Einleitung
Dass der klassische Staatenkrieg, der in älteren Geschichtsbüchern so viel Platz eingenommen hat, ein historisches Auslaufmodell sei, mag vor zwei Jahrzehnten noch eine hoch riskante Prognose gewesen sein; inzwischen gehört diese Feststellung zum festen Repertoire der Voraussagen für das 21. Jahrhundert. Damit ist nicht gesagt, dass es überhaupt keine zwischenstaatlichen Kriege mehr geben werde, aber die Grundzüge des politischen Geschehens wird dieser Kriegstyp kaum noch beeinflussen. Schon seine Vorbereitung, geschweige denn seine Führung ist schlichtweg zu teuer geworden: Die Sowjetunion und ihre Verbündeten sind nicht zuletzt daran zu Grunde gegangen, dass sie in der Konkurrenz mit dem Westen zu viel in Rüstung und zu wenig in wissenschaftliche und technologische Entwicklung investierten. Die Chinesen versichern, daraus gelernt zu haben und klug genug zu sein, sich ihrerseits nicht auf einen ruinösen Rüstungswettlauf mit den USA einzulassen.
Bei alledem geht es zunächst ja nur um die Kosten eines Rüstungswettlaufs und noch nicht einmal um die eines Krieges. Hoch entwickelte Industriegesellschaften würden in einem mit modernen Waffen geführten Krieg Schäden erleiden, von denen sie sich nie wieder erholen könnten. Darin unterscheiden sich spätindustrielle von agrarisch-frühindustriellen Gesellschaften, die gegenüber den Kriegsfolgen wesentlich robuster waren. Es scheint also, dass Immanuel Kant, Auguste Comte, Herbert Spencer und Joseph Schumpeter doch noch Recht bekommen sollten, die schon vor langem das Ende des Krieges vorausgesagt bzw. Vorschläge zur Bändigung seiner "Reste und Überbleibsel" gemacht haben. Der britische Diplomat und Autor Robert Cooper hat inzwischen den Begriff der Postmoderne mit dem beobachtbaren Verschwinden des klassischen zwischenstaatlichen Krieges verbunden, um den stabilen Frieden in Europa zu erklären, der nicht nur das Ende des Kalten Krieges, sondern mit dem Zerfall der Sowjetunion auch den Zusammenbruch eines seiner Stabilisatoren leidlich unbeschadet überstanden hat.
Aber die politische Welt ist, wie auch Cooper weiß, keineswegs in Gänze in das Stadium der Postmoderne eingetreten. Für Europa wird man dies sagen können - jedenfalls, wenn man den Balkan und die südöstlichen Ränder des Kontinents außer Betracht lässt -, aber kaum für Afrika, den Nahen und Mittleren Osten und Zentralasien. Hier zeigt sich, dass der Krieg keineswegs verschwunden ist, sondern nur seine Gestalt gewechselt hat. An die Stelle der Staatenkriege sind transnationale Kriege getreten, solche also, in denen supra- wie substaatliche Akteure die entscheidende Rolle spielen, von regionalen Warlords bis zu globalen Netzwerken, die Geldtransfers organisieren, um einen Konflikt am Köcheln zu halten. In diesen Kriegen, zu denen jene im Kongo, in Somalia und in Afghanistan gehören, können auch Staaten gelegentlich eine Rolle spielen, aber das Heft des Handelns haben sie nicht in der Hand. Ginge es nach den beteiligten Staaten, so würden diese Kriege schnell beendet. Das aber liegt nicht unbedingt im Interesse der anderen Akteure, die von der Fortdauer dieser Kriege zum Teil erheblich profitieren. Schon daran, dass diese Kriege zehn, wenn nicht zwanzig Jahre dauern, kann man sehen, wer in ihnen das Sagen hat.
