Einleitung
Entgegen der verbreiteten Ansicht, dass die israelisch-palästinensische Auseinandersetzung der "Kern-" oder "Schlüsselkonflikt" im Nahen und Mittleren Osten sei, wird die Region von mehreren Konflikten geprägt. Am explosivsten ist neben dem israelisch-arabischen der Hegemonialkonflikt am Golf, der derzeit gewalttätig im Irak ausgetragen wird.
Es gibt keine Hierarchie dieser Konflikte. Zwar würde es sich stabilisierend auf die Region auswirken, wenn einer geregelt oder auch nur friedlich ausgetragen würde. Dennochwürde dies die Ursachen im anderen Konfliktfeld nicht beseitigen und wahrscheinlich nicht einmal zu einer substanziellen Entschärfung führen. Zwar würde ein wichtiger Mobilisations- und Legitimationsfaktor für terroristische Gruppen entfallen, wenn die Konflikte um Palästina oder den Irak geregelt würden. Gleichzeitig würde sich aber - um nur ein Beispiel zu nennen - die Rückkehr von ausländischen Kämpfern aus dem Irak in ihre mehrheitlich arabischen Heimatländer destabilisierend auswirken, wie die Erfahrung nach dem Afghanistan-Krieg gezeigt hat.
Die Konflikte wirken zunehmend aufeinander ein und verschärfen sich gegenseitig. Dabei werden sie immer stärker von konfessionellen Interpretationen überlagert (Schlagwort "schiitischer Halbmond") und - vor dem Hintergrund der Interventionspolitik der USA in der Region - von der Wahrnehmung eines Zivilisationskonfliktes zwischen "dem Westen" und "dem Islam".
Der israelisch-arabische Konflikt
Der israelisch-arabische Konflikt stellt sich im Wesentlichen als territorialer und Ressourcenkonflikt zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn dar, in dem beide Seiten ihre Ansprüche auch religiös legitimieren und überhöhen. Er hat seine historischen Wurzeln in der jüdischen Einwanderung und Landnahme, die sich vor dem Hintergrund von Pogromen gegen Juden in Europa seit Ende des 19. Jahrhunderts verstärkte, sowie in den widersprüchlichen Zusagen seitens der Kolonial- bzw. Mandatsmächte. Im Juni-Krieg 1967 eroberte und besetzte Israel den ägyptischen Sinai, den Gazastreifen, die syrischen Golanhöhen und die West Bank inklusive Ost-Jerusalems. Die israelisch-arabischen Kriege von 1948 und 1967 gingen mit der Vertreibung und Flucht großer Teile der ansässigen palästinensischen Bevölkerung einher. Es gelang Israel nicht, den überwältigenden militärischen Sieg von 1967 in wirksame Abschreckung und Sicherheit für seine Bevölkerung zu verwandeln. Zwar schloss Israel nach dem Krieg von 1973 mit Ägypten Frieden (Friedensvertrag von Camp David, 1979) und zog sich aus dem Sinai zurück, es baute aber gleichzeitig das Besatzungsregime im Gazastreifen und der West Bank aus und annektierte den Golan und Ost-Jerusalem. Im Zuge des Libanonkriegs 1982 schließlich besetzte Israel eine so genannte "Schutzzone" im Süden des Landes.
