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Baader-Meinhof international? | 1977 und die RAF | bpb.de

1977 und die RAF Editorial Die radikale Linke und die RAF - Essay Die RAF und die Bundesrepublik - Essay Die Opfer der RAF Die Ursachen des RAF-Terrorismus und sein Scheitern Baader-Meinhof international? Mehr Sicherheit durch mehr Strafe?

Baader-Meinhof international?

Tobias Wunschik

/ 16 Minuten zu lesen

Die RAF, die "Bewegung 2. Juni" und die Revolutionären Zellen verfügten über internationale Verbindungen. Anfang der 1980er Jahre wurde die RAF vom MfS der DDR protegiert.

Einleitung

Lange vor den Terroranschlägen der Al-Qaida in den USA am 11. September 2001 erschütterte in den 1970er und 1980er Jahren ein "hausgemachter" Terrorismus die Bundesrepublik Deutschland. Die internationale Dimension des deutschen Linksterrorismus nimmt sich auf den ersten Blick bescheiden aus, verglichen mit den Anschlägen des islamistischen Terrornetzwerks auf fast allen Kontinenten, seinen weltweit rekrutierten Kadern und seinen Nachrichtenwegen über das World-wide-web. Die Wurzeln der politisch motivierten Gewalt lagen großenteils in der Bundesrepublik, die RAF-Mitglieder waren Deutsche, und nur selten kam es zu Anschlägen jenseits der Landesgrenzen.



Doch auch das Vorgehen von Roter Armee Fraktion (RAF), der "Bewegung 2. Juni" und Revolutionären Zellen (RZ) besaß eine internationale Dimension. Die politisch motivierte Gewalt gilt zumeist weniger den unmittelbar Angegriffenen selbst, sondern dem dahinter vermuteten Gegner - etwa den westlichen Demokratien und der amerikanischen Führungsmacht (dem "Imperialismus"). Gerade die RAF betrachtete sich als Teil einer weltweiten Front und pflegte intensive Kontakte zu anderen (links-)terroristischen Organisationen in Westeuropa, was in gemeinsamen Bekennerschreiben und Strategiepapieren zum Ausdruck kam.

Die internationalen Verbindungen nährten Motivation und Selbstverständnis (bzw. Selbstüberschätzung) der Terroristen und waren vor allem von praktischem Nutzen. So wurden gelegentlich knappe Ressourcen wie Waffen, Sprengstoff oder Geld miteinander geteilt. Vielfach wurde im Ausland ein militärisches Training absolviert und verfolgungsfreier Aufenthalt gesucht - meist im Nahen Osten, zeitweilig aber auch in der DDR. Nachfolgend gilt es zu prüfen, wie eng und bedeutsam die internationale "Anbindung" der deutschen "Stadtguerilla" tatsächlich war, wurde darüber doch schon vielfach spekuliert.

Dimensionen der Verflechtung

Die deutschen Linksterroristen der 1970er und 1980er Jahre erklärten wie die studentische Protestbewegung von 1968, gegen die Ausbeutung in der "Dritten Welt" zu kämpfen, und engagierten sich international in unterschiedlichem Maße. Insgesamt blieb die "Bewegung 2. Juni" am stärksten auf ihr lokales Umfeld (in West-Berlin) konzentriert, suchte aber dennoch Unterstützung im Nahen Osten. Für ihre Vorläuferorganisation, die "Tupamaros Westberlin", hatte die palästinensische Befreiungsbewegung sogar die Rolle eines "Geburtshelfers" gespielt. Denn der Anführer der "Tupamaros", Rainer Kunzelmann, hatte im September 1969 zusammen mit anderen bei der Al-Fatah in Jordanien den Umgang mit Waffen erlernt. Auch die Ideologie der Gruppe wurde dadurch beeinflusst, und fortan war ihr der palästinensisch-israelische Konflikt wichtiger als der Vietnam-Krieg. Aufgrund von Kontakten der "Bewegung 2. Juni" zu den Palästinensern war der linksrevolutionäre Südjemen dann auch bereit, jene Terroristen aufzunehmen, die durch die Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Februar 1975 freigepresst worden waren.