Der preußische Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz hat den Krieg als "ein wahres Chamäleon" bezeichnet,
Zuletzt waren dies eigentlich nur noch die beiden großen Blöcke, und mit dem Zusammenbruch des einen Blocks lag die Prognose nahe, dass der Krieg nunmehr der Vergangenheit angehören werde. Aber die galoppierende Verteuerung des Krieges, die nahezu zu seinem Verschwinden führen sollte, war offenbar eine mit der spezifischen Gestalt des Staatenkrieges verbundene Entwicklung. In den neuen Kriegen an der Peripherie der Wohlstandszonen sind wir nämlich seit einiger Zeit mit einer dramatischen "Verbilligung" des Kriegsgeschehens konfrontiert, in deren Gefolge Akteure kriegführungsfähig geworden sind, an die man zuvor nicht im Entferntesten gedacht hätte. Die technologische Entwicklung des militärischen Großgeräts und der Aufbau einer stabilen Staatlichkeit sind voneinander entkoppelt bzw. spielen bei der Herstellung von Kriegführungsfähigkeit keine Rolle mehr. Kriegführungsfähig ist, wer über ein paar Millionen Dollar verfügt. Selbstverständlich haben diese Kriegsakteure keine Luftwaffe, auch keine Luftabwehr, schon gar nicht eine Kriegsmarine, und in der Regel verzichten sie gänzlich auf den Einsatz militärischen Großgeräts. Stattdessen bewaffnen sie Jugendliche mit Handfeuerwaffen und machen sie mit Pick-ups mobil. Werden diese Pick-ups noch mit schweren Maschinengewehren oder leichten Raketenwerfern bestückt, so stellen sie in den meisten Kriegsgebieten einen beachtlichen Faktor dar, zumaldann, wenn sie nicht gegen reguläre Streitkräfte kämpfen, sondern die Zivilbevölkerung drangsalieren.
Das sei überhaupt kein Krieg, sondern bloß organisierte Gewalt, lautet hier der Einwand, da man von Krieg nur sprechen könne, wenn militärisch organisierte Kräfte gegeneinander antreten und um den Sieg ringen.
Dabei dürfte nicht einmal ein Zwanzigstel dieser Toten durch unmittelbare Waffeneinwirkung ums Leben gekommen sein; die große Mehrzahl der Opfer ist dagegen an Hunger und Seuchen gestorben, die sich im Gefolge der Kriegsgewalt ausgebreitet haben. Zum klassischen Staatenkrieg gehörte auch, dass immer weniger der daran Beteiligten an Krankheiten und den Folgen leichter Verwundungen starben, weil die Medizin unmittelbar an das Kampfgeschehen heranrückte und die Hygiene zu einer bestimmenden Größe bei Aufstellung und Einsatz der Truppen wurde - was sich zunächst einmal als ein weiterer Verteuerungsfaktor auswirkte. Doch erst für das 20. Jahrhundert war typisch, dass erheblich mehr Soldaten im Kampf fielen als an Krankheiten, Hunger und Seuchen starben; im 17. und 18. Jahrhundert ist das noch umgekehrt gewesen. Auch hier beobachten wir also eine Umkehrung der Entwicklungsrichtung: Die mit der Geschichte des Staatenkrieges verbundene Trennung des Krieges von Seuchen und Hungersnöten ist in den vergangenen Jahren porös geworden.
Aber ist das alles wirklich neu? Hat es nicht vieles von dem, was als für die neuen Kriege typisch genannt wird, auch schon früher gegeben, vielleicht nicht in den innereuropäischen Staatenkriegen, aber doch in den Kolonial- und Eroberungskriegen an der Peripherie der europäischen Großreichsbildungen? Oder in der europäischen Geschichte weiter zurückliegend, bevor es den Staaten gelungen ist, Monopolisten der Kriegführungsfähigkeit zu werden?
