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Bildungsarmut - Auswirkungen, Ursachen, Maßnahmen | Hauptschule | bpb.de

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Bildungsarmut - Auswirkungen, Ursachen, Maßnahmen

Christina Anger Axel Plünnecke Susanne Seyda Susanne Axel Plünnecke / Seyda Christina Anger /

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Zwischen sozioökonomischer Herkunft und Bildung besteht ein enger Zusammenhan. Um Bildungsarmut zu bekämpfen, müssen die Schüler besser gefördert werden.

Einleitung

In Deutschland besteht in erheblichem Ausmaß Bildungsarmut, deren Entstehung zu einem großen Teil auf Mängel im Bildungssystem zurückzuführen ist. Als bildungsarm kann der Anteil der Personen bezeichnet werden, der keinen höheren Sekundarabschluss (keine abgeschlossene Berufsausbildung) aufweist oder nach dem PISA-Test zur Risikogruppe gehört. Bildungsarmut lässt sich folglich anhand von fehlenden Zertifikaten (als Sammelbegriff für Bescheinigungen formaler Bildungsabschlüsse) oder anhand von geringen Kompetenzen messen.


Aussagen über den Umfang der Bildungsarmut in Deutschland lassen sich damit aus Ergebnissen von Kompetenztests wie etwa dem PISA-Test entnehmen. In Deutschland zählten bei PISA im Jahr 2003 im Bereich Mathematik rund 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler zur Risikogruppe.

Sie kamen im Test höchstens auf die unterste Kompetenzstufe: Ihre Kompetenzen reichen für das Erlernen eines Berufs ohne besondere Hilfestellungen nicht aus. International gesehen liegt Deutschland damit innerhalb der OECD-Länder im unteren Drittel (Vgl. Tabelle 1 der PDF-Version).

Werden die Schüler nach Schulformen unterteilt, so gehören 0,5 Prozent der Gymnasiasten, 12 Prozent der Realschüler, 23,4 Prozent der Schüler der Integrierten Gesamtschule und 49,9 Prozent der Hauptschüler zur Risikogruppe. Jeder zweite Hauptschüler ist folglich hinsichtlich seiner mathematischen Kompetenzen als bildungsarm zu bezeichnen.

Einen beruflichen Abschluss erreicht ein Teil dieser Jugendlichen dennoch. Dies ist vor allem auf das duale Ausbildungssystem zurückzuführen, in dem einige Jugendliche die notwendigen Kompetenzen für den Erwerb einer Berufsausbildung nachträglich erwerben können. Die Situation Deutschlands stellt sich im internationalen Vergleich also etwas besser dar, wenn die Bildungsarmut anhand von Zertifikaten gemessen wird. 16 Prozent der deutschen Bevölkerung im Alter zwischen 25 und 64 Jahren besitzen keinen Abschluss der Sekundarstufe II - also beispielsweise keine abgeschlossene Berufsausbildung. In der Altersgruppe der 25- bis 34-jährigen Personen liegt der entsprechende Wert bei 15 Prozent (Vgl. Tabelle 1 der PDF-Version). Damit befindet sich Deutschland deutlich unterhalb des OECD-Durchschnitts von 33 bzw. 23 Prozent. Problematisch ist, dass der Anteil der Personen ohne einen Abschluss der Sekundarstufe II in den vergangenen Jahren stagniert. Ein Abbau der Bildungsarmut erfolgt im Gegensatz zu vielen anderen Staaten in Deutschland demnach nicht.

Insgesamt wird deutlich, dass das Bildungspotenzial in Deutschland gegenwärtig nicht ausreichend genutzt wird.

Im Folgenden werden zunächst die Auswirkungen der Bildungsarmut näher beschrieben. Daran schließt sich eine Ursachenanalyse an. Abschließend werden verschiedene Reformmaßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Bildungsarmut reduziert werden kann. Im Mittelpunkt stehen dabei Reformüberlegungen für den Bereich der schulischen Bildung, da dort, wie Tabelle 1 (Vgl. PDF-Version) zeigt, die Probleme im internationalen Vergleich am größten zu sein scheinen.

Auswirkungen der Bildungsarmut

Bildungsarmut hat sowohl Auswirkungen auf das betroffene Individuum als auch auf die gesamte Volkswirtschaft.

