Einleitung
Umweltschutz ist unverkennbar auch an Fragen sozialer Gerechtigkeit gekoppelt. Denn Umweltbelastungen und Maßnahmen zu ihrer Verringerung haben ganz konkrete und oftmals sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Gesundheit und Lebensqualität der Menschen. Je mehr sich die Umweltkrise weltweit zuspitzt, umso dringlicher wird es, sich mit diesen Zusammenhängen auseinanderzusetzen.
Diskutiert werden sie hierzulande allerdings bislang meist allein in globaler Hinsicht (Nord-Süd-Ressourcengerechtigkeit) oder in Bezug auf zukünftige Generationen (ökologische Generationengerechtigkeit bzw. Nachhaltigkeit). Bezogen auf die nationalen Binnenverhältnisse zeichnet sich noch keine systematische Debatte ab. Zwar sind die sozialen Ungleichheiten in Deutschland im internationalen und historischen Vergleich noch relativ gering, doch werden auch sie mit dem wachsenden ökologischen Problemdruck - sichtbar vor allem am Klimawandel - und vor dem Hintergrund der zunehmenden sozialen Polarisierung immer größer.
Der folgende Beitrag soll - angeregt durch eine in den USA bereits seit drei Jahrzehnten geführte Debatte - einen Überblick darüber bieten, wo und wie sich umweltbezogene Gerechtigkeitsprobleme hierzulande abzeichnen und wie dies bislang thematisiert wird.
"Environmental Justice" in den USA
Bereits seit den frühen 1980er Jahren wird in den USA über "Environmental Justice" diskutiert und damit explizit problematisiert, dass Umweltschäden und -maßnahmen vielfach bestimmte Regionen oder Gruppen benachteiligen und deshalb nicht unabhängig neben Fragen sozialer Gerechtigkeit stehen.
Ihren Ursprung nahm diese Debatte in dem Aktivismus sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen (v. a. Einkommensschwache und Nicht-Weiße), die in der Tradition der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung begannen, für ein gleiches Recht aller Menschen auf eine saubere und nicht gesundheitsgefährdende Umwelt einzutreten. Neben den umfassenderen Begriffen "Environmental Justice" und "Environmental Equity" hat sich so auch der stark emotional aufgeladene Begriff "Environmental Racism" herausgebildet, der die umweltbezogene Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe bezeichnet.
Der Hauptschwerpunkt der Bewegung liegt im Bereich Umwelt und Gesundheit, vor allem hinsichtlich der Arbeits- und Wohnumwelt sowie des Verkehrs. Neben diesen auf das menschliche Zusammenleben bezogenen Umweltbereichen werden in den USA im wissenschaftlichen Diskurs inzwischen jedoch auch Fragen einer gerechten Verteilung von Umweltrisiken unter allen Lebewesen der Erde aufgegriffen ("Ecological Justice"). Ferner finden neben der Anklage negativer Umweltzustände ("stopping bads") zunehmend auch positive Forderungen nach besserer Umweltqualität Raum ("promoting goods").
Auch in anderen industrialisierten wie nichtindustrialisierten Staaten werden zunehmend ähnliche Debatten geführt - jeweils zugeschnitten auf den spezifischen Landeskontext.
Umweltbezogene Ungleichheiten in Deutschland
In der Bundesrepublik ist zwar von einem anderen Niveau an Ungleichheiten als in den USA oder gar im globalen Maßstab auszugehen, doch auch hier haben Umweltbelastungen und -schutzmaßnahmen vielfach ungleiche soziale Auswirkungen. Nicht jede Ungleichheit ist dabei gleich als ungerecht zu werten, doch werden auch hier zunehmend "umweltbezogene Ungerechtigkeiten" deutlich.
Der vorliegende Beitrag betrachtet primär die Ebene der einzelnen Bürger und Bürgerinnen und privaten Haushalte. Hier werden Ungleichheiten sowohl im Hinblick auf die unmittelbare Gesundheit als auch auf rein materielle und immaterielle Schäden deutlich.