Die RZ suchten seit ihrer Bildung im Jahr 1973 die Kooperation mit der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), der zweitstärksten Fraktion innerhalb der PLO. Nach einer gemeinsamen, jedoch umstrittenen Flugzeugentführung im Jahr 1976 nach Entebbe in Uganda kam es über die Frage der internationalen Koordination zur Spaltung. Johannes Weinrich und Magdalena Kopp schlossen sich der Gruppe des Top-Terroristen "Carlos" an.

Die hierarchischen Strukturen der RAF sowie ihre konspirative Abschottung hätten einer internationalen Vernetzung abträglich sein müssen. Jedoch existierte die Gruppe vergleichsweise lange, so dass sich internationale Bande entwickeln und festigen konnten. So erklärte sich die RAF zur Verbündeten der nordvietnamesischen FNL, der PLO, der nordirischen IRA und der mosambikanischen Frelimo. Der RAF-Angehörige Volker Speitel traf außerdem Vertreter der baskischen Terrorgruppe ETA. Besonders die dritte Generation der RAF pflegte mit "wechselndem Erfolg" Kontakte zu Gesinnungsgenossen in Frankreich, Belgien und Italien. Ideologisch gerechtfertigt wurde dies im so genannten Mai-Papier von 1982 mit dem angeblich notwendigen Aufbau einer gemeinsamen "antiimperialistischen Front" in Westeuropa. Doch nicht immer waren die Annäherungsversuche von Erfolg gekrönt. So benannte die RAF das Kommando beim Anschlag auf Ernst Zimmermann im Jahr 1985 nach dem getöteten IRA-Aktivisten Patsy O'Hara. Die nordirische Terrororganisation wies dies jedoch als "Schändung des Namens" zurück.

Verbindungen zum Nahen Osten

Da die deutsche "Stadtguerilla" ein potenzielles "revolutionäres Subjekt" hierzulande kaum finden konnte, boten sich Befreiungsbewegungen in der "Dritten Welt" als natürliche Verbündete an. Diese waren Adressaten (und Empfänger) von Zuspruch und Bestätigung, sie waren Vorbilder und Objekte der Identifikation. Die deutschen Linksterroristen stützten ihre Weltanschauung neben einem stark selektiv rezipierten Marxismus-Leninismus insbesondere auf die Befreiungsideologie aus der "Dritten Welt", etwa von Che Guevara, Ho Chi Minh, Carlos Marighella und Régis Debray. Zu Fehlwahrnehmung und Selbstüberschätzung neigend, sah die RAF in der Entstehung teilweise mächtiger Befreiungsbewegungen einen untrüglichen Beweis dafür, dass der globale gesellschaftliche Umsturz nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Durch ihre Anschläge auf den "Imperialismus" glaubte die RAF den "Sieg im Volkskrieg" in entfernten Erdteilen befördern zu können - und sah sich umgekehrt durch das Agieren der Befreiungsbewegungen hierzulande im Aufwind.

In der Praxis schätzte die RAF, von der ersten bis zur dritten Generation, besonders die Kooperation mit der palästinensischen Befreiungsbewegung. Bereits wenige Wochen nach der Baader-Befreiung, dem inoffiziellen Gründungsdatum der RAF, reisten neben Andreas Baader auch Horst Mahler, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und andere zum Training bei der Al-Fatah nach Jordanien. Später suchte die RAF enge Kontakte insbesondere zum Chef der PFLP, Wadi Haddad, der vom sowjetischen KGB unterstützt wurde. In palästinensischen Trainingscamps in Jordanien, später im Südjemen und zuletzt im Libanon wurden RAF-Angehörige militärisch ausgebildet - neben Angehörigen der ETA, IRA und der Irischen Nationalen Befreiungsarmee. Bereits 1981 wurde angenommen, dass mindestens jeder zehnte deutsche Terrorist eine Ausbildung in einem palästinensischen Lager durchlaufen hatte - der tatsächliche Anteil dürfte weit höher liegen.

Im Mai 1972 kam es angeblich zu einer Übereinkunft der RAF mit palästinensischen (sowie japanischen) Terroristen, sich fortan gegenseitig zu unterstützen. Als die palästinensische Terrorgruppe "Schwarzer September" kurz darauf die israelische Olympiamannschaft in München überfiel, forderte sie die Freilassung von 234 Palästinensern aus israelischer Haft, wollte aber auch Baader und Meinhof auf freiem Fuß sehen. Im Jahre 1976 sollte dann in Nairobi ein gemischtes deutsch-palästinensisches Kommando ein israelisches Flugzeug abschießen. Mit der Entführung eines Lufthansa-Verkehrsflugzeuges im Herbst 1977 griff die PFLP der deutschen Seite erneut massiv unter die Arme.

