Einleitung
Der bevorstehende G8-Gipfel im mecklenburgischen Heiligendamm wird von erheblichen Protesten begleitet werden. "Während die G8 ohne Legitimation, aber mit ungeheurer Macht ihre Interessen durchsetzen", so etwa die deutsche Sektion von Attac, solle Heiligendamm als Gelegenheit genutzt werden, sich "weitergehende Gedanken über eine ganz andere Globalisierung der Demokratie'" zu machen.
Wie ist das möglich? Wir interpretieren diese Widerstände als Ausdruck einer Situation, in der internationale Institutionen mit mehr und neuen Einflussmöglichkeiten ausgestattet sind und mithin von einer wachsenden Zahl gesellschaftlicher Akteure subjektiv mehr Relevanz zugesprochen bekommen. Im Zuge dessen steigen auch die normativen Ansprüche an diese Institutionen. Die Politik und Verfahren internationaler Institutionen werden nicht mehr nur im Lichte partikular-nationaler Interessen und Probleme diskutiert, sondern zunehmend auch im Rekurs auf Kriterien einer legitimen politischen Ordnung. Werden diese Ansprüche enttäuscht - und das werden sie allzu häufig -, kommt es zu massiven Widerständen gesellschaftlicher Akteure gegen die Politik und die Verfahren internationaler Institutionen. Diese Politisierung lässt internationale Institutionen keinesfalls unberührt. Sie reagieren in vielen Fällen mit Veränderungen ihrer Verfahren, insbesondere durch die Öffnung für transnationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und durch eine erhöhte Transparenz ihrer Arbeit. Ob dies als Ausdruck einer beginnenden Demokratisierung internationaler Institutionen gelten kann, bleibt allerdings abzuwarten.
Gesellschaftliche Wahrnehmung internationaler Institutionen
Internationale Institutionen haben insbesondere seit 1989 an Autonomie gegenüber den Nationalstaaten gewonnen. Mehrheitsentscheidungen und quasi-juristische Verfahren führen dazu, dass Nationalstaaten teilweise gezwungen werden, gegen ihren Willen zu handeln. Somit wird das Konsensprinzip, das lange konstitutiv für die internationale Politik war, untergraben; in der Folge wirken internationale Institutionen zum Teil tief in nationale Angelegenheiten hinein.
Neben Umfragedaten spricht vor allem die Praxis dafür, dass gesellschaftliche Akteure internationale Institutionen für wichtig halten. Die transnationale Kampagne zum Verbot von Landminen
Dazu passt schließlich auch, dass das Phänomen des political consumerism sich längst transnational darstellt: Viele Konsumenten folgen bei ihren Kaufentscheidungen den Appellen internationaler und transnationaler Institutionen. Der gesellschaftliche Boykott südafrikanischer Produkte stützte bereits während der 1970er Jahre maßgeblich die VN-Sanktionen.
Kontextbedingungen der neuen Ansprüche
Die Wahrnehmung institutioneller Macht jenseits nationalstaatlicher Autoritäten erzeugt beides: Zustimmung und Zuwendung für, aber auch Misstrauen und Widerstände gegen internationale Institutionen. Angesichts der gewachsenen Autonomie internationaler Institutionen kommt es in den betroffenen Gesellschaften zu einer gesteigerten Auseinandersetzung über deren Legitimitätsgrundlagen. Eine gewichtige Rolle spielen dabei auch die kognitiven und kulturellen Grundlagen gesellschaftlicher Politisierung, die sich in den vergangenen Dekaden gleichfalls geändert haben. So treffen die ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Folgen der Globalisierung bei vielen Menschen auf eine Haltung, sie tatsächlich als "eigene" Probleme zu verstehen. Im Zuge zunehmender Bildung werden immer breitere Bevölkerungsteile in die Lage versetzt, globale Zusammenhänge und Wechselwirkungen zu erkennen.
Die konstatierte kognitive Mobilisierung führt auch zu einer wachsenden Sensibilität von Gesellschaften für Machtfragen im Allgemeinen und dürfte schon von daher eine Politisierung gesellschaftlicher Akteure im Hinblick auf inter- und transnationale Institutionen begünstigen. Mit Blick auf die westlichen Industrienationen sind die damit einhergehenden Ansprüche auf politische Teilhabe als Ausdruck eines Wertewandels diskutiert worden.
