Einleitung
Die Schreckensbilder und Schrecken des so genannten "Deutschen Herbstes"
Mit dem voluminösen zweibändigen Werk zur Roten Armee Fraktion (RAF), wie sie sich selbst überheblich nannte, um Kombattantenstatus zu beanspruchen, ist unter der Ägide von Wolfgang Kraushaar ein großer Wurf gelungen.
Wie diese Titel verdeutlichen, ist die Zeit des Terrorismus der RAF einerseits weit entfernt, andererseits bedrückend nah. Weit entfernt mutet die Zeit an, da heute kein Ernstzunehmender mehr auf den Gedanken kommt, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und fahrlässig oder gar vorsätzlich "Gewalt gegen Sachen" zu propagieren. Revolutionäre Phrasendrescherei ist so gut wie verhallt. Die Bereitschaft, Verständnis für die hehren Motive der Terroristen kund zu tun, ist eine Generation später kaum mehr begreifbar. Manche wollen nicht gerne an das erinnert werden, was sie einst zu Papier gegeben haben. Der terroristische Schrecken reicht in die heutige Zeit hinein, weil die Erinnerung an ihn Wunden aufreißt, wie etwa im Frühjahr des Jahres bei der aufgeregten Diskussion um eine mögliche Begnadigung Christian Klars zum Vorschein kam. Sie bleibt noch aus einem anderen Grund nahe. Vor dem islamistischen Terrorismus, der besonders spektakulär am 11. September 2001 sein gewalttätiges Gesicht gezeigt hat, ist auch Deutschland nicht gefeit, gibt es doch für terroristische Islamisten nicht nur den nahen Feind, den regionalen, sondern auch den fernen Feind, den transnationalen.
Dieser Beitrag spürt den Hintergründen für den "Aufstand im Schlaraffenland"
Entstehungsursachen der RAF
Wer Antworten auf die Ursachen des deutschen Terrorismus sucht, nicht in Nordirland, nicht in Katalonien, darf keineswegs monokausal argumentieren. In Buchtiteln heißt es: "Hitlers Kinder"
Vielleicht führen zehn plakativ-symbolträchtige Charakterisierungen weiter, die sich zum Teil ergänzen, zum Teil ausschließen, um die Vielfalt der Ursachen einzufangen: Die Terroristen der RAF waren nicht nur "Hitlers Kinder", sondern auch "Erhards", "Brandts", "Kennedys", "Albertz'", "Marcuses", "Dutschkes", "Guevaras", "Habaschs" und "Mielkes Kinder". Solchen, auf den ersten Blick paradox anmutenden Zuschreibungen wohnt jeweils eine doppelte Konnotation inne. Sie sind nicht im Sinne einer personellen Schuldzuweisung gemeint. Staatliche Versäumnisse rechtfertigten es nicht, einem irrationalen Gewaltkult zu huldigen.
Der Begriff "Hitlers Kinder" zielt zum einen in die Richtung, der Linksterrorismus habe in seiner Brutalität der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus geglichen. Zum andern stellt der Terminus auf das - tatsächliche oder auch nur vermeintliche - Versagen bei der "Vergangenheitsbewältigung" nach 1945 ab. Terroristen jedenfalls der ersten RAF-Generation sollen von dem behaupteten Versagen und nachträglichen Schweigen ihrer Eltern so angewidert gewesen sein und sich zum "Widerstand" ermächtigt gefühlt haben, um einen "neuen Faschismus" zu verhüten. In diesem Sinne sprach der Publizist Walter Boehlich von "Schleyers Kindern", auf dessen SS-Mitgliedschaft anspielend.
Die Wendung von "Erhards Kindern" ist erstens so zu verstehen, als habe der Wohlstand zu Verdruss bei einem Teil der jungen Leute geführt. Jedenfalls speiste sich der hiesige Terrorismus nicht aus sozialen Defiziten, im Gegenteil war die Kritik am "Konsumrausch" der Eltern verbreitet. Bekannt ist das Diktum von Susanne Albrecht: "Ich hatte die dauernde Kaviar- und Lachsfresserei satt."
"Brandts Kinder" - diese Metapher bezieht sich einerseits auf die größere Liberalität zur Zeit der sozialliberalen Koalition in vielen Bereichen. Die Experimentierfreudigkeit gewann an Bedeutung, die Reformbereitschaft nahm ebenso zu wie politisches Engagement. Andererseits konnte Liberalität in Libertinage übergehen. Autorität schlechthin wurde in Frage gestellt und war verpönt. Gesinnungsethik triumphierte oft über Verantwortungsethik. Der Zeitgeist stand links. Terroristen meinten, der höhere Zweck heilige jedes Mittel.