Das eben war einer der entscheidenden Effekte bei der Verstaatlichung des Krieges: dass auf längere Sicht die über den Krieg Entscheidenden und die seine Lasten Tragenden identisch oder doch, so Kants Vorschlag in der Schrift "Vom ewigen Frieden", identisch zu machen waren. Das ist in den neuen Kriegen prinzipiell unmöglich, und allein das rechtfertigt, hier von neuen Kriegen zu sprechen. Richtig ist dagegen, dass der Dreißigjährige Krieg in Mitteleuropa von 1618 bis 1648, also der letzte große Krieg vor dessen Verstaatlichung, so etwas wie die Blaupause vieler neuen Kriege an der Peripherie der Wohlstandszonen darstellt: Vom machtpolitischen Konflikt um die böhmische Krone an seinem Anfang über die religionspolitische Aufladung durch die Konfrontation von Reformierten und Katholiken und die zentrale Rolle selbständiger Kriegsunternehmer, von denen Wallenstein bloß der bekannteste ist, bis zu den Interventionen äußerer Mächte, die aus Gründen der Glaubenssolidarität, aber auch aus solchen der Staatsräson erfolgten. Derlei lässt sich in Afghanistan, Somalia sowie im östlichen Kongo - zuvor in Angola, inzwischen in Darfur - in ähnlicher Form beobachten. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Die Kriegführung des 17. Jahrhunderts beruhte im Wesentlichen auf einer geschlossenen Kriegsökonomie, und als die Länder, in denen der Krieg geführt wurde, verheert und die Vorräte verzehrt waren, entwickelte sich schließlich selbst bei den Soldaten eine große Friedenssehnsucht. Wo es nichts mehr zu plündern und zu rauben gibt und an eine geregelte Versorgung der Truppen aus rückwärtigen Depots nicht zu denken ist, hat der Krieg seine Attraktivität verloren. Das ist in den neuen Kriegen anders, denn ihre Kriegsökonomie ist über die Schattenkanäle der Globalisierung an die prosperierende Friedensökonomie der Wohlstandszonen angeschlossen, von wo ihr permanent neue Ressourcen zufließen. In der Regel handelt es sich um als illegal zertifizierte Güter wie auch um Menschen, mit denen diese Kriege finanziert werden: Rauschgift, Gold, Diamanten oder Edelhölzer. Auch der Handel mit Frauen für die Bordelle der reichen Länder gehört inzwischen dazu. Die zeitweilig verfolgte Idee, man könne diese Kriege mit Hilfe von Embargos zum Erliegen bringen, ist inzwischen wieder aufgegeben worden: Embargos verfehlen fast immer die Kanäle der Schattenglobalisierung, über die Warlords und organisierte Kriminalität sich verbündet haben, und wo sie doch greifen, treffen sie Kinder und Alte, aber nicht diejenigen, die Krieg führen, weil sie davon profitieren.
Auch in der Kriegsgeschichte bestätigt sich somit Hegels berühmte Bemerkung, dass die Eule der Minerva erst in der Dämmerung ihren Flug beginne, die Erkenntnis also erst in vollem Umfang möglich sei, wenn eine Entwicklung zu Ende gegangen ist. So bekommen wir auch erst jetzt, da der Staatenkrieg ein historisches Auslaufmodell ist, eine umfassende Vorstellung von dem, was er war, auf welchen Voraussetzungen er beruhte und welche Folgen er hatte. Dies möglichst präzise nachzuvollziehen ist die Voraussetzung dafür, das Neue an den veränderten Gewaltkonflikten der vergangenen zwei, drei Jahrzehnte zu erfassen und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Tatsächlich hat der klassische Staatenkrieg das Vorstellungsvermögen so stark belegt, dass die Beobachtung von Veränderungen immer in der Gefahr steht, diese in das Modell des Staatenkrieges zu reintegrieren und dadurch die erforderliche Neuorientierung des Gegenhandelns aufzuschieben oder zu blockieren. Ohnehin ist dem Militär als hierarchisch-bürokratischer Organisation ein erhebliches strukturelles Beharrungsvermögen eingeschrieben (weswegen es auch heißt, Militärs bereiteten sich auf die Kriege von gestern vor, um die von morgen zu führen), und dieses wird hier durch die gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen Reaktionen auf die Veränderung des Kriegsgeschehens noch verstärkt. Damit soll nicht bestritten werden, dass Organisationen auch Bewährtes vergessen und stattdessen Falsches lernen können. Neues zu lernen ist nicht eo ipso mit Leistungsoptimierung identisch. Aber daraus zu schlussfolgern, an den Konfliktszenarien der Vergangenheit festzuhalten sei besser, als sich auf ein riskantes Lernen einzulassen, ist in jedem Fall falsch.