Kooperation mit palästinensischen Gruppen bedeutete vor allem punktuelle Zusammenarbeit bei Anschlägen und der Ausbildung - nicht so sehr weltanschauliche Auseinandersetzung. Dass palästinensische Waffenbrüder Seite an Seite mit ihnen kämpften, bestärkte die deutschen Linksterroristen in ihrer Motivation. Dabei waren die Kräfteverhältnisse eindeutig: Die PFLP hielt tausende junger Männer unter Waffen, wohingegen die RAF wohl zu keinem Zeitpunkt mit mehr als einem Dutzend Mitglieder gleichzeitig im Nahen Osten präsent war. Allerdings waren die palästinensischen Terrorgruppen an westlichen Verbündeten interessiert, denn diese konnten zur Vorbereitung von Anschlägen viel unauffälliger durch Europa reisen.

Bei den teilweise mehrmonatigen Trainingsaufenthalten in palästinensischen Camps kam es bisweilen zu konkurrierenden Loyalitäten. So schied Friederike Krabbe aus der RAF aus und blieb im Nahen Osten, weil sie sich in einen Palästinenser verliebt hatte. Krabbe ist bis heute verschwunden.

Waffenbrüder in Westeuropa

Anders als gegenüber den Palästinensern entwickelten sich die Kontakte der RAF zur französischen Action Directe (AD) zunächst auf einer theoretischen Ebene, bevor es in der Praxis zu gemeinsamen Aktionen kam. Bereits ihre Entstehung im Frühjahr 1979 führten die französischen Linksterroristen auch auf die als "vorbildlich" verstandene Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer zurück. Neben persönlichen Bindungen kam es zu gegenseitiger logistischer Hilfestellung wie etwa dem Austausch von Sprengstoff oder gefälschten Ausweisen.

Ein gemeinsames Strategiepapier von 1985 war auf deutsch verfasst und dann schlecht ins Französische übersetzt worden, was eine "ideologische Hegemonie" der RAF und eine "weitgehende Unterordnung" der AD erkennen ließ. In diesem Jahr bekannten sich die Gruppierungen gemeinsam zu zwei Mordanschlägen in Deutschland und Frankreich, und auch ein Hungerstreik der inhaftierten Mitglieder beider Gruppen wurde zeitgleich beendet. Die Verhaftung von vier Anführern der AD im Jahr 1987 setzte den Schlussstrich unter die Kooperation. Bereits zwei Jahre zuvor hatte ebenfalls ein großer Fahndungserfolg zum weitgehenden Abbruch der Beziehungen zwischen der RAF und den belgischen Cellules Communistes Combattantes (CCC) geführt, die in den Jahren zuvor gemeinsame Erklärungen unterzeichnet und Sprengstoff gleicher Herkunft verwendet hatten.

Einen vergleichsweise langen, doch nicht nur von Erfolg gekrönten Kontakt pflegte die RAF zu den italienischen Roten Brigaden. Bereits Anfang der siebziger Jahre war es zu ersten Treffen gekommen, doch war offenbar keine gemeinsame Linie gefunden worden. Die weltanschaulichen Dissonanzen resultierten wohl daraus, dass der Terrorismus insgesamt "in Italien stärker in der Gesellschaft verwurzelt (war) als in Deutschland", und so fühlten sich italienische Linksterroristen eher zur "Bewegung 2. Juni" hingezogen, die stärkere Bindungen in die linksextreme Szene besaß als die RAF.

