Die seit Juni 2019 anhaltenden Massenproteste in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong wurden von einem Gesetzesentwurf losgetreten: Die pekingnahe Regierung unter Carrie Lam plante, dass künftig die Auslieferung von Verdächtigen an jeden Ort außerhalb Hongkongs erlaubt sein sollte – auch auf das chinesische Festland. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung sah darin einen erneuten Versuch Pekings, die juristische Unabhängigkeit Hongkongs zu schwächen und die Auslieferung politischer Dissidenten zu ermöglichen. Nach monatelangen Demonstrationen zog die Regierung im Oktober den Gesetzesentwurf zurück. Die Proteste setzten sich fort und wurden auch nicht durch das repressive Vorgehen der Sicherheitskräfte gestoppt. Die Gewalt eskalierte – auf beiden Seiten.
In der Zeit des chinesischen Kaiserreichs diente die britische Kronkolonie Hongkong vor allem als europäisches Tor ins "Reich der Mitte", nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sie sich zum Handelsknotenpunkt zwischen dem kommunistischen China und dem kapitalistischen Westen. Seit 1997 ist Hongkong, neben Macau, eine Sonderverwaltungszone der Volksrepublik und genießt ein hohes Maß an Autonomie. Die chinesische Zentralregierung garantierte Hongkong im Rahmen des "Ein Land, zwei Systeme"-Prinzips neben der freien Marktwirtschaft einen eigenen "Way of Life", wie es in Artikel 5 des Hongkonger Grundgesetzes heißt.
Bis 2047 gilt der Sonderstatus noch – ihre Lebensweise sehen viele Hongkonger und Hongkongerinnen schon jetzt bedroht. Und vor allem unter Jüngeren wächst das Bewusstsein für die Eigenheit Hongkongs: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts der Universität Hongkong stieg die Zahl der unter 30-Jährigen, die sich als "Hongkonger" fühlen, zwischen 2009 und 2019 von 36 auf 75 Prozent. Der wachsende Einfluss Pekings auf ihre Heimat scheint die Identifikation zu verstärken – und die Sorge davor, was 2047 geschehen könnte.