Einleitung
Parallel zu den Prozessen gesellschaftlicher Modernisierung und der zunehmenden Vielfalt von Lebens- und Familienformen vollzieht sich ein Wandel der gesellschaftlichen Sicht auf Trennungen und Scheidungen. Die idealisierte "Normalfamilie" mit einer auf Lebenszeit verbundenen Paarbeziehung scheint immer häufiger einem komplexen Arrangement von "Patchworkfamilien" zu weichen. Mit einem Wandel der Beziehungs- und Lebensformen von Erwachsenen verändern sich zwangsläufig auch die familiären Lebenswelten vieler Kinder. In der Folge leben von den insgesamt 14,4 Millionen Minderjährigen in Deutschland im Jahr 2005 15 Prozent in Einelternfamilien.
Es stellt sich die Frage nach den gesundheitlichen Auswirkungen einer Trennung und den damit verbundenen psychosozialen Belastungen von Kindern. Antworten auf diese Frage soll ein Vergleich der gesundheitlichen Risiken von Kindern in Ein- und Zweielternfamilien auf Datenbasis des Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) geben. Um die Ergebnisse der KiGGS-Studie einordnen zu können, wird vorab der bisherige Forschungsstand umrissen. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion möglicher Ansatzpunkte für eine an dieser besonderen Zielgruppe orientierten Sozial- und Gesundheitspolitik.
Folgen von Trennung und Scheidung
Ob und inwieweit die Trennung oder Scheidung der Eltern für die Kinder mit psychosozialen Belastungen und Stressreaktionen einhergehen, hängt entscheidend von der Beziehung zu dem Elternteil ab, bei dem die Kinder leben. Gelingt es den alleinerziehenden Eltern, ein stabiles und vertrauensbasiertes familiäres Umfeld zu erhalten oder neu zu schaffen, wirkt dies negativen Folgen für die Kinder entgegen.
Die hohen Anforderungen, denen sich alleinerziehende Mütter gegenübersehen, schränken ihren Handlungsspielraum massiv ein. Das hängt auch mit dem schwierigen Zeitmanagement zusammen, das sich häufig zu Ungunsten der Kinder gestaltet, die gerade in der ersten Zeit nach der Scheidung oder Trennung der Eltern ein hohes Maß an Zuwendung und Unterstützung benötigen. Diese Diskrepanz zwischen der starken Beanspruchung der Mutter und dem gesteigerten Unterstützungsbedürfnis der Kinder wird als die Hauptursache für Belastungen des Familien- und Erziehungsklimas angesehen.
Die unterschiedlichen Entwicklungskontexte müssen überdies vor dem Hintergrund des Alters und Entwicklungsstandes der Kinder gesehen werden. Kinder im Alter bis zu zehn Jahren verstehen aufgrund ihrer noch nicht entwickelten kognitiven Fähigkeiten nicht, dass die elterlichen Konflikte allein in der Paarbeziehung ihrer Eltern begründet sein können und geben sich oft selbst die Schuld für die Trennung der Eltern. Gerade in dieser Altersgruppe, in der eine verständnisvolle Unterstützung der Eltern besonders wichtig für die Kinder wäre, berichten alleinerziehende Mütter häufiger über Erziehungsschwierigkeiten und beurteilen ihren Erziehungsstil eher als autoritär im Vergleich zu alleinerziehenden Müttern mit älteren Kindern.
Das Aufwachsen mit einem alleinerziehenden Elternteil kann jedoch auch Entwicklungschancen für die Kinder eröffnen. Wenn die Konflikte zwischen den Partnern heftig sind, kann eine Trennung der Eltern ein Ausweg aus einer bereits längeren Phase psychischer Belastung der betroffenen Kinder sein. Werden Kinder aus Trennungsfamilien instrumentalisiert, so kann sich ein verminderter Kontakt zum abwesenden Elternteil für deren Belastungsempfinden günstig auswirken.
Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Lebenssituationen lässt sich festhalten, dass allgemeingültige Aussagen über den Gesundheitszustand von Kindern in Einelternfamilien nicht formuliert werden können. Es ist davon auszugehen, dass diese Kinder stärkeren Anforderungen und Belastungen ausgesetzt sind als jene in Paarbeziehungen. Ob und inwieweit es jedoch in Folge einer Trennung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Kinder kommt, soll im Folgenden ein empirischer Vergleich der Gesundheitsrisiken von Kindern in Ein- und Zweielternfamilien auf Basis des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys zeigen.
