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Hunger als Kriegswaffe | Jemen | bpb.de

Jemen Editorial Jemen – Hin und zurück Kleine Geschichte des Jemen Revolution, Transition und Krieg. Eine Einführung in den Jemen-Konflikt Wirtschaftliche Auswirkungen des Konflikts im Jemen Front im Regionalkonflikt. Der Jemen zwischen Iran und Saudi-Arabien Ansatzpunkte für einen nachhaltigen Frieden im Jemen Hunger als Kriegswaffe Karten

Hunger als Kriegswaffe

Alex de Waal Bridget Conley

/ 14 Minuten zu lesen

In der Geschichte moderner Kriegsführung hat Aushungerung viele Zwecke erfüllt und sich als mächtige und oft tödliche Waffe erwiesen. Einige Hungerverbrechen sind klar umrissen, bei anderen wirken ökonomische und Umweltfaktoren neben politischen Entscheidungen.

Hunger als Kriegswaffe ist so alt wie der Krieg selbst. Fast im gesamten Verlauf der Menschheitsgeschichte wurde das Aushungern von Zivilbevölkerungen als "natürliche" Begleiterscheinung von Konflikten abgetan oder schlicht als legitimes Mittel der Kriegsführung akzeptiert. Erst mit dem Zweiten Zusatzprotokoll zu den Genfer Konventionen wurden 1977 erste Schritte unternommen, Hunger als Kriegswaffe zu ächten. In Artikel 14 werden das Angreifen, Zerstören, Entfernen oder Unbrauchbarmachen von "für die Zivilbevölkerung lebensnotwendigen Objekten" untersagt – eine Kategorie, die nicht nur Lebensmittel, sondern auch Trinkwasser, Medikamente, Decken und angemessene Unterkunft umfasst.

Das Verbot bedeutete zwar nicht das Ende von Aushungerung in bewaffneten Konflikten, aber die Praxis ist als Verbrechen sichtbarer geworden. Angesichts der globalen Kapazitäten zur Ernährung von Bevölkerungen sowie zu humanitärer Hilfe im Krisenfall gibt es heute keinen Grund mehr, dass jemand auf der Welt verhungern sollte, geschweige denn ganze Zivilbevölkerungen. In den sieben Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Zahl der Menschen, die bei Hungersnöten ums Leben kommen, drastisch gesunken, und die weitgehende Eliminierung von Hungersterblichkeit gehört zu den großen Errungenschaften unserer Zeit. Seit 2011 kehrt sich der weltweite Rückgang von Hungersnöten und damit verbundener Todesfälle jedoch um. Dieser erneute Anstieg von Hungersterblichkeit ist nicht etwa auf Klima- oder Naturkatastrophen zurückzuführen, sondern auf Krieg.

Ein Beispiel ist der Jemen: Fast fünf Jahre, nachdem Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate einen Krieg begonnen haben, um die Huthi-Milizen zu vertreiben, die die jemenitische Hauptstadt Sanaa übernommen hatten, erleiden weite Teile der Bevölkerung bittere Armut und Hunger. Ernährungssicherheits- und -bedarfsanalysen zeigen übereinstimmend, dass ohne internationale Hilfsmaßnahmen im Jemen eine umfassende Hungersnot herrschen würde. Dabei illustriert die Krise im Jemen ohnehin bereits auf dramatische Weise eine Vielzahl von Hungerverbrechen unterschiedlicher Art.

Hungerverbrechen im Jemen

Einige Akte des Entzugs von Lebensgrundlagen für Zivilisten im Jemen sind unmittelbarer und taktischer Natur und bringen Angreifer und ihre Opfer in eine direkte Konfrontation. So verhinderten die Huthi-Milizen bei der Belagerung der Stadt Taizz, dass Lebensmittellieferungen in Viertel gelangten, in denen regierungstreue Milizen ausharrten. Nicht nur in diesem Fall blockierten beide Seiten Hilfskonvois oder stahlen Vorräte für den eigenen Bedarf. Blockaden und Diebstahl nahmen derartige Ausmaße an, dass Vertreter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen Anfang 2019 drohten, die Hilfe einzustellen, wenn der Zugang nicht besser gewährleistet werde.

In anderen Fällen sind Angreifer weiter von ihren Opfern entfernt: Bei Luftschlägen durch Flugzeuge der Militärkoalition wurden Krankenhäuser, Trinkwasserbrunnen, Bewässerungsanlagen und Fischerboote zerstört. Von Monitoringgruppen zusammengetragene Informationen belegen, dass es sich dabei um systematische und anhaltende Angriffe handelt und nicht um Zielfehler.