Für den Einzelnen wirkt sich ein geringer Bildungsstand auf die derzeitige und zukünftige Einkommensposition und den sozialen Status aus, da sich damit seine Chancen auf eine gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben verringern. Das Risiko, arbeitslos zu werden, ist eng mit dem Bildungsstand einer Person verknüpft: Je höher die formale Qualifikation einer Person ist, desto geringer ist das Risiko, den Arbeitsplatz zu verlieren oder arbeitslos zu bleiben. Daher ist Bildungsarmut häufig mit Einkommensarmut verbunden, die den Bezug von Transferleistungen des Staates notwendig macht.

Darüber hinaus ist ein hoher Bildungsstand der Bevölkerung wichtig für die technologische Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Dies gilt insbesondere für ein rohstoffarmes Land wie Deutschland, das seine Position im internationalen Wettbewerb vor allem durch neue, wissensintensive Produkte und Dienstleistungen erhalten muss. Um diese Produkte entwickeln und herstellen zu können, werden hoch qualifizierte Arbeitnehmer benötigt. Gut ausgebildete Menschen sind daher ein wichtiger Standortfaktor für die Investitionsentscheidungen von Unternehmen und eine entscheidende Determinante für die Wohlstandsentwicklung von Regionen und Nationen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels. Zurzeit kommen auf 100 Einwohner im Alter zwischen 60 und 65 über 110 junge Personen zwischen 20 und 25. Dieses Verhältnis wird sich in den kommenden Jahren zuungunsten der Jüngeren halbieren. Folglich wird es zukünftig immer wichtiger, die nachrückenden Generationen bestmöglich zu qualifizieren und Bildungsarmut zurückzudrängen.

Für die öffentlichen Haushalte fallen erhebliche Kosten an, wenn die Jugendlichen nicht ausreichend qualifiziert und dadurch zur Aufnahme einer Ausbildung ohne besondere Hilfestellungen nicht befähigt sind. So beliefen sich im Jahr 2004 die direkten Kosten für eine nachschulische Qualifizierung von nicht ausbildungsreifen Jugendlichen auf 3,4 Milliarden Euro. Zumindest ein Teil dieser Kosten könnte bei einer Reduzierung der Bildungsarmut eingespart werden. Ferner geht durch Nachqualifizierungsmaßnahmen Zeit verloren, sodass die jungen Menschen später in den Arbeitsmarkt eintreten. Vor dem Hintergrund derdemografischen Herausforderungen ist es nicht nur wichtig, dass die Menschen länger im Erwerbsleben verbleiben können, sondern auch, dass kostspielige Ineffizienzen beim Übergang von Schule in Berufsausbildung und Arbeitsmarkt vermieden werden.

Ursachen der Bildungsarmut

Mithilfe der PISA-Daten können die Ursachen der Bildungsarmut untersucht werden.

In Untersuchungen des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln wurde analysiert, ob die folgenden Einflussfaktoren in Deutschland zu geringeren Kompetenzen der Schüler führen: - familiärer Hintergrund (niedriger Bildungsstand der Eltern; Migrationshintergrund; Bildungsferne der Eltern gemessen anhand der verfügbaren Bücher im Haushalt; geringes Einkommen); - Investitionen der Familien in Bildung (geringe Ausstattung mit Lernmitteln; geringer zeitlicher Aufwand für die Bildung; fehlender Besuch des Kindergartens); - öffentliche Investitionen (geringe Ausstattung der Schulen; Mangel an Lehrern); - Schulklima/Klassenklima (Schüler kommen nicht gut mit den Lehrern aus; mangelnder Respekt vor den Lehrern; schlechtes Verhältnis der Schüler untereinander; fehlende Motivation für das Lernen; fehlende Motivation der Lehrer).

Ein zentrales Ergebnis der Analysen ist, dass in Deutschland die Lernleistungen der Kinder deutlich vom jeweiligen familiären Hintergrund abhängen. Ein niedriger Bildungsstand der Eltern, ein Migrationshintergrund, der damit verbunden ist, dass zu Hause nicht deutsch gesprochen wird, und die Bildungsferne der Eltern haben einen starken negativen Einfluss auf die Lernergebnisse der Kinder. Diese Merkmale tragen in erheblichem Umfang zur Entstehung von Bildungsarmut bei. Kein gesicherter Einfluss geht jedoch vom Einkommen der Eltern aus. Der Bildungsstand der Eltern und deren Einstellung zur Bildung scheinen sich somit eher auf die Lernleistungen der Kinder auszuwirken als das zur Verfügung stehende Einkommen.

Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf den Nachbarn Niederlande. Von den erfolgreichen PISA-Staaten ist dieses Land hinsichtlich der sozioökonomischen Struktur der Bevölkerung Deutschland am ähnlichsten. In den Niederlanden ist jedoch sowohl der Einfluss des Bildungsstands der Eltern als auch der des Migrationsstatus auf die Lernleistungen der Jugendlichen deutlich geringer als in Deutschland. Dem Nachbarland gelingt es offenbar deutlich besser, Schüler mit schwierigeren Startbedingungen angemessen zu fördern.

Im Vergleich zum familiären Hintergrund wirken sich in Deutschland die Investitionen der Familien in die Bildung der Kinder weniger stark auf die Lernergebnisse aus. Dennoch haben eine geringe Ausstattung der Schüler mit Lernmitteln und ein geringer zeitlicher Aufwand für die Bildung der Kinder einen negativen Einfluss auf die Lernleistungen: Die Eltern können die Lernergebnisse der Kinder positiv beeinflussen, wenn sie ausreichend Lernmittel bereitstellen und Einfluss auf die Zeit nehmen, die Kinder zum Beispiel in Form von Hausaufgaben in Bildung investieren. Darüber hinaus besteht ein positiver Zusammenhang zwischen dem Besuch des Kindergartens und den Lernleistungen der Schüler.

Keinen gesicherten Einfluss auf die Lernergebnisse der Kinder haben dagegen die öffentlichen Investitionen: also die Ausstattung der Schulen mit Lehrmitteln und Gebäuden sowie mit Lehrpersonal. Das Ergebnis sollte jedoch nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Ausstattung der Schulen irrelevant für das Lernergebnis der Schüler ist. Sie wird - im Gegenteil - sogar eine notwendige Voraussetzung für einen guten Unterricht sein. Insgesamt verdeutlichen die Ergebnisse, dass der Mangel an Lehrmaterialien, Schulgebäuden und Lehrpersonal an den deutschen Schulen, die diese Probleme beklagen, nicht so groß zu sein scheint, dass die Lernergebnisse der Schüler dadurch signifikant verschlechtert würden.

Etwas stärker ist wiederum der Zusammenhang zwischen dem Schul- und Klassenklima und den Lernleistungen der Schüler. Insbesondere ein schlechtes Verhältnis der Schüler zu den Lehrern und eine geringe Lernmotivation der Schüler verschlechtern das Lernergebnis.

Da die PISA-Untersuchung in mehreren Ländern durchgeführt wurde, konnte zudem herausgefunden werden, ob Merkmale wie standardisierte Tests, mit deren Hilfe regelmäßig die Lernergebnisse der Schüler überprüft werden, sowie das Vorhandensein von Entscheidungsfreiheit (Autonomie) der Schulen auf bestimmten Gebieten wie etwa der Festlegung der Lerninhalte, Personal- und Gehaltsentscheidungen oder Budgetentscheidungen Einfluss auf die Qualität der Bildungsergebnisse haben. Von einer Dezentralisierung und Stärkung der Entscheidungsfreiheiten auf der Schulebene werden positive Effekte erwartet, weil die Schule möglicherweise in vielen Entscheidungsbereichen Wissensvorsprünge gegenüber einem zentralen Entscheidungsträger besitzt. Lässt man den Schulen jedoch weitgehende Entscheidungsfreiheiten, ohne die Ergebnisse dieser Entscheidungen - in diesem Fall die Lernergebnisse der Schüler - zu überprüfen, so besteht die Gefahr opportunistischen Verhaltens der Verantwortlichen an den Schulen. Diese verfolgen dann vielleicht andere Ziele als die eines möglichst guten Lernergebnisses der Schüler. Wird jedoch die Autonomie der Schulen mit einer Überprüfung der Lernergebnisse in Form von zentralen Abschlussprüfungen oder zentralen Tests verbunden, werden die Ergebnisse der Entscheidungen der Schulverantwortlichen transparent gemacht. Ein positiver Effekt auf die Lernergebnisse der Schüler wird somit möglicherweise erst dann erreicht, wenn die Schule sowohl über Autonomie verfügt als auch dieLernergebnisse ihrer Schüler regelmäßig überprüft werden. Empirische Untersuchungen bestätigen diese Hypothese. Sie zeigen, dass eine Autonomie der Schulen in den Bereichen der Budgetverwendung, der Auswahl der Lehrer, der Lehrergehälter und der Lehrinhalte die Lernergebnisse der Schüler positiv beeinflussen, wenn gleichzeitig die Lernergebnisse kontrolliert werden.