Die KiGGS-Studie
Mit dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des Robert Koch-Instituts werden bundesweit repräsentative Informationen zu vielen wichtigen Facetten der gesundheitlichen Entwicklung im Kindes- und Jugendalter bereitgestellt. Aufgrund seines großen Stichprobenumfangs ermöglicht der KiGGS tief gegliederte Analysen, auch für spezifische Bevölkerungsgruppen wie Kinder in Einelternfamilien. An der Studie, die vom Bundesministerium für Gesundheit und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert wurde, haben zwischen Mai 2003 und Mai 2006 insgesamt 17 641 Jungen und Mädchen im Alter von 0 bis 17 Jahren sowie deren Eltern teilgenommen.
Vor dem Hintergrund unterschiedlicher altersspezifischer Entwicklungsaufgaben und Gesundheitsrisiken von Kindern wird in diesem Beitrag der Schwerpunkt auf die Gesundheit von Drei- bis Zehnjährigen in Ein- und Zweielternfamilien gelegt.
Ausgewählte Ergebnisse der KiGGS-Studie
Die Ergebnisse zeigen zunächst, dass sowohl in Zwei- als auch in Einelternfamilien ein Großteil der Eltern den allgemeinen Gesundheitszustand ihrer Kinder als sehr gut oder gut bewertet. Nach Einschätzung der Eltern haben 95 Prozent der Kinder in Zweielternfamilien eine gute und sehr gute Gesundheit; in Einelternfamilien wird der Gesundheitszustand der Kinder zu 93 Prozent als gut und sehr gut bewertet.
Wesentlich größere Unterschiede zwischen Kindern in Ein- und Zweielternfamilien sind festzustellen, wenn die Eltern nach psychischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder befragt werden. In der KiGGS-Studie wurde mit dem Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ) ein Instrument eingesetzt, das Hinweise auf emotionale Probleme, Verhaltensprobleme, Hyperaktivität und Probleme im Umgang mit Gleichaltrigen liefert.
Es zeigt sich, dass Alleinerziehende die Probleme ihrer Kinder in allen vier Problembereichen signifikant häufiger als auffällig einstufen als Eltern in partnerschaftlichen Familien (vgl. Tabelle 1 der PDF-Version).
Zur Verbreitung von Übergewicht bei Kindern konnten für Deutschland bislang keine verlässlichen Angaben gemacht werden. In der KiGGS-Studie ist dies auf Basis von Messwerten zu Körpergewicht und Körpergröße möglich.
Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Kinder aus Einelternfamilien seltener Sport treiben (vgl. Abbildung der PDF-Version). Bei Mädchen ist dieser Unterschied noch deutlicher ausgeprägt als bei Jungen. Eine altersdifferenzierte Betrachtung weist ferner auf deutliche Unterschiede bei den sieben- bis zehnjährigen Jungen hin: 25 Prozent der Jungen in alleinerziehenden im Vergleich zu 14 Prozent der Jungen in partnerschaftlichen Haushalten treiben seltener als einmal in der Woche Sport. Diese Unterschiede zeigen sich vor allem beim Vereinssport, während sich die sportliche Betätigung außerhalb eines Vereins bei Kindern in Ein- und Zweielternfamilien ähnlich darstellt. Eine Erklärungsmöglichkeit hierfür könnten geringe materielle und zeitliche Ressourcen der Ein- im Vergleich zu Zweielternfamilien sein.
Zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wurde im Rahmen von KiGGS der KINDL-R-Fragebogen eingesetzt, der sich in epidemiologischen Untersuchungen bereits als Lebensqualitäts-Screening-Instrument bewährt hat. Im Rahmen der Untersuchung sind den Eltern 24 Fragen zur Lebensqualität ihrer Kinder gestellt worden. Insgesamt wurden sechs Dimensionen der Lebensqualität berücksichtigt, die in Form von ausgewählten Items in Tabelle 2 (vgl. PDF-Version) abgebildet sind.