Bereich "Gesundheit"
Umweltbeeinflusste Erkrankungen sind in Deutschland ungleich verteilt. Einerseits werden Menschen häufig unterschiedlich durch negative Umwelteinflüsse (Chemikalien, Lärm ...) gesundheitlich belastet, andererseits verfügen sie oft nicht über die gleichen Mittel und Möglichkeiten, solche Belastungen zu bewältigen, etwa durch Erholung in der freien Natur. Während eindeutig toxische Stoffe reduziert worden sind, besteht eine diffuse polytoxische Hintergrundbelastung fort, die sich in medizinisch häufig uneindeutigen Symptomen niederschlägt. Das Spektrum an Erkrankungen, bei denen Umwelteinflüsse eine Rolle spielen können, reicht von psychischen Belastungen und Befindlichkeitsstörungen bis hin zu Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen.
Oft hängen Ungleichverteilungen mit Merkmalen der sozialen Schicht, d.h. mit Ausbildung, Berufsstatus und/oder Einkommen zusammen. Personen unterer sozialer Schichten weisen meist eine höhere Krankheitswahrscheinlichkeit und Sterblichkeit auf,
Vielfach hängen ungleiche Betroffenheiten jedoch nicht nur mit der sozialen Schicht (vertikale Differenzierung), sondern zudem auch mit Lebenslage, Milieu und Lebensstil (horizontale Differenzierung) zusammen. Vor dem Hintergrund, dass sich die Gesellschaft zunehmend in Kategorien jenseits der klassischen vertikalen Sozialschicht ausdifferenziert (Pluralisierung von Lebensweisen), gewinnen neben Ausbildung, Berufsstatus und Einkommen auch Merkmale wie Alter, Geschlecht, Nationalität, Partnerschaftsstatus, Wertorientierungen und Lebensweisen immer mehr an Bedeutung ("neue Ungleichheiten"). Allergien treten z.B. häufiger in den oberen sozialen Schichten auf, obgleich hier von einer vergleichsweise geringeren Exposition durch Außenluftschadstoffe auszugehen ist - ein Zeichen dafür, dass auch Lebenslage und -stil eine Rolle spielen.
"Materielle und immaterielle Schäden"
Vielfach werden Ungleichheiten nicht allein (wie in den USA besonders häufig) am unmittelbaren Gesundheitszustand evident, sondern auch an rein materiellen oder immateriellen Schäden. Auch hier ist die Vielfalt groß, wie aus obiger Tabelle ersichtlich wird.
Ebenso wie im Gesundheitsbereich sind auch hier zunächst die Menschen unterer sozialer Schichten besonders benachteiligt. Aufgrund ihrer geringeren Kaufkraft trifft sie der (angesichts der Verknappung) zunehmende Preisdruck für Naturressourcen besonders stark.
Sie haben andererseits auch die schlechteren Möglichkeiten, die (persönliche) Umweltbelastung durch Anpassungsleistungen zu reduzieren. Beispielsweise können sie es sich weniger als andere leisten, ihre Autos entsprechend der aktuellen Gesetzesinitiativen zur Reduzierung der Luftbelastung in Großstädten und Ballungsräumen auf umweltfreundliche Standards nachzurüsten oder ihren Kindern ein Leben in einer gesunden außerhäuslichen Umwelt zu ermöglichen.
Während diese Benachteiligungen sozial schwacher Schichten zunächst in der Logik des Marktes als Allokationsmechanismus angelegt zu sein scheinen, können sie vor allem aus zwei Gründen durchaus gerechtigkeitsrelevante Brisanz gewinnen.
Das zweite Gerechtigkeitsproblem wird sichtbar, wenn sich der Blick auf die Bedeutung des (Umwelt-)Konsums in unserer Gesellschaft richtet: Jenseits seines rein ökonomischen Stellenwerts ist er auch im Kontext sozialer Inklusion zu verstehen. Denn der Zugang zu Konsumgütern steht sowohl in instrumenteller als auch in symbolischer Hinsicht wesentlich für Teilhabe- und Selbstverwirklichungschancen. Jemand, der sich z.B. ein umweltschonendes Fahrzeug nicht leisten kann und folglich gezwungen ist, seinen Verbrauch und Schadstoffausstoß durch veränderte Lebenspraktiken zu reduzieren, ist stärker in seinen Chancen eingeschränkt als jemand mit mehr Kaufkraft. Es kann so zu einer sozialen Exklusion wachsender Bevölkerungsteile aus den Standards kommen, die sich für das Leben hierzulande herausgebildet haben, wie z. B. eine gewisse räumliche Mobilität. Der Mobilitätsforscher Konrad Götz spricht in diesem Zusammenhang von einem "sozial erzwungenen Ausschluss".