Enttäuschte Ansprüche
Allerdings kann ein Wandel der kognitiven und kulturellen Kontextbedingungen allein das Entstehen gesellschaftlicher Widerstände gegen internationale Institutionen noch nicht erklären. Erst die Enttäuschung über Verfahren und materielle Politik einflussreicher Institutionen macht diese zum Zielobjekt gesellschaftlicher Kritik und Widerstände. Sofern sich die substanzielle Reichweite und die "Eingriffstiefe" internationaler Institutionen vielfach erhöht haben, erscheinen deren Entscheidungsprozesse aus gesellschaftlicher Sicht häufig als nicht legitim. Am Entscheidungsmodell des exekutiven Multilateralismus hat sich nämlich über die Jahre kaum etwas geändert. Die Politik in den internationalen Institutionen findet meist immer noch unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit statt, bleibt hermetisch und ist folglich aus Sicht der letztlich Betroffenen undemokratisch.
Erstens verletzt der Ausschluss eines Teils der Betroffenen von den Entscheidungsverfahren Ansprüche an die Partizipation bzw. an die Repräsentativität von trans- und supranationalen Institutionen. Diese Exklusion lässt sich auf zwei Ebenen beobachten. Einerseits sind nicht alle Staaten an den Entscheidungen beteiligt und andererseits führt die Neigung zum exekutiven Multilateralismus zum Ausschluss gesellschaftlicher Akteure in exekutiv-staatlich dominierten Entscheidungsprozessen. Hinsichtlich der in den zentralen Gremien internationaler Organisationen vertretenen Staaten hat etwa der Ausschluss ganzer Regionen aus dem entscheidenden Prozess der Vor- und Parallelverhandlungen im green room der WTO für massive Kritik gesorgt.
Zweitens verletzt die Öffentlichkeitsferne vieler Entscheidungsprozesse normative Ansprüche an die Kontrollierbarkeit und Begründungspflicht "guten Regierens". So haben etwa mangelnde Kontrollmöglichkeiten der Unternehmen, die am Global Compact
Drittens enttäuscht eine hohe Selektivität bei der Regelsetzung und der Regelanwendung gesellschaftliche Ansprüche nach gerechter Verteilung bzw. Fairness. Die im Allgemeinen unter dem Begriff der "Globalisierungskritik" zusammengefassten Widerstände identifizieren und adressieren Institutionen wie Weltbank oder IWF vornehmlich als neoliberale Protagonisten eines globalen "Kasino-Kapitalismus", die nach Ansicht ihrer Kritiker Interessenlagen recht einseitig widerspiegeln und daher weltgesellschaftliche Probleme wie Armut, Unterentwicklung und Dependenz nicht lösen, sondern sogar noch verschärfen.
Freilich setzen Ansprüche auf Partizipation, Transparenz und Rechtsgleichheit zumindest eine implizite Anerkennung einer gegebenen Institution als wünschenswert voraus. Einer ganzen Reihe von Institutionen tritt die gesellschaftliche Ablehnung jedoch mit der Behauptung entgegen, dass man eine weitere Stärkung internationaler Institutionen grundsätzlich abwehren sollte. Hierbei geht es viertens um maximale Autonomie, ggf. auch nur in Gestalt regulierter Subsidiarität. Idealtypisch für dieses Phänomen scheinen die innergesellschaftlichen Diskussionen im Vorfeld nationaler Referenden über einen Beitritt zur Europäischen Union zu sein. Gegner der europäischen Integration nutzten diese Debatten, um grundlegend gegen eine Abgabe politischer Macht an internationale Institutionen mit Hinweis auf einen drohenden Verlust an Autonomie zu argumentieren. Offen bleibt die Frage, inwieweit sich auch das Auftreten von transnationaler Gewalt in den neuen Kriegen bzw. in Gestalt des transnational agierenden Terrorismus als Ausdruck des Widerstandes gegen die OECD-Welt und ihre internationalen Institutionen deuten lässt, deren Einfluss man im Verweis auf eine politisch bestimmte Idee von Autonomie abwehren (nicht aber kontrollieren oder gar durch Partizipation "demokratisieren") will.