Die Entführung von Schleyer durch die RAF verärgerte den führenden Vertreter der italienischen Terrororganisation, Mario Moretti, denn angesichts der bevorstehenden Entführung des früheren Ministerpräsidenten Aldo Moro war ihm "die Show gestohlen" worden. Im Jahr 1978 wollte die RAF gemeinsam mit den Roten Brigaden den NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig entführen, doch letztlich kam es zu keiner Vereinbarung. Auch als sich im Folgejahr Brigitte Mohnhaupt, Werner Lotze und zwei weitere RAF-Mitglieder mit Moretti trafen, forderte dieser "Parteistrukturen" von der RAF. Dem hatte die deutsche Seite nichts entgegenzusetzen, weswegen das Gespräch ein "völliges Desaster" war. Trotz weiterer Begegnungen blieb es bei "Tauschaktionen falscher Papiere" sowie finanziellen Transaktionen im Rahmen einer "gewissen Solidarität", wie Moretti später erklärte. Noch 1986/87 wurden Terrorkommandos nach gefallenen Angehörigen der jeweils anderen Gruppe benannt; im Jahre 1988 wurde zudem ein Bekennerschreiben von beiden Seiten unterzeichnet. Dann jedoch entzweiten ideologische Differenzen und der Führungsanspruch der RAF die deutschen und die italienischen Linksterroristen.

RAF und DDR-Staatssicherheit

Auf der Suche nach Verbündeten richtete die RAF verstohlene Blicke auch auf das andere Deutschland. Die Linksterroristen und der SED-Staat teilten einen weltanschaulichen Grundkonsens und politische Interpretationsmuster in einer "unübersehbaren Geistesverwandtschaft". Beide sahen sich an der Seite der Befreiungsbewegungen und kämpften gegen "Imperialismus" und "Kapitalismus". Aus marxistisch-leninistischer Sicht blieb Ost-Berlin allerdings skeptisch, was die Kampfform des "individuellen Terrorismus" betraf. Und die sowjetische Maßgabe der "friedlichen Koexistenz" respektierte die RAF ebenso wenig wie die führende Rolle der kommunistischen Parteien.

Als im April 1970 in Guatemala eine linksgerichtete Guerilla den bundesdeutschen Botschafter, Karl Graf Spreti, ermordete, begrüßte dies das "Neue Deutschland" - und die Baader-Meinhof-Gruppe fasste dies wiederum als Bestätigung auf. Als die RAF im August vom militärischen Training in Jordanien zurückkehrte, traf Hans-Jürgen Bäcker als erster in Berlin-Schönefeld ein. Dort wurde er wegen einer mitgeführten Pistole zwar festgenommen, berichtete anschließend jedoch freizügig über die Tatbeteiligungen wie auch über die weiteren Pläne der Gruppe und wurde freigelassen.

Meinhof selbst flog ein paar Tage später zurück und ersuchte beim Zentralrat der FDJ darum, die "Organisierung des Widerstandes in West-Berlin" von der DDR aus betreiben zu können. Doch Meinhof wurde hingehalten und am nächsten Tag nicht mehr über die Grenze gelassen - zu einem Pakt war das SED-Regime (noch) nicht bereit. Hätte es Meinhof erneut versucht, wäre sie vermutlich ebenfalls verhört und abgeschöpft worden. Trotz der Ablehnung ließ die Baader-Meinhof-Gruppe die Hoffnung jedenfalls nicht fahren und schrieb zwei Jahre später, ihr Ziel sei "ein einheitliches sozialistisches Deutschland, mit der Arbeiterklasse der DDR und ihrer Partei, und niemals gegen sie".

Die zweite Generation der RAF stand Ost-Berlin zunächst gleichgültig, teilweise sogar kritisch gegenüber. Weiterhin profitierten die steckbrieflich gesuchten Terroristen jedoch von den Reisemöglichkeiten über Schönefeld. Weil sie gefälschte Personaldokumente verwendeten, schlüpften sie manchmal sogar unerkannt durch die Grenze. Das RAF-Mitglied Willy Peter Stoll wurde zwar einmal angehalten, nach Feststellung seiner wahren Identität jedoch umgehend freigelassen. Ähnliche Erfahrungen machte im Frühjahr 1978 Inge Viett. Ihr wurde Reisefreiheit zugesichert. Als ihr Kampfgefährte Till Meyer im Mai 1978 gewaltsam aus dem Gefängnis in Moabit befreit wurde, konnten die Täter so über Ost-Berlin entkommen. Und als Viett einen Monat später in Prag festgenommen wurde, organisierte das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) sogar ihre Freilassung.