Auch im Falle des Krieges hat der Staat Ordnung durch Grenzziehung geschaffen. Die bei den hier in Frage stehenden Problemen wichtigste Grenze ist die zwischen Krieg und Frieden selbst. Es gehört zu den Grundirrtümern des politischen Denkens, beides für gleichsam natürliche Zustände zu halten, und selbst der Krieg ist, entgegen den Interpretationen mancher Vertragstheoretiker, nicht mit dem Naturzustand identisch - jedenfalls nicht der Staatenkrieg. Vielmehr ist der Naturzustand, wie etwa Thomas Hobbes ihn beschrieben hat, ein Zustand zwischen Frieden und (Staaten-)Krieg, und nur weil Frieden der normativ höhere Zustand ist, ist der Naturzustand näher beim Krieg. Aber indem der Staat Krieg und Frieden durch Rechtsakte, wie Kriegserklärung und Friedensschluss, präzise voneinander trennte, hat er beides erheblich intensiviert: Der Frieden wurde verlässlich, während der Krieg mit einer bis dahin unbekannten Härte geführt wurde. Genau dies ist bei den neuen Kriegen nicht der Fall: Nicht nur, dass Kriege kaum noch erklärt werden und Friedensschlüsse selten geworden sind (an ihre Stelle sind Friedensprozesse getreten), sondern die Kriege haben Intensität gegen Dauer getauscht, weswegen verschiedentlich auch von low intensity conflicts gesprochen wird.
Im europäischen Staatensystem, wie es sich seit 1648 herausgebildet hat, ist aber nicht nur zwischen Krieg und Frieden als den fundamental entgegengesetzten Aggregatzuständen des Politischen unterschieden worden, sondern auch zwischen Staaten- und Bürgerkrieg, und beide sind im System der Staatlichkeit grundverschieden behandelt worden: Während man den Staatenkrieg bis 1918 durch rechtliche Regulierungen einzuhegen suchte, wurde der Bürgerkrieg als das unbedingt zu Vermeidende betrachtet, als etwas, das nur Unheil und Verderben mit sich brachte. Eine etwas positivere Auffassung von Bürgerkrieg hatten bloß jene, die ihn als Revolution begriffen, ihm also die Eigenschaft eines Entwicklungsbeschleunigers attestierten. Für sie wurde stattdessen die Konterrevolution und der von dieser gegen den Fortschritt angezettelte Bürgerkrieg zum Inbegriff allen Übels. Der Staatenkrieg gehörte, jedenfalls bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, selber zur Staatenordnung und wurde als ein in sie eingeschlossenes Element begriffen. Der Bürgerkrieg dagegen galt immer als ein Angriff auf die Staatenordnung, und deswegen haben die mit dem Staatensystem verbundenen Kräfte alles darangesetzt, Bürgerkriege, wo sie ausgebrochen waren, so schnell wie möglich zu unterdrücken. Das gilt im Übrigen auch für den Kleinen Krieg - spanisch guerrilla -, der, wenn er nicht als Begleiter und Wegbereiter des Großen Krieges geführt wurde, eine gefährliche Nähe zum Bürgerkrieg hat. Nachdem man während der napoleonischen Kriege mit dieser Art der Kriegführung in Spanien, Tirol und Russland Erfahrungen gemacht hatte, bestand eine der Hauptbestrebungen des Wiener Kongresses darin, Vorkehrungen gegen eine Wiederkehr des Kleinen bzw. des Partisanenkrieges zu treffen. Das ist bis zum Zweiten Weltkrieg auch gelungen.
