Einleitung
Der Krieg begann am Morgen des 5. Juni 1967 mit einem Überraschungsangriff Israels gegen Ägypten und endete am 10. Juni mit einer vernichtenden Niederlage Ägyptens (bzw. der Vereinigten Arabischen Republik/VAR), Syriens und Jordaniens. Über Israels überwältigenden Sieg gibt es zahlreiche Erinnerungen
Der Sechstagekrieg war im Kern die Fortsetzung des israelischen Unabhängigkeitskrieges 1948/49 und des Suezkrieges 1956. Das Ziel der arabischen Nachbarn war gleich geblieben: die Vernichtung des jüdischen Staates. Die Jahre seit dem Suezkrieg waren von Grenzzwischenfällen geprägt. Zur bis dahin schwersten Auseinandersetzung kam es am 7. April 1967, als die Israelis sechs syrische MIG-Kampfflugzeuge abschossen. Am 13. Mai warnte der Kreml die Regierungen in Damaskus und Kairo, Israel bereite für den 17. Mai einen Angriff gegen Syrien vor.
Bis heute ist unklar, was die Sowjets mit dieser nachweislich falschen Information beabsichtigten. Wollten sie Ägyptens Regierungschef Gamal Abdel Nasser dazu bringen, seinen Beistandspakt mit Syrien zu aktivieren? Wollten sie ihren Einfluss im Nahen Osten auf Kosten der USA - die in Vietnam engagiert waren - ausweiten, womöglich mit dem Ziel, Israel zu zerstören? Möglicherweise wusste der amerikanische Geheimdienst CIA mehr. Am 9. Juni hieß es dort: "Wir glauben nicht, dass die Sowjets die Nahostkrise geplant oder ausgelöst haben. Der Krieg zwischen Israelis und Arabern und insbesondere die Niederlage Ägyptens in jenem Krieg waren Entwicklungen, die die Sowjetunion nicht gewünscht hat, anfangs nicht vorhergesehen und später nicht verhindern konnte." Klar war demnach allerdings auch, "dass die Sowjets seit Mitte Mai aktiv an dieser Krise beteiligt waren", allerdings auf keinen Fall direkt in den Krieg hineingezogen werden und es vor allen Dingen nicht zu einer direkten Konfrontation mit den USA kommen lassen wollten.
Was von den Sowjets angestoßen worden war, erhielt in den folgenden Tagen durch Entscheidungen Nassers eine Dynamik, die in den Krieg führte. Am 14. Mai versetzte Nasser seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft, am 16. Mai stand die Armee seit sechs Uhr früh in höchster Bereitschaft. Gleichzeitig wurden in Ägypten Truppenbewegungen Richtung Suezkanal beobachtet. Am selben Tag forderte Nasser UNO-Generalsekretär U Thant auf, die seit 1957 auf der Sinai-Halbinsel und im Gazastreifen stationiertenUNO-Truppen (UNEF) abzuziehen.
Gut informierte Kollegen in Kairo berichteten dem österreichischen Botschafter Gordian Gudenus, dass "Nasser die Spannung den Arabern, den Großmächten, der UNO und - last not least - Israel gegenüber dramatisieren will, aber keinen ernsten Waffengang wünscht".
Für Israel war die Blockade der Meerenge der casus belli. Das war seit 1957 bekannt. Es kam zu entsprechenden Reaktionen: demonstrative Kriegsvorbereitungen, Räumung von Zivilkrankenhäusern, Bereitmachung der Luftschutzräume und der unterirdischen Operationsräume. Am 28. Mai stellte Nasser auf einer Pressekonferenz klar, dass es bei der Krise "nicht um Fragen wie den Golf von Akaba und den Rückzug der UNEF, sondern um ein viel größeres Problem, nämlich die Aggression gegen das Volk von Palästina und die dauernden Bedrohungen gegen das arabische Volk" gehe. Und dann wiederholte er, dass die Gründung des Staates Israel "die erste Aggression gegen die Araber" gewesen sei.
"Israel wird nicht allein sein ..."