Die mittlerweile zur RAF gewechselte Viett wurde zur Mittelsperson, als zunächst acht Gruppenmitglieder Anfang 1980 ein sicheres Aufnahmeland suchten. Viett sollte mit Hilfe Ost-Berlins den Kontakt zu einem linksrevolutionären Staat (wie Algerien, Mosambik oder den Kapverdischen Inseln) herstellen. Nun bot das MfS an, die Betreffenden in die DDR aufzunehmen. Werner Lotze, Silke Maier-Witt, Susanne Albrecht, Monika Helbing, Ekkehard von Seckendorff-Gudent, Christine Dümlein, Sigrid Sternebeck und Ralf Baptist Friedrich erhielten im Oktober 1980 in der DDR eine neue Identität. Als Nachzügler folgten Henning Beer und Viett. Zunächst wurden die Aussteiger in so genannten Operativen Personenkontrollen bearbeitet, dann teilweise als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) angeworben.

Die problemlose Aufnahme weckte "das politische und materielle Interesse der RAF". Zwischen 1980 und 1982 kamen so zwei- bis dreimal jährlich die RAF-Angehörigen Christian Klar, Adelheid Schulz, Helmut Pohl und die damals noch aktive Inge Viett in die DDR. Die Untergrundkämpfer seien dort regelrecht "aufgepäppelt" worden, so ein dafür Verantwortlicher. Die Staatssicherheit habe zudem über geheimpolizeiliche Kanäle in den Fahndungscomputern des Bundeskriminalamts prüfen lassen, welche gefälschten Ausweise der Linksterroristen im Westen zu einer Verhaftung führen könnten, und sie vor deren weiterer Verwendung gewarnt. Als "vertrauensbildende Maßnahme" habe das MfS mindestens zweimal ein militärisches Training organisiert: "Inge Viett hat gut geschossen, Pohl hat schlecht geschossen und Klar normal." Bei den Schießübungen wurde ein Schäferhund in einem Mercedes angekettet, um die Wirkung einer Panzerfaust auf lebende Objekte zu testen.

Aus Furcht, die DDR könne der Unterstützung des internationalen Terrorismus bezichtigt werden, tendierte das MfS zunehmend zu einer vorsichtigeren Linie - und hielt die Linksterroristen hin. "Wir hätten - statt mit ihnen zu reden - [zuletzt] auch das Neue Deutschland' lesen können", stellte Helmut Pohl enttäuscht fest. So ging die "RAF-Stasi-Connection" 1983/84 teilweise in die Brüche. Gegenüber der dritten Generation der RAF lautete jetzt die Maxime, neu bekannt gewordene Mitglieder "zur Verhinderung von Diskriminierungs- und Diffamierungsmaßnahmen des Gegners gegenüber der DDR unter operative Personenkontrolle" zu stellen. Um die Verbindungen zu verschleiern, kamen Inoffizielle Mitarbeiter wie der Ex-Terrorist Till Meyer zum Einsatz. Er sollte im Auftrag des MfS "falsche Fährten" legen, wenn Journalisten den Aufenthalt der RAF-Aussteiger recherchieren wollten und ihn deswegen als "Insider" kontaktierten.

Trotz dieser Absicherung wurde 1986 die Identität von Maier-Witt, Albrecht und Viett bekannt. Maier-Witt waren westliche Geheimdienste auf die Spur gekommen. Daher musste sie ihr bisheriges Umfeld über Nacht verlassen und abermals eine neue Identität annehmen. Im Jahr 1987 fragte das Bundeskriminalamt in Ost-Berlin nach, 1988 sogar die Bundesregierung, ohne jedoch über Beweise zu verfügen. Auch im Umfeld von Albrecht wucherten 1986 Gerüchte, doch die Staatssicherheit drohte ihren misstrauischen Arbeitskollegen mit strafrechtlicher Verfolgung. Viett wurde 1986 von einer Bekannten bei einer Westreise auf einem Fahndungsplakat erkannt - und erhielt von der Staatssicherheit eine neue Identität.

Während sich die RAF offen zu ihren Verbindungen mit palästinensischen und anderen "Befreiungsbewegungen" bekannte, stellte sie die Unterstützung durch das MfS auch nach dem Untergang der DDR in Abrede. Die deutschen Linksterroristen wollten wohl als politisch unabhängig gelten und mit der Spießbürgerlichkeit sowie dem Dogmatismus des erstarrten Einheitssozialismus nicht in Verbindung gebracht werden.