Insgesamt legen die Ergebnisse der Ursachenanalyse nahe, bei der Bekämpfung der Bildungsarmut vor allem auf eine bessere Förderung von Kindern mit einem ungünstigen sozioökonomischen Hintergrund zu setzen. Es wird deutlich, dass die Startchancen der Kinder für ihre Bildungskarrieren derzeit stark von ihrem Elternhaus abhängig sind. Versäumnisse bei der Förderung von Bildungspotenzialen im frühkindlichen Alter können später jedoch kaum oder nur zu hohen Kosten ausgeglichen werden.

Maßnahmen zur Reduzierung der Bildungsarmut

Die Ursachenanalyse bietet zahlreiche Ansatzpunkte für die Ableitung politischer Maßnahmen zur Bekämpfung von Bildungsarmut. Allerdings ist anzumerken, dass eine deutliche Reduzierung der Bildungsarmut auch bei sofortigen und umfangreichen Reformmaßnahmen nur mittelfristig zu erreichen sein dürfte. Zudem wird ein Teil der Bevölkerung auch bei Umsetzung aller Maßnahmen aufgrund seiner kognitiven und körperlichen Fähigkeiten sowie emotionalen Voraussetzungen zur Gruppe der Bildungsarmen gehören. Dessen ungeachtet sollte es erklärtes bildungspolitisches Ziel sein, alle Kinder und Jugendlichen entsprechend ihren individuellen Fähigkeiten angemessen und intensiv zu fördern. Reformmaßnahmen, deren Ziel es ist, die Entstehung von Bildungsarmut zu verhindern, sollten vor allem darauf zielen, die frühkindliche Bildung zu verbessern und damit die Startchancengerechtigkeit für die Kinder zu erhöhen. Daher erstrecken sich die Reformvorschläge vor allem auf die Bereiche des Kindergartens und der Schule.

Der Kindergarten sollte als erste Stufe des Bildungswesens stärker zur individuellen Förderung genutzt werden. Ansatzpunkte für Reformmaßnahmen in diesem Bereich sind die Stärkung des Bildungsauftrags der Kindertageseinrichtungen, eine Verbesserung der Ausbildung der Erzieher und Erzieherinnen und eine Erhöhung der Teilnahmequote in Kindertageseinrichtungen.

Im Bereich der Schule könnte zunächst der Ausbau der Ganztagsschulen zu einer Verringerung der Bildungsarmut beitragen. Während in den meisten OECD-Ländern die Ganztagsschule längst zur Regelschule geworden ist, blieb in Deutschland und Österreich die Halbtagsschule die traditionelle und dominante Schulform. Innerhalb der Europäischen Union gehört die Ganztagsschule zur Grundversorgung des Bildungssystems. Bei Betrachtung der PISA-Daten zeigt sich, dass Länder mit Ganztagsunterricht eine signifikant höhere Lesekompetenz ihrer Schüler aufweisen als Staaten, die nur einen Vormittagsunterricht durchführen. Der Vorteil der Ganztagsschulen liegt in einem größeren Zeitraum gemeinsamer Lernzeit, der eine bessere Rhythmisierung des Lernens erlaubt. Daneben sind eine stärkere Identifikation und eine bessere soziale Integration der Schüler möglich. Weiterhin kann gerade für Kinder aus bildungsfernen Schichten die Einführung des Ganztagsunterrichts sehr sinnvoll sein.

Für diese Kinder und für solche mit Migrationshintergrund zeigt sich, dass eine Ausdehnung der Bildungsinfrastruktur - verbunden mit einem höheren Finanzmitteleinsatz-zu besseren Bildungsergebnissen und größeren Bildungschancen führen kann, trägt doch insbesondere die schlechtere Qualität des außerschulischen Lernumfelds zu schlechteren Lernergebnissen von Kindern aus bildungsfernen Schichten bei. Die Ganztagsschule dient jedoch nicht nur Kindern aus bildungsfernen Schichten. Auch Kinder aus einem bildungsnahen Umfeld können vom Ganztagsunterricht profitieren, indem sie gezielt im Hinblick auf ihre Stärken gefördert und ihnen am Nachmittag individuell abgestimmte Kurse angeboten werden. Aus Kostengründen ist zunächst das Angebot an Ganztagsschulen bedarfsgerecht auszubauen. Langfristig sollte ein flächendeckendes Angebot verbindlicher Ganztagsschulen angestrebt werden, um zu ermöglichen, dass gerade die Kinder, die vom Besuch einer Ganztagsschule am meisten profitieren können, diese auch besuchen können. Erste Erfahrungen aus den offenen Ganztagsschulen in NRW weisen auf diese Selektionseffekte hin.

