Einleitung
Seit Menschengedenken gibt es überall auf der Welt Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen zwischen sozialen Gruppen. Die Aufzählung dieser Fälle wäre schier unendlich. Seien es nun Nationen oder ethnische Gruppen innerhalb von Nationen, religiöse Gruppen oder Mehrheit gegen Minderheit - gemeinsam ist allen der intergruppale Kontext: Es geht immer um "Wir gegen die Anderen". Das systematisch Gemeinsame sind dabei die nach einer bestimmten Logik und Struktur ablaufenden gruppendynamischen Prozesse. Damit gehen Entwicklungs- und/oder Stabilisierungsprozesse der sozialen Identitätsbildung zur Herstellung einer positiv bewerteten Eigengruppenidentität in Abgrenzung zu einer negativ bewerteten Fremdgruppenidentität einher.
Bei all diesen sozialen Konstruktionen bzw. Konfliktverläufen spielen Ideologien, intergruppale negative Einstellungen und damit Vorurteile eine zentrale Rolle, ebnen und "rechtfertigen" sie doch das Verhalten und die Handlungen der jeweils beteiligten Akteure bzw. Akteursgruppen. Diese Vorurteile und assoziierten Einstellungen, welche in der Regel einem friedlichen gesellschaftlichen Miteinander abträglich sind, bilden den Gegenstand dieser empirischen Studie und werden im Hinblick auf Gruppen unterschiedlicher Bildungsniveaus untersucht.
Die bereits im Jahre 1906 von William G. Sumner
Beim GMF-Syndrom handelt es sich um neun Einstellungskonstrukte: Fremdenfeindlichkeit, Islamphobie, Antisemitismus, Homophobie, Behindertenabwertung, Obdachlosenabwertung, Rassismus, Sexismus und Etabliertenvorrechte. Aus einer differenzierenden Perspektive der Einstellungsforschung repräsentieren die ersten sechs genannten Konstrukte Vorurteile gegenüber den Minderheiten Ausländer, Muslime, Juden, Homosexuelle, Behinderte und Obdachlose, während die zuletzt aufgeführten generalisierte Einstellungen im Sinne einer Ideologie der Ungleichwertigkeit darstellen.
Die Ausprägungen von Einstellungen wie die des GMF-Syndroms variieren stark im Hinblick auf Niveaus unterschiedlich hoher Schulbildung. Dies ist eines der am weitesten verbreiteten und einheitlichsten empirischen Ergebnisse der internationalen Vorurteilsforschung in den vergangenen Jahrzehnten. Mit zunehmendem Bildungsniveau wird die Ausprägung von Vorurteilen schwächer.
In einer Studie aus dem Jahr 2003
Perspektivenübernahme), Werteorientierungen (bestehend aus Leistungsorientierung und Konformität) und sozialer Status.
Im nun folgenden empirischen Teil werden zunächst die Ausprägungen der GMF-Einstellungen der deutschen Bevölkerung getrennt nach Bildungsniveaus betrachtet. Im Anschluss daran folgt die Untersuchung der Zusammenhänge der bildungsrelevanten Konstrukte mit dem GMF-Syndrom.
Die Ausprägungen der GMF-Einstellungen nach Bildungsgruppen
Die hier verwendeten repräsentativen Daten stammen aus dem Jahr 2006. Dabei wurden insgesamt 2000 deutschsprachige Personen ab 16 Jahren telefonisch befragt.
Die Mittelwerte für Rassismus sind für Gesamtdeutschland mit 1,79 und 1,48 recht gering, lediglich bei Befragten mit niedrigem Bildungsniveau liegt einer der Mittelwerte mit 2,04 im schwach zustimmenden Bereich. Bei Etabliertenvorrechten verhält es sich anders: Bis auf einen Mittelwert bei Hochgebildeten stößt diese Einstellung eher auf Zustimmung. Hinsichtlich klassischem Sexismus finden sich die Befragten mit niedriger Bildung im Durchschnitt deutlich im zustimmenden Bereich. Der klassische Antisemitismus ist sowohl in Gesamtdeutschland als auch getrennt nach Bildungsniveau betrachtet recht gering, was mit der deutschen Vergangenheit zusammenhängt.