Erst nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und des zweiten Golfkrieges kam mit den Friedenskonferenzen von Madrid und Washington und den nachfolgenden bilateralen Verhandlungen Bewegung in die israelisch-arabische Konfliktkonstellation. Aus parallelen Geheimverhandlungen zwischen Israel und Vertretern der PLO ging 1993 das erste Oslo-Abkommen hervor, in dem sich die Konfliktparteien gegenseitig anerkannten und auf einen friedlichen Konfliktaustrag einigten: ein etappenweiser Abzug der israelischen Armee aus Teilen des Gazastreifens und der West Bank sowie eine palästinensische Selbstverwaltung für eine fünfjährige Übergangsperiode, innerhalb derer Verhandlungen über den endgültigen Status geführt werden sollten. Vor diesem Hintergrund konnte 1994 der israelisch-jordanische Friedensvertrag geschlossen werden. Allerdings gab es nach der Ermordung des israelischen Premierministers Yitzhak Rabin im November 1995 keine substanziellen Verhandlungsfortschritte mehr zwischen Israel und den Palästinensern. Auch in den von US-Präsident Bill Clinton vermittelten Endstatusverhandlungen im Sommer 2000 in Camp David lagen die Positionen zu weit auseinander, um eine Einigung über eine Konfliktregelung zu erzielen. Im Frühjahr 2000 waren schon die israelisch-syrischen Verhandlungen abgebrochen worden, obwohl die beiden Parteien Regelungen für nahezu alle Streitpunkte gefunden hatten - letztlich scheiterte eine Einigung an Detailfragen.
Ende September 2000 begann die zweite Intifada, die im Gegensatz zur ersten (Dezember 1987 bis 1993) schnell in einen bewaffneten Aufstand gegen die Besatzungsmacht umschlug, dessen Zielrichtung durch Anschläge auf zivile Einrichtungen innerhalb Israels allerdings verwischt wurde. Mit dem einseitigen Abzug aus dem Südlibanon im Mai 2000 leitete Ehud Barak den Übergang zu jener unilateralen Politik ein, die Ariel Sharon mit dem Abzug von Siedlern und Militär aus dem Gazastreifen und aus vier Siedlungen in der West Bank im August 2005 fortsetzte. Schnell zeigte sich, dass sich der unilaterale Ansatz, der den arabischen Partner negierte, nicht zur Konfliktregelung eignete, die Besatzung nicht vollständig beendete und Israels Sicherheit nicht erhöhte. Im Gegenteil: Die unilateralen Schritte stärkten im Libanon und in den palästinensischen Gebieten nicht die moderaten Kräfte, sondern ließen die Interpretation zu, dass nur der bewaffnete Kampf Erfolg bringe.
Die Gewalt eskalierte erneut im Sommer 2006, als Israel auf eine Provokation der Hisbollah (einen Angriff auf einen israelischen Armeeposten, bei dem acht Soldaten getötet und zwei entführt wurden) mit massiven Luftangriffen nicht nur auf Stellungen und Einrichtungen der Hisbollah, sondern auch auf die libanesische Infrastruktur reagierte. Trotz ihrer militärischen Überlegenheit gelang es der israelischen Armee nicht, die Hisbollah-Milizen zu zerschlagen oder zumindest ihre Raketenangriffe zu verhindern, so dass die Hisbollah zwar militärisch geschwächt, aber politisch gestärkt aus der Auseinandersetzung hervorging und ihr Führer Hasan Nasrallah in weiten Teilen der arabischen Welt zum neuen Idol stilisiert wurde.
Nach wie vor sind zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn wichtige Streitfragen ungelöst. Während es Israel in erster Linie um die Anerkennung seines Existenzrechts, Sicherheitsgarantien und die Normalisierung der Beziehungen zu den arabischen Staaten (und Gesellschaften) geht, steht für die Palästinenser das Ende der Besatzung und die staatliche Unabhängigkeit im Vordergrund. Damit verbunden sind die Fragen des Grenzverlaufs zwischen beiden Staaten, der israelischen Siedlungen in der West Bank, der Kontrolle Jerusalems und der Regelung der palästinensischen Flüchtlingsfrage. Für den Libanon hat vollständige Souveränität und Nichteinmischung in seine inneren Angelegenheiten sowie die Klärung des Grenzverlaufs (insbesondere bei den Shebaa-Farmen) Vorrang, wohingegen die syrische Priorität die Rückgabe der Golanhöhen ist. Während die territorialen Fragen und die der gegenseitigen Beziehungen in bilateralen Verhandlungen zu klären sind, können die grenzüberschreitenden Fragen - die Flüchtlingsfrage, das Wassermanagement in der Region sowie Kooperation etwa in Form gemeinsamer Infrastrukturnetzwerke - nur in einem regionalen Forum geregelt werden. Regelungsoptionen für alle Konfliktdimensionen liegen auf dem Tisch und sind bereits weitgehend zwischen den Konfliktparteien ausgehandelt worden - genannt seien hier beispielhaft das Nusseibeh-Ayalon-Abkommen, die Clinton-Parameter, die Genfer Initiative und die Verhandlungsergebnisse von Maryland. Bislang jedoch fehlt es am politischen Willen zu einer Einigung.