"Kennedys Kinder" ist eine Formel für Amerikabegeisterung wie für blinden Antiamerikanismus. Der anfänglich idealisierte US-Präsident John F. Kennedy repräsentierte Aufbruchstimmung. In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre wechselte das Lebensgefühl eines Großteils der Jugendlichen, nicht nur in Deutschland (Woodstock-Generation). Der weltweite Jugendprotest machte sich an Themen wie dem Vietnamkrieg fest. Das Amerikabild schlug wegen der Diskrepanz von Wirklichkeit und Wahrnehmung um. Nun galten für marxistisch inspirierte Kritiker die USA als Prototyp des ausbeuterischen Spätkapitalismus, der andere Völker unterdrücke.
Das Wortpaar "Albertz' Kinder" berücksichtigt weniger die unglückliche Rolle des Regierenden Bürgermeisters von Berlin im Zusammenhang mit dem Tod von Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967
Wer den Topos "Marcuses Kinder" gebraucht, richtet das Augenmerk darauf, dass die Ideologie von Theoretikern wie Herbert Marcuse mit seinem "neuen Menschen" das Argumentationsarsenal der Terroristen anreicherte. Die westliche Konsumgesellschaft galt ebenso als totalitär wie die östliche. Diese Position trug zur Delegitimierung des demokratischen Verfassungsstaates bei.
Die Lesart von "Dutschkes Kindern" meint zum einen den Befund, terroristisches Potenzial habe sich im Wesentlichen aus Teilen der Studentenbewegung rekrutiert. "Gewalt gegen Sachen" wurde gepredigt, "Gewalt gegen Personen" musste die logische Folge dieser verhängnisvollen Parole sein. Rudi Dutschke etwa, obwohl prinzipieller Gegner des individuellen Terrorismus, kokettierte immer wieder damit ("Stadtguerilla"), erstmals bei dem so genannten Organisationsreferat auf der SDS-Delegiertenkonferenz im September 1967.
"Guevaras Kinder" läuft zum einen auf das heroische Vorbild von "Che" Guevara hinaus, der seine hohen Ämter in Kuba niedergelegt hatte, um den Befreiungskampf zuerst im Kongo, dann in Bolivien eigenhändig mit dem Gewehr in der Hand zu unterstützen. Die "Propaganda der Schüsse" (Guevara) faszinierte. Zum anderen weist der Topos auf die Notwendigkeit des antiimperialistischen Befeiungskampfes hier und jetzt hin. Das "Schibboleth des Antiimperialismus" kennzeichnete die RAF-Generation. Guevara galt als "säkularer Heilsbringer für die Dritte Welt",
"Habaschs Kinder" erinnert an die wichtige, oft unterschätzte Rolle der Palästinenser vor allem für den Fortbestand des deutschen Terrorismus.
"Mielkes Kinder" steht zum einen für die vielfältige klandestine Hilfe der DDR (z.B. durch die Benutzung des Flughafens Schönefeld), die Zuträger aus den Reihen der Terroristen besaß, zum anderen für die ideologischen Rückgriffe der Terroristen auf das marxistisch-leninistische Lehrgebäude. Dabei spielte der hehre Grundsatz des Antifaschismus eine durchgängig große Rolle. Das Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" machte ungeachtet beiderseitigen Misstrauens partielle Zusammenarbeit möglich.