Auf Basis der Einschätzung der Eltern zeigen sich in fast allen Lebensbereichen erhebliche Differenzen zwischen Kindern in Ein- und Zweielternfamilien, allein die Unterschiede der elterlichen Aussagen zum körperlichen Wohlbefinden ihrer Kinder fallen vergleichsweise gering aus und sind nicht signifikant. Im Geschlechtervergleich zeigen den Elternangaben zufolge Jungen in fast allen Bereichen höhere Anteile als Mädchen. Lediglich der emotionale Bereich wird von alleinerziehenden Müttern bei ihren Töchtern als vergleichsweise problematisch eingeschätzt: 21 Prozent der Mädchen und 16 Prozent der Jungen in Einelternfamilien fühlen sich nach Einschätzung ihrer Mütter mindestens manchmal alleine. Bei Jungen in Einelternfamilien ist besonders das Selbstwertgefühl belastet. Auch die familiären Probleme sowie die Probleme mit Aufgaben in der Kita oder Schule scheinen aus Sicht der alleinerziehenden Mütter bei Söhnen stärker als bei Töchtern ins Gewicht zu fallen. Probleme mit Gleichaltrigen werden von den Alleinerziehenden hingegen sowohl bei ihren Söhnen als auch bei ihren Töchtern als vergleichsweise hoch eingeschätzt.
Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Lebensbedingungen der Ein- als auch der Zweielternfamilien stellt sich die Frage, ob bzw. wie die gesundheitliche Situation der Kinder durch weitere Merkmale der Lebenslage beeinflusst wird. Hinsichtlich psychischer und Verhaltensprobleme lassen sich auf der Grundlage der KiGGS-Daten vor allem für die Schulbildung der Mutter und die Wohnregion bedeutsame Effekte feststellen. Bei Müttern mit niedriger Schulbildung sind die Unterschiede zwischen Kindern aus Ein- und Zweielternfamilien größer als bei Müttern mit einem höheren Schulabschluss. Bemerkenswert sind darüber hinaus die geringen und nicht signifikanten Unterschiede bezüglich der Einschätzung psychischer Probleme und Verhaltensauffälligkeiten zwischen Ein- und Zweielternfamilien in den ostdeutschen im Vergleich zu westdeutschen Bundesländern. Diese Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland sind nicht zuletzt vor dem unterschiedlichen Selbstverständnis und Erfahrungshintergrund der Mütter und deren Belastungserfahrungen zu interpretieren.
Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) haben gezeigt, dass sich bereits im Kindesalter ein Zusammenhang zwischen der gesundheitlichen und der sozialen Situation feststellen lässt. Vor allem die psychosoziale Situation der Kinder wird von alleinerziehenden Müttern in vielen Bereichen als problematischer eingeschätzt als von Eltern in partnerschaftlichen Beziehungen. Auffällig sind insbesondere geschlechtsspezifische Unterschiede: Es wurde deutlich, dass Jungen in fast allen untersuchten Bereichen nach Einschätzung der Eltern größere Probleme haben als Mädchen. Obgleich die Mädchen bezüglich der psychischen und Verhaltensprobleme eine niedrigere Betroffenheit aufweisen, sind die Differenzen zwischen den Mädchen in Ein- und Zweielternfamilien größer als bei den Jungen. Insofern scheint hier die soziale Situation vor allem bei Mädchen einen größeren Effekt zu haben. Diese Ergebnisse erweitern den Blick auf geschlechtsspezifische Unterschiede, da in bisherigen Untersuchungen insbesondere bei Jungen auf den Zusammenhang zwischen Ein-Elternschaft und kindlichen Verhaltensauffälligkeiten verwiesen wurde.
Vor dem Hintergrund der vor allem psychosozialen Ungleichheiten von Kindern in unterschiedlichen Lebensformen sollten politische Interventionen nicht nur auf die Stärkung der familiären Ressourcen gerichtet sein, sondern es sollten auch direkte Unterstützungsangebote für belastete Kinder geschaffen werden. Alleinerziehende können meist weniger familieninterne Ressourcen mobilisieren als partnerschaftliche Familien. Sinnvoll wäre eine Unterstützung, nicht allein durch vermehrte finanzielle staatliche Transferzahlungen oder steuerrechtliche Entlastungen, sondern insbesondere auch durch ein bedarfsgerechtes Angebot flexibler Arbeitsverhältnisse und Karrieremodelle in Verbindung mit einem dichten Netz alltagserleichternder Betreuungs- und Versorgungsinfrastruktur. Eine "nachhaltige Familienpolitik"
Eine direkte Unterstützung von Kindern aus belasteten Trennungsfamilien ermöglichen Gruppeninterventionsprogramme, in denen die persönlichen Ressourcen für die Bewältigung der familiären Belastungen gefördert werden. Ziel entsprechender Interventionsmaßnahmen ist es unter anderem, eine elternunabhängige Perspektive der Kinder zu stärken.