Schluss

Die internationalen Kontakte der RAF waren weltanschaulich, psychologisch und praktisch bedeutsam: Ihre Kampfgefährten suggerierten die Einbindung in eine weltweite Front (die nie existierte). Die Trainingscamps waren unverzichtbar, um den Umgang mit Waffen zu erlernen. Die Unterstützung durch palästinensische Kräfte hat den Aufbau einer deutschen Stadtguerilla erheblich erleichtert, und die spätere Protektion durch das MfS der DDR hat ihren Fortbestand mit ermöglicht. Trotzdem operierte die RAF "immer selbständig" und hat "ihre Unabhängigkeit nie beschränkt". Die externe Unterstützung kann nicht als primäre Ursache des Linksterrorismus in der Bundesrepublik gelten.

Fahndungserfolge in mehreren europäischen Staaten Ende der 1980er Jahre beschnitten die internationalen Verbindungen der RAF. Von den inhaftierten Gesinnungsgenossen waren nur noch Solidaritätsadressen zu erwarten, jedoch keine praktische Unterstützung mehr. Endgültig in die Isolation geriet die RAF aber erst, als sie nach der so genannten Kinkel-Initiative auf eine moderatere Linie einschwenkte und im Jahr 1992 auf Gewalt gegen Menschen verzichtete. Diesen Kurswechsel geißelten die Action Directe, die Roten Brigaden und die Cellules Communistes Combattantes als konterrevolutionäres Einknicken vor dem Gegner.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Ulrich Schneckener, Transnationaler Terrorismus. Charakter und Hintergründe des "neuen" Terrorismus, Frankfurt/M. 2006, S. 12 - 14.

  2. Vgl. u.a. Peter Waldmann, Terrorismus. Provokation der Macht, München 1998, S. 12 - 13.

  3. Vgl. u.a. Oliver Tolmein, Vom Deutschen Herbst zum 11. September. Die RAF, der Terrorismus und der Staat, Hamburg 2002.

  4. Vgl. die teilweise spekulativen Studien von Michael Müller/Andreas Kanonenberg, Die RAF-Stasi-Connection, Berlin 1992, sowie Claire Sterling, The terror network. The secret war of international terrorism, New York 1981. Vgl. dazu Bob Woodward, Geheimcode Veil. Reagan und die geheimen Kriege der CIA, München 1987, S. 150 - 154.

  5. Vgl. Konrad Hobe, Zur ideologischen Begründung des Terrorismus (hrsg. vom Bundesministerium der Justiz), Bonn 1979, S. 23.

  6. Wanda von Baeyer-Katte, Agitatorischer Terror und dessen Wirkung in sozial-psychologischer Sicht, in: Hans Maier (Hrsg.), Terrorismus. Beiträge zur geistigen Auseinandersetzung, Mainz 1979, S. 17.

  7. Vgl. Ralf Reinders/Ronald Fritzsch, Die Bewegung 2. Juni. Gespräche über Haschrebellen, Lorenzentführung, Knast, Berlin 1995, S. 29.

  8. Vgl. Der Blues. Gesammelte Texte der Bewegung 2. Juni, o.O., o.J., Bd. 1, S. 82f.

  9. Vgl. u.a. Oliver Schröm, Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus, Berlin 2002, S. 125.

  10. Vgl. Christopher Daase, Die RAF und der internationale Terrorismus, in: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, 2 Bde., Hamburg 2006, S. 905.

  11. Vgl. O. Tolmein (Anm. 3), S. 70.

  12. Vgl. Volker Speitel, Wir wollten alles und gleichzeitig nichts, in: Der Spiegel, (1980) 33, S. 33.

  13. Vgl. Alexander Straßner, Die dritte Generation der Roten Armee Fraktion. Entstehung, Struktur und Zerfall einer terroristischen Organisation, Wiesbaden 2003, S. 299.

  14. Zit. in: Der Spiegel, (1986) 29, S. 28.

  15. Vgl. u.a. Alex Schubert, Stadtguerilla. Tupamaros in Uruguay. Rote Armee Fraktion in der Bundesrepublik, Berlin 1971, S. 7 - 26.

  16. Vgl. Gerd Langguth, Guerilla und Terror als linksextremistische Kampfmittel. Rezeption und Kritik, in: Manfred Funke (Hrsg.), Extremismus im demokratischen Rechtsstaat. Ausgewählte Texte und Materialien, Düsseldorf 1978 (Schriftenreihe der bpb 122), S. 114.

