Einleitung
Von der Weltöffentlichkeit nur begrenzt zur Kenntnis genommen, hat sich das früher äußerst gespannte Verhältnis zwischen Indien und Pakistan in jüngster Zeit deutlich verbessert. Zeitlicher Ausgangspunkt dieser Verbesserung war die vom damaligen indischen Premierminister Atal Behari Vajpayee bei einem Besuch in Srinager, der Hauptstadt des indischen Teils Kaschmirs, im April 2003 ausgestreckte Hand der Freundschaft, welche die pakistanische Seite kurz danach ergriff und damit einen nun seit vier Jahren anhaltenden umfassenden Dialog eröffnete. Dabei unterließen beide Seiten ihre bisher stets eingenommenen Blockadehaltungen; sie haben vielmehr über etliche Bereiche verhandelt, in denen Fortschritte im gemeinsamen Interesse liegen. Dabei ging es nicht nur um Kaschmir, sondern auch um vertrauensbildende Maßnahmen im Bereich der konventionellen und der nuklearen Rüstung, beim Außenhandel und der wirtschaftlichen Kooperation, bei der Bekämpfung des Terrorismus und des Drogenhandels, der Demarkierung der Grenze, der Demilitarisierung umstrittener Gebiete und der Wieder- bzw. Neueröffnung von Bahn- und Buslinien, am prominentesten davon diejenige zwischen beiden Teilen Kaschmirs.
Die Gespräche verliefen teilweise recht schleppend, zeitweise schienen auch wieder die überkommenen Fronstellungen auf: Die pakistanische Seite versuchte, Fortschritte bei anderen Fragen, insbesondere beim Außenhandel, von Konzessionen beim Kaschmirproblem abhängig zu machen, Indien wollte dieses Problem zunächst "aussitzen" und dessen Existenz allein mit pakistanischer Unterstützung für die militanten Gruppen erklären. Fruchtlos waren die Ergebnisse der bisherigen Verhandlungen allerdings nicht. Konsulate wurden wieder eröffnet, Abkommen über die Ankündigung von Raketentests vereinbart, Listen über die vorhandenen Nuklearanlagen ausgetauscht, weitere heiße Drähte eingerichtet, ein Schifffahrtsprotokoll abgeschlossen und ein gemeinsamer Mechanismus zur Bekämpfung des Terrorismus eingerichtet. Wichtiger noch war, dass die führenden Politiker beider Staaten mehrfach erklärten, der Friedensprozess sei nunmehr unumkehrbar, eine Festlegung, hinter die sie später nur schwer zurückfallen können. Dieser Prozess konnte bisher auch durch größere Anschläge in Kaschmir nicht torpediert werden, und er wurde weiterhin durch zivilgesellschaftliches Engagement, also Friedens- und Kooperationsinteressen und -initiativen der Wirtschaftsverbände, der Hochschulen und von Nichtregierungsorganisationen unterfüttert. Den Lackmustest des Friedenswillens stellt natürlich das Kaschmirproblem dar. Hier gibt es eine vor Jahren nicht für möglich gehaltene Annäherung.
Der pakistanische Präsident hält ein Plebiszit unter der Ägide der Vereinten Nationen zur Selbstbestimmung des kaschmirischen Volkes nicht mehr für zwingend. Die religiöse Zugehörigkeit gilt nur mit Abstrichen als das ausschließliche Kriterium bei einer möglichen Grenzziehung. Er rät den Widerstandsgruppen in Kaschmir zum Dialog mit Delhi und akzeptiert im Prinzip die gegenwärtige Waffenstillstandslinie als endgültige Grenze, vorausgesetzt, diese Ziehung ist mit einer Art gemeinsamem indisch-pakistanischen Management über ganz Kaschmir verbunden. Das ganze Gebiet soll demilitarisiert werden, die Bevölkerung erhält eine Art Selbstregierung, und der grenzüberschreitende Verkehr wird erleichtert. Damit hat sich Pervez Musharraf weit von bisher eingenommenen pakistanischen Positionen entfernt; konsequenterweise sind seine Überlegungen von militanten Gruppen abgelehnt worden. Die indische Seite hat sich ebenfalls deutlich bewegt: Premierminister Manmohan Singh sagte schon bei seiner Amtseinführung, man könne alles außer Sezession akzeptieren, müsse daran arbeiten, die Grenze durch Kaschmir aufzuweichen, oder wie er später sagte, irrelevant machen.