Alle genannten Faktoren mögen eine erklärende Funktion haben. Allerdings sind die Zuschreibungen insofern ambivalent, als sie jeweils auch eine gegenläufige Tendenz aufweisen. Die Kehrseite lautet in nuce wie folgt: Die Verbrechen der NS-Zeit waren derart monströs, dass viele deswegen jeglicher Gewalt ohne Wenn und Aber entsagt hatten; das "Wirtschaftswunder" führte zu großer Zufriedenheit bei den Menschen, hemmte revolutionären Enthusiasmus; die Reformzeit der Ära Brandt stand eher dafür, dass sich politisches Engagement innerhalb des etablierten Politikbetriebs auszahlt; die Kennedy-Zeit führte gerade zur Integration eines Teils der Jugend; der Linksprotestantismus schürte nicht den Konflikt, sondern wollte mäßigend auf die Terroristen einwirken, ohne sich mit ihnen gemein zu machen; wer politische Theoretiker wie Herbert Marcuse für Gewaltanwendung zur Verantwortung zu ziehen sucht, verkennt das komplizierte Wechselverhältnis von Theorie und Wirklichkeit, zumal ein führender Verfechter der mitunter gescholtenen Frankfurter Schule wie Jürgen Habermas früh den (später zurückgenommenen) Vorwurf des "Linksfaschismus" artikulierte; die charismatische Gestalt Rudi Dutschke schließlich war nicht bereit, den Weg in den Untergrund zu beschreiten, propagierte statt dessen den "Marsch durch die Institutionen"; für die Anwendung von Guevaras Guerilla-Konzept, das sich auf rurale Zonen bezog, lagen in den "Metropolen" keine hinlänglichen Voraussetzungen vor, fehlte es doch an einer revolutionären Situation; der Zusammenarbeit mit dubiosen palästinensischen Kräften, die zum Teil aus Söldnern bestanden, mangelte es an moralischer Glaubwürdigkeit für den beanspruchten "Internationalismus"; die Staatsicherheit der DDR versuchte, den Terrorismus unter Kontrolle zu halten und ihn nicht anzustacheln, so dass allenfalls von einem Zweckbündnis die Rede sein kann.
Ob eine Person tatsächlich den Schritt in den Untergrund wagte, hing häufig von Zufallskonstellationen und von persönlichen Beziehungsgeflechten ab. Wie biographische Auswertungen ergeben, stammt ein großer Teil der männlichen und, nicht zu vergessen, weiblichen Terroristen, zu denen überdurchschnittlich viele Studienabbrecher zählten, aus gut situierten, aber zerrütteten Familien.
Die zweite und die dritte Generation
Die Abgrenzung der drei RAF-Generationen voneinander ist zwar nicht ganz trennscharf, aber doch möglich. Unterscheidet man nach einer überwiegend neuen Zusammensetzung und einem Strategiewandel, so entstand die zweite Generation zu Beginn des Jahres 1975, als sich die Gruppe dazu entschloss, ihre kriminelle Energie auf die Freipressung der Mitglieder der ersten Generation zu setzen und dabei die gezielte Tötung von Personen in Erwägung zog, anders als dies bei den Begründern der RAF der Fall gewesen war. Der Beginn der dritten Generation dürfte auf das Jahr 1982 mit der Veröffentlichung des "Maipapiers" ("Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front") zu datieren sein. Nach einem großen personellen Aderlass ging die Gruppe zu Tötungsanschlägen auf mächtige Prominente aus Politik, Wirtschaft und dem "militärisch-industriellen Komplex" über.
Nach der Festnahme der ersten RAF-Generation 1972 schwor diese ihrem so aussichtslosen wie verderblichen Kampf gegen das demokratische Gemeinwesen nicht ab. Stattdessen entfachte sie Diskussionen über die "mörderischen" Haftbedingungen, "unwürdigen" Zellendurchsuchungen, "inhumanen" Kontaktsperren und "unzumutbaren" Leibesvisitationen. "Komitees gegen Folter" waren ein Rekrutierungsfeld für den Terrorismus. Der französische Philosoph Jean-Paul Sartre hatte sich nach einem Gefängnisbesuch bei Andreas Baader in Stuttgart-Stammheim im Dezember 1974 für die Kampagnen der RAF einspannen lassen. Der französische Dichter Jean Genet äußerte drei Tage vor der Schleyer-Entführung in "Le Monde", der Propaganda des später als Zuträger der DDR-Staatssicherheit enttarnten RAF-Anwalts Klaus Croissant gläubig vertrauend, einen kühnen Satz: "Wir verdanken es Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Holger Meins und der RAF im allgemeinen, uns klargemacht zu haben - nicht nur durch Worte, sondern durch ihre Aktionen außerhalb oder innerhalb des Gefängnisses -, dass nur die Gewalt die Brutalität der Menschen brechen kann."
Brigitte Mohnhaupt bildete das Bindeglied zwischen der ersten und zweiten RAF-Generation. In der Haftanstalt von Baader und Ensslin instruiert, ging sie nach ihrer Entlassung im Februar 1977 sofort wieder in den Untergrund und trug maßgeblich zu den Abscheu erregenden Aktivitäten des Jahres 1977 bei ("offensive 77"). Die zweite Generation setzte sich als wesentliches Ziel, die Mitglieder der ersten Generation aus den Haftanstalten zu holen. Insofern ist das Wort von "Baader-Meinhofs Kindern" überaus treffend.
