Einleitung
Demokratie ist auf Bildung angewiesen, und damit auch auf politische Bildung. Diesen grundlegenden Zusammenhang hat Bundespräsident Horst Köhler in seiner Berliner Rede "Bildung für alle" am 21. September 2006 herausgestellt: "Unsere freiheitliche Gesellschaft lebt davon, dass mündige Bürgerinnen und Bürger Verantwortung für sich und für das Gemeinwohl übernehmen. Eine Diktatur kann sich ungebildete Menschen leisten - nein: sie wünscht sich die sogar. Eine Demokratie dagegen braucht wache und interessierte Bürger, die Ideen entwickeln und Fragen stellen. Wo die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, da kann es nicht gleichgültig sein, in welcher geistigen Verfassung sich das Volk befindet."
Um politische Themen in ihrem Entstehungs- und Wirkungszusammenhang zu begreifen, müssen Lösungsalternativen beurteilt und politische Aktivitäten entfaltet werden können. Besonders schwierig ist die Förderung solcher Kenntnisse und Fähigkeiten in der Berufsausbildung. Diese steht nicht im Blickpunkt des öffentlichen Interesses. Doch nach wie vor stellt die Berufsausbildung im dualen System für 60 Prozent der 16- bis 20-Jährigen den Einstieg in das Berufs- und Arbeitsleben dar. Von Seiten der Regierung, von Verbänden, Kammern und Gewerkschaften wird viel unternommen, um zusätzliche Ausbildungsplätze und neue Ausbildungsbetriebe zu gewinnen. Allerdings reichen die unternommenen Aktivitäten nicht aus; es sind neue Wege zu gehen, um junge Menschen in eine Berufsausbildung zu vermitteln.
Aber Demokratie bedarf der politischen Bildung aller Bürger. Deshalb kommt es nicht nur auf die politische Bildung von Schülern an allgemeinbildenden Schulen an, sondern sie ist auch nötig für Auszubildende/Berufsschüler. Im Folgenden werden die Struktur der Berufsausbildung und der Auftrag der Berufsschulen hinsichtlich politischer Bildung skizziert. Sodann geht es um politische Einstellungen und Orientierungen Auszubildender/Berufsschüler, soweit sie sich aus neueren Befragungen und empirischen Untersuchungen ablesen lassen. Am Ende werden Ansatzpunkte für eine bessere politische Bildung in der Berufsausbildung insgesamt und besonders an Berufsschulen vorgestellt.
Berufsausbildung im dualen System
Mit der Berufsausbildung im dualen System mit ihren Trägern Betrieb und Berufsschule unterscheidet sich Deutschland von anderen Ländern. Die duale Berufsausbildung kann unter verschiedenen Aspekten betrachtet werden.
Im Alltag der Berufsausbildung besteht oft ein Nebeneinander von betrieblicher und schulischer Ausbildung. Außerdem wird seit langem eine strikte Trennung von beruflicher und politischer Bildung beobachtet und bewertet: hier berufsspezifisches Lernen im Betrieb - dort gesellschaftsbezogenes Lernen in den allgemeinbildenden Fächern, besonders im Politikunterricht der Berufsschule.
Jenseits der Trennung von berufsspezifischem und gesellschaftsbezogenem Lernen benötigen Schulabsolventen für die Aufnahme einer Berufsausbildung in einem der 350 Ausbildungsberufe grundlegende Kenntnisse und auch Fähigkeiten. Nach jahrzehntelangem Streit haben Fachleute im Rahmen des Nationalen Paktes für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs in Deutschland Merkmale der Ausbildungsreife definiert. Demnach ist eine Person dann ausbildungsreif, "wenn sie die allgemeinen Merkmale der Bildungs- und Arbeitsfähigkeit erfüllt und die Mindestvoraussetzungen für den Einstieg in die berufliche Ausbildung mitbringt".
Wird dieser Kriterienkatalog auf die politische Bildung bezogen, fällt auf, dass keine politischen Kenntnisse für die Aufnahme einer Berufsausbildung gefordert werden. Doch genauer betrachtet sind verschiedene Merkmale der Ausbildungsreife der politischen Bildung zuzuordnen. Hierzu gehören beim Merkmalsbereich "schulische Basiskenntnisse" wirtschaftliche Grundkenntnisse; zu den Merkmalen der "Persönlichkeit" zählen "Kommunikationsfähigkeit, Konfliktfähigkeit, Kritikfähigkeit, Selbstsicherheit, Teamfähigkeit, Umgangsformen und Verantwortungsbewusstsein". Diese persönlichen Charakteristika lassen sich indirekt der politischen Bildung zuordnen, ohne dass dies im Kriterienkatalog ausgewiesen wäre. Anders gesagt: Die wirtschaftlichen Grundkenntnisse und die genannten sieben Fähigkeiten sind gleichsam Ziele und Leistungen der politischen Bildung allgemeinbildender Schulen, worauf die Berufsausbildung aufbauen kann.
Bildungsauftrag der Berufsschule
Die duale Berufsausbildung bietet vielfältige Anlässe und Chancen für die politische Bildung Auszubildender/Berufsschüler. Aber im Alltag werden die pädagogischen Potenziale, die in der betrieblichen Berufsausbildung bestehen, oftmals nicht genutzt. Deshalb bleibt als Domäne politischer Bildung in der Berufsausbildung der Politikunterricht in der Berufsschule.
Die Berufsschule vermittelt berufliche und allgemeinbildende Lerninhalte unter besonderer Berücksichtigung der Anforderungen der Berufsausbildung. Ausgehend von dieser Aufgabenstellung hat die Kultusministerkonferenz (KMK) in der Rahmenvereinbarung über die Berufsschule 1991 die Bildungsbereiche und Ziele der Berufsschule bestimmt: "Die Berufsschule vermittelt eine berufliche Grund- und Fachbildung und erweitert die vorher erworbene allgemeine Bildung. Damit will sie zur Erfüllung der Aufgaben im Beruf sowie zur Mitgestaltung der Arbeitswelt und Gesellschaft in sozialer und ökologischer Verantwortung befähigen."
Die Fächer für die allgemeinbildenden Inhalte der Berufsschule lehnen sich in der Regel an die Unterrichtsfächer der allgemeinbildenden Schulen an. In der "Vereinbarung über den Abschluss der Berufsschule" der KMK werden folgende Inhaltsbereiche benannt: "Deutsch, Fremdsprachen, Politik/Wirtschaft, Religion (Ethik) und Sport".
Trotz der unterschiedlichen Fächerbezeichnung in den Ländern bleibt festzuhalten, dass an gewerblichen wie kaufmännischen Berufsschulen das Fach "Politik" gegeben wird. Nach den Stundentafeln der Berufsschulen aller Bundesländer wird mindestens eine Stunde Politik im Rahmen des durchschnittlich 10- bis 12-stündigen Unterrichts pro Woche erteilt. Lediglich die Stadtstaaten haben in der Berufsschule einen Politikunterricht von zwei Wochenstunden, der jedoch auch Wirtschaftskunde-Inhalte einschließt. Diese Stundentafeln verdeutlichen, dass der Politikunterricht an Berufsschulen im Vergleich zu den allgemeinbildenden Schulen der Sekundarstufe II nicht weit genug entwickelt ist. Gleichwohl gehört Politik/Sozialkunde zu den Fächern der Abschlussprüfung.
Der allgemeinbildende Unterricht kann aus berufspädagogischer Sicht vier Aufgaben erfüllen: Er kann der Nachholung dienen, zudem der Verstärkung, dem Ausgleich oder dem Ersatz.
Daneben stellt sich der Berufsschule auch der Auftrag, Auszubildenden/Berufsschülern zu helfen, sich in der politischen Welt zu informieren und zu orientieren. Es geht darum, Schülerinnen und Schüler dabei zu unterstützen, politisch-gesellschaftliche Zusammenhänge und Entscheidungen in ihren Auswirkungen auf gegenwärtiges und künftiges Zusammenleben zu verstehen und beurteilen zu lernen sowie verantwortlich zu handeln.
Politische Einstellungen Jugendlicher
In Untersuchungen der 1980er Jahre wird die Situation der politischen Bildung an Berufsschulen allgemein als defizitär gekennzeichnet. Allerdings besitzen viele dieser Untersuchungen nur begrenzte Aussagekraft.
Der Verfasser hat recherchiert, inwieweit neuere Untersuchungen über "Politische Einstellungen Auszubildender/Berufsschüler" vorliegen und ein Zusammenhang zwischen dem Bildungsauftrag der Berufsausbildung und Lernergebnissen aufgezeigt werden könnte. Einen ersten Zugang liefert die Shell-Jugendstudie "Jugend 2006". Hier waren bei den "Statusgruppen" neben Hauptschülern, Realschülern, Gymnasiasten und Studierenden auch "in Berufsausbildung/Erwerbstätige" und "Arbeitslose/Nicht-Erwerbstätige" einbezogen. Es wurden das Interesse an Politik und die Einstellungen Jugendlicher zur Demokratie untersucht. Demnach hält die große Mehrheit der Jugendlichen die Demokratie in Deutschland für eine gute Staatsform; nur neun Prozent in den westdeutschen und 14 Prozent in den ostdeutschen Ländern sind anderer Meinung.
Die Werte der Analyse verdeutlichen zwar den Zusammenhang zwischen Zufriedenheit mit der Demokratie und der jeweiligen Lebenslage und Bildungssituation, aber für die Fragestellung nach politischen Einstellungen und Orientierungen Auszubildender ist die Auswertung nicht weiterführend. Denn erfahrungsgemäß bestehen Unterschiede zwischen Gymnasiasten und Auszubildenden in der Berufsausbildung. Die Erfahrungen Jugendlicher in der Arbeitswelt sind andere als die gleichaltriger Schüler oder Studenten. Es bleibt rätselhaft, warum die Shell-Forschungsgruppe beim Merkmal "Sozialer Status" nicht "Auszubildende" gesondert ausgewiesen hat, obwohl doch solche Jugendlichen und junge Erwachsenen in die Befragung einbezogen waren.
Auch das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat mehrere Untersuchungen über "Politische und gesellschaftliche Einstellungen" von Jugendlichen und jungen Erwachsenen vorgelegt, in denen Auszubildende einbezogen waren. Grundlage der jüngsten Studie ist die 3. Welle des Jugendsurveys. Die Stichprobe umfasste ca. 2 000 Personen von 12 bis 15 Jahren und etwa 7 000 Personen von 16 bis 29 Jahren. Die Auswertung des DJI-Jugendsurveys über politische Beteiligung kommt zum Ergebnis, dass Politik für Jugendliche und junge Erwachsene noch randständiger als früher geworden ist. Dabei ist das Verhaltensrepertoire politischer Artikulation breit, es reicht von der Beteiligung an Wahlen über Unterschriftensammlungen und Demonstrationen bis hin zu Briefen an politisch Verantwortliche.
Diese Differenzierung ist auch bei einer anderen Auswertung zu berücksichtigen, bei der Einstellung Jugendlicher zur Demokratie. In allen drei Wellen des DJI-Jugendsurveys verweisen die Ergebnisse wie bei der Shell-Jugendstudie auf eine hohe Akzeptanz demokratischer Ideale bei jungen Menschen in Ost und West gleichermaßen.
Der Verfasser hat deshalb Datenbanken analysiert und andere Institute nach neueren Untersuchungen zu dieser Thematik befragt, etwa das Soziologische Forschungsinstitut an der Universität Göttingen (SOFI) und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung - jedes Mal war das Ergebnis Fehlanzeige. Zuletzt hat sich das Bundesinstitut für Berufsbildung in einer repräsentativen Verlaufsstudie mit dieser Thematik befasst.
Ansatzpunkte für bessere politische Bildung
Trotz des Fehlens neuerer Forschungsergebnisse über politische Einstellungen und Orientierungen der 1,6 Millionen Auszubildenden und Berufsschüler bestehen Ansätze, die politische Bildung auch für diese große Gruppe junger Menschen zu verbessern. Politische Bildung in der Berufsausbildung hat zum Ziel, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu helfen, Zusammenhänge in der Politik zu erkennen, Urteile zu begründen und politische Handlungsfähigkeit zu erlangen. Es geht bei allen pädagogischen Interventionen darum, Kompetenz in den Dimensionen Erkenntnis-, Urteils- und Handlungsfähigkeit zu vermitteln. Ausgehend von dieser Zielsetzung ist die Praxis politischer Bildung und besonders der Politikunterricht an Berufsschulen in verschiedener Hinsicht zu verbessern.
Erstens: Die Berufsausbildung im dualen System bietet für die Integration von beruflicher und politischer Bildung prinzipiell einen chancenreichen Rahmen. Damit würde die im Alltag der Berufsausbildung seit langem bestehende Trennung von beruflicher und politischer Bildung überwunden. Die aktuelle Forderung, Schlüsselqualifikationen in der betrieblichen Berufsausbildung zu fördern, schließt soziales Lernen und den Erwerb der Fähigkeit zur Selbst- und Mitbestimmung ein. Diese nötige Integration erfordert von Betrieben und Berufsschulen Kooperation im Sinne des gegenseitigen Informierens, Abstimmens und der Zusammenarbeit. Da dieses Integrationsmodell didaktisch erst in Ansätzen besteht, ist der Politikunterricht an Berufsschulen in verschiedener Hinsicht zu optimieren. Das schulische Politiklernen kann aus berufspädagogischer Perspektive mit den Funktionen der Verstärkung und Kompensation Strukturen betrieblichen Handelns ausgleichen.
Zweitens: Einen Reformansatz des Politikunterrichtes an Berufsschulen bietet - wie für die gesamte Berufsausbildung - die Handlungsorientierung.