Natürlich ziehen sich die Verhandlungen beim "umfassenden Dialog" erheblich in die Länge, natürlich wäre es zu früh, endgültigen Frieden zwischen Indien und Pakistan zu prophezeien. Dazu ist der Friedensprozess noch viel zu fragil und wird von nicht unwesentlichen politischen und gesellschaftlichen Gruppen in beiden Staaten in Frage gestellt. Zumindest auf pakistanischer Seite hängt er stark vom Überleben des instabilen, in religiöser Hinsicht vergleichsweise gemäßigten Regimes ab. Man muss bei aller berechtigten Skepsis aber sehen, vor welchem historischen Hintergrund die nachhaltige Annäherung zwischen den beiden Erzrivalen stattgefunden hat: den einstmals blutigen Teilungswirren, vier konventionell geführten Kriegen, einem jahrzehntelangen Rüstungswettlauf inklusive der nuklearen Komponente und der mehr oder weniger verdeckten Einmischung in die ethnischen Konflikte des Nachbarn. Es ist diese Hypothek - der territoriale Konflikt, die Nuklearisierung und last not least die vielfältigen ethnischen, religiösen und sozioökonomischen Konflikte im ganzen Subkontinent - die den amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im März 2000 dazu veranlassten, Südasien als den "heute vielleicht gefährlichsten Ort der Welt" zu bezeichnen.
Im Folgenden soll erstens die Sicherheitslage in ganz Südasien vor der Annäherung gekennzeichnet werden, zweitens die seit Ende der Blockkonfrontation veränderte globale Großwetterlage, der sich die Staaten in der Region ausgesetzt sehen, um dann drittens Überlegungen anzustellen, welche Faktoren den Umschwung in den indisch-pakistanischen Beziehungen bewirkt haben könnten.
Indiens Dominanz in der Region
Um die Sicherheitslage in Südasien zu verstehen, muss man sich zunächst das wirtschaftliche, geographische und bevölkerungspolitische Gewicht Indiens in der Subregion vor Augen führen. Das Land kommt für jeweils etwa drei Viertel der Landfläche, der Bevölkerung und der Wirtschaftskraft Südasiens auf. Es verwundert nicht, dass daraus Dominanzängste der Nachbarn erwachsen, zumal angesichts der lange Zeit paternalistischen Großmachtattitüde Indiens in der Region und der versuchten bzw. tatsächlichen Bevormundung, der sich die kleineren Staaten kaum entziehen konnten und die sich in ihren den Spielraum vermindernden Freundschafts- und Beistandspakten niederschlugen (mit Bhutan, Nepal, Bangladesh, nach Intensivierung des dortigen Bürgerkrieges auch mit Sri Lanka). Dazu kamen indische Militärinterventionen in Sri Lanka und auf den Malediven, einseitige Maßnahmen, welche die Entwicklungsmöglichkeiten der Nachbarn beschnitten (etwa der Bau des Farakka-Staudamms, der die Landwirtschaft in Bangladesh trocken legte), sowie ausgeprägte Erpressungsversuche bei allzu deutlichen Selbstständigkeitsbestrebungen der kleineren Nachbarn, wie etwa die Aufkündigung des Transitabkommens mit Nepal 1989.
Diese unilaterale Dominanz Indiens war nicht mit einem regionalen Projekt verbunden, das dem Hegemon größere Lasten bzw. Konzessionen oder gar Machtteilung (etwa bei der Bildung einer regionalen Gemeinschaft) abverlangt und damit den Nachbarn den Anreiz genommen hätte, die Macht Indiens durch Verbindung mit raumfremden Mächten auszubalancieren. Dies wurde überdies auch durch die unterschiedliche politische und wirtschaftliche Entwicklung auf dem Subkontinent verhindert. Außer Sri Lanka und Indien durchliefen alle anderen Staaten längere autoritäre Phasen. Indien verstand sich von Beginn an als säkularer Staat, wohingegen Pakistan versuchte, den Islam zum Bindeglied seines 1947 in einen Ost- und Westteil gespaltenen Staates zu machen. Bangladesh ist seit 1975 offiziell ein islamischer Staat, und in Sri Lanka wurde der Buddhismus 1972 zur Staatsreligion erhoben. Indien unterhielt enge Beziehungen zur Sowjetunion und engagierte sich wie Sri Lanka bei den Blockfreien. Pakistan dagegen trat denwestlichen Verteidigungsbündnissen CENTO und SEATO bei. Indien setzte bis Anfang der 1990er Jahre auf ein System der gemischten Wirtschaft. Pakistan bemühte sich um eine stärkere marktwirtschaftliche Orientierung, auf die auch Sri Lanka 1977 umstellte. Als Resultat zerfielen die unter britischer Herrschaft eingerichteten gemeinsamen Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen, und der intraregionale Handel ging auf Bruchteile seines früheren Anteils zurück.
