Vor 70 Jahren veröffentlichte die französische Schriftstellerin und Philosophin Simone de Beauvoir ihre Schrift "Le Deuxième Sexe" (deutsche Übersetzung: "Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau", 1951). Im ersten Band, "Fakten und Mythen", spürt sie zunächst dem Thema Frau in Biologie, Psychoanalyse und historischem Materialismus nach, anschließend der Rolle der Frau in der Menschheitsgeschichte und abschließend dem "Mythos" Frau. Im zweiten Band, "Gelebte Erfahrung", zeigt Beauvoir anhand ihrer eigenen Erfahrungen und denen anderer Frauen, wie es ist, als Frau aufzuwachsen, zu leben, alt zu werden – wie man nicht als Frau zur Welt kommt, sondern es wird.
Eine Frau zu sein (oder ein Mann), das ist für Beauvoir eine soziale Tatsache, nicht etwa ein Schicksal, dass von Körper, Psyche oder Ökonomie vorbestimmt ist. Die Frau werde vielmehr "mit Bezug auf den Mann determiniert und differenziert (…). Sie ist das Unwesentliche gegenüber dem Wesentlichen. Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere." Beauvoir fragt, wie es dazu kommen konnte, dass "diese Welt immer den Männern gehört hat". Und obwohl sie deutlich zeigt, wie sehr Frauen in ihren Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten durch ihre vom Mann abgeleitete Existenz eingeschränkt werden, entlässt sie Frauen nicht aus der Verantwortung für ihre Situation.
"Das andere Geschlecht", befand Sarah Bakewell in ihrem Buch "Das Café der Existenzialisten" (2016), "hätte einen Platz neben anderen Grundlagenwerken der Moderne verdient". Denn Beauvoir habe gezeigt, in welchem Ausmaß wir geschlechtliche Wesen sind, Männer in eine ganz neue Beziehung zu den Frauen gesetzt und zugleich Mythen entlarvt. Als ein zentraler Referenzpunkt für den (westlichen) Feminismus ist "Das andere Geschlecht" leidlich bekannt geworden; einen Platz neben den Werken von Charles Darwin, Karl Marx und Sigmund Freud hat es (bisher) nicht erhalten.