Diese offenkundigen Einsätze von Hunger als Kriegswaffe sind jedoch nicht der Hauptgrund für das Elend im Jemen. Die tragische Ironie ist, dass nach wie vor Lebensmittel verfügbar sind. Vor dem Krieg importierte der Jemen über 80 Prozent seiner Grundnahrungsmittel, und die kommerziellen Lebensmittellieferanten handelten gekonnt ihre Routen entlang der unruhigen Straßen des Landes aus. Mit einer einzigen Unterbrechung – die kurzzeitige vollständige Einfuhrblockade durch Kriegsschiffe der Koalition im November 2017 – sind die Lebensmitteleinfuhren auch während des Konflikts weitergegangen. Das Hauptproblem besteht darin, dass die Menschen es sich nicht mehr leisten können, Lebensmittel zu kaufen.

Im heutigen Jemen werden Millionen Menschen – Lehrer, Beamte der lokalen Behörden, Fabrikarbeiter oder Angestellte – häufig nicht bezahlt oder sind nicht mehr in der Lage, von ihrem Gehalt Lebensmittel zu erwerben. Verantwortlich dafür sind drei politische Entscheidungen. Zum einen beschlossen sowohl die Huthi-Machthaber, die Sanaa besetzt hielten, als auch die international anerkannte Regierung unter Abd Rabbuh Mansur Hadi, die nach Aden geflohen war, die Devisenreserven herunterzufahren, um den Krieg zu finanzieren. Das verursachte eine Inflation: Die Gehälter stagnierten, die Nahrungsmittelpreise schnellten in die Höhe. Zum anderen entschied die Zentralbank gleichzeitig, ihre Kredite an Lebensmittelimporteure zu beschränken. Dadurch waren diese gezwungen, die Preise für die Verbraucher zu erhöhen. Des Weiteren ordnete die Regierung auf Geheiß ihrer saudischen und emiratischen Schutzherren an, die Zentralbank des Jemen vom besetzten Sanaa nach Aden zu verlegen, und setzte die Auszahlung von Gehältern an Staatsbedienstete aus. Von einem Moment auf den anderen verloren Millionen Menschen ihr Einkommen, und ihre Familien begannen zu hungern. Im Gegensatz zu einer von Dürre und Ernteausfall verursachten Hungersnot, bei der die Landbevölkerung verhungert, gerieten nun Stadtbewohner in eine extreme Notlage.

Es ist weitgehend akzeptiert, dass wirtschaftliche Strategien und Politiken, so böswillig ihre Zielsetzungen oder so verheerend ihre Ergebnisse auch sein mögen, nicht als internationale Verbrechen gelten. Wirtschaftspolitische Entscheidungen können Verletzungen des Rechts auf angemessene Ernährung oder des Rechts auf Gesundheit nach sich ziehen, aber nicht vor einem internationalen Gerichtshof strafrechtlich verfolgt werden.

Dieselben Männer, die im Jemen die beschriebenen Entscheidungen trafen, ordneten militärische Angriffe auf Lebensmittellieferungen und medizinische Einrichtungen an und verhinderten so die Auslieferung lebenswichtiger Hilfsgüter. Für sich genommen ist die Entscheidung, einer Million Zivilisten ihr Gehalt nicht auszuzahlen, kein Kriegsverbrechen. Wenn dies aber mit unmenschlicher Konsequenz über mehr als drei Jahre andauert und parallel Angriffe stattfinden, die zweifellos als Kriegsverbrechen zu kategorisieren sind, dann fügt sich das Bild zu einem Komplott auf höchster Ebene zusammen, ein Volk durch Aushungern zur Unterwerfung zu zwingen.

In den Monaten und Jahren nach der Verlegung der Zentralbank nach Aden müssen sich die Machthaber in Riad und Abu Dhabi ebenso wie im Jemen der verheerenden Auswirkungen ihres Wirtschaftskrieges und der Militärangriffe bewusst gewesen sein, und sie hatten alle Möglichkeiten, beides zu beenden. Mehr als zwei Jahre lang weigerten sie sich jedoch, einzulenken. Erst im Dezember 2018, nachdem sie von UN-Vermittlern unter Druck gesetzt worden waren, einen massiven Angriff auf den Hafen al-Hudaida zu unterlassen, der die wichtigste Verkehrsader für Hilfslieferungen unterbrochen hätte, zeigten sie Gnade und ließen die Zügel ein wenig locker.