Der Irak und der Hegemonialkonflikt am Golf
Der Irak hat sich seit der US-geführten Militärintervention 2003 zu einem zweiten akuten Krisenherd der Region entwickelt. Dabei ist die aktuelle Auseinandersetzung als Folge des Hegemonialkonfliktes am Persischen Golf zwischen dem Iran, Irak und Saudi-Arabien zu sehen und damit auch als Ergebnis einer Entwicklung, die mit der Islamischen Revolution im Iran 1979 eskalierte und mittlerweile zu drei Kriegen geführt hat: dem iranisch-irakischen Krieg (1980 - 1988), dem zweiten Golfkrieg (1990/91) und dem Irak-Krieg (2003). Beide, der Irak und der Iran, versuchten, eine (sub-)regionale Hegemonialstellung zu erreichen, trafen aber auf den Widerstand Saudi-Arabiens und der USA, dem wichtigsten Verbündeten Riads. In den 1980er Jahren sorgte die Konkurrenz mit der Sowjetunion dafür, dass die US-Regierung nur sehr zurückhaltend intervenierte: Sie unterstützte den Irak militärisch und garantierte den Schutz der arabischen Golfstaaten und ihrer Ölexporte, zeitweilig auch gemeinsam mit der UdSSR. Nach Ende des Kalten Krieges gaben die USA ihre Zurückhaltung schrittweise auf. 1990/91 führten sie eine multinationale Koalition an, die das besetzte Kuwait von irakischen Truppen befreite. Während der 1990er Jahre verfolgten sie eine Politik der "doppelten Eindämmung" (dual containment), mit der sie versuchten, Iran und Irak gleichzeitig in Schach zu halten. Im Jahr 2003 schließlich folgte der Krieg gegen den Irak, in dessen Verlauf das Regime Saddam Husseins gestürzt und das Land von Koalitionstruppen besetzt wurde.
Die US-Regierung hatte offenbar keine längere Militärpräsenz im Irak geplant, sah sich jedoch dazu gezwungen, selbst Verantwortung zu übernehmen, als es nicht gelang, rasch eine handlungsfähige irakische Regierung einzusetzen. Im Sommer 2003 brach ein Aufstand sunnitischer Gruppierungen aus. Sie bekämpften die ausländische "Besatzung" - ab Juni 2004 war der Irak formell souverän - und den neuen irakischen Staat. Während jedoch baathistische und national-islamistische Gruppierungen in erster Linie darauf zielten, sich gegen die sich abzeichnende Marginalisierung der sunnitischen Minderheit (rund 20 Prozent der Bevölkerung) zur Wehr zu setzen, versuchten jihadistische Gruppierungen wie Al-Qaida im Irak, einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten zu provozieren. Spätestens 2006 brach dieser Konflikt aus. Schon im Frühjahr 2005 hatten sich die Auseinandersetzungen intensiviert, nachdem eine schiitisch-kurdische Koalition siegreich aus den Wahlen im Januar hervorgegangen war. Fortan schlugen schiitische Milizen, die teils in die schiitisch dominierten Sicherheitskräfte übernommen wurden, gegen sunnitische Aufständische und Zivilisten zurück. Nachdem Al-Qaida im Irak im Februar 2006 eine Grabmoschee der schiitischen Imame Ali al-Hadi und al-Hasan al-Askari in Samarra zerstörte, eskalierte die Gewalt zwischen den konfessionellen Gruppen.