Die dritte RAF-Generation zeichnete sich durch einen beträchtlichen Wandel gegenüber ihren beiden Vorgängern aus. Alexander Straßner hat dies mit den Begriffen der "Entideologisierung", "Isolierung", Professionalisierung und "Internationalisierung" umschrieben.
Charakteristisch für alle drei Generationen der RAF - und mit steigender Tendenz - war eine "Durchhalte-" und "Genickschuss-Mentalität".
Das Scheitern des RAF-Terrorismus
Die Geschichte der RAF ist die Geschichte ihres Scheiterns. "Scheitern" meint dabei zweierlei. Die RAF war politisch schon nach kurzer Zeit gescheitert, stellte sich doch schnell ihre Isolation heraus, moralisch von Anfang an: Es gab keinen, aber auch wirklich keinen Grund, in einem demokratischen Verfassungsstaat der "Propaganda der Tat" das Wort zu reden - der Sprache der Knarre nämlich.
Die inneren und äußeren Gründe für das Scheitern liegen auf der Hand. Die Taten wurden selbst im linksextremistischen Milieu, das das Avantgarde-Konzept der RAF zunehmend als unglaubwürdig ansah, kaum mehr "vermittelbar", die Begründungen dafür immer dürftiger. Durch die Konzentration der zweiten Generation auf die Gefangenenbefreiung ("big Raushole") konnte der Eindruck entstehen, als kreise alles nur um die RAF. Dies hinterließ ebenso wenig positive Wirkung im immer schwächer gewordenen Sympathisantenumfeld wie die Ermordung führender Vertreter aus Wirtschaft und Politik zur Zeit der dritten Generation.
Die transnationalen Kontakte des Terrorismus zeigten eine paradoxe Janusköpfigkeit. Auf der einen Seite gewann die RAF durch vorübergehenden Rückzug in fremde Gefilde größere Stabilität (zumal nach Festnahmen), auf der anderen Seite kamen Sonderkonflikte zur Geltung, die dem angestrebten "Internationalismus" Hohn sprachen. "Die internationale Kooperation machte die RAF stark, aber auch verwundbar."
Der Zusammenbruch des kommunistischen Weltsystems war ein schwerer Schlag für den Terrorismus, nachdem das politische Establishment anfangs befürchten musste, der "Anschluss" der DDR könne mobilisierend wirken. Als 1990 Terroristen, die Anfang der 1980er Jahre als "Aussteiger" in der DDR Aufnahme gefunden hatten, unter einer falschen Identität gestellt wurden, verschlimmerte sich die Lage für die "Illegalen" weiter, zumal die "Aussteiger" von der Kronzeugenregelung Gebrauch machten und die Information preisgaben, der "harte Kern" habe am Selbstmord von Baader, Ensslin und Raspe nicht gezweifelt. Selbst für die militante Szene wurde nun ein Festhalten an der Mordversion immer schwerer. Das Ende der SED-Diktatur beschleunigte das Ende des RAF-Terrorismus.
Die internen Konflikte der RAF, die längst keine Einheit mehr bildete, wie z.B. heftige Konflikte zwischen den Inhaftierten signalisierten, nahmen zu. Hatte sie bereits 1992 bekannt gegeben, die Angriffe auf Repräsentanten aus Staat und Wirtschaft unter bestimmten Voraussetzungen einzustellen, so erklärte sie 1998 formell ihre Auflösung. Die Bekundung war voller Selbstgerechtigkeit, nicht frei von Zynismus; auch "strategische Fehler" wie der Verzicht auf den Aufbau einer politisch-sozialen Organisation kamen zur Sprache, allerdings nur halbherzig.
Die Geschichte der RAF ist die Geschichte des demokratischen Rechtsstaates, ungeachtet von Überreaktionen und Schlampereien. Selbst wenn die Parteien über die angemessene Art der Auseinandersetzung zuweilen stritten, kam es weder zu Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien auf der einen Seite noch zu Anbiederung an terroristische Kreise auf der anderen. Auf beides hatte die RAF gesetzt. Zu keiner Zeit zeigte der herausgeforderte Staat die "Fratze des Faschismus".