Für Israel ging es nur vordergründig um die freie Durchfahrt im Golf von Akaba, tatsächlich aber um die Beseitigung der fortdauernden Bedrohung seiner Existenz. Man war in die Defensive geraten und würde einen Sieg Nassers ohne Krieg nicht zulassen. Mit Nachdruck versuchte Israel Washington klarzumachen, dass ein Angriff der arabischen Staaten unmittelbar bevorstand und man Sicherheitsgarantien erwarte. Die israelischen Militärs drängten auf einen Präventivschlag. Sie waren davon überzeugt, dass die arabischen Streitkräfte "Seifenblasen" waren: "Einmal hineinstechen und sie werden zerplatzen", wie der Befehlshaber der mittleren Front, General Uzi Narkiss, meinte.
Die Amerikaner befanden sich in einer schwierigen Situation. Sie schätzten die von den Israelis beschworene Gefahr weniger dramatisch ein. Vieles sprach gegen einen ägyptischen Angriff: Wesentliche Teile der ägyptischen Truppen, vielleicht die besten, standen im Jemen, die wirtschaftliche Situation, auch die Vorratslage, war schlechter denn je, die Hilfe anderer arabischer Staaten ungewiss, die Kampfkraft der Truppe insgesamt nicht überzeugend. Sie hatte zwar von den Sowjets modernstes Kriegsgerät erhalten, konnte es aber kaum effizient bedienen. Washington hatte zudem kein Interesse an einer Niederlage Ägyptens, das sich dann womöglich noch enger an die Sowjetunion anlehnen würde.
Die Analysen der USA gingen davon aus, dass Israel militärisch überlegen war. US-Präsident Lyndon B. Johnson machte dies dem israelischen Außenminister Abba Eban am 26. Mai in Washington sehr deutlich, als er betonte, dass nach amerikanischer Auffassung ein Angriff auf Israel nicht bevorstand; sollte Ägypten doch angreifen, werde es von Israel "vernichtend geschlagen". Zweimal betonte er dann das, was später in Israel zum geflügelten Wort wurde, aber dort nicht unbedingt mit Enthusiasmus aufgenommen wurde, da es wenig konkret war: "Israel wird nicht allein sein, es sei denn, es handelt allein."
Eine entsprechende Nachricht Johnsons wurde Ministerpräsident Levi Eshkol am 29. Mai um sechs Uhr vom amerikanischen Botschafter überreicht. Diese sorgte mit dafür, dass das Kabinett zu keiner Entscheidung kam: Neun Minister waren für einen israelischen Angriff, neun dagegen.
Am 4. Juni beschloss das israelische Kabinett einstimmig, am nächsten Tag loszuschlagen. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war der Bericht des Chefs des Geheimdienstes Mossad, Meir Amit, der sich vom 31. Mai bis 2. Juni inkognito in Washington aufgehalten und mit ranghohen Vertretern der CIA und des Pentagon, nicht allerdings des State Department, das nach wie vor für Verhandlungen eintrat, gesprochen hatte. Entscheidend war das Gespräch mit Verteidigungsminister Robert McNamara. Amit hat auf einer Konferenz 1992 berichtet, das Gespräch habe 40 Minuten gedauert, und er habe McNamara mitgeteilt, dass er seiner Regierung empfehlen werde, loszuschlagen. Soweit stimmen beide Seiten überein. Über die Reaktion McNamaras gehen die Meinungen auseinander. Laut Amits Bericht für das israelische Kabinett habe McNamara gesagt: "Ich habe Sie genau verstanden; dies war sehr hilfreich." Während des Gespräches habe Johnson zweimal angerufen und grundsätzlich zugestimmt. Amit verließ Washington jedenfalls in der Überzeugung, dass sowohl Johnson als auch McNamara nicht eindeutig Nein zum Losschlagen gesagt hatten,
"Der kritischste Augenblick für die VAR"
In den folgenden Tagen spitzte sich die Lage zu. Die israelische Armee stieß in Richtung Suezkanal vor, der am 8. Juni 1967 erreicht wurde, am nächsten Tag war der gesamte Sinai in israelischer Hand. Erst als es zu spät war, erkannte die ägyptische Führung das ganze Ausmaß der Katastrophe.