Infolge der Ereignisse im Irak droht auch der Hegemonialkonflikt am Golf zu eskalieren, dessen wichtigste Protagonisten nunmehr Iran und Saudi-Arabien sind. Der Iran ist gestärkt aus dem Krieg 2003 hervorgegangen, weil mit dem Irak Saddam Husseins sein wichtigster regionaler Konkurrent beseitigt wurde. Gleichzeitig sieht sich die iranische Führung durch die Präsenz amerikanischer Truppen im Irak, in Afghanistan und im Persischen Golf bedroht. Der Iran reagierte, indem er versuchte, amerikanische Truppen durch die Unterstützung militanter Gruppen im Irak zu binden und somit einen Angriff auf den Iran unwahrscheinlicher zu machen. Insbesondere nach der Amtsübernahme des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad im August 2005 wurde die iranische Außenpolitik aggressiver. Teheran versuchte verstärkt, über sein Bündnis mit Syrien und die Unterstützung von Organisationen wie der Hisbollah und der Hamas Einfluss auf den Nahostkonflikt zu nehmen. Insbesondere im Konflikt um das Atomprogramm, in dem die Führung sich unnachgiebig zeigt, wird das neue iranische Selbstbewusstsein deutlich.
In Saudi-Arabien wird die iranische Politik als Hegemoniestreben und Bedrohung interpretiert. Das Land ist militärisch deutlich schwächer als der Iran, und seit der Islamischen Revolution 1979 fürchtet die Regierung in Riad den iranischen Revolutionsexport. Deshalb unterstützte Saudi-Arabien den Irak im Krieg gegen den Iran. Nach 1997 entspannte sich das Verhältnis zu Teheran zwar deutlich, doch seit dem Irak-Krieg, insbesondere seit der Amtsübernahme Ahmadinedschads, wachsen die Spannungen. Ein wichtiges Indiz dafür war, dass die Staatschefs des Golfkooperationsrates auf ihrem Gipfel in Riad im Dezember 2006 erklärten, sie würden ein gemeinsames Programm zur friedlichen Nutzung der Kernenergie planen. Diese Erklärung dürfte insbesondere an die USA gerichtet gewesen sein, denen verdeutlicht werden sollte, wie groß die Gefahr eines regionalen Rüstungswettlaufs wäre, sollte der Iran Atomwaffen oder auch nur die Fähigkeit, sie herzustellen, erlangen.
Nahostkonflikt, fragile Staatlichkeit und Bürgerkriegsgefahr
Nach dem Libanonkrieg und den massiven Militäroperationen im Gazastreifen im Sommer 2006 sind fragile Waffenstillstände geschlossen worden: zwischen Israel und dem Libanon durch die UN-Sicherheitsratsresolution 1701, zwischen Israel und den palästinensischen Gruppierungen durch eine auf den Gazastreifen begrenzte Waffenruhe. Damit sind diese Konflikte eingefroren, ihre Ursachen jedoch nicht angegangen worden. Zudem hat der gewalttätige Konfliktaustrag massive innenpolitische Auswirkungen gezeitigt. In Israel ist die Regierung wegen des militärischen Misserfolgs unter starken Druck geraten und kämpft um ihr politisches Überleben.
In den palästinensischen Gebieten ist eine staatliche Konsolidierung zunehmend in Frage gestellt. Die zweite Intifada ging mit der teilweisen Wiederbesetzung bereits geräumter Gebiete einher, der weitgehenden Zerstörung der Regierungs- und Ordnungsstrukturen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) und einer massiven Militarisierung der palästinensischen Gesellschaft. Seit dem Regierungsantritt der Hamas im März 2006 leiden die Palästinenser unter der internationalen - genauer gesagt, der westlichen und israelischen - Isolierungspolitik, die die PA ihrer finanziellen Basis beraubt und eine dramatische Verschlechterung der humanitären Situation mit sich gebracht hat.