  17. Vgl. Friedhelm Neidhardt, Soziale Bedingungen terroristischen Handelns. Das Beispiel der "Baader-Meinhof-Gruppe" (RAF), in: Wanda von Baeyer-Katte/Dieter Claessens/Hubert Feger u.a. (Hrsg.), Gruppenprozesse (Analysen zum Terrorismus 3, hrsg. v. Bundesministerium des Innern/BMI), Opladen 1982, S. 357.

  18. Vgl. Butz Peters, Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF, Berlin 2004, S. 732.

  19. Vgl. Stefan Aust, Der Baader Meinhof Komplex, Hamburg 1986, S. 103 - 105.

  20. Vgl. Christopher Andrew/Wassili Mitrochin, Das Schwarzbuch des KGB II. Moskaus Geheimoperationen im Kalten Krieg, Berlin 2006, S. 360 - 378.

  21. Protokoll der Vernehmung von Peter-Jürgen Boock am 1.4. 1992.

  22. Vgl. Gerhard Schmidtchen, Terroristische Karrieren. Soziologische Analyse anhand von Fahndungsunterlagen und Prozessakten, in: Herbert Jäger/ders./Lieselotte Süllwold, Lebenslaufanalysen (Analysen zum Terrorismus 2, hrsg. vom BMI), Opladen 1981, S. 54.

  23. Vgl. Simon Reeve, Ein Tag im September. Die Geschichte des Geiseldramas bei den Olympischen Spielen in München 1972, München 2006, S. 67.

  24. Vgl. Tobias Wunschik, Baader-Meinhofs Kinder. Die zweite Generation der RAF, Opladen 1997, S. 264 - 275.

  25. Vgl. Ch. Daase (Anm. 10), S. 909.

  26. Vgl. Protokoll (Anm. 21).

  27. Vgl. Ch. Daase (Anm. 10), S. 910.

  28. Vgl. A. Straßner (Anm. 13), S. 623.

  29. Vgl. Dieter Pass, Frankreich: Der integrierte Linksradikalismus, in: Henner Hess (Hrsg.), Angriff auf das Herz des Staates. Soziale Entwicklung und Terrorismus, Bd. 2, Frankfurt/M. 1988, S. 267.

  30. Vgl. A. Straßner (Anm. 13), S. 304, S. 307.

  31. Vgl. Alberto Franceschini/Pier Vittorio Buffa/Franco Giustolisi, "Das Herz des Staates treffen", Wien 1990, S. 62 - 64.

  32. Henner Hess, Italien: Die ambivalente Revolte, in: ders. (Anm. 29), S. 14.

  33. Vgl. A. Franceschini (Anm. 31), S. 63.

  34. Vgl. Valerio Morucci, "Die RAF und wir - feindliche Konkurrenten", in: Der Spiegel, (1986) 31, S. 106 - 114.

  35. Vgl. T. Wunschik (Anm. 24), S. 387 - 389.

  36. Rossana Rossanda/Carla Mosca, Mario Moretti. Eine italienische Geschichte, Hamburg 1996, S. 211; vgl. auch Anna Laura Braghetti, "Die Antwort hieß: Mord", in: Der Spiegel, (1998) 11, S. 150 - 152.

  37. Vgl. B. Peters (Anm. 18), S. 640, S. 743.

  38. Uwe Backes, Bleierne Jahre. Baader-Meinhof und danach, Erlangen 1991, S. 200.

  39. Vgl. Martin Jander, Differenzen im antiimperialistischen Kampf. Zu den Verbindungen des Ministeriums für Staatssicherheit mit der RAF und dem bundesdeutschen Linksterrorismus, in: W. Kraushaar (Anm. 10), S. 698, S. 705.

  40. Vgl. Neues Deutschland (ND) vom 7.4. 1970, S. 6; ND vom 8.4. 2007, S. 6. Zur Reaktion der RAF: unveröff. Ms., Mai 1972, zit. in: Iring Fetscher/Herfried Münkler/Hannelore Ludwig, Ideologien der Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Iring Fetscher/Günter Rohrmoser (Hrsg.), Ideologien und Strategien (Analysen zum Terrorismus 1, hrsg. vom BMI), Opladen 1981, S. 217. Es ist unklar, ob der an die Partei der Arbeit Nordkoreas gerichtete Brief abgesendet wurde.