Die Ausbreitung des Partisanenkrieges in der zweiten Hälfte des Zweiten Weltkriegs und anschließend in den Entkolonisierungskriegen der 1950er und 1960er Jahre war der Anfang vom Ende der klassischen Staatenkriege. Das war den Beteiligten freilich nicht klar - wenngleich die Kriege von Akteuren geführt wurden, die keine Staaten waren, so wurden sie doch mit dem Ziel geführt, dass aus den Befreiungsbewegungen selbständige Staaten werden sollten. Die Perspektive der Staatlichkeit blieb dominant, und in Folge dessen konnte das die Staatenordnung zerstörende Potenzial dieser Kriege verborgen bleiben. Aber vielleicht hätte es tatsächlich gezähmt werden können, so dass diese Kriege das geblieben wären, als was sie von vielen Zeitgenossen begriffen wurden: Staatsbildungskriege. Immerhin wurden die Partisanenverbände nach ihrem Sieg in Armeen umgeformt, wie sie zur üblichen Staatsrepräsentation gehören, und ihnen wurde die Aufgabe übertragen, dasTerritorium des neu entstandenen Staates gegen Ein- und Übergriffe von außen zu schützen. Das Modell des europäischen Staates hat bei der Neustrukturierung der ehemaligen Kolonialgebiete Pate gestanden, wobei die Regierungen der neuen Staaten sich freilich darin einig waren, dass sie den Irrweg der europäischen Kriegsgeschichte nicht wiederholen wollten. Das ist ihnen nicht immer gelungen, aber insgesamt wird man sagen können, dass, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Typus des europäischen Staatenkrieges in der "Dritten Welt" keine Wiederholung und Neuauflage gefunden hat.
Die Kriege, die sich hier stattdessen entwickelten, waren und sind dadurch gekennzeichnet, dass sie das in Europa sorgfältig voneinander Getrennte, nämlich Staaten- und Bürgerkrieg, zusammenbrachten und miteinander vermischten. Die Folge dessen war eine Verminderung ihrer Intensität und eine Verlängerung ihrer Dauer. Diese Vermischung von zwischenstaatlichem und innergesellschaftlichem Krieg war mitsamt ihren weitreichenden Folgen jedoch leicht zu übersehen, solange man diese Kriege mit dem Ost-West-Konflikt in Verbindung bringen und als "Stellvertreterkriege" begreifen konnte. So konnte man glauben, sie würden mit dem Ende des Ost-West-Konflikts gleichsam von selber erlöschen, und vor allem musste man sie nicht im Hinblick darauf untersuchen, ob hier möglicherweise etwas die bisherige Ordnung von Krieg und Frieden Umstürzendes entstand. Aber genau das war der Fall, wobei freilich das Neue nicht im Eintritt in ein neues und höheres Ordnungssystem, sondern nur in der Auflösung der alten Ordnung bestand. Wie in der Retrospektive leicht zu erkennen ist, war es das Typische dieser Kriege, dass sie sowohl Elemente des Staaten- als auch solche des Bürgerkriegs enthielten. Inzwischen spricht man deswegen auch von "transnationalen Kriegen", was jedoch begrifflich eine Ordnung suggeriert, die in der Realität kaum zu erkennen ist. Jedenfalls soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich dabei weder um klassische Staaten- noch um typische Bürgerkriege, sondern um eine Mischung aus beidem handelt.
Was den klassischen Staatenkrieg charakterisierte, war seine Festlegung auf eine Ordnung der Trennungen, die mit der Unterscheidung von Krieg und Frieden ihren Anfang genommen hat. Diese Ordnung beruhte auf einem Prinzip, das man heute als "binäre Codierung" bezeichnen würde: entweder das eine oder das andere, ein Drittes gibt es nicht. In diesem Sinne wurde für den Staatenkrieg ein Kriegsrecht entwickelt, das rechtlich zulässige Gewaltanwendung von kriminellen Gewaltakten unterschied und schließlich sehr präzise Trennlinien zwischen Kombattanten und Nonkombattanten festlegte.