Nach mehreren gescheiterten Vermittlungsversuchen regionaler Akteure (insbesondere Ägyptens, aber auch Syriens) gelang es dem saudischen König Abdallah, eine konstruktive Führungsrolle zu übernehmen und eine Einigung zwischen Fatah und Hamas zu vermitteln. Im Mekka-Abkommen vom Februar 2007 kamen die Parteien überein, dass fortan Dialog und Partnerschaft anstelle von Gewalt die Mittel der innerpalästinensischen Auseinandersetzung sein sollten. Zudem soll die Hamas Teil der PLO werden und in ihren Gremien angemessen repräsentiert sein. Auf dieser Basis wurde Mitte März 2007 eine Regierung der Nationalen Einheit vom Palästinensischen Legislativrat bestätigt. Während der größte Erfolg des Mekka-Abkommens darin liegt, dass das interne Blutvergießen zunächst (weitgehend) beendet werden konnte, hat es die hoch gesteckten internationalen Erwartungen nicht erfüllt. Dabei war nicht davon auszugehen, dass sich eine palästinensische Koalitionsregierung den Quartettkriterien explizit unterwerfen würde; denn die Hamas ist zwar bereit, die faktische Existenz Israels zu akzeptieren und auf eine Regelung auf Basis der Grenzen von 1967 hinzuarbeiten, sie ist aber nicht willens, die moralische Legitimität Israels anzuerkennen. Dennoch ist das Regierungsprogramm eine gute Ausgangsbasis für die Wiederaufnahme des Dialogs mit der palästinensischen Regierung. Denn durch die Dokumente, auf die in ihm Bezug genommen wird, wird die Regierung auf den Oslo-Rahmen, eine Zweistaatenregelung sowie die konditionierte Anerkennung Israels (gemäß der Friedensinitiative der Arabischen Liga von 2002, die sie bei ihrem Gipfel Ende März 2007 erneut unterbreitete) verpflichtet. Das Programm hält außerdem fest, dass der Präsident der PLO/PA für Verhandlungen mit Israel zuständig sein soll. Zudem enthält das Regierungsprogramm das Angebot, eine umfassende beidseitige Waffenruhe umzusetzen und die Freilassung des entführten israelischen Soldaten Gilad Shalit voranzutreiben.
Grundsätzlich verfügt die große Koalition mit ihrer breiten Basis in der palästinensischen Bevölkerung über günstige Voraussetzungen, ihre Politik umzusetzen. Dennoch ist keineswegs gesichert, dass das Machtteilungsarrangement erfolgreich sein wird. Zu unterschiedlich sind die politischen und gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Koalitionspartner, zu groß die Herausforderungen. Am schwierigsten dürften sich die Aufnahme der Hamas in die PLO und deren umfassende Reform, die Aussöhnung an der Basis nach den bewaffneten Zusammenstößen sowie die Entwaffnung der Milizen bzw. ihre Integration in die Sicherheitskräfte gestalten. Damit aber ist die Gefahr eines Bürgerkriegs noch nicht gebannt.