Initiativen zur Bildung einer regionalen Gemeinschaft (SAARC, South Asian Association for Regional Cooperation) kamen angesichts dieser Probleme erst 1980 in Gang, sie gingen bezeichnenderweise auch nicht von Indien, sondern von Bangladesh aus. Die indische Regierung sah die Initiative zunächst als Versuch der Nachbarn, Indien kollektiv unter Druck zu setzen, Pakistan fürchtete sich dagegen vor einer Überschwemmung seines Marktes durch indische Waren. Konsequenterweise wurden daher zunächst eine Kooperation in eher technischen, unpolitischen Sektoren und regelmäßige Gipfeltreffen vereinbart. Auf einen massiven Unterbau der Gemeinschaft wurde bewusst verzichtet. Erst im Mai 1993 wurde ein Handelspräferenzabkommen abgeschlossen, das einen bescheidenen Anfang mit der andernorts schneller voranschreitenden Verringerung der intraregionalen Zölle brachte.
Pakistan als zweitgrößter Staat der Subregion konnte sich den Umarmungsversuchen Indiens am ehesten entziehen. Entsprechend konfliktgeladen war das beiderseitige Verhältnis. Es nahm seinen Ausgang mit den sich verschlechternden Beziehungen zwischen Hindus und Moslems zum Ausgang der Kolonialzeit, die zur Teilung Britisch-Indiens in zwei Staaten mit unterschiedlicher Legitimationsbasis führte. Indien musste schon aus Gründen der Selbsterhaltung (immerhin verblieb eine beachtliche moslemische Minderheit in der Union) und der erheblichen ethnischen, sprachlichen und religiösen Zerklüftung des Landes eine säkulare, gesellschaftlich plurale Staatsideologie vertreten. Die politische Elite Pakistans propagierte dagegen die so genannte Zwei-Nationen-Theorie, derzufolge die Moslems aufgrund ihrer kulturellen Besonderheiten eine eigene Nation darstellten. Im Widerspruch zu dieser Theorie verblieben aber der größte Teil Kaschmirs und eine beachtliche moslemische Minderheit bei Indien.
Der indisch-pakistanische Konflikt war stets auch machtpolitischer Natur. Die pakistanische Führung vermochte es nie, sich mit indischen Hegemonialansprüchen in Bezug auf die Region abzufinden, die sie bestenfalls zum Juniorpartner in einer vom Nachbarn dominierten Sicherheitszone gemacht hätte. Sie war daher bestrebt, die eigene Unterlegenheit durch Anlehnung an auswärtige Mächte (zunächst an die USA, später auch an China) zu kompensieren. Dies ist ihr begrenzt gelungen mit dem für die indische Regierung betrüblichen und v. a. den USA angekreideten Ergebnis, Indien durch künstliche Stärkung des Nachbarn in der Region zu binden und seine Großmachtambitionen zu schwächen.
Eine tragfähige Sicherheitspartnerschaft konnte sich auf dem Subkontinent so nicht entwickeln: Die indische Seite sah in pakistanischen Angeboten zur gegenseitigen Inspektion der Nuklearanlagen, zu Vereinbarungen über die beiderseitigen Truppenstärken und zur Einrichtung einer kernwaffenfreien Zone Südasien nur untaugliche Versuche, beide Länder gleichzusetzen und die regionübergreifenden und weltpolitischen Interessen Indiens zu ignorieren; umgekehrt sah Pakistan in indischen Vorschlägen zur Einrichtung einer Friedenszone Indischer Ozean oder zum Abschluss eines Friedens- und Freundschaftsvertrages (der Militärstützpunkte raumfremder Mächte untersagt hätte) nur das Bestreben der indischen Seite, Pakistan ausländischer Unterstützung zu berauben und umso sicherer zu beherrschen.
Beide Seiten haben sich einen jahrzehntelangen konventionellen und später nuklearen Rüstungswettlauf geliefert. Pakistan bewaffnete sich im Wesentlichen über Rüstungsimporte, Indien setzte von Beginn an auf Selbstversorgung aus eigenen Rüstungsunternehmen, ergänzt durch Lizenzproduktionen und Importe technologieintensiven Geräts. Entsprechend der größeren Wirtschaftskraft musste die indische Seite stets relativ weniger aufwenden, um dennoch eine massive (quantitative und qualitative) militärische Überlegenheit über Pakistan zu erlangen. Experten beziffern das Verhältnis auf 3 : 1 bzw. gar 5 : 1.
