehr von der staatszentrierten Perspektive statt, wie dies etwa am Einbezug substaatlicher Konflikte ohne Regierungsbeteiligung durch Forschungsprojekte wie das Uppsala Conflict Data Project (UCDP) deutlich wird.
Terrorismus als Form des Krieges?
Der Krieg ist ein "Chamäleon", er hat viele Erscheinungsformen, und vieles spricht dafür, dass Terrorismus eine davon geworden ist. Terrorismus kann man als "politisch motivierte Form der Gewaltkriminalität" definieren, wie dies im "Brockhaus" geschieht, und ihn damit nach "unten" von allgemeinen Gewalttaten abgrenzen, denen das Motiv des Politischen fehlt. Die Abgrenzung nach "oben", in Richtung Krieg, ist schwieriger. Der Terrorismus bedient sich der Verbreitung von Angst und Schrecken durch die Anwendung von Gewalt, auch und vornehmlich gegenüber Unschuldigen, und zwar willkürlich und wahllos. Das Merkmal besonderer Rücksichtslosigkeit auch gegen Unschuldige reicht zur Abgrenzung des Terrorismus vom zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Krieg offensichtlich nicht aus, weil in allen Kriegen bis hin zum zweiten Golfkrieg 2003 Opfer unter der Zivilbevölkerung zumindest in Kauf genommen werden. Zudem gibt es genügend Beispiele, in denen die Kriegführenden sehr bewusst zivile Infrastruktur oder die Zivilbevölkerung ins Visier nehmen; man denke an die Flächenbombardierungen des Zweiten Weltkriegs oder die Exzesse marodierender Banden in afrikanischen Kriegen. Krieg wird damit zum Terrorismus.
Umgekehrt kann Terrorismus dann als Krieg gelten, wenn dieser den Charakter des Krieges annimmt und dessen Merkmale aufzeigt. Dem "gewöhnlichen" Terrorismus der Zeit vor dem 11. September 2001 fehlte in dieser Hinsicht zumeist das Merkmal organisierter, andauernder und in größerem Stile stattfindender Gewalt. Gerade in dieser Hinsicht hat nun der Terrorismus des frühen 21.Jahrhunderts völlig neue Qualität, und zwar weil er nach Massenvernichtungswaffen strebt
Konfrontation zwischen Supermächten und großen Bündnissystemen
Als besondere Form des Konfliktes mit Potenzial zur Eskalation in eine große militärische und allenfalls auch nukleare Auseinandersetzung verdient die Supermacht-Konfrontation zumindest wegen des gerade zitierten Vergleichs mit den aktuellen terroristischen Bedrohungen einige Beachtung. Nach dem Ende des ost-westlichen Antagonismus kann dies in Form eines Rückblicks auf den Kalten Krieg und die beiden Weltkriege geschehen. Voraussetzung einer derartigen Konfrontation war eine politisch-ideologische Spaltung des Staatensystems in zwei Lager, die von rivalisierenden Groß- oder Supermächten geführt wurden. Notwendige Voraussetzung war ferner Konfliktstoff zwischen beiden Lagern, dessen Beseitigung für bedeutsame Mitglieder eines der beiden Lager tatsächlich oder vermeintlich eine Überlebensfrage darstellte und deshalb subjektiv keinen Aufschub vertrug. Die führenden Großmächte beider Seiten waren darüber hinaus davon überzeugt, dass die Lösung des Konflikts mit militärischen Mitteln denkbar oder mindestens einem demütigenden Einlenken vorzuziehen sei. Beide Weltkriege begannen nach diesem Schema. Der Kalte Krieg zwischen Ost und West eskalierte mehrmals bis an den Rand der großen militärischen Auseinandersetzung, namentlich in den Berlinkrisen, in der Kuba-Krise 1962 und in der Folge der Nachrüstung der NATO in den frühen 1980er Jahren. Erst die Reformpolitik Michail Gorbatschows und die gemeinsamen Rüstungskontrollbemühungen von USA und Sowjetunion beendeten schließlich die bis dahin wohl gefährlichste Phase menschlicher Geschichte.
Die Zeit der großen Weltkriege und der Supermacht-Konfrontation ist vorbei. Das 21. Jahrhundert birgt jedoch neue Risiken. Könnte der vom Harvard-Politologen Samuel Huntington diagnostizierte Kampf der Kulturen, der "Clash of Civilizations", die Welt womöglich in eine neue, große Konfrontation im Stile der Weltkriege stürzen?
Der Zerfall der Sowjetunion ließ die USA als einzige Supermacht zurück. Mit der gegenwärtigen Tendenz zur "Multipolarisierung" der Machtverteilung im internationalen System, wie sie auch von Verfechtern der Unipolaritätsthese eingeräumt wird, sind in Bezug auf die internationale Kriegswahrscheinlichkeit unterschiedliche Prognosen kompatibel. Während sich neue Spielräume für die Bildung von Bündnissen ergeben dürften, sind generelle Aussagen zur Gewaltanfälligkeit des internationalen Systems allein aufgrund der polaren Struktur der Machtverteilung kaum möglich.
Kriegsursachen
Warum kommt es zum Krieg? Traditionell unterscheidet man in der Kriegsursachenforschung zwei Schulen oder Richtungen.