Darüber hinaus sollte die Förderinfrastruktur in den Schulen ausgebaut werden. Die Einführung der Ganztagsschule kann dazu beitragen, dass Kinder mit Bildungs- und/oder Entwicklungsrückständen stärker individuell durch die Fachlehrer gefördert werden. Einige Kinder sind neben der Betreuung durch Lehrer häufig aber auch auf andere Unterstützungsmaßnahmen angewiesen - insbesondere wenn Erziehungsdefizite im Elternhaus bestehen. In diesen Fällen sollten Schulpsychologen eingesetzt werden. Zu den Aufgaben der Schulpsychologie zählen Einzelfallhilfe, Unterrichtshilfe und Schullaufbahnberatung. Zudem beraten schulpsychologische Dienste auch Lehrer und Schulen in Fragen der Leistungsmessung, der individuellen Förderung oder in Erziehungskonflikten. Und schließlich wirken sie auch bei der Qualifizierung von Beratungslehrern mit, bei der Schulentwicklung, bei Schulversuchen und bei kollegialer Fallberatung und Supervision. Augenblicklich wird mit dem Bildungsgesamtplan ein Ausbaustand in der schulpsychologischen Versorgung von einem Schulpsychologen je 5 000 Schüler angestrebt. Längerfristig sollte jedoch ein viel günstigeres Verhältnis erzielt werden. Schulpsychologen sollten vor allem an den Schulen eingesetzt werden, an denen sich ein hoher Anteil von Schülern aus einem sozioökonomisch schwierigen Umfeld befindet.

Schulen sollte mehr Entscheidungsfreiheit eingeräumt werden, die jedoch mit einer Rechenschaftspflicht zu verbinden ist. Um den Bildungserfolg jedes Schülers überprüfen zu können, ist die Vorgabe von verbindlichen Standards hilfreich. Weiterhin zielen diese darauf, die Zahl der Schulabbrecher sowie die Zahl der Schüler, die der Risikogruppe zugerechnet werden, zu verringern. Durch die Orientierung der Bildungsstandards an einem Kompetenzstufenmodell wird individuelle Förderung auf breiter Basis ermöglicht. Damit wird deutlich, dass beispielsweise auch Hochbegabte durch die Orientierung der Schulen an Bildungsstandards in ihrer Entwicklung unterstützt werden.

Um die Schüler optimal fördern und ihre Potenziale entsprechend entwickeln zu können, ist weiterhin eine diagnostische Grundlage erforderlich. Da in den Bildungsstandards die Inhalts- mit der Kompetenzdimension verknüpft wird, ist eine aussagekräftige Messung des jeweils erreichten Leistungsstandes in Schulen (Schulevaluation) und von Lernenden (Individualdiagnostik) möglich. Mithilfe der Bildungsstandards lassen sich individuelle Verbesserungen messen und Bildungsmaßnahmen evaluieren. Die Analyse von Stärken und Schwächen jedes einzelnen Schülers ermöglicht es, gezielte Fördermaßnahmen zu treffen. Darauf aufbauend können Lehrpläne zur Förderung der individuellen Fähigkeiten entwickelt oder auch Spezialkurse für einzelne Schüler und kleine Schülergruppen angeboten werden. Diagnostische Verfahren sind somit eine Voraussetzung zur Steigerung der Leistungsfähigkeit und Bildungsqualität im Schulsystem.