Im Vergleich zu den Mittel- und Hochgebildeten stimmen die Niedriggebildeten homophoben Einstellungen durchschnittlich am stärksten zu. Behindertenabwertung findet hingegen in Deutschland keinerlei Zuspruch, alle Mittelwerte befinden sich im ablehnenden Bereich. Bezüglich Obdachlosenabwertung weisen alle drei Befragtengruppen sehr schwache Zustimmungen auf, wobei die Gruppenunterschiede sehr gering ausfallen.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Ausprägungen fast aller Syndromelemente mit steigender Bildung abnehmen,
Das GMF-Syndrom im Kontext eines Bildungskonzeptes
Im Folgenden soll auf die Zusammenhänge zwischen den GMF-Einstellungen und den eingangs erwähnten bildungsrelevanten Faktoren eingegangen werden.
Um die kausalen Zusammenhänge zwischen dem formalen Bildungsniveau, den Bildungskomponenten und den GMF-Einstellungen zu verdeutlichen, werden diese in der Grafik dargestellt.
Aufgrund des begrenzten Umfangs kann hier leider nicht näher auf die Ergebnisse für die gesamtdeutsche Stichprobe eingegangen werden.
Wie sehen nun die Einflüsse dieser Faktoren innerhalb der drei Bildungsgruppen aus? Hierzu wird ein so genannter multipler Gruppenvergleich durchgeführt, der es erlaubt, die unterschiedlichen Wirkungszusammenhänge bezüglich der drei Gruppen unmittelbar zu vergleichen. Dabei werden drei Modelle simultan berechnet, welche im Prinzip identisch mit der Grafik sind. Ohne hier auf alle berechneten Parameter eingehen zu können - zumal das Gesamtbild der Werte sehr heterogen ausfällt -, sollen im Folgenden strukturell erkennbare Tendenzen betrachtet und besondere Ergebnisse hervorgehoben werden.
Gemeinsamkeiten zwischen allen drei Gruppen: Die drei Gruppen unterscheiden sich bezüglich folgender Wirkungszusammenhänge so gut wie gar nicht. So hat Empathie insgesamt in allen drei Gruppen keinen bis sehr geringen Einfluss auf die Einstellung zu Etabliertenvorrechten, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auch Perspektivenübernahme wirkt sich nur unmerklich auf Etabliertenvorrechte, Heterophobie sowie Antisemitismus aus. Betrachtet man die Zusammenhänge innerhalb und im Vergleich der Bildungsgruppen, so stellen diese beiden Komponenten sozialer Kompetenz die mitunter schwächsten Erklärungsfaktoren dar. Ferner gibt es in allen drei Gruppen keine Beziehungen zwischen Leistungsorientierung und Heterophobie bzw. Sexismus. Sozialer Status weist schließlich - über alle Befragten betrachtet - die schwächsten Zusammenhänge auf. Der Status steht beispielsweise in keiner der Gruppen in einer Beziehung zur Heterophobie und hat nur sehr geringe reduzierende Wirkung auf einzelne GMF-Einstellungen. Es gibt jedoch auch Konstrukte, welche für alle drei Gruppen zugleich substanziell interpretierbare Werte aufweisen. Während sich kognitive Fähigkeiten reduzierend auf die Zustimmung von Etabliertenvorrechten, Rassismus und Sexismus auswirken, führt eine konformistische Werteorientierung bei allen Gruppen zu einem höheren Niveau rassistischer, heterophober, antisemitischer und sexistischer Einstellungen sowie zu einem vehementeren Beharren auf Etabliertenvorrechten. Da manche Konstrukte auch untereinander zusammenhängen, wie beispielswiese der Pfad von Empathie auf konformistische Werteorientierung in der Grafik zeigt, werden in Tabelle 2 nur die insgesamt ermittelten Einflüsse auf die GMF-Einstellungen dokumentiert (Vgl. PDF-Version).
Im Folgenden wird auf besonders auffällige Ergebnisse eingegangen. Konformistische und leistungsorientierte Werte fördern das Ausmaß der GMF-Einstellungen. In Bezug zum Konformismus sind insgesamt über alle drei Gruppen die stärksten Effekte festzustellen. Nur in zwei Fällen - Fremdenfeindlichkeit und Islamphobie - hat diese Wertorientierung keine Wirkung, was ausschließlich für die Gruppe mit niedriger Bildung gilt. Dieses Ergebnis ist äußerst erstaunlich, sind die Effekte des Konformismus insgesamt doch relativ stark bei allen Befragten auszumachen. Bemerkenswert ist auch, dass in der Gruppe der hoch Gebildeten im Vergleich zu den anderen beiden Gruppen die Leistungsorientierung einen viel häufiger festzustellenden fördernden Einfluss auf fast alle Konstrukte des GMF-Syndroms ausübt. In der Gruppe der Befragten mit mittlerem Bildungsniveau stellen sich sogar überhaupt keine Effekte auf die Syndrom-Einstellungen ein.