Fazit und Perspektiven
Der Höhepunkt terroristischer Entschlossenheit 1977 leitete in mancher Hinsicht zugleich den Niedergang des Terrorismus ein. Nicht, dass das Morden aufgehört hätte, im Gegenteil. Aber das Sympathisantenumfeld lichtete sich angesichts der Standhaftigkeit des Staates und der in der "Szene" kaum noch nachvollziehbaren Taten immer mehr. Insofern hat Gerd Koenen Recht, wenn er das "rote Jahrzehnt" auf die Zeit zwischen 1967 und 1977 bezieht.
Erwiesen ist die Herkunft vieler Terroristen aus dem gehobenen Mittelstand. Die Schlussfolgerung, es habe sich damit nicht um einen Linksextremismus gehandelt, sondern um einen Extremismus der Mitte, ist allerdings deplatziert. Wolfgang Kraushaar, von dem die Aussage stammt, liefert das entscheidende Gegenargument selber mit: Wer diese These teilt, müsse "die soziale Herkunft von RAF-Mitgliedern wichtiger (nehmen) als ihre ideologische Selbstexplikationen".
Die Begriffe "Isolationsfolter" und "Psychoterror" benutzten zum Teil auch jene, die den Terrorismus verwarfen - sei es aus prinzipiellen Gründen, sei es aus strategischen Überlegungen. Wer den Konflikt zwischen dem Staat und den Terroristen als eine Geschichte wechselseitiger Aufschaukelung interpretierte, als unentwirrbare Geschichte von Aktion und Reaktion, unterschlug leicht die Frage nach der Verantwortung und suggerierte zudem eine Äquidistanz. Und manche trauten dem Staat gar einen Mord an den Stammheimer Terroristen zu. Die Propaganda der RAF fiel zeitweise auf fruchtbaren Boden. Doch war sie niemals in der Lage, bei den gesellschaftlich tragenden Kräften größere Resonanz zu finden. Je aggressiver die RAF vorging, umso enger hielten die demokratischen Parteien zusammen.
Die Bilanz fällt düster aus: Von den Mitgliedern der ersten Generation lebt kaum noch jemand. Entweder wurden sie getötet, oder sie schieden durch Freitod aus dem Leben, sei es aus Resignation, sei es zur Anstachelung des "revolutionären Klassenkampfes". Rechtsanwalt Horst Mahler, Gründungsmitglied der RAF, trat nach seiner RAF-Zeit zur maoistischen KPD über, im Jahre 2000 zur aggressiv rechtsextremistischen NPD, die er später wieder wegen deren - behaupteter - mangelnder Radikalität verließ. Heutzutage verficht Mahler, dem Kontakte zum islamistischen Fundamentalismus nachgesagt werden, bizarre Behauptungen, die an seiner Zurechnungsfähigkeit zweifeln lassen. Er saß kürzlich eine neunmonatige Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung ab. Nun steht er wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Hitler-Gruß) erneut vor Gericht. Bei allem Wandel seines politischen Koordinatensystems: Der Hass auf die USA ist die Grundkonstante seiner wirren Ideologie.
Auch wenn die RAF nicht mehr besteht, gibt es linksterroristische Ansätze, ohne dass Repräsentanten des "Systems" nach dem Leben getrachtet wird. Im August dieses Jahres etwa nahm die Polizei mutmaßliche Mitglieder einer "militanten gruppe" fest, die von 2001 an für Aufruhr gesorgt hatte. Die Ermittlungsbehörden werfen ihr über zwei Dutzend Brandanschläge gegen öffentliche Einrichtungen und das "Abfackeln" von "Nobelkarossen" vor, vor allem im Berliner Raum. In ausführlichen Selbstbezichtigungsschreiben sorgte sie für "Vermittelbarkeit" im "autonomen" Milieu; daher lehnte sie "Gewalt gegen Personen" strikt ab.
Wies diese Gruppe terroristische Strukturen auf, so gilt das nicht für den "Schwarzen Block", der sich bei Demonstrationen vermummt (und dabei gegen das Versammlungsrecht verstößt), durch Aggressivität auffällt, häufig auch durch Straftaten. Der "Schwarze Block", ein Teil der militanten "autonomen Szene", der nach Angaben der Sicherheitsbehörden etwa 6000 Personen zuzurechnen sind,
Wer den linksextremistischen "Schwarzen Block", der seit Anfang der 1980er Jahre existiert, in die Nähe des Terrorismus rückt, betreibt indes eine Entgrenzung des Terrorismusbegriffs. Die "Autonomen" sind eine Terra incognita der Forschung. Von der RAF, die Vergangenheit ist, lässt sich dies, wie gezeigt, nicht behaupten.