In der hier vorgetragenen These schwingt die Vermutung mit, dass die im Kontext eines allgemeinen Modernisierungsprozesses verstärkt wahrgenommenen Legitimationsdefizite internationaler Institutionen zu einer Politisierung weltgesellschaftlicher Akteure führen. Zur Politisierung gehören die konstruktive Nutzung internationaler Institutionen durch gesellschaftliche Gruppen etwa im Bereich der Umweltpolitik, aber auch die vehemente Ablehnung internationaler Institutionen. Die Kritik und die Widerstände gegen internationale Institutionen können unterschiedliche Formen annehmen - von der Unterstützung rechtspopulistischer Parteien in Europa über die Demokratiekritik an der EU bis zu den unkonventionellen Aktionsformen globalisierungskritischer Gruppen gegen WTO, IWF und Weltbank. Die Politisierung ist Ausdruck eines institutionellen Machtzuwachses, gestiegener Erwartungen und wahrgenommener Defizite internationaler Institutionen. Dabei variieren die institutionellen Gelegenheitsstrukturen der Politisierung erheblich; sie ergeben sich auf der internationalen wie auf der nationalen Ebene.
Zum einen bilden internationale Institutionen eigene Politikarenen, die unterschiedliche Anreize und Gelegenheiten bieten, gesellschaftliche Ansprüche direkt zu artikulieren - nicht zuletzt angesichts unterschiedlicher Partizipationsmöglichkeiten als Experten bzw. stakeholder.
Sofern internationale Institutionen normative Ansprüche enttäuschen, haben sie zum anderen nicht nur "direkt" mit gesellschaftlichen Widerständen zu rechnen, sie geraten auch von Seiten relevanter Regierungen unter Druck, die auf eine mangelnde Zustimmung ihrer Wähler reagieren. Hierbei spielt eine Rolle, dass durch sich lockernde Bindungen zwischen Bürgern und politischen Institutionen im nationalen Rahmen die Spielräume für unpopuläre Entscheidungen zugunsten internationaler Institutionen enger werden. Langfristig orientierte Regeleinhaltung der Regierung kann Angriffsflächen für innenpolitische Opponenten eröffnen, denen mediale Resonanz zumindest so lange gewiss ist, wie ihre radikale Ablehnung die Stimmung des Publikums tatsächlich trifft.
Der gesellschaftliche Widerstand nimmt in diesem Sinne immer wieder erheblichen Einfluss auf die Politik von Regierungen gegenüber internationalen Institutionen. Die Ablehnung verschiedener multilateraler Vereinbarungen durch die USA während der Clinton-Administration kann am besten als vorauseilender Gehorsam gegenüber einer im Senat verankerten gesellschaftlichen Skepsis gegenüber internationalen Institutionen gedeutet werden. Auch in der EU lassen sich solche Fälle beobachten, etwa im Zusammenhang mit der Bewältigung der BSE-Krise.
Schlussbemerkung
Das Ergebnis der skizzierten Politisierung ist noch nicht abzusehen. Manches spricht dafür, dass die weltgesellschaftlichen Forderungen nach mehr Transparenz und Inklusivität sowie einer geringeren Selektivität der internationalen Institutionen ihre Früchte tragen. Die Transparenz der Entscheidungsprozesse hat sich insbesondere bei den internationalen Wirtschaftsinstitutionen erhöht, viele internationale Organisationen öffnen sich für neue Mitgliedschaften, und die Zunahme von internationalen Schiedsgerichten reduziert die Selektivität in der Anwendung internationaler Regeln. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass nationale Widerstände gegen internationale Institutionen nicht zuletzt in so wichtigen Staaten wie den USA, Russland und China deutlich zugenommen haben.
Ob wir uns also auf dem Weg zurück zur zwischenstaatlichen Ordnung des 19. Jahrhunderts oder zu einer konstitutionell und normativ fundierten Ordnung jenseits des Nationalstaates befinden, wird sich erweisen müssen. Eine Analyse der gegenwärtigen Entwicklungstrends legt freilich nahe, dass dabei neue, ungekannte Formen einer politischen Ordnung entstehen können.