Ein weiteres Instrument, mit dem die Anreize der Beteiligten dahingehend gelenkt werden können, jeden einzelnen Schüler möglichst so zu fördern, dass er sein bestmögliches Lernergebnis erzielt, ist ein zielorientiertes Vergütungssystem des Lehrpersonals. Empirische Untersuchungen aus den USA zeigen, dass systematische Leistungszulagen zu signifikant besseren Schülerleistungen führen. Die international überdurchschnittlich hohen Gehälter der Lehrer in Deutschland enthalten keinerlei leistungsabhängige Bestandteile. Bezogen auf die gesamten Personalkosten der deutschen Bundesländer für beamtete Lehrer wird etwa ein Drittel der Gehaltssumme durch das Zahlen einer Senioritätszulage einschließlich der Höherstufung in höhere Laufbahnen verursacht (ohne Berücksichtigung des so genannten Familienzuschlags). Wird das Senioritätsprinzip abgeschafft, stehen jährlich Personalausgaben in Höhe von gut 10 Milliarden Euro zur Verfügung, die in Form von Leistungs- und Erfolgsprämien an Lehrer ausgeschüttet werden könnten.

In den erfolgreichen PISA-Nationen erhalten die Lehrer tendenziell ein geringeres Grundgehalt, bekommen aber leistungsorientierte Zulagen. Es gibt unter den OECD-Staaten nur wenige Länder, in denen leistungsorientierte die demografieorientierten Zulagen (Alter und Familienstand) dominieren und gleichzeitig eine größere Risikogruppe als in Deutschland zu beobachten ist - zu diesen Staaten zählen zum Beispiel die USA und Mexiko. In Deutschland variiert das Gehalt hauptsächlich nach Alter und Familienstand. Auch in Italien und Österreich spielen leistungsorientierte Gehaltsbestandsteile eine zu vernachlässigende Rolle - auch hier ist die Risikogruppe tendenziell größer als in den Staaten mit eher leistungsorientierten Vergütungssystemen.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen können nur langfristig dazu beitragen, die Bildungsarmut zu verringern. Neben einer Bekämpfung der Ursachen von Bildungsarmut sind somit auch Maßnahmen erforderlich, die den Umgang mit Bildungsarmut verbessern und formal gering qualifizierten Personen den Einstieg in das Berufs- und Arbeitsleben erleichtern. Ein Ansatzpunkt dafür ist das System der beruflichen Bildung. Es nimmt schon derzeit häufig eine kurative Funktion wahr, indem es auch bildungsarme Schüler aufnimmt und zu einem Abschluss der Sekundarstufe II führt. Auf diese Weise leistet es einen markanten Beitrag zur Reduzierung der Jugendarbeitslosigkeit. Diese heilende Funktion muss weiter gestärkt werden. Ansatzpunkte dafür können die Absenkung von Ausbildungsschwellen durch flexiblere Ausbildungsvergütungen, eine größere Praxisnähe in der Berufsvorbereitung und eine größere Differenzierung der Ausbildungsberufe sein, um auch gezielt Ausbildungsangebote für leistungsschwächere Jugendliche anbieten zu können. Darüber hinaus sollten auch Maßnahmen eingeleitet werden, die den bildungsarmen Personen den Eintritt in den Arbeitsmarkt erleichtern.

Fazit

Ein hoher Bildungsstand ist Voraussetzung für günstige Arbeitsmarktchancen des einzelnen Menschen und beeinflusst damit erheblich seine individuellen Einkommensaussichten. Im Umkehrschluss birgt ein geringer Bildungsstand ein hohes Arbeitslosigkeitsrisiko und reduziert die Chance auf ein hohes Einkommen. Auch für die gesamte Volkswirtschaft ist eine Bevölkerung mit einem hohen Bildungsstand von großer Bedeutung. Der Bildungsstand hat Einfluss auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft und auf die Attraktivität des Standortes für in- und ausländische Investoren. Angesichts des demografischen Wandels und stagnierender Absolventenzahlen in höheren Bildungsgängen wachsen in Deutschland die Befürchtungen, dass in Zukunft nicht mehr genügend gut ausgebildete Personen zur Verfügung stehen, um im Innovationswettbewerb mithalten zu können. Damit Deutschland im internationalen Wettbewerb nicht ins Hintertreffen gerät, ist es erforderlich, das Bildungspotenzial besser auszuschöpfen.