Wir wissen seit kurzem, welche Dramatik damals im Kreml und im Weißen Haus herrschte. Plötzlich und für die Sowjetunion völlig überraschend wandte sich der ägyptische Verteidigungsminister am 6. Juni um 18 Uhr mit einer Eilbotschaft Nassers an die sowjetische Führung: "Die Lage ist sehr gefährlich und kritisch, und sie kann nicht länger als bis heute Nacht so bleiben."
Ähnlich katastrophal war die Lage der jordanischen Armee, obwohl die Kämpfe in Jordanien und besonders um Ost-Jerusalem die verlustreichsten der israelischen Armee waren, die keine schweren Waffen einsetzte, um die Stadt nicht zu zerstören. Am 6. Juni teilte König Hussein dem sowjetischen Botschafter mit: "Das ist der schwerste Tag in meinem Leben. Nur die unverzügliche Feuereinstellung kann Jordanien retten."
Sowjetische Initiativen im UNO-Sicherheitsrat - Feuereinstellung und Rückzug auf die Grenzen - scheiterten zunächst, nicht zuletzt wegen der chaotischen Situation in Kairo, wo die Regierung eine Entscheidung zur Feuereinstellung hinausschob: Nasser wollte die Niederlage nicht eingestehen. Sowjetische Drohungen an Israel, bei einer Fortsetzung der Kampfhandlungen die Beziehungen zu überprüfen und andere Maßnahmen zu erwägen, erwiesen sich als wirkungslos. In Ost-Jerusalem wurde um jede Straße und jedes Haus gekämpft. Am 7. Juni erreichten israelische Truppen die Klagemauer, wo Verteidigungsminister Dajan erklärte: "Wir haben das geteilte Jerusalem, die gespaltene Hauptstadt Israels, von neuem vereint; wir sind zu unseren heiligen Stätten zurückgekehrt, um uns nie wieder von ihnen zu trennen."
Am 9. Juni zog Israel seine Streitkräfte im Norden zusammen und besetzte den Golan. Am Abend kündigte Nasser seinen Rücktritt an. Dies wollte die Sowjetunion unter keinen Umständen zulassen. Das Politbüro der KPdSU sicherte ihm sofortige politische und moralische Unterstützung zu: "Sie genießen größte Autorität in der arabischen Welt. Ihnen glauben die arabischen Völker, vertrauen Ihre Freunde, und nur auf dem Posten des Präsidenten verbleibend können und müssen Sie alles tun, um die Errungenschaften der Revolution zu bewahren und diese zu Ende zu führen. Die arabische Welt und alle fortschrittlichen Kräfte in der Welt werden Ihren Rücktritt von der Führung des Landes in diesem verantwortungsvollen Augenblick nicht verstehen und nicht billigen."
Nasser blieb im Amt, in Moskau atmete man auf. Breschnew sagte vor dem ZK: "Unser Handeln in der für die VAR kritischen Situation war darauf gerichtet, den Aggressor aufzuhalten, solange die arabischen Staaten noch einen bedeutenden Teil ihrer Streitkräfte bewahrt hatten, die Eroberung Kairos und Damaskus' durch die israelischen Truppen nicht zuzulassen und vor allem den Sturz des fortschrittlichen Regimes in der VAR zu verhindern, was - davon sind wir überzeugt - eine Kettenreaktion auch in anderen arabischen Staaten zur Folge gehabt hätte."
Moskaus Drohung
Inzwischen setzte die israelische Armee im Norden ihren Siegeszug fort. Die syrische Grenze wurde überschritten. Am 10. Juni gegen Mittag fiel Kuneitra, der Weg nach Damaskus war frei. In dieser dramatischen Situation, um 11.30 Uhr, erhielt der Kreml vom syrischen Außenminister eine Mitteilung, in der es hieß, israelische Panzer, unterstützt von starken Luftstreitkräften, stießen auf Damaskus vor. Die Regierung Syriens bat die Sowjetunion verzweifelt, "beliebige mögliche Schritte zu unternehmen, und zwar in den nächsten zwei - drei Stunden, da es sonst zu spät sein` würde". Breschnew vor dem ZK: "Das war der zweite kritische Punkt in der Nahostkrise."