Die Anzahl der oben bereits angesprochenen feststellbaren Wirkungen der kognitiven Fähigkeiten auf die sieben GMF-Einstellungen nimmt mit der Höhe des Bildungsniveaus zu. Bei den Befragten mit hoher Bildung zeigen sich für alle sieben Konstrukte hohe Effekte, während bei den Befragten mit niedriger Bildung ausschließlich Einflüsse auf die Einstellung zu Etabliertenvorrechten, Rassismus und Sexismus festzustellen sind.
Das eine oder andere Ergebnis ist auf den ersten Blick eher skurril: So geht etwa mit zunehmender Empathie bei den Befragten mit niedrigem Bildungsniveau eine Zunahme von sexistischen Einstellungen einher. Dies ist jedoch in erster Linie auf den relativ starken Zusammenhang von Empathie mit konformistischen Wertorientierungen zurückzuführen. Bemerkenswert ist ferner, dass Perspektivenübernahme als zweite Komponente sozialer Kompetenz im vorliegenden Kontext vornehmlich bei den Befragten des mittleren Schulniveaus zur Zunahme von GMF-Einstellungen führt, was auch hier über die Faktoren der Leistungsorientierung und konformistischen Wertorientierung vermittelt wird.
Fazit
Insgesamt fördert eine konformistische Wertorientierung die Ausprägungen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Dieser Befund gilt fast ausnahmslos für alle hier betrachteten Befragten, unabhängig von ihrem Bildungsniveau. Die zweite Komponente einer Orientierung an Werten wie Ehrgeiz und Erfolg erwies sich ebenfalls als Verstärker solcher Einstellungen, wenngleich in bedeutend geringerem Maße. Dieses Ergebnis zeigte sich jedoch in den unteren Bildungsgruppen viel seltener als bei den Befragten mit hohem Bildungsniveau. Bei den weniger gut Gebildeten galt dies "nur" für Vorurteile gegenüber Ausländern und Muslimen: Minderheiten also, mit denen diese Bildungsgruppen in der Regel in den weniger gut qualifizierten Arbeitsmarktsegmenten konkurrieren. Die beiden genannten Wertorientierungen erschweren somit ein friedliches gesellschaftliches Miteinander, da Einstellungen wie die Elemente des GMF-Syndroms nicht selten handlungsleitend sind und zur Rechtfertigung von Diskriminierung herangezogen werden.
Kognitive Fähigkeiten hingegen schwächen Einstellungen dieser Art ab, was auch für fast alle Bildungsgruppen und GMF-Elemente gezeigt werden konnte. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ergebnisse sollte die Vermittlung von konformistischen und leistungsorientierten Werten reduziert werden. Sicherlich liegt bezüglich der Leistungsorientierung ein Dilemma vor, sind diese Werte doch in kapitalistischen Gesellschaften erwünscht und notwendig. Dabei sei noch erwähnt, dass die unerwünschte Wirkung der Leistungsorientierung speziell die höher gebildeten Befragten betraf. Die Förderung kognitiver Fähigkeiten und Empathie im Sinne der Fähigkeit, sich nicht nur in andere hineinversetzen zu können, sondern auch emotionale Anteilnahme und Mitgefühl für andere zeigen zu können, würde sich hingegen positiv auf die Reduzierung von menschenfeindlichen Einstellungen auswirken. Letzterer Befund traf häufiger auf die niedrigen und mittleren Bildungsgruppen zu - im Vergleich zu den Befragten mit hoher Schulbildung. Bei diesen zeigte sich die positive Wirkung der kognitiven Fähigkeiten hingegen bedeutend häufiger als bei den niedrig Gebildeten.
Maßnahmen zur Verbesserung des gesellschaftlichen Miteinanders können und sollen natürlich nicht von den Schulen alleine umgesetzt werden. Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe aller am Erziehungsprozess Beteiligten.