Derzeit hat ein erheblicher Teil der Bevölkerung ein geringes Kompetenzniveau, das vielfach den Anforderungen der Unternehmen nicht gerecht wird. Diese Personen zählen zur Gruppe der Bildungsarmen. Bildungspotenziale werden hierzulande nicht ausgeschöpft. Das lässt sich daran erkennen, dass der individuelle Bildungserfolg stärker von der sozioökonomischen Herkunft abhängt als in den meisten anderen OECD-Ländern. Bildungsarmut kann gesenkt werden, wenn die betroffenen Personen durch eine bessere Förderung als bisher ein höheres Qualifikationsniveau erreichen. Dazu müssen politische Reformmaßnahmen an den Ursachen für Bildungsarmut ansetzen und den engen Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und Bildungserfolg aufbrechen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Jutta Allmendinger/Stephan Leibfried, Bildungsarmut, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 53 (2003) 21/22, S. 12 - 18.

  2. Vgl. PISA-Konsortium Deutschland (Hrsg.), PISA 2003. Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland - Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs, Münster 2004.

  3. Vgl. OECD, Bildung auf einen Blick. OECD- Indikatoren, Paris 2006.

  4. Vgl. Paul Romer, Endogenous technological change, in: Journal of Political Economy, 35 (1990) 4, S. 71-102.

  5. Vgl. Robert Barro, Determinants of Economic Growth: a Cross-Country Empirical Study, Cambridge (Mass.) 1997.

  6. Vgl. Helmut Klein, Direkte Kosten mangelnder Ausbildungsreife, in: IW-Trends, 32 (2005) 4, S. 61-75.

  7. Vgl. Christina Anger/Axel Plünnecke/Susanne Seyda, Bildungsarmut und Humankapitalschwäche in Deutschland, IW-Analysen Nr. 18, Köln 2006.

  8. Vgl. Ludger Wößmann, The Effect Heterogeneity of Central Exams: Evidence from TIMSS, TIMSS-Repeat and PISA, CESIfo Working Paper No. 16, München 2004; ders., Ursachenkomplexe der PISA-Ergebnisse: Untersuchungen auf Basis der internationalen Mikrodaten, Ifo Working Paper No. 16, München 2005.

  9. Vgl. C. Anger/A. Plünnecke/S. Seyda (Anm. 7); L.Wößmann (Anm. 8); ders., Central Exams Improve Educational Performance: International Evidence, Kiel Discussion Paper No. 397, Kiel 2002.

  10. Vgl. Christina Anger/Susanne Seyda, Elementarbereich: Frühkindliche Bildung, Betreuung und Erziehung sowie Helmut Klein, Allgemein bildendes Schulsystem: Deregulierung und Qualitätsstandards, in: Institut der deutschen Wirtschaft Köln (Hrsg.), Bildungsfinanzierung und Bildungsregulierung in Deutschland, Eine bildungsökonomische Reformagenda, Köln 2006, S. 61 - 90 bzw. S. 91 - 142.

  11. Vgl. Axel Plünnecke, Bildungsreform in Deutschland - Eine Positionsbestimmung aus bildungsökonomischer Sicht, Köln 2003, S. 27.

  12. Vgl. Alan B. Krueger/Mikael Lindahl, Education for Growth: Why and for Whom?, in: Journal of Economic Literature, 39 (2001) 4, S. 1101 - 1136.

  13. Vgl. Doris R. Entwisle/Karl L. Alexander/Linda Steffel Olson, Children, Schools, and Inequality, Boulder (Colorado) 1997.

  14. Vgl. Helen Ladd, The Dallas school accountability and incentive program: an evaluation of its impacts on student outcomes, in: Economics of Education Review, 18 (1999) 1, S. 1 - 16; Samuel T. Cooper/Elchanan Cohn, Estimation of a Frontier Production Function for the South Carolina Educational Process, in: Economics of Education Review, 16 (1997) 3, S. 313 - 327.

Christina Anger, Dr. rer. pol., geb. 1974; Referentin im Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln, Arbeitsbereich "Beschäftigung und Arbeitsmarktpolitik" IW Köln, Gustav-Heinemann-Ufer 84-88, 50968 Köln.
E-Mail: E-Mail Link: anger@iwkoeln.de

Dr. rer. pol., geb. 1971; stellvertretender Leiter des Wissenschaftsbereichs "Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik" im IW Köln.
E-Mail: E-Mail Link: pluennecke@iwkoeln.de

Dipl.-Volkswirtin, geb. 1972: Referentin im IW Köln, Arbeitsbereich "Demografie und Familienökonomie" im Wissenschaftsbereich "Bildungspolitik und Arbeitsmarktpolitik".
E-Mail: E-Mail Link: seyda@iwkoeln.de