Auch im Libanon hat der Krieg die innenpolitischen Karten neu gemischt: Die Hisbollah setzte ihren militärischen Erfolg ein, um erstens ihre Entwaffnung zu verhindern, die nicht nur in den UN-Sicherheitsratsresolutionen 1559 und 1701 vorgesehen ist, sondern bereits im Taif-Abkommen von 1989 enthalten war. Sie setzte durch, dass es keine Entwaffnung oder Zerschlagung ihrer Milizstrukturen durch die libanesische Armee unddie UN-Friedenstruppe UNIFIL geben würde und konzedierte lediglich, dass sie Waffen nicht offen tragen würde. Zweitens suchte sie ihren Erfolg in - in der Tat überfällige - größere Partizipation der Schiiten im politischen System umzumünzen. Drittens ging es ihr darum, zu verhindern, dass das internationale Tribunal zur Aufklärung des Mordes an Rafiq Hariri als Hebel eingesetzt werden könnte, um beim Verbündeten Syrien einen Regimewechsel herbeizuführen, indem hochrangige Vertreter der syrischen Führungselite zur Rechenschaft gezogen würden. Durch ihren Austritt aus der Regierung Ende 2006 legte sie deren Arbeit lahm und mobilisierte im Folgenden ihre Anhänger zur Blockade der Regierung, zu Massendemonstrationen und zum Generalstreik. Die Regierung mobilisierte ihrerseits Anhänger, so dass es zu blutigen Straßenkämpfen zwischen sunnitischen, Premierminister Fuad Siniora unterstützenden und schiitischen, die Hisbollah und die Amal unterstützenden Demonstranten kam.
Seit Anfang des Jahres geht im Libanon die Angst vor einem Rückfall in den Bürgerkrieg um. Einmal mehr sehen sich die Libanesen als Opfer externer Auseinandersetzungen. Auch wenn die Interpretation überzogen ist, der Sommerkrieg sei der erste Krieg zwischen den USA - vertreten durch Israel - und dem Iran - vertreten durch die Hisbollah - gewesen, so hat doch die jeweilige einseitige externe Unterstützung des Westens und der "moderaten" arabischen Staaten für die Siniora-Regierung und des Iran und Syriens für Hisbollah die politische Krise im Land weiter verschärft, denn sie hat die konfessionellen Trennlinien vertieft, statt Kompromissbereitschaft zu stärken.
Vom Hegemonialkonflikt zum Konfessionskrieg?
Der Hegemonialkonflikt am Persischen Golf wird seit 2003 - wie schon während des Iran-Irak-Krieges - nicht nur immer stärker als konfessionelle Auseinandersetzung wahrgenommen, er birgt auch die Gefahr einer Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen Schiiten und Sunniten in der Region. Der Irak-Krieg führte zur politischen Emanzipation der schiitischen Bevölkerungsmehrheit (60 bis 65 Prozent) des Landes, die seit der Staatsgründung 1920 politisch weitgehend marginalisiert und während der Diktatur Saddam Husseins blutig unterdrückt worden war. Nach dem Sturz des Regimes bot sich ihr die Gelegenheit, eine wichtige Rolle in der Regierung des Landes zu spielen. Die arabischen Nachbarländer - in denen die Machteliten sunnitisch geprägt sind - befürchten deshalb, dass die Schiiten am Golf ebenfalls ermuntert werden könnten, politische Mitsprache einzufordern, und dass die konfessionellen Auseinandersetzungen auf diese Länder übergreifen könnten. Darüber hinaus haben sie den Irak immer als geostrategisches Gegengewicht zum Iran betrachtet. Sie befürchten nun, dass ein schiitisch dominierter Irak (oder ein Teil des Irak) zum Satelliten Teherans werden könnte. Implizit gehen viele arabische Politiker davon aus, dass arabische Schiiten den schiitischen Iranern nicht nur kulturell, sondern auch politisch nahe stehen. Dass konfessionelle Nähe nicht unbedingt politische Gefolgschaft nach sich zieht und dass die ethnische Bruchlinie zwischen Arabern und Persern für die Identitätsbildung arabischer Schiiten überaus wichtig ist, wird allzu oft ignoriert.
