Einleitung
In einer Demokratie ist es wichtig, dass allen gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit geboten wird, ihre Sichtweisen in den politischen Diskurs einzubringen und dafür zu sorgen, dass ihre Interessen Berücksichtigung finden. Problematisch wird es, wenn breite Bevölkerungsschichten vom politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen bleiben. Dieser Ausschluss kann dadurch erfolgen, dass Gruppen der formale Zugang zur politischen Ebeneverwehrt ist, da sie bestimmte rechtliche Voraussetzungen, etwa die Staatsangehörigkeit, nicht erfüllen. Ein weiterer Grund für geringe Partizipationsmöglichkeiten kann aber auch darin liegen, dass manche Gruppen nicht über ausreichendes Wissen und einschlägige Erfahrungen verfügen, um sich adäquat in den politischen Diskurs einbringen zu können.
Hinsichtlich der in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten treffen in der Regel beide Gründe zu, auch wenn die Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahr 2000 zumindest den formalen Zugang erleichtert hat. Doch das Problem eines fehlenden breiten Wissens über das politische System und die politischen Partizipationsmöglichkeiten bleibt. Hinzu kommt, dass das Zusammenspiel von schwierigem formalem Zugang und mangelhaftem Wissen zu Frustration, schwindendem Interesse an und schwindender Identifikation mit den politischen Institutionen der Aufnahmegesellschaft führen kann.
Nach der Änderung ihres Erlasses hat sich die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) im Januar 2001 für Migrantinnen und Migranten als Adressaten für Maßnahmen der politischen Bildung geöffnet.
Für die Gestaltung zielgruppenadäquater Formate und für die Angebotsplanung im Bereich der politischen Bildung für Migranten wäre eine empirisch abgesicherte Datenbasis hilfreich, die Aufschluss über die Angebotslage sowie über Bedürfnisse und Interessen der potenziellen Teilnehmenden liefern könnte. Doch leider ist in Deutschland die Datenlage zur politischen Bildung von Migranten - ebenso wie zum allgemeinen Weiterbildungsverhalten und zu ihren Weiterbildungsinteressen - nach wie vor unzureichend. Während die berufliche Aus- und Weiterbildung von Personen mit Migrationshintergrund auch statistisch erfasst wird, scheint dieser Zielgruppe in Hinblick auf politische Bildung nur wenig Aufmerksamkeit zuzukommen. Die spärlichen Daten lassen sich zudem in der Regel nicht miteinander in Bezug setzen und sind nur mit Vorsicht zu interpretieren. Das hängt zum einen mit der mangelnden Repräsentativität der meisten Untersuchungen zusammen. Zum anderen liegen die Schwierigkeiten hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Daten auch in Definitionsproblemen und wenig eindeutigen Zuordnungskriterien hinsichtlich der Begriffe "Migrationshintergrund" und "politischer Bildung" begründet.
Zu den wenigen verfügbaren Datenquellen zur Weiterbildungsbeteiligung von Migranten zählen das Berichtssystem Weiterbildung (BSW) als Langzeituntersuchung zur Weiterbildungsbeteiligung der deutschen Wohnbevölkerung im Alter von 19 bis 64 Jahren sowie Einzelangaben aus Volkshochschulstatistiken. Andere bundesweite Datenquellen liefern kaum Auskunft zu Nationalität bzw. Migrationshintergrund und Weiterbildungsverhalten, wenngleich das 2000 gestartete Projekt "Verbund Weiterbildungsstatistik" des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) einen Versuch darstellt, auf den Erfahrungen mit der Volkshochschulstatistik aufzubauen und das Angebot an Maßnahmen zur politischen Bildung durch die Entwicklung eines regelmäßigen und zuverlässigen Erhebungs- und Auswertungsverfahrens systematisch statistisch zu erfassen. Neben Entscheidungsproblemen über die Zuordnung von Veranstaltungen zu einzelnen Kategorien politischer Bildung gibt es derzeit jedoch Vorbehalte bezüglich der Repräsentativität dieser Daten.
Neben bundesweiten Erhebungsdaten existieren regionale Daten wie beispielsweise die Wohnungs- und Haushaltserhebung "Leben und Wohnen in Nürnberg 2001", welche ebenfalls Hinweise auf die Weiterbildungsbeteiligung von Migranten liefern können.
Konzepte und Programme
Im insgesamt relativ kleinen, sehr heterogenen Feld der Anbieter von Maßnahmen zur politischen Bildung von Migranten können Typen identifiziert werden, die aufgrund ihrer langjährigen Arbeit im Bereich der politischen Bildung oder der Beratung und Betreuung von Migranten über Erfahrungen verfügen. Neben den von Trägern organisierten Angeboten gibt es Selbstlernkonzepte im Bereich der politischen Bildung von Migranten. Konzepte und Programme zur politischen Bildung von Migranten lassen sich in zwei grundlegende Typen unterteilen: in primär auf Wissensvermittlung abzielende Kurse und Seminare sowie in vorwiegend auf eine Stärkung der Migrantenselbstorganisation anvisierende Maßnahmen.
Zur erstgenannten Gruppe zählen Projekte zu Orientierungskursen, die in der Ausgestaltung meist hinsichtlich der didaktischen Vorgehensweise und der Hauptzielgruppe variieren. Die Zielgruppenansprache unterscheidet sich vor allem nach der Aufenthaltsdauer der Teilnehmenden in Deutschland, welche in der Regel im Sprachniveau sowie auch im Abstraktheitsgrad der Inhalte berücksichtigt wird. Teilweise sind solche Kursangebote auch auf die Bedürfnisse spezifischer Zielgruppen zugeschnitten.
Neben diesen rein bildungspolitischen Maßnahmen gibt es zahlreiche Angebote in Kombination mit Sprachvermittlung oder auch mit sehr niedrigschwelligen Aktivitäten, die sich nicht als Maßnahmen zur politischen Bildung deklarieren, in denen jedoch Elemente politischer Bildung einfließen. In einigen Fällen werden solche Angebote, die primär aus anderen Gründen (wie beispielsweise Freizeitgestaltung oder Spracherwerb) besucht werden, strategisch genutzt, um "bildungsferne" Zielgruppen an Informationen zur politischen Bildung heranzuführen.
Zu den Konzepten, welche vorwiegend auf Empowerment ("Selbstbemächtigung" bzw. "Selbstkompetenz") und eine Stärkung des Selbsthilfepotenzials von Migranten ausgerichtet sind, zählen Aktivitäten der Landesgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen in Nordrhein-Westfalen (LAGA NRW) und des Informations- und Dokumentationszentrums für Antirassismusarbeit (IDA).
Betrachtet man die Inhalte der angebotenen Maßnahmen, so wird deutlich, dass diese sich hauptsächlich um Wissen über gesellschaftliche Strukturen und Prozesse sowie um Kenntnisse zur Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten gruppieren. Ferner enthalten die Module Informationen zur unmittelbaren Lebensbewältigung (z.B. Informationen zum Umgang mit Behörden). Gelegentlich werden auch Aspekte der interkulturellen Verständigung thematisiert. Innerhalb der bei fast jedem Träger angebotenen Wissensinhalte sind die Teilelemente nahezu identisch: Geschichte, Migration, Staatsaufbau, Rechte und Pflichten des Staatsbürgers, sozialpolitische Themen und aktuelle Politik. Ferner werden die Bereiche Geographie, Kunst, Kultur und Politik auf lokaler und europäischer Ebene thematisiert.
Adressaten und Teilnehmende
Ebenso wie über die allgemeine Bildungsbeteiligung von Migranten ist sehr wenig über die Teilnehmenden an politischen Bildungsaktivitäten aus den Kreisen der Migranten bekannt. In einer neueren Evaluation der politischen Jugendbildung in Deutschland wurde der ethnische Herkunftskontext der Teilnehmenden untersucht.
Eine andere Regionalstudie wurde von Angela Pawlik zur Partizipation von Migranten am allgemein bildenden Programm der City-Volkshochschule Mitte in Berlin durchgeführt.
Eine weitere wichtige Quelle für Informationen zu Adressaten der politischen Bildung stellen evaluierte Modellprojekte dar. Allen Teilnehmern an Kursen in Form von Modellprojekten, zu denen im Rahmen der Expertisenerstellung Evaluationsergebnisse vorlagen, ist gemeinsam, dass es sich bei ihnen hauptsächlich um besonders motivierte Personen mit einer in der Regel hohen formalen (Aus-)Bildung handelte. Da die Kurse in deutscher Sprache abgehalten wurden, mussten die Teilnehmenden über ausreichende Deutschkenntnissen verfügen. Oft motivierte gerade der Wunsch nach einer Verbesserung dieser Kenntnisse zum Kursbesuch. Andere eher niedrigschwellige Angebote scheinen auch von politisch weniger stark interessierten Personen angenommen oder zumindest passiv genutzt zu werden. Während kreative Zugänge (z.B. in der Form der Konzipierung von und Mitwirkung an der Aufbereitung von Migrationsgeschichte im Rahmen von Ausstellungen) von einem eher engen Segment gewählt werden, werden die Resultate solcher Maßnahmen von einem recht breiten Publikum wahrgenommen. Im Gegensatz zu diesen Angeboten, die auch politik- bzw. bildungsferne Gruppen erreichen können, ist zu den Teilnehmern aus so genannten Empowermentansätzen anzumerken, dass diese in der Regel bereits im Vorfeld hohes politisches Interesse aufweisen und teilweise schon als Mitglieder von Migrantenselbstorganisationen politisch aktiv sind. Das überwiegende Motiv für die Teilnahme ist die Optimierung der eigenen Partizipationsmöglichkeiten. Für diese Adressatengruppe ist anzunehmen, dass tendenziell nur geringe Weiterbildungsbarrieren bestehen.
Das Berichtssystem Weiterbildung (BSW) liefert im Bereich der subjektiven Wahrnehmung der Weiterbildungslandschaft und der motivationalen Aspekte wichtige Hinweise: Danach wünschen sich 48 Prozent der Ausländer mehr Information und Beratung über Weiterbildungsmöglichkeiten.
Bernd Schmidt und Rudolf Tippelt greifen die Daten des BSW auf und beschreiben in einer eigenen Studie objektive und subjektive Gründe für die Differenzen in der Weiterbildungsbereitschaft von Deutschen und Personen mit Migrationshintergrund.
Neben einer befürchteten Überforderung scheinen die Barrieren bei Ausländern auch in der Motivation sowie der fehlenden Unterstützung durch den Partner zu liegen. So zählt zu den Zugangsbarrieren der Weiterbildung - mit Blick auf oftmals unzureichende Deutschkenntnisse - der Mangel an zweisprachigen Angeboten.
Aus den hier erwähnten Studien geht hervor, dass zu den am ehesten beeinflussbaren Variablen im Bereich der Motive zur Nichtteilnahme an Weiterbildungsangeboten vor allem die Erhöhung der Transparenz von Weiterbildungsangeboten durch eine umfangreiche Bildungsberatung und eine zielgruppengerechte Ansprache sowie die Schaffung zielgruppenadäquater Angebote zählen.
Ergebnisse
Die Frage nach den Adressaten für Maßnahmen zur politischen Bildung für Migranten kann nicht pauschal beantwortet werden. Die Zielgruppe "Migranten" gibt es nicht. Dafür sind die potenziellen Zielgruppen viel zu heterogen. Im Hinblick auf bestehende Konzepte und Projekte zur politischen Bildung für Migranten lassen sich folgende Ergebnisse festhalten.
Im sehr heterogenen Feld von Trägern und Angeboten der politischen Bildung für Migranten lassen sich zwei grundlegende Typen von Maßnahmen identifizieren: primär auf Wissensvermittlung abzielende Kurse und Seminare sowie vorwiegend eine Stärkung der Migrantenselbstorganisation anvisierende Maßnahmen. Besonders erfolgversprechend scheinen Maßnahmen, die Wissensvermittlung mit Anwendungsbezug und stark aktivierenden Elementen verknüpfen.
Nach wie vor ist sehr wenig über die Teilnehmenden an politischen Bildungsaktivitäten aus den Kreisen der Migranten bekannt. Insgesamt lassen sich gebildete Personen mit ausreichenden Deutschkenntnissen, die bereits weitgehend in andere gesellschaftliche Bereiche integriert sind, am ehesten für politische Bildung gewinnen. Hier können auch theoretische Themen Anklang finden. Bei bereits vorliegenden politischen Interessen und der Bereitschaft zur Partizipation liefern vor allem individuell abgestimmte Empowermentansätze Wissen und Anregungen zur praktischen Umsetzung.
Bei Migranten ohne ausreichende Deutschkenntnisse und einer oft erst kurzen Verweildauer im Land können stark am Lebenskontext orientierte und auch Alltagswissen vermittelnde Angebote nachgefragt werden. Hier kann es sinnvoll sein, Angebote für spezifische Gruppen zu konzipieren und in der Herkunftssprache der Teilnehmer abzuhalten bzw. als zweisprachiges Modul - zum Beispiel auch im Rahmen von sprachvermittelnden Kursen - anzubieten. Die Kombination von politischen Inhalten mit Sprachförderung, sozialem Austausch oder Freizeitaktivitäten ist ebenfalls ein wirksamer Weg, um politisch wenig interessierte Teilnehmer an politische Bildung heranzuführen.
Es ist wichtig, eine exakte Bedarfsanalyse im lokalen Umfeld durchzuführen, um Interessentengruppen aufzuspüren. Dabei reicht es nicht aus, die soziodemographische Verteilung im Einzugsgebiet der Angebote zu betrachten. Es müssen vielmehr Informationen über Interessen, Bedürfnisse und auch Weiterbildungsschranken erfasst werden. Bei diesem Vorgehen ist die Zusammenarbeit mit lokalen Einrichtungen, die von Migranten aufgesucht werden, sowie mit Migrantenselbstorganisationen unerlässlich. Der Erfolg von Angeboten hängt jedoch nicht nur davon ab, ob passende Angebote vorhanden sind, sondern auch davon, ob diese Angebote vorteilhaft kommuniziert werden und Weiterbildungsbarrieren abgebaut werden können. Als erfolgreich hat sich der Einsatz von "Brückenmenschen" erwiesen, da diese über persönliche Ansprache einen Zugang zu potenziellen Teilnehmern generieren können. Auch spielen geschulte Mitarbeiter von Beratungsstellen oder Kulturzentren, die im besten Fall ohnehin von Migranten aufgesucht werden, eine wichtige Rolle in der Bildungsberatung. Die Bereitstellung von Kinderbetreuungsangeboten kann zum Abbau von Motiven der Nicht-Teilnahme an bildungspolitischen Veranstaltungen beitragen, da gerade für Frauen das Vorhandensein solcher Angebote oft für die Entscheidung zur Teilnahme an einer Maßnahme relevant ist.
Auch die mit dem Kursangebot verbundenen Kosten können ein ernsthaftes Hindernis für die Teilnahme darstellen. Hier ist es wichtig, Fördermöglichkeiten zu finden, um Maßnahmen kostengünstig und möglichst kontinuierlich anbieten zu können. Denn nur eine Kontinuität von Trägern und Angeboten ermöglicht die Schaffung von Netzwerken und Kooperationen mit Migrantenselbstorganisationen. Im Rahmen von kontinuierlichen Strukturen können Erfahrungen mit der Ausgestaltung von Angeboten gesammelt und sinnvolle Zugangsstrategien entwickelt und erprobt werden. Eine systematische Erfassung von Angaben zu Kursteilnehmern und die Evaluation des Erfolgs von Maßnahmen sind weitere notwendige Schritte zur Gestaltung zielgruppengerechter Angebote.