Gleichzeitig mit dem Ultimatum übermittelte Premierminister Alexej Kossygin eine Botschaft an US-Präsident Johnson, in der er beklagte, dass Israel die Beschlüsse des Weltsicherheitsrats ignoriere. Es habe sich ein sehr verantwortungsvoller Augenblick ergeben, "der uns, falls die Kriegshandlungen nicht in den allernächsten Stunden eingestellt werden, zu selbstständigen Entscheidungen zwingt. Wir sind dazu bereit." Das war eine klare Drohung, dass der Kreml auf Seiten der arabischen Staaten eingreifen werde - auch auf das Risiko eines militärischen Konfliktes mit den USA, denn "diese Handlungen", so hieß es weiter in der Note an Johnson, "können einen Zusammenstoß zwischen uns bewirken und zu einer großen Katastrophe führen. Offensichtlich gibt es in der Welt Kräfte, für die das vorteilhaft wäre. Wir schlagen Ihnen vor, von Israel zu fordern, dass es in den allernächsten Stunden die Kriegshandlungen bedingungslos einstellt. Wir werden unsererseits dasselbe tun. Wir schlagen vor, Israel zu warnen, dass im Falle der Nichterfüllung dieser Forderung die notwendigen Aktionen, einschließlich militärischer Aktionen, eingeleitet werden."
Gleichzeitig wurde dem im Mittelmeer befindlichen Verband sowjetischer Kriegsschiffe einschließlich eines Raketenkreuzers der Befehl erteilt, in Begleitung einiger U-Boote Kurs auf die Küste Syriens
Das sowjetische Fernschreiben war um 8.48 Uhr Ortszeit im Weißen Haus eingegangen. Um 9.39 Uhr teilte Johnson Kossygin mit, dass Außenminister Dean Rusk eine dringende Botschaft an Israel übermittelt habe, wonach die USA es als sehr wichtig betrachteten, dass Israel durch Taten vor Ort demonstriere, dass die Befehle zur Feuereinstellung in Kraft getreten seien. Israel habe versichert, dass es dazu bereit sei.
Ausblick
Kurt Waldheim, Österreichs Vertreter bei den Vereinten Nationen und später zehn Jahre lang deren Generalsekretär, meinte in einer Analyse des israelischen Sieges: "Israel hat sich durch seinen Sieg über die arabischen Staaten militärische Sicherheit auf lange Sicht geschaffen. Von einer politischen Lösung seiner Existenzfrage dürfte es jedoch weiter entfernt sein denn je."
Österreichs Vertreter in Tel Aviv, Friedrich Bauer, kam zwar zu der Schlussfolgerung, dass aus israelischer Sicht die Vorteile des Sieges eindeutig die Nachteile überwogen ("Prestigegewinn in aller Welt, fast hegemonialer Prestigezuwachs im Nahen Osten"; "Bindung Israel-USA enger denn je"), gab aber Folgendes zu bedenken: "Trotz zur Schau getragener Selbstsicherheit, verbunden mit Durchhaltepathos, die manchmal in fast unerträgliche Überheblichkeit mündet, erheben sich in der israelischen Bevölkerung manche Zweifel. DieHoffnungen auf Direktverhandlungen mit den arabischen Nachbarn werden immer geringer, auch die Hoffnung auf eine andere Friedenslösung wird schwächer. Man bereitet sich innerlich bereits auf die vierte Runde vor." Die Häufung von Agenturmeldungen, wonach Israel an der Entwicklung einer Atombombe arbeite, "bringt neue unterschwellige Ängste". Abschließend meinte er mit Blick auf die Araber: "Der durch Demütigung genährte Hass lässt jede politische Lösung in die Ferne rücken."
Während die Sowjetunion Ägypten und Syrien massiv aufrüstete, verkündete die Arabische Liga im September in Khartum ein dreifaches Nein: nein zur Anerkennung Israels, nein zu Verhandlungen mit Israel, nein zum Frieden mit Israel. Während der UNO-Sicherheitsrat im November mit der Resolution 242 Israel vergebens zum Rückzug aus den besetzten Gebieten aufforderte, begann Israel mit einer offensiven Siedlungspolitik in diesen Gebieten. Palästinensische Extremisten reagierten mit Terroranschlägen.