Einleitung
Als am 1. Mai 2004 mit großen Freudenfeiern die zehn so genannten Luxemburgstaaten der EU beitraten, wurden Malta und Zypern von den meisten Medien nur "unter ferner liefen" erwähnt. Dies mag erstaunen, wenn man bedenkt, welches Konfliktpaket die EU mit Zypern in ihre Mitte aufnahm. Lediglich eine Woche vor der EU-Erweiterung war Zypern in die Schlagzeilen geraten, als sich am 24. April die griechisch-zyprische Bevölkerung in einem Referendum überraschend gegen eine Wiedervereinigung der Insel aussprach.
Dabei ist die außergewöhnliche Position Zyperns in der EU nicht zu übersehen, schon rein geographisch nicht. Im östlichen Mittelmeer gelegen, ist Zypern nur rund 68 km von der türkischen Südküste entfernt, 95 km von der Westküste Syriens und 325 km von Ägypten (im Vergleich dazu beträgt die Entfernung zu Rhodos 385 km und zum griechischen Festland 830 km). Zypern ist daher nicht nur für das europäische Verständnis von geostrategischer Bedeutung. In Anspielung auf ihre längliche Form sprach 1983 der damalige türkische Präsident Turgut Özal von einer "Insel, die die Mitte der Türkei wie ein Dolch durchbohrt"; sie sei unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten für sein Land lebenswichtig.
Kann es sich Europa überhaupt leisten, einen de facto geteilten Staat als Außenposten zu akzeptieren? Dass der Norden der Insel von einem Drittstaat (Türkei) militärisch besetzt wird, der seinerseits die EU Mitgliedschaft anstrebt, gehört zu den Widersprüchen der aktuellen Situation. Die Bemühungen der EU, Nordzypern wirtschaftlich und finanziell zu unterstützen, ohne dabei in den Verdacht einer juristischen Anerkennung der TRNZ zu geraten, sind nur ein Beispiel dafür, wie die EU in einer im Prinzip unhaltbaren politischen Grauzone laviert. Schließlich kann sich die EU nicht mehr der Frage entziehen, welche Rolle das Zypernproblem zukünftig in ihrer Türkeipolitik spielen wird. Denn spätestens mit der Eröffnung der EU-Beitrittsperspektive für Zypern 1995 sind die türkisch-europäischen Beziehungen zur Geisel des Zypernkonfliktes geworden.
Sollte Zypern dem Schengenabkommen beitreten, würde sich die Beibehaltung des Status quo noch problematischer gestalten, da die sogenannte Grüne Linie nicht hermetisch abgeriegelt ist. Eine "Grenzkontrolle" durch Zypern und die EU käme aber einer impliziten Anerkennung dieser Grenze gleich.
Weshalb hat sich die EU darauf eingelassen, den Zypernkonflikt zu "importieren"? Einerseits haben seit den ersten Beitrittsbemühungen Zyperns in den neunziger Jahren viele EU-Politiker fest daran geglaubt, dass die Integrationsdynamik und die wirtschaftlichen Anreize des EU-Beitritts als Katalysator wirken und sich die beiden Inselteile noch vor dem Beitritt wiedervereinigen würden. Mit dieser Prognose hat sich die EU aber verkalkuliert.
Andererseits drängte das EU-Mitglied Griechenland als "Schutzpatron" der Republik Zypern von Anfang an darauf, den Beitrittsantrag der Insel anzunehmen, und übertönte damit die Skeptiker innerhalb der Union. Griechenland hat außerdem entscheidend Druck ausgeübt, um den Beitritt Zyperns von der Wiedervereinigung der beiden Inselteile als Vorbedingung für deren Beitritt abzukoppeln. Damit war der Republik Zypern ein wichtiger Anreiz genommen, die Lösung des Konflikts voranzutreiben. Die EU-Mitgliedschaft hatte sie unabhängig vom Ergebnis der Verhandlungen mit dem Norden sozusagen schon "in der Tasche". Die EU hat damit ein wichtiges Druckmittel für die Lösung des Zypernkonflikts aus den Händen gegeben. Schließlich hat auch die unklare Linie der EU bei den Verhandlungen zwischen beiden Inselteilen sowie eine Fehleinschätzung des seit über dreißig Jahren andauernden Konflikts dazu beigetragen, dass am 1. Mai 2004 ein geteilter Staat in die EU aufgenommen wurde.
Die Teilung Zyperns wird zuweilen einer misslungenen Entkolonialisierung zugeschrieben. Die auf den Garantieverträgen von Zürich und London (1959) begründete Republik war weniger das Ergebnis einer konzertierten Entscheidung zweier Volksgruppen als eine Kompromisslösung, die der Insel von außen aufgezwungen wurde und vor allem auf die Interessen der drei Garantiemächte Großbritannien, Griechenland und der Türkei einging. Mit der militärischen Besetzung Nordzyperns durch die türkische Armee 1974 wurde die Teilung zementiert und legte den Grundstein für politische, juristische und finanzielle Querelen zwischen beiden Volksgruppen.