Die Vereinten Nationen schätzen die Zahl der Toten im Jemen seit 2015 auf 233.000, die Hälfte davon führen sie auf verunreinigtes Wasser und Schwäche aufgrund von Mangelernährung zurück. Da die Machthaber auf beiden Seiten keine Erhebungen zum Ernährungszustand und der Anzahl der ums Leben gekommenen Kinder zulassen, gibt es dazu kaum konkrete Angaben. Im November 2018 schätzte die Kinderrechtsorganisation Save the Children die Zahl der an Unterernährung gestorbenen Kinder im Jemen auf 85.000 – diese ist wahrscheinlich zu niedrig angesetzt. Die Situation ist nach wie vor ernst: Im Oktober 2019 ging die Weltgesundheitsorganisation davon aus, dass fast 25.0000 Menschen im Jemen vor dem Hungertod stehen.

Am Fall des Jemen wird deutlich, dass Massenaushungerung kein Verbrechen ist, dass im Affekt begangen oder von unberechenbaren Elementen verübt werden kann, die sich über Befehle hinwegsetzen. Um Massenhunger herbeizuführen, bedarf es vielmehr nachhaltiger Anstrengungen über Monate oder Jahre hinweg.

Zwecke von Aushungerung

Aushungerung resultiert stets aus einer fatalen Kombination aus strategischen und taktischen Entscheidungen im Verbund mit besonderen lokalen Gegebenheiten und setzt sich trotz oder gerade wegen der Folgen für ganze Zivilbevölkerungen fort – so auch im Jemen. In der modernen Kriegsführung gehen die Zwecke des Einsatzes von Hunger als Kriegswaffe jedoch über das Beispiel Jemen hinaus.

Das extremste Ziel von Aushungerung ist Mord. Dieser Fall kommt selten vor und beschränkt sich meist auf das strafende Verhungernlassen von Einzelpersonen. Vielleicht am offenkundigsten kriminell ist Aushungerung, wenn sie gegen Insassen von Gefängnissen oder Lagern eingesetzt wird. Während des Zweiten Weltkrieges setzten Japaner und Deutsche sowohl Zivilbevölkerungen als auch Kriegsgefangene bei so niedrig bemessenen Lebensmittelrationen Zwangsarbeit aus, dass es einer Todesstrafe gleichkam. Unmittelbar nach dem Krieg übernahm die UdSSR diese Praxis: Ein Drittel der von den Sowjets inhaftierten Kriegsgefangenen kam ums Leben, Schätzungen zufolge 1,1 Millionen Menschen.

Im großen Maßstab verübt, kann es sich um Völkermord handeln. Das diesbezüglich höchstgesteckte Ziel verfolgten die Nationalsozialisten mit dem "Hungerplan" im Rahmen des "Unternehmens Barbarossa" 1941, durch den 30 Millionen "nutzlose Esser" im deutsch besetzten Polen und der Sowjetunion verhungern sollten. Zwar wurde dieses schreckliche Ausmaß nicht erreicht, es starben jedoch bis zu sechs Millionen Menschen in Kriegsgefangenenlagern, belagerten Städten und Arbeitslagern den Hungertod. Ein früherer Fall war der Genozid an den Herero und Nama zwischen 1904 und 1908 unter deutscher Kolonialherrschaft im heutigen Namibia, als die aufständischen Bevölkerungsgruppen in die Wüste getrieben wurden und zwischen 40.000 und 60.000 Menschen an Hunger und Durst starben. Während des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 starben mehr Menschen, über eine Million, an Hunger als bei den Massakern. Und während des "Holodomor" 1932/33 in der Ukraine suchte Stalin ohne Zweifel eine sehr hohe Anzahl von Ukrainern dem Hungertod zu überlassen, etwa 3,3 Millionen kamen ums Leben.

Klassischerweise geht der Einsatz von Hunger als Kriegswaffe wie im Fall von Taizz mit Belagerungen einher mit dem Ziel, territoriale Kontrolle ohne die Gefahren eines offenen Angriffs zu übernehmen oder einen solchen Angriff erst dann zu starten, wenn die Verteidiger durch Hunger und Krankheit gravierend geschwächt sind. Theoretisch kann eine Belagerung rechtskonform vonstatten gehen, in der Praxis ist es jedoch so gut wie unmöglich sicherzustellen, dass Zivilisten verpflegt werden, während Soldaten Hunger leiden. Praktisch gesehen ist ein Belagerungskrieg also gemäß Genfer Konventionen unrechtmäßig. Der breitere Kontext von Belagerungen und Blockaden muss für die Beurteilung ihrer Sträflichkeit berücksichtigt werden.