Die Schwäche dieser Ansätze ist nicht in erster Linie ihre Fixierung auf bloß zwischenstaatliche Kriege, wie Kritiker meinen. Tatsächlich lassen sich Modelle rationalen Handelns auch auf das Kalkül von Terroristen übertragen, wie dies Todd Sandler
Auf diese konzentriert sich der so genannte systemische Ansatz. Der moderne Pionier der vergleichenden Kriegsursachenforschung ist zweifellos David Singer. Das von ihm initiierte Correlates of War-Projekt sollte so viele Informationen wie möglich über die zwischen- und innerstaatlichen Kriege des 19. und 20. Jahrhunderts zusammentragen, um diese statistisch auf Regelmäßigkeiten zu untersuchen. Inzwischen sind Dutzende von Monographien und mehrere hundert wissenschaftliche Artikel erschienen, die über Forschungsprojekte auf der Basis der Daten dieses Projekts berichten.
In der globalisierten Welt sind auch innerstaatliche Konflikte und Kriege längst eine Angelegenheit internationaler Politik geworden - wegen ihrer grenzüberschreitenden Folgen und (als Konsequenz) der wachsenden Neigung der Staatenwelt zur Intervention. Die Analyse von Gewalt innerhalb von Staaten - zunächst ein eigenständiges Thema der Konfliktforschung - ist inzwischen zumindest teilweise mit der traditionellen Kriegsursachenforschung zusammengewachsen.
Innerstaatliche Kriege finden vornehmlich dort statt, wo Armut grassiert und der Staat schwach, umstritten oder beides ist, d.h. im Kontext gesellschaftlicher und/oder institutioneller Umwälzungen. In jüngerer Zeit haben politökonomische Ansätze an Popularität gewonnen, welche Bürgerkriegsursachen nicht in "Leidfaktoren" wie ethnischen Zerwürfnissen, politischer Unterdrückung oder sozialer Ungleichheit verwurzelt sehen, sondern Möglichkeitsstrukturen in den Vordergrund rücken - etwa Bedingungen, welche die Finanzierung von Rebellionen erleichtern (wie die Verfügbarkeit natürlicher Ressourcen) und die Opportunitätskosten der Rebellen senken.
Wie Kriege beginnen und enden
Politik ist die Abarbeitung konfliktiver Interessenkonstellationen unter Einmischung von Machtmitteln, unter Umständen eben auch militärischer. Zumeist sind entweder die zu erreichenden Ziele oder die verfügbaren Mittel in derartigen Konflikten begrenzt; in diesem Falle bleibt auch der entstandene Krieg begrenzt, soweit er überhaupt als ein solcher wahrgenommen wird oder gar auf die Konflikt- und Kriegslisten der Forschung gerät.
Manche Kriege des 18. und des 19. Jahrhunderts entstanden in Form einer bewussten Verabredung zum Waffengang, wie bei einem Duell. Das genaue Gegenteil ist der Überfall, ein taktischer Schachzug, der auch einem schwachen Angreifer temporär Überlegenheit und damit Erfolg verspricht. Man findet diese Form des Kriegsbeginns auf allen Ebenen der Gewalt, von der tribalen Auseinandersetzung bis hin zum großen zwischenstaatlichen Krieg in den Feldzügen Adolf Hitlers. Das eigentliche Gegenteil ist der Kriegsbeginn infolge fehlgeschlagener Risikopolitik: Eine Krise wird bewusst inszeniert, d.h. dem Gegner werden konkrete militärische Maßnahmen für den Fall angedroht, dass gewisse Konzessionen ausbleiben. Wenn diese Drohung nichts fruchtet, muss sie entweder wahrgemacht werden, oder aber man riskiert eine diplomatische Niederlage und Gesichtsverlust.
Die Duellkriege des 18. und 19. Jahrhunderts wurden so beendet, wie sie begonnen wurden: auf Verabredung, durch Waffenstillstand, Kapitulation und allenfalls nachfolgendem Friedensvertrag. Mit dem Wandel der dominierenden Kriegsgestalt ist auch diese Form des Kriegsendes zunehmend seltener geworden. Innerstaatliche Kriege sind tendenziell von längerer Dauer als zwischenstaatliche; häufig verschwinden bewaffnete Konflikte auch nur temporär aus den entsprechenden Statistiken, um auf niedriger Stufe weiterzuschwelen - und zu einem späteren Zeitpunkt erneut aufzuflammen.
Immer weniger Kriege
In einem gewissen Gegensatz zum andauernden öffentlichen Interesse am Thema Krieg stehen die Zahlen: Wir erleben gegenwärtig einen dramatischen Rückgang der Anzahl der Kriege. Die Zahl der Bürgerkriege blieb während des 19. und bis Mitte des 20. Jahrhunderts unter zehn pro Jahr, um im Zuge der Dekolonisierung und der Folgekonflikte der Umwälzungen im Osten Europas nach dem Ende des Kalten Krieges stark anzusteigen. Während internationale Kriege bereits ab Ende der 1970er Jahre immer seltener wurden, ist seit den frühen 1990er Jahren auch ein deutlicher Rückgang an Bürgerkriegen zu verzeichnen.
Erleben wir gegenwärtig also jenes Ende des Krieges, das die Politikwissenschaft seit mehr als einem Vierteljahrhundert prognostiziert? Andere Zeichen weisen in die entgegengesetzte Richtung: Nach einem Rückgang in den 1990er Jahren wachsen die Militärausgaben seit der Jahrhundertwende weltweit wieder kräftig.
Schließlich steht der internationalen Gemeinschaft mit dem Aufstieg der großen Schwellenländer in den Rang der Großmächte ein bedeutsamer Wandel der "Machtgleichung" bevor, wie es beim diesjährigen World Economic Forum in Davos formuliert wurde. In früheren Jahrhunderten war dies regelmäßig ein Anlass großer Konflikte. Für eine generelle Entwarnung spricht also leider auch heute eher wenig.