Faktoren der Annäherung
Nicht erklärt werden kann die Annäherung zwischen Indien und Pakistan durch eine relative Schwächung der indischen Position. Indien ist durch sein rasches Wachstum, dabei auch durch die besondere Dynamik technologieintensiver Sektoren, wirtschaftlich in Südasien allenfalls noch beherrschender geworden, bei der konventionellen Rüstung hat sich der Abstand zwischen Indien und Pakistan vergrößert.
Der veränderte globale Kontext
Was sich seit 1990 erheblich verändert hat, ist der internationale Kontext. Das internationale System ist zumindest militärisch unipolar geworden, die Dominanz der USA ist unbestritten. Auch zum marktwirtschaftlichen System gibt es keine ernst zu nehmende Alternative mehr. Für Indien brachte das Ende des Ost-West-Konflikts den Fortfall der sowjetischen Garantie gegen die Übergriffe Dritter. Überdies verringerte sich das Gewicht der Blockfreienbewegung dramatisch; das Land verlor damit eines seiner wichtigsten außenpolitischen Foren. Schließlich brachte der wirtschaftliche Zusammenbruch der vormals sozialistischen Staaten den Austausch mit Indien zum Erliegen und beendete die devisenschonenden russischen Rüstungslieferungen. Die offizielle indische Außenpolitik hat auf diese neue Lage mit anfänglicher Bewegungslosigkeit reagiert, sich aber später - parallel zur wirtschaftlichen Öffnung - zu einer erstaunlichen Kurskorrektur durchgerungen. Diese bestand vor allem in einer raschen Annäherung an die Vereinigten Staaten, die sich schon bald in gemeinsamen militärischen Übungen, einem bilateralen Sicherheitsabkommen und verstärkten indischen Rüstungskäufen in den USA niederschlugen. Für zwischenzeitliche Irritationen sorgten die fortgesetzte indische Weigerung zur Zeichnung des Nichtweiterverbreitungsvertrages, des Teststoppabkommens und insbesondere die indischen Nukleartests 1998, welche die USA und andere westliche Nationen mit Wirtschaftssanktionen beantworteten. Sie wurden aber bald wieder aufgehoben. Dies und die Bereitschaft der indischen Regierung zu fortgesetzten Gesprächen über den Umfang und die Ausrichtung der eigenen Nuklearrüstung führten zu einer raschen Verbesserung der Beziehungen.
Erster Höhepunkt war der Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton im März 2000, bei dem dieser sich den indischen Standpunkt in der Kaschmirfrage zu Eigen machte und zwischen den "natürlichen Verbündeten" USA und Indien eine "strategische Partnerschaft" vereinbart wurde. Zweiter Höhepunkt war das neue Abkommen im März 2006 zur Nutzung der zivilen Nuklearenergie, wonach die USA Indien wieder mit Uran und ziviler Nukleartechnologie beliefern und Indien im Gegenzug die internationale Inspektion der meisten Atomkraftwerke zugestand. Diese könne aber selbst bestimmt werden, lasse also genügend Raum für die nukleare Aufrüstung. Das Abkommen macht Indien daher zu einem faktisch anerkannten Atomwaffenstaat ohne größere Gegenleistungen,
Für Pakistan reduzierte sich mit dem Ende des Ost-West-Konflikts sein schon länger sinkender Wert als traditioneller Sicherheitspartner der USA noch weiter. Die Waffenlieferungen wurden wegen fortgesetzter Verfolgung der Nuklearoption ausgesetzt; auf das Land Druck wurde ausgeübt, den Nichtweiterverbreitungsvertrag zu zeichnen und die Unterstützung terroristischer Aktivitäten in der Region, namentlich in Kaschmir und (bis 2001) in Afghanistan, einzustellen. Die USA übten auch Druck auf China aus, seine Hilfe für Pakistan beim Atom- und Raketenprogramm zu beenden. Diplomatisch wurde der einstige Partner geradezu geschnitten, wenn man etwa den beleidigend kurzen Staatsbesuch Präsident Clintons im März 2000 mit jenem in Indien vergleicht. Dazu trugen nicht nur die dem Besuch vorausgehende Invasion pakistanischer Truppenteile in der Region Kargil bei, die erneute Machtübernahme des Militärs und die damals noch praktizierte Unterstützung der Taliban. Im Gefolge der amerikanischen Allianz gegen den internationalen Terrorismus wurde Pakistan als Frontstaat allerdings wieder benötigt und mit Wirtschafts- und Rüstungshilfe für seine Kooperationsbereitschaft belohnt. Eine Gleichbehandlung mit Indien in der Nuklearfrage wurde aber von der US-Administration kategorisch abgelehnt. Auch die pakistanische Anlehnung an China zeitigte abnehmenden Nutzen; Sicherheitsgarantien gegen atomare Erpressung durch Indien waren der Pekinger Führung nicht zu entlocken.