  41. Vgl. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen (BStU), MfS, Hauptabteilung (HA) IX 16906; S.Aust (Anm. 19), S. 114.

  42. Vgl. BStU, Zentralarchiv (ZA), HA XX AIG 496, Bl. 17 - 19; AKK 10454/76, Bl. 27.

  43. RAF, unveröff. Ms. (Anm. 40).

  44. Vgl. Gert Schneider/Christof Wackernagel, Der Prozeß gegen Christof und Gert ist ein Prozess gegen die RAF. Dokumentation zum Düsseldorfer RAF-Prozess, Teil III, hrsg. v. M.A.W. Hanegraaff van de Colff, Amsterdam 1980, S. 19.

  45. A[auswerungs und]I[nformations]G[ruppe] der Hauptabteilung P[ersonen]S[chutz], Operativer Auskunftsbericht über anarchistische Gruppierungen in Westberlin vom 12.2. 1975; BStU, ZA, ZAIG 14967, Bl. 68 - 77.

  46. Vgl. Volker Speitel, Ich mach das Affentheater nicht mehr mit, in: Stern, (1981) 35, S. 141.

  47. Vgl. u.a. Peter Siebenmorgen, "Staatssicherheit" der DDR. Der Westen im Fadenkreuz der Stasi, Bonn 1993, S. 227.

  48. Vgl. Inge Viett, Nie war ich furchtloser. Autobiographie, Hamburg 1996, S. 196.

  49. Information zu Aktivitäten von Vertretern der palästinensischen Befreiungsorganisation in Verbindung mit internationalen Terroristen zur Einbeziehung der DDR bei der Vorbereitung von Gewaltakten in Ländern Westeuropas, Berlin 3.5. 1979, in: BStU, ZA, HA XXII 18613, Bl. 287.

  50. Vgl. Tobias Wunschik, Magdeburg statt Mosambique, Köthen statt Kap Verden. Die RAF-Aussteiger in der DDR, in: Klaus Biesenbach (Hrsg.), Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung, Bd. 2, Göttingen 2005, S. 236 - 240.

  51. Inge Viett, Wahr bleibt ..., in: Konkret, (1992) 3, S. 28 - 29.

  52. So die Aussagen des vormaligen Mitarbeiters der MfS-Abteilung XXII Walter Lindner. Vgl. Zeugenvernehmung von Walter Lindner vom 24.1. 1991; HIS, Archiv, We,J/115,009, o. Pag.; dort auch die folgenden Informationen. Vgl. auch Süddeutsche Zeitung vom 10.1. 1992. Für seine Aussagen im Prozess gegen Viett vgl. Wolfhard Klein, "Nix, oder wie's war", in: Konkret, (1992) 10, S. 32 - 33.

  53. Vgl. Tobias Wunschik, Die Bewegung 2. Juni und ihre Protektion durch den Staatssicherheitsdienst der DDR, in: Deutschland Archiv, 40 (2007) 6 (i.E.).

  54. Vgl. Helmut Pohl, "Für uns hatte es den Zweck, Fragen zur Spreng- und Schießtechnik zu klären", in: Frankfurter Rundschau (FR) vom 2.7. 1991, S. 7 - 8.

  55. Vgl. Abschlußbericht MfS-Abteilung XXII/8 zum Hungerstreik der Gefangenen der RAF vom 21.3. 1985; BStU, ZA, HA XXII 19179, Bl. 111 - 115.

  56. Vgl. Till Meyer, Staatsfeind. Erinnerungen, Hamburg 1996.

  57. Vgl. T. Wunschik (Anm. 53).

  58. Vgl. FR vom 2.7. 1991, S. 8; die tageszeitung (taz) vom 12.6. 1992, S. 2.

  59. Hans Josef Horchem, Auch Spione werden pensioniert, Herford 1993, S. 100.

  60. Vgl. allg. Richard E. Rubenstein, The noncauses of modern terrorism, in: Charles W. Kegley (Ed.), International Terrorism: Characteristics, Causes, Controls, New York 1990, S. 127-134.

  61. Vgl. A. Straßner (Anm. 13), S. 305, S. 307, S. 313 f.

Dr. phil., geb. 1967; wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU), Postfach 218, 10106 Berlin.
E-Mail: E-Mail Link: Tobias.Wunschik@bstu.bund.de