Allein die beiden Weltkriege liefern anschauliche Beispiele: die Blockade Deutschlands von 1916 bis 1919, die nach dem Waffenstillstand von November 1918 andauerte, da Großbritannien Deutschland schwächen und dazu zwingen wollte, den Versailler Vertrag mit seinen harten Bedingungen zu unterzeichnen; die Leningrader Blockade durch Nazideutschland von 1941 bis 1944, bei der eine Million Menschen ums Leben kamen; die vollständige Blockade Japans 1945, als die US-Luftwaffe im Rahmen der "Operation Starvation" Seeminen über japanischen Häfen abwarf. Zu den markantesten Fällen nach 1945 gehören die von der nigerianischen Regierung verhängte Blockade der selbsternannten Republik Biafra während des Bürgerkrieges von 1967 bis 1970; die Belagerungen von Dschuba und weiteren südlichen Garnisonsstädten durch die südsudanesischen Streitkräfte der Sudan People’s Liberation Army von 1984 bis 2004; die Einkesselung von "sicheren Zufluchtsorten" der bosnischen Regierung durch die bosnischen Serben von 1992 bis 1995; die russische Belagerung von Grosny in Tschetschenien 1999 sowie der entscheidende Angriff der Streitkräfte Sri Lankas auf tamilische Gebiete 2008/09.

Das verheerendste Beispiel einer Belagerung aus jüngerer Zeit ist die Umsetzung der Strategie "Kapitulation oder Hungertod" der syrischen Regierung gegenüber den von Oppositionskräften gehaltenen urbanen Enklaven. Die längste davon währte von 2013 bis 2018 in Ost-Ghouta, einem Vorort der Hauptstadt. Auf dem Höhepunkt der Belagerung war der Preis für Grundnahrungsmittel in Ost-Ghouta 60 Mal so hoch wie im von der Regierung kontrollierten, wenige Kilometer entfernten Damaskus. Die 40.0000 Einwohner von Ost-Ghouta wurden komplett von der Wasser- und Stromversorgung abgeschnitten, und der Handel kam zum Erliegen. Einem Offizier der Regierungsarmee zufolge hätte sie auch die Luftzufuhr gesperrt, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre. Durch das Graben von Tunneln, das Hereinschmuggeln von Vorräten sowie die Zahlung exorbitant hoher Bestechungsgelder für die Einfuhr von Grundnahrungsmitteln und Medikamenten konnte die belagerte Bevölkerung überleben.

Aushungerung im Rahmen von Belagerung kann auch mit dem Ziel stattfinden, ganze Bevölkerungen zu vertreiben. Vor allem in der Kolonialgeschichte gibt es viele Beispiele für den Einsatz von Aushungerung, um indigene Völker zugunsten neuer Siedler zu vertreiben, insbesondere in Nordamerika und Australien. Zu den extremsten Fällen von Zwangsumsiedlung im Verbund mit von Hunger geprägten Bedingungen in Amerika zählen der "Pfad der Tränen" der Cherokee in den 1830er Jahren und der "Lange Marsch" der Diné beziehungsweise Navaho zwischen 1864 und 1866. Aktuelle Fälle wurden für die somalischen Bantu dokumentiert und in Myanmar, wo die Regierung Rohingya-Städte belagern ließ. Eine Variante ist die Aushungerung mit dem Ziel, dass sich Menschen in Gebiete begeben, die unter der Kontrolle des Verursachers der Aushungerung stehen, wie es etwa die Regierung in Guatemala 1982/83 mit Blick auf indigene Gruppen verfolgte oder die indonesische Regierung von 1975 bis 1980 mit Blick auf die Bevölkerung des heutigen Osttimor.