Andererseits können jedoch auch rein materielle oder immaterielle Ungleichheiten nicht immer allein am sozialen Status festgemacht werden. Auch wenn vollkommen gleichartige ökonomische Lebensbedingungen bestehen, so die zentrale Erkenntnis der Milieu- und Lebensstilforschung, prägen Menschen häufig ganz unterschiedliche Lebensstile aus, beispielsweise aufgrund unterschiedlicher Wertorientierungen und Lebensziele, ästhetischer Vorlieben oder Freizeitaktivitäten.
Entwicklungen
Grundsätzlich sind Wechselbeziehungen zwischen Sozialfaktoren und umweltbeeinflussten Erkrankungen oder Schäden kein neues Phänomen. Bereits im 19. Jahrhundert problematisierte die deutsche Sozialhygienebewegung den Einfluss von Wohn- und Arbeitsumwelt auf die Gesundheit der Menschen. Neu ist allerdings die zunehmende Komplexität dieses Zusammenhangs. Diese resultiert zum einen aus den oben beschriebenen neuen Ungleichheitslinien angesichts der zunehmenden Pluralisierung der Lebensstile. Sie wird zum anderen ausgelöst durch eine zunehmende Dichte an umweltpolitischen Regulierungen. Und schließlich werden schlechter wahrnehmbare Umweltprobleme, wie vor allem der Klimawandel, hinter den räumlich und zeitlich begrenzten Umweltproblemen im deutschen Kontext bislang noch wenig unter dem Aspekt der Gerechtigkeit betrachtet. Die voraussichtlichen Folgen des Klimawandels für jeden Einzelnen in seinem individuellen Lebenskontext sind bislang weder angemessen thematisiert noch annähernd geklärt worden. Wesentliche Voraussetzungen dafür, dass der Klimawandel Beeinträchtigungen auch hierzulande nach sich ziehen wird, sind allerdings schon jetzt gegeben, wie der Nachweis neuer Krankheitsüberträger und -erreger zeigt,
Der Einfluss subjektiver Wahrnehmung
Neben dem objektiven Ausmaß von Umwelteinflüssen kann auch ihre subjektive Bewertung für die Auswirkungen auf Gesundheit und Lebensqualität des Einzelnen von Bedeutung sein. Identische objektive Bedingungen werden häufig ganz unterschiedlich bewertet. Im Allgemeinen ist die Unzufriedenheit mit dem Umweltzustand oder -schutz bei den Personen höher, die tatsächlich besonders stark von negativen Umwelteinflüssen beeinträchtigt sind, wie beispielsweise Großstädter.
Einerseits tragen bestimmte soziale Merkmale der Menschen - wie Elternschaft oder ein stärkeres Umweltbewusstsein - dazu bei, dass sie sich stärker belastet fühlen oder stärker unzufrieden mit Umweltmaßnahmen sind.
Der gegenwärtige Diskurs in Deutschland
Diese gerechtigkeitsrelevanten Zusammenhänge werden bislang nur fragmentarisch und unsystematisch thematisiert. Die wesentlichen Impulse dazu kommen dabei nicht wie in den USA von einer Art neuen Environmental Justice-Bewegung "von unten", sondern in erster Linie aus der Wissenschaft und der bestehenden Umweltbewegung. Begrifflich und auch konzeptionell nehmen diese Ansätze jedoch häufig Bezug auf Environmental Justice. Meist folgen sie dementsprechend bislang in erster Linie einer zweipoligen (Mensch-Mensch-bezogenen) Sicht, seltener einer dreipoligen (Mensch-Mensch-Natur-bezogenen) Sicht, die wie Ecological Justice auch die Natur als eigenständigen Gerechtigkeitsadressaten mit einbezieht. Die zweipoligen Ansätze übersetzen Environmental Justice meist in "Umweltgerechtigkeit"
Zweipolige Umweltgerechtigkeit
Ähnlich wie in den USA wird umweltbezogene Gerechtigkeit auch hierzulande am häufigsten im Kontext von Umwelt und Gesundheit thematisiert. Denn vor allem hier sehen wissenschaftliche wie auch praktische Akteure eine Art Vorbild in der amerikanischen Debatte. "Umweltgerechtigkeit" definieren sie hauptsächlich als Frage nach der sozialen Verteilung von gesundheitsschädlichen Umweltbelastungen - festgemacht vor allem an der Sozialschicht, seltener auch an Lebenslage oder Milieu. Ziel ist vor allem die Verbesserung der empirischen Erfassung ungleich verteilter umweltbeeinflusster Krankheiten sowie die stärkere Integration des Themas in bestehende gesundheitspolitische Strukturen.