Seit 1990 hat sich das einst multipolare Sicherheitssystem Südasiens verändert, Indien und Pakistan sind beide auf ein Einvernehmen mit der einzig verbliebenen Supermacht angewiesen; diese wiederum benötigt beide im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und möglicherweise Indien als Puffer gegen das stärker werdende China.
Auch mit dem Einschwenken der beiden Staaten auf den amerikanischen Kampf gegen den internationalen Terrorismus seit 2001 verbanden sie eigene Zielsetzungen: Indien wollte dadurch eine allzu enge Wiederverbrüderung der USA mit Pakistan verhindern und seine eigene Bekämpfung des "grenzüberschreitenden Terrorismus" in Kaschmir legitimieren. Pakistan profitierte durch einen Schuldenerlass, neue Kredite der internationalen Finanzinstitutionen und durch das amerikanische Interesse an der Befriedung Kaschmirs. Erkannt haben aber sowohl die pakistanische wie noch stärker die indische Führung, dass spätestens mit dem zweiten Irakkrieg die bisherige weltpolitische Ordnung ein Ende gefunden hat, dass die Normen des Völkerrechts nicht mehr vor externer Intervention schützen und es also sinnvoll ist, Konflikte im eigenen Umfeld zu lösen, bevor es andere tun.
Der nukleare Schatten
Es ist allgemein anerkannt, dass nukleare Konfrontation bei fehlenden Kommunikations-, Kontroll- und Kommandostrukturen zur Verhinderung versehentlicher Einsätze bzw. der Eskalation konventioneller Konflikte sowie fehlender gesicherter Zweitschlagskapazität ein erhebliches Risiko des präemptiven Ersteinsatzes durch einen der Kontrahenten birgt.
Indiens neues, regionales Projekt
In Indien wurde zunehmend erkannt, dass regionale Integration dann schneller vorangetrieben werden kann, wenn der jeweils größte Staat besondere Verantwortung für dieses Projekt übernimmt, dabei stärkere Konzessionen als die Partner macht und insbesondere dafür Sorge trägt, dass auch die schwächeren Mitglieder der Gemeinschaft von der Integration profitieren.
Südasien und die Globalisierung
Auffällig häufig wird in indischen Verlautbarungen die notwendige Entspannung auf dem Subkontinent in den Kontext des weltweiten Siegeszuges von Demokratie, Marktwirtschaft und wirtschaftlicher Globalisierung gestellt. Hierbei fühlt sich Indien gut positioniert. Die Welt billigte Indien eine wirtschaftlich und politisch führende Rolle zu, seine Situation als größte Demokratie der Welt und als besonders plurale Gesellschaft passten zur Logik der globalen Entwicklung.
Südasien ist seit einigen Jahren die am zweitschnellsten wachsende Region der Welt. Sie kann auch erhebliche Fortschritte bei der Reduktion der absoluten Armut und der Verbesserung der Sozialindikatoren verzeichnen. Aus diesem insgesamt sehr positiven Bild fallen nur jene Staaten heraus, die durch Bürgerkriege geprägt sind (Nepal, Sri Lanka), oder sich übermäßige Rüstungsanstrengungen und das Verschleppen wirtschaftlicher Reformen erlaubten (Pakistan). Es kann nicht bestritten werden, dass die Region zu den Globalisierungsgewinnern zählt. Sie kann bei fortgesetzten Reformen und der Beendigung lang anhaltender Konflikte möglicherweise zu den dynamischen Tigerstaaten Ostasiens aufschließen und die Armut in der Region binnen einer Generation beseitigen.
Am spektakulärsten ist die wirtschaftliche Dynamik Indiens, die viele Autoren dazu veranlasst, das Land in die Weltmächte des 21. Jahrhunderts einzureihen.