Von unzähligen Beobachtern sind die neuen Kriege an der Peripherie der Wohlstandszonen als besonders grausam beschrieben worden. Übereinstimmung herrscht jedenfalls darin, dass in ihnen weitaus mehr Nonkombattanten als Kombattanten getötet werden. Immer wieder wird darüber hinaus von Verstümmelungen getöteter oder verwundeter Gegner und in Verbindung damit von der Trophäisierung abgetrennter Körperteile berichtet. Vor allem aber sind Massenvergewaltigungen zu einem permanenten Begleiter dieser Formen der Gewaltanwendung geworden - von Bosnien bis Ruanda und inzwischen Darfur.
Die neuen Kriege sind also vor allem dadurch gekennzeichnet, dass in ihnen sämtliche Begrenzungs- und Regulationsmechanismen fehlen, die im Rahmen der klassischen Staatenkriege entwickelt worden sind - von der Begrenzung der Kriegsdauer durch das Versiegen der Ressourcen, die zur Weiterführung des Krieges vonnöten sind, bis zu den ethischen und rechtlichen Selbstbindungen, die von der Idee der Ritterlichkeit bis zur Haager Landkriegsordnung und den Genfer Konventionen reichen. Michael Ignatieff, ein kanadischer Politiktheoretiker, der während der 1990er Jahre als Korrespondent und Beobachter zahlreiche "Kriegsschauplätze" besucht hat, hat angesichts dieser Entwicklungen vorgeschlagen, parallel zu den friedensschaffenden Einsätzen auswärtiger Interventen auf ein neues Ethos der Krieger zu setzen, das gewaltbegrenzende und grausamkeitsverhindernde Effekte haben sollte.
Wie lassen sich solche Kriege, die offenbar über keinerlei innere Stoppmechanismen verfügen, beenden?
Weil in den neuen Kriegen Friedensschlüsse nach herkömmlichem Muster nicht möglich sind bzw. keine Bindewirkung entfalten, spricht man inzwischen von Friedensprozessen, in denen ein langwieriger und schrittweiser Übergang vom Krieg zum Frieden organisiert und moderiert werden soll. Solche Friedensprozesse sind mit militärischen Mitteln allein nicht zu organisieren, sondern hängen an einem Zusammenspiel militärischer und ziviler Komponenten, das von Fall zu Fall eigens komponiert werden muss. Das Problem dabei ist die zumeist unbeantwortet bleibende Frage, wer für diese Komposition verantwortlich zeichnet. So agieren die militärischen Interventionskräfte und die zahllosen humanitären Organisationen oftmals nebeneinander, und gelegentlich behindern und stören sie sich dabei auch gegenseitig. Das Dilemma besteht darin, dass Friedensprozesse einen deutlich größeren Koordinationsbedarf haben als Friedensschlüsse, dafür aber selten die entsprechenden Kompetenzen und Fähigkeiten zur Verfügung stehen. An der Klärung von Kompetenzen und der Schulung von Fähigkeiten müssen potenzielle Interventionsmächte arbeiten, wenn sie zukünftig bessere und schnellere Ergebnisse erzielen wollen. Obendrein ist zuletzt mehrfach darauf hingewiesen worden, dass für den Erfolg pazifizierender und stabilisierender Interventionen vor allem die sozialen und kulturellen Kompetenzen der Soldaten ausschlaggebend sein dürften - und keineswegs bloß das Ausmaß, in dem sie potenziellen Gegnern im Hinblick auf Ausbildung und Ausrüstung überlegen sind.
Im Übrigen hat sich inzwischen in den westlichen Ländern eine dezidierte Interventionsunlust breit gemacht, die sich aus den hohen Kosten und dem geringen Erfolg solcher Interventionen speist. Man ist, wie das Beispiel Darfur zeigt, wieder in hohem Maße geneigt, diese Kriege sich selbst zu überlassen - mit der Folge, dass sie entweder in einem Völkermord münden oder als low intensity conflicts tendenziell endlos weitergehen. Jedenfalls ist die Zeit eines medial angetriebenen Interventionismus, in dem durch die Bilder des Grauens die Bereitschaft zu humanitären Interventionen beeinflusst wurde, inzwischen vorbei. Zumindest die erste Hälfte des 21. Jahrhunderts wird darum durch diese "neuen Kriege" geprägt sein.