Die Überwindung der Teilung wird zusätzlich durch ein politisches Statusproblem erschwert, das auf unterschiedlichen Grundkonzepten der beiden Volksgruppen basiert. Die Zyperngriechen machen keinen Hehl aus ihrer Präferenz für ein zentralistisches Staatsmodell. Die türkisch-zyprische Minderheit hingegen befürchtet, dass ein solches Modell die Gleichstellung beider Volksgruppen aushöhlen würde und befürwortet stattdessen ein föderalistisches, aus zwei autonomen und gleichberechtigten Staaten bestehendes System. In diesem Sinne fordert sie die offizielle Anerkennung des Existenzrechts der TRNZ.
Zu diesen diversen politischen Unvereinbarkeiten kommen wirtschaftliche Differenzen hinzu, die den Weg zur Versöhnung noch zusätzlich erschweren. So trug die wirtschaftliche Isolierung Nordzyperns auf internationaler Ebene dazu bei, dass der Norden immer mehr in die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit abdriftete, während der Süden ständig wuchs. Das wirtschaftliche Gefälle zwischen beiden Inselteilen - mit einem rund dreimal niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen im Norden als im Süden - hat bisher jegliche Lösungsansätze für eine Wiedervereinigung untergraben.
Aber auch kulturell haben sich die beiden Inselteile auseinander gelebt, was die Identifikation mit einer vereinigten Republik Zypern in Frage stellt; kaum jemand aus der jüngeren Generation spricht noch die Sprache der anderen Volksgruppe. Die Emigrationspolitik der Türkei vergrößerte diesen kulturellen Graben, indem sich im Laufe der Jahre Zehntausende von Festlandtürken in Nordzypern ansiedelten. Dass viele der Festlandtürken als Anreiz für ihre Übersiedlung Teile der 1974 enteigneten Länder erhalten haben, macht das Zypernproblem nicht gerade einfacher.
Der EU-Beitritt Zyperns
Als die Republik Zypern am 3. Juli 1993 den Beitrittsantrag einreichte, blickten die Vereinten Nationen (VN) auf über zwanzig Jahre erfolglose diplomatische Verhandlungen in der Zypernfrage zurück. Die Türkei befürchtete, dass eine Wiedervereinigung der Insel ohne Gleichberechtigung beider Teilstaaten einer Anerkennung der Republik Zypern gleichkommen würde und blockierte deshalb konsequent alle VN-Vorschläge. Der EU-Beitrittsantrag Zyperns weckte in dieser Patt-Situation neue Hoffnungen, dass als positiver Nebeneffekt der Beitrittsverhandlungen die Teilung der Insel endlich überwunden werden könnte.
Im Unterschied zu den neun anderen Beitrittskandidaten waren die Gründe für den Beitrittsantrag Zyperns - den reichsten der Beitrittsanwärter - nicht wirtschaftlicher, sondern hauptsächlich geopolitischer Natur. Die Republik Zypern war sehr daran interessiert, ihre politische und juristische Identität zu konsolidieren, um ihre Alleinvertretungsansprüche für die ganze Insel zu untermauern. Generell ging es Zypern letztlich aber auch um die Teilhabe an einem neuen Allianzsystem, das versprach, die zyprischen Interessen und die staatliche Integrität der Insel gegenüber externen Einflüssen (sprich: der Türkei) besser beschützen zu können als das System der Garantiemächte von 1960.
Verstimmt gegen die europäischen Ambitionen des Südens reagierte die "alte Garde" um den nordzyprischen Präsidenten Rauf Denktas, der enge Kontakte zur türkischen Generalität pflegte. Denktas bestand auf der Beibehaltung des Status quo und lehnte alle Zugeständnisse ab, die einen Einschnitt in die Autonomie Nordzyperns bedeutet hätten. Er erklärte einen Beitrittsantrag im Namen der gesamten Insel ohne Zustimmung der TRNZ für illegal und drohte mit einer Einverleibung Nordzyperns in die Türkei, sollte die Republik Zypern der EU beitreten.
Ein Großteil der nordzyprischen Bevölkerung sah das allerdings anders. Während die später eingewanderten Festlandtürken als wichtigste politische Stütze Rauf Denktas galten, traten die politische Opposition um Mehmet Ali Talat, die Gewerkschaften und die Studenten für einen Ausgleich mit dem Süden und einen EU-Beitritt ein. Sie sahen darin die einzige Möglichkeit, Nordzyperns Isolation zu durchbrechen.
Wie so oft in ihrer Geschichte hat die EU auch in der Frage des Zypernbeitritts das Kunststück vollbringen müssen, zwischen den Extrempositionen ihrer Mitglieder eine einigermaßen kohärente Politik zu formulieren. Seit dem EU-Beitritt Griechenlands 1981 unternahm Athen enorme Anstrengungen, die Zypernfrage auf die Agenda der EU zu setzen. Dem griechischen Einfluss ist es auch zuzuschreiben, dass schon sehr früh der EU-Beitritt der Türkei an die Zypernfrage gekoppelt wurde. Griechenland konnte dabei mit der Unterstützung des europäischen Parlaments rechnen, das sich aus völkerrechtlichen Gründen für einen Rückzug der türkischen Truppen aus Nordzypern aussprach.