Pakistan machte in den 1990er Jahren nur mäßige Fortschritte. Seine Wachstumsrate lag unter dem südasiatischen Durchschnitt, die Sozialindikatoren unter jenen vergleichbarer Staaten, der Anteil der absolut Armen jedoch darüber. Hohe Verschuldung und beachtliche Haushaltsdefizite verringerten nachhaltig den staatlichen Spielraum für die Verbesserung der Infrastruktur. Seit 2000 hat die Regierung weitreichende Reformen durchgesetzt, welche - in Kombination mit dem 2001 wieder einsetzenden Zufluss externer Mittel - das Wachstum deutlich beschleunigten (auf zuletzt annähernd acht Prozent pro Jahr), die Haushaltsdefizite und die Verschuldung verringerten und zu einer Verbesserung der Sozialindikatoren führten.
Was hat nun die wirtschaftliche Globalisierung mit der Beendigung von Konflikten in Südasien zu tun?
Erstens schafft und stärkt sie gesellschaftliche Gruppen, die an der Intensivierung des grenzüberschreitenden Austausches, an politischer Stabilität und effizienten Institutionen interessiert sind und weniger an der Zuspitzung inner- und zwischenstaatlicher Konflikte. Südasien ist die Region mit den meisten von kriegerischen Konflikten betroffenen Menschen. Bei den einschlägigen Rankings politischer Stabilität, die für internationale Investoren wichtige Signalfunktion haben, belegen die Staaten der Region nur hintere Ränge.
Zweitens haben zwischenstaatliche Konflikte ganz entscheidend die regionale wirtschaftliche Kooperation geschwächt. Die noch am Anfang stehende wirtschaftliche Integration könnte eine Quelle weiteren Wachstums sein. In Ostasien beläuft sich der intraregionale Handel mittlerweile auf ca. Null Prozent am gesamten Handel, in Südasien auf gerade einmal fünf Prozent. Noch betrüblicher sieht es bei Initiativen zu vertiefter Integration aus, also der Schaffung einer Wirtschaftsgemeinschaft, die den freien Fluss von Personen und investivem Kapital gewährleisten würde. Die nach der Unabhängigkeit verfallende zwischenstaatliche Infrastruktur ist nur partiell wieder in Stand gesetzt worden, Transitrechte für den zollfreien Transport durch Pakistan (für Güter aus Afghanistan) oder durch Bangladesh (für indische Güter aus dem Zentrum in den Nordosten des Landes) wurden noch immer nicht gewährt, das Anfang 2005 in Kraft getretene südasiatische Freihandelsabkommen sieht lange Übergangszeiträume vor, keinen Abbau der nichttarifären Handelshemmnisse, und es arbeitet mit langen Negativlisten. Im Übrigen hat Pakistan trotz Inkrafttreten des Abkommens Indien immer noch nicht die erforderliche Meistbegünstigung gewährt.
Auch die nicht handelsbezogenen bilateralen Projekte, etwa die schon intensiv diskutierte Ölpipeline vom Iran nach Indien über pakistanisches Territorium oder verschiedene angedachte Staudammprojekte, würden das Interesse beider Staaten an einer Friedenswahrung stärken. Dies sehen auch die Unternehmer in beiden Ländern so, selbst die pakistanische Staatsbank machte sich zur Fürsprecherin handelsbezogener Liberalisierung gegenüber Indien.
Inzwischen haben sich auch eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Organisationen gebildet, welche den Friedensprozess unterstützen. Dazu gehören etwa die India-Pakistan-Friendship Society, die schon 1987 gegründet und vom ehemaligen indischen Premierminister I. K. Gujral geleitet wird, sowie zwei bilaterale Gesellschaften von Ex-Diplomaten und Ex-Militärs, diverse Foren für Menschenrechte, Frieden und Demokratie sowie Organisationen, die sich dem kulturellen Austausch und gemeinsamen sportlichen Wettbewerb widmen.
Im Einzelnen sind die Faktoren, welche den Friedensprozess zwischen Pakistan und Indien unterstützen, sicher noch etwas schwächlich und von recht kurzer Wirkungsdauer. Ihr fortgesetzter Einfluss ist auch abhängig vom Bestand der politischen Verhältnisse, insbesondere im nur wenig stabilen Pakistan. Zusammengenommen sind sie allerdings nicht so unerheblich, dass ihre entschlossene Nutzung durch beide Regierungen (und auch der anderen in der Region) nicht den Grundstein legen könnte für eine friedlichere und wohlstandsmehrende Zukunft des Subkontinents.