Auch in einzelnen Fachdiskursen jenseits des unmittelbaren Kontextes von Umwelt und Gesundheit ist umweltbezogene Gerechtigkeit ein Thema. Grundsätzlich wird sie dabei im Sinne der Verteilung von Umweltgütern und -belastungen verstanden. Allerdings wird sie hier stärker als gesellschaftlicher Interessenkonflikt und Aushandlungsprozess begriffen. So bemühen sich einige Forscher der umweltsoziologischen, räumlich-geographischen oder rechtswissenschaftlichen Umweltforschung besonders um die Erforschung und Gestaltung eines solchen Konfliktes.
Vereinzelt wird umweltbezogene Gerechtigkeit auch als mögliches Vehikel für eine breitere Akzeptanz von Umweltschutz thematisiert. Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit müssen nicht per se positiv zusammenhängen, ein Weniger an sozialer Gerechtigkeit lässt jedoch im Allgemeinen auch geringeren Spielraum für Umweltschutz. Charakteristisch für diese Perspektive ist vor allem, dass sie nicht allein die faktische Gestaltung eines sozial gerechten Umweltschutzes für bedeutsam erachtet, sondern auch, dass dies den Menschen vermittelt wird.
Dreipolige ökologische Gerechtigkeit
Ansätze, die umweltbezogene Gerechtigkeit nicht nur in Bezug auf Mensch-Mensch-Beziehungen, sondern auch auf Mensch-Natur-Beziehungen thematisieren, wenden sich weniger dem Verteilungsaspekt umweltbezogener Gerechtigkeit und stärker der allgemeinen Verursachung umweltbezogener Ungerechtigkeiten zu, von der Menschen und die kreatürliche Mitwelt gleichermaßen betroffen sind. Hierzu zählen Ansätze aus dem kirchlichen Bereich, aus dem vor allem im Hinblick auf den Klimawandel immer häufiger Stellungnahmen auch im Umweltkontext zu verzeichnen sind. Die Natur zählt zumindest in neueren schöpfungstheoretischen Ansätzen als eigenständiger Adressat von Gerechtigkeitsüberlegungen dazu, weil neben der Würde des Menschen als Bild Gottes auch der (abgestufte) Eigenwert der Schöpfung von Bedeutung ist. Ökologische Gerechtigkeit ist hier im Kern eine Frage der "Schöpfungsverantwortung".
Schlussbemerkungen
Auch innerhalb Deutschlands ziehen Umweltprobleme und -schutzmaßnahmen sozial ungleiche Folgen nach sich - sowohl im Gesundheitsbereich als auch in anderen lebensweltlichen Bereichen (wie z.B. Mobilität und Energie). Dabei erweisen sich die Ungleichheitsmuster jedoch als hochgradig komplex und divergieren sowohl vertikal als auch horizontal. Die Ursachen der Ungerechtigkeiten sind einerseits strukturell begründet, liegen andererseits jedoch auch im Verhalten jedes Einzelnen. Erhöht wird diese Komplexität, wenn von einer zunehmenden Dichte umweltpolitischer Regulierungen ausgegangen wird und ferner auch weitläufige und diffuse Umweltprobleme stärker in die Gerechtigkeitsbetrachtungen mit einbezogen werden.
In der öffentlichen Debatte haben diese Zusammenhänge bislang allerdings kaum einen Stellenwert. Bis jetzt werden sie allein in einzelnen Fachdiskursen aufgegriffen, ohne die eigene Herangehensweise und ihre Konsequenzen zu reflektieren bzw. diese mit anderen Zugängen in Bezug zu setzen. Neben weiteren speziell auf Deutschland zugeschnittenen empirischen Daten bedarf es hier einer gründlicheren Reflexion. Nur so kann ein wirksamer Beitrag dazu geleistet werden, dass der zunehmende ökologische Problemdruck in Deutschland nicht zugleich auch den sozialen Druck weiter erhöht.