Das Ergebnis war, dass die EU von ihrer bislang neutralen Rolle abwich und sich im Sinne des internationalen Rechts und unter Betonung der Rolle der VN für eine Lösung des Zypernproblems einsetzte. Diese Wende hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Art und Weise, wie der Beitrittsantrag Zyperns in den neunziger Jahren vom EU-Rat angenommen wurde. Erstens konnte die Republik Zypern auch hier wieder mit der großzügigen Unterstützung Griechenlands rechnen: Athen hat mit seiner Drohung, im Falle einer Ablehnung Zyperns die gesamte Erweiterungsrunde zu blockieren, den Prozess erheblich beschleunigt. Zweitens hat der Rat im Sinne der VN stets seinen Willen betont, beide Inselteile in den europäischen Prozess zu integrieren. Damit positionierte sich die EU in der Zypernfrage, riskierte aber, die Grüne Linie als faktische Außengrenze der EU schlicht zu ignorieren.
Die Ablehnung des "Annan-Plans"
Wie auch immer die verschiedenen Akteure zum Beitrittsantrag Zyperns standen: Dieser hat zweifelsohne zwei Jahre lang eine neue Dynamik in den Friedensprozess gebracht. Auf Druck der EU wurden im Januar 2002 zwischen dem zyprischen Präsidenten Glafkos Kliridis und Rauf Denktas Gespräche mit dem Ziel einer umfassenden Lösung des Zypernproblems unter der Schirmherrschaft der VN aufgenommen. Weniger als zwei Wochen vor der EU-Erweiterung wurde der Gesamtbevölkerung Zyperns ein vom VN-Generalsekretär Kofi Annan erarbeiteter Friedensplan zur Abstimmung vorgelegt, der eine lose Konföderation aus zwei Bundesstaaten und auf gesamtstaatlicher Ebene ein Modell mit einem Ober- und Unterhaus vorsah.
Am 24. April 2004 wurde der so genannte Annan-Plan von den Zyperngriechen mit einer überwältigenden Mehrheit von 76 Prozent der Stimmen abgelehnt, während die Zyperntürken ihn mit 65 Prozent der Stimmen annahmen. Damit entschied sich der Süden letztlich auch dafür, den Norden aus dem europäischen Integrationsprozess herauszuhalten und die Anwendung des gemeinschaftlichen Besitzstandes auf die Republik Zypern zu beschränken. Erweiterungskommissar Günter Verheugen zeigte sich schwer enttäuscht von der Wahl der Zyperngriechen und betonte den Willen der EU, Nordzypern nicht "draußen in der Kälte" stehen zu lassen.
Nachdem sich die Emotionen gelegt hatten, traten die eigentlichen Auswirkungen des gescheiterten Referendums zu Tage. Die Hoffnung auf eine baldige Lösung des Zypernkonflikts war nun endgültig begraben worden, nach 2004 gab es keine nennenswerten Vorschläge für die Wiedervereinigung der Insel mehr. Auf der Insel selbst vergingen zwei Jahre, bevor von offizieller Seite im Juli 2006 wieder zaghafte - und kaum überzeugende - Schritte in Richtung Dialog unternommen wurden. Außerdem legte die Kommission im Sommer 2004 ein Hilfspaket in Höhe von 259 Millionen Euro für Nordzypern vor, das an ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Norden der Insel gekoppelt war. Damit sollte erstens dem Anschein entgegengewirkt werden, dass der türkische Inselteil für seine Kooperationsbereitschaft bestraft, der griechische dagegen für sein Nein beim Referendum mit einem EU-Betritt belohnt würde. Zweitens sollte verhindert werden, dass sich die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen dem weiterhin isolierten Norden und dem nun im Schlepptau der EU stetig anwachsenden Süden noch verstärkten. Das Versprechen der EU-Kommission, die Isolierung Nordzyperns zu beenden, wurde jedoch bislang nicht eingelöst, da Zypern die Hilfs- und handelspolitischen Maßnahmen der EU seit 2004 blockiert. Durch ihre Blockade sucht die süd-zyprische Regierung jegliche Anzeichen einer Anerkennung des nord-zyprischen Teils zu verhindern, die als eine Verneinung des Alleinvertretungsanspruchs von Nikosia interpretiert werden könnten.
Der Zypern-Faktor in den türkisch-europäischen Beziehungen
Die komplexen Konstellationen nach dem Scheitern des Annan-Plans führten noch vor dem offiziellen Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei 2005 beinahe zu einer "Zugkollision", wie Erweiterungskommissar Olli Rehn bemerkte. Die Dynamiken auf der Insel beeinflussten die türkisch-europäischen Beziehungen auf zweierlei Weise. Zum einen sah sich die Türkei aus geopolitischen Sicherheitsinteressen und als Schutzpatron der Inseltürken in der