Die Mehrzahl der arabischen Nachbarstaaten des Irak hatte den Krieg der USA unter anderem deshalb abgelehnt, weil sie ein Auseinanderbrechen des Iraks befürchteten. Der Ausbruch des Aufstandes und die sich bereits 2004 abzeichnende Machtübernahme schiitischer Islamisten verstärkten diese Sorgen. Hierzu trug bei, dass die stärkste schiitische Organisation, der Hohe Rat für die Islamische Revolution im Irak, 1982 im iranischen Exil gegründet worden war und als iranischer Klient gilt. Nachdem die Vereinigte Irakische Allianz der Schiitenparteien siegreich aus den Wahlen im Januar 2005 hervorgegangen war und Ibrahim al-Jaafari, ein führender Politiker der schiitischen Daawa-Partei, im April Ministerpräsident wurde, häuften sich die Proteste aus Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien gegen den iranischen Einfluss im Irak. Bereits im Dezember 2004 warnte der jordanische König Abdallah vor der Entstehung eines "schiitischen Halbmonds" vom Iran über den Irak und Syrien bis zur libanesischen Hisbollah, der die Stabilität der gesamten Region bedrohe. Doch bereits die Tatsache, dass Syrien kein Land mit schiitischer Mehrheitsbevölkerung ist,
Diese Entwicklungen sind vor dem Hintergrund des Hegemonialkonflikts zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu sehen. Dabei geht die Konkurrenz um Einfluss deutlich über die Golfregion hinaus: Da Teheran vermehrt versucht, Einfluss auf die Ereignisse im Libanon und den israelisch-palästinensischen Konflikt zu nehmen, bemüht sich Saudi-Arabien neuerdings wieder sehr aktiv, dem entgegenzuwirken. Die Regierungen Saudi-Arabiens, Ägyptens und Jordaniens rücken schon seit 2003 enger zusammen und haben ihre Zusammenarbeit beispielsweise in der Terrorismusbekämpfung ausgebaut. Hier deutet sich an, dass die von Politikern aus diesen Ländern geäußerten Vorbehalte gegenüber dem Iran und den Schiiten zur Bildung einer sunnitischen Allianz führen könnten, die einem "schiitischen Halbmond" gegenüberstehen würde. Die saudi-arabische Führung warnte Ende 2006, dass sie sunnitische Gruppierungen im Irak unterstützen werde, wenn sich die Situation dort nicht verbessere. Der Irak würde zum Schlachtfeld in dieser Auseinandersetzung, die sich im schlimmsten Fall auch auf andere Länder ausbreiten könnte. Besorgniserregend ist vor allem, dass die USA seit 2006 diese nahöstliche Blockbildung fördern, um dem Hegemonialstreben des Iran entgegenzuwirken. In einer Senatsanhörung im Januar 2007 sprach Außenministerin Condoleezza Rice von einer "strategischen Neuausrichtung" der Nahostpolitik und unterschied zwischen (sunnitischen)"Reformern" und (schiitischen) "Extremisten". Letztere würden zu einer immer größeren Gefahr für die US-Politik. Insbesondere wenn die USA tatsächlich einen Militärschlag gegen das iranische Atomprogramm führen sollten, wäre zu erwarten, dass die iranische Führung versuchen würde, schiitische Gruppierungen in der Golfregion zu instrumentalisieren, um Anschläge gegen die USA und ihre Verbündeten durchzuführen. Dann bestünde die Gefahr, dass die Konflikte im Nahen und Mittleren Osten noch stärker konfessionalisiert würden.
Sich überlagernde Konflikte
Der Nahe und Mittlere Osten ist nicht durch einen Schlüssel- oder Kernkonflikt geprägt, auf den sich die anderen Konflikte in der Region zurückführen ließen. Vielmehr überlappen sich der israelisch-arabische Konflikt und der Hegemonialkonflikt am Golf und verstärken sich gegenseitig.
So hat erstens der Hegemonialkonflikt am Golf Rückwirkungen auf den israelisch-arabischen Konflikt: Während der Iran islamistische Bewegungen und Milizen in Palästina (Hamas) und Libanon (Hisbollah) unterstützt, stellte sich Saudi-Arabien (unterstützt vom Westen, Ägypten und Jordanien) zunächst auf die Seite der jeweiligen Gegenspieler, also des palästinensischen Präsidenten Abbas, des libanesischen Premierministers Siniora und, während des Sommerkrieges 2006, zumindest implizit auf die Seite Israels. Erst nach der Eskalation der innenpolitischen Auseinandersetzungen im Libanon und in Palästina 2006/2007 änderte Saudi-Arabien den Kurs, bemühte sich eine Führungsrolle auszufüllen, setzte sich mit dem Iran ins Benehmen und konnte ein Abkommen zwischen den zerstrittenen palästinensischen Fraktionen vermitteln und zumindest mäßigend auf die Situation im Libanon einwirken.
Der israelisch-arabische Konflikt hat zweitens Auswirkungen auf die Möglichkeiten einer Beruhigung der Situation im Irak. So hat insbesondere Syrien, selbst wenn es nur geringen Einfluss auf die Entwicklungen im Irak nehmen kann, kaum Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit den USA bei der Stabilisierung des Nachbarstaates, solange es seine nationalen Interessen - dies gilt insbesondere für die Wiedererlangung der israelisch besetzten Golanhöhen - nicht ausreichend beachtet sieht und solange der Eindruck vorherrscht, dass das internationale Tribunal zur Untersuchung des Mordes an Rafiq Hariri dem Ziel des Regimewechsels in Syrien dienen solle.
Drittens hat das vorläufige Scheitern der Stabilisierung und Demokratisierung des Irak, der entsprechend der neokonservativen Vision von den democratic dominos zum Ausgangspunkt einer Demokratisierung der Region hätte werden sollen, nicht nur einen weitgehend staatsfreien Raum geschaffen, in dem sich auch transnationale Terroristen tummeln, die künftig ein enormes Bedrohungspotenzial für ihre Heimatstaaten darstellen werden. Es hat vor allem zu einer Strategieänderung der USA geführt: Nicht mehr die "Forward Strategy for Freedom", die Präsident George W. Bush 2003 proklamierte, leitet die amerikanische Politik in der Region, sondern eine Bündnispolitik mit prowestlichen Staaten, die für die Stabilisierung im Irak und bei der Eindämmung des Iran in die Pflicht genommen werden. Dies - verstärkt durch islamistische Wahlerfolge in Ägypten, Irak und Palästina - hat dazu geführt, dass der Druck auf die Regime, politische Liberalisierung zu wagen, deutlich nachgelassen hat. Mittelfristig bedeutet die autoritäre Konsolidierung - wie sie etwa bei den umfangreichen Verfassungsänderungen in Ägypten deutlich wird -, dass diejenigen Oppositionskräfte, die sich bislang für eine Beteiligung im politischen System entschieden haben, aus diesem herausgedrängt werden. Damit steigt die Gefahr der Entstehung neuer gewalttätiger Oppositionsbewegungen.
In Bezug auf die Konfliktregelung und auf das europäische Verhältnis zur Region ist besonders besorgniserregend, dass die Einzelkonflikte zunehmend durch sich gegenseitig verstärkende Wahrnehmungsmuster überwölbt werden, die kulturelle, religiöse und konfessionelle Spaltungen festschreiben und für einen Interessenausgleich nicht offen sind. So ist nicht nur vom Gegensatz zwischen einem die Vertreter des "radikalen Islam" umspannenden "schiitischen Halbmond" und den "moderaten" (prowestlichen) sunnitischen Staaten die Rede. Auch führen westliche Militärinterventionen, einseitige Parteinahmen und die Anwendung doppelter Standards auf der einen sowie die Eskalation von Gewalt und die (perzipierte) Zunahme des Bedrohungspotenzials seitens militanter Islamisten auf der anderen Seite zur Wahrnehmung eines "Zivilisationskonfliktes", bei dem "der Islam" "dem Westen" unversöhnlich gegenübersteht.