Ein weiteres Ziel von Aushungerung kann die kollektive Bestrafung sein, wie bei den Sanktionen gegen den Irak von 1991 bis 1996, der Belagerung von Sarajevo im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 und der Blockade von Gaza durch Israel und Ägypten seit 2007. In diesen Fällen wurden die Einschränkungen der Warenströme jeweils so justiert, dass sie das größtmögliche Ausmaß menschlichen Leids in der Zivilbevölkerung hervorriefen, ohne jedoch ein Massensterben zu verursachen. Ziel ist es, die politische Einstellung der Bevölkerung zu ändern. Menschen müssen jedoch nicht erst verhungern, damit diese Praxis verwerflich ist und als strafbar gelten kann – der Fokus des Rechts liegt auf dem Konzept des Vorenthaltens. Solche Fälle gehen immer mit Komplikationen einher, etwa wenn Behörden, die sich im Belagerungszustand befinden, sich ungeachtet des Leids der Zivilbevölkerung weigern, nachzugeben oder die dürftigen Vorräte nach Kriterien verteilen, die nicht an Bedürftigkeit orientiert sind. Im Fall der Sanktionen gegen den Irak unter Saddam Hussein liegen beispielsweise eindeutige Beweise für eine erhöhte Kindersterblichkeitsrate vor, das Regime trug jedoch selbst eine Mitschuld daran, weil es entschieden hatte, wer welche lebenswichtigen Nahrungsmittel und Medikamente erhalten sollte.

Die Geschichte der Aufstandsbekämpfung liefert viele Beispiele für Aushungerung mit dem Ziel, die Zivilbevölkerung und die Widerstandskämpfer physisch oder politisch zu separieren. Während des Zweiten Burenkrieges von 1899 bis 1902, als erstmals der Begriff "Konzentrationslager" aufkam, trieben die Briten Zivilisten in abgeschlossene Areale, in denen unhygienische Zustände und eine spärliche Versorgung mit Wasser und Nahrung rasch zu hohen Todesraten führten, um die bewaffneten Gruppen zum Aufgeben zu zwingen. Dabei kamen etwa 20.000 Buren und 12.000 Afrikaner ums Leben. Als Musterbeispiel für eine psychologische Kriegsführung gemäß der Strategie einer "Eroberung der Herzen und Köpfe" gilt der britische Versuch, in Malaysia in den 1950er Jahren durch die strikte Kontrolle von Lebensmittellieferungen im Rahmen der "Operation Starvation" einen kommunistischen Guerillakrieg zu unterdrücken. In beiden Fällen schrieb der Sieger die Geschichte, und erst viele Jahrzehnte später wurden die menschlichen Kosten der Aufstandsbekämpfung angemessen dokumentiert.

Die Praxis entwickelte sich in der Geschichte der Dekolonisierung weiter und wurde zum festen Bestandteil der Aufstandsbekämpfung. Exemplarisch genannt sei hier das britische Vorgehen in Kenia gegen die Mau Mau in den 1950er Jahren, der französische Krieg gegen die Unabhängigkeitsbewegung in Algerien von 1954 bis 1962, das portugiesische Aldeamentos-Programm in Mosambik während des Unabhängigkeitskrieges von 1964 bis 1973, die von beiden Seiten zu tödlichen Zwecken vorgenommenen Zwangsumsiedlungen von Zivilisten während des mosambikanischen Bürgerkrieges von 1976 bis 1992, Umsiedlungslager in Burundi während des Bürgerkrieges von 1996 bis 2000 und schließlich die Kriege im Sudan in den 1980er Jahren und in Darfur von 2003 bis 2005 sowie im Südsudan seit 2013.

Häufig wird die zentrale Rolle von politischen Entscheidungen außer Acht gelassen, mit denen bewusst Hungersnöte hervorgerufen werden. Bestes Beispiel hierfür ist die Hungersnot in Äthiopien von 1983 bis 1985, deren Ursache seinerzeit als Naturkatastrophe deklariert wurde – als Dürre biblischen Ausmaßes. Vor diesem Hintergrund erschien der seit 1974 anhaltende Bürgerkrieg als eine bedauerliche Behinderung der internationalen Hilfsmaßnahmen. Dabei waren Aufstandsbekämpfungstaktiken ausschlaggebend dafür, dass die Bewohner einer ohnehin rauen Umgebung massenhaft vom Hungertod bedroht wurden: Das Epizentrum der Hungersnot in Nordäthiopien war exakt das Gebiet, in dem die Militärregierung von Präsident Mengistu Haile Mariam ihre nachhaltigsten militärischen Offensiven durchführte. Dabei wurden riesige Ackerflächen niedergebrannt und dem örtlichem Handel und der Arbeitsmigration strenge Beschränkungen auferlegt. Die Luftwaffe bombardierte systematisch Marktplätze, sodass Märkte notgedrungen – wenn überhaupt – nachts stattfinden mussten. Die Agrarwirtschaft geriet in eine Krise, der Handel mit Lebensmitteln kam zum Stillstand, und die Menschen verhungerten. Verschlimmert wurde das Leid durch ein Zwangsumsiedlungsprogramm, bei dem Zehntausende Bewohner der Gebiete, in denen Aufständische operierten, gewaltsam zusammengetrieben und in den Süden des Landes gebracht wurden, wo sie Hunger litten und keinen Zugang zu medizinischer Versorgung hatten. Als direkte Folge starben mindestens 80.000 Menschen an Krankheit, Nahrungsmittel- und Wassermangel oder weil angemessene Unterkünfte oder für den Anbau von Feldfrüchten benötigte Werkzeuge sowie Saatgut fehlten.

Armeen lassen nicht nur "feindliche" Bevölkerungen hungern, sondern verursachen mitunter auch Hungersnot auf der eigenen Seite. So lebten in allen vorindustriellen Staaten Heere üblicherweise auf Kosten der Landbewohner, indem sie sich von den Dorfgemeinschaften verpflegen ließen. Als Reaktion auf die Beschwerden seitens der Bauern über in ihrem Dorf einquartierte Truppen bemerkte im 19. Jahrhundert der äthiopische Kaiser Theodor II. kurz und bündig: "Soldaten essen, Kleinbauern liefern." Aber noch im Zweiten Weltkrieg wurden japanische Truppen zu den Inselgruppen von Indonesien und den Philippinen mit Essensrationen für die ersten Tage geschickt, danach sollten sie sich, so der Befehl, Proviant bei den jeweiligen lokalen Bevölkerungen besorgen. Ähnlich gelagert ist der Fall der Hungersnot in Bengalen von 1943 im britisch regierten Indien. Dabei verlagerte die Politik der "Profitinflation" die Bürde der Kriegskosten von der britischen auf die indische Bevölkerung – auf Kosten von mindestens 2,5 Millionen Menschenleben.

Die verheerendsten Fälle von Massenverhungern im 20. Jahrhundert gingen jedoch weniger mit Krieg als solchem einher als mit imperialen Eroberungen oder totalitärer Herrschaft und resultierten aus umfassenden gesellschaftlichen Transformationen – etwa im Zuge der zwangsweisen wirtschaftlichen Neuausrichtung der kolonialen Ökonomien an den wirtschaftlichen und politischen Zielen der jeweiligen Metropole oder im Rahmen planwirtschaftlicher Reformen wie die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion ab 1929 oder der "Große Sprung nach vorn" in China.

Schlussbetrachtung

In der Geschichte der modernen Kriegsführung hat Aushungerung vielen Zwecken gedient und sich als mächtige und oft tödliche Kriegswaffe erwiesen. Einige Hungerverbrechen sind klar umrissen, etwa die Entrechtung von Kriegsgefangenen oder die fortwährende Belagerung einer einzelnen Stadt wie Sarajevo in den 1990er Jahren. Andere sind komplexer, und es spielen neben ökonomischen und Umweltfaktoren auch politische Entscheidungen eine Rolle, sowohl militärische als auch wirtschaftliche.

Wer den Einsatz von Hunger als Kriegswaffe unterbinden oder zumindest die Folgen für seine Verursacher verschärfen will, muss sich der Herausforderung stellen, einzelne Handlungen in ihrem größeren Kontext zu analysieren. Hunger kann eine starke Waffe für Kriegsparteien sein, die oft genau wissen oder schnell lernen, dass ihre Entscheidungen schweres Leid und Sterben in der Zivilbevölkerung verursachen. Zustände wie im Jemen stellen eines der aktuellsten und furchtbarsten Beispiele dar. Vor dem Hintergrund der historischen Fälle betrachtet, kann Massenaushungerung als das bezeichnet werden, was es ist – ein Krieg gegen Zivilisten.

Übersetzung aus dem Englischen: Peter Beyer, Bonn.

ist Exekutivdirektor der World Peace Foundation und Forschungsprofessor an der Fletcher School of Law and Diplomacy der Tufts University in Somerville, USA. E-Mail Link: alex.deWaal@tufts.edu

ist Forschungsdirektorin der World Peace Foundation in Somerville, USA. E-Mail Link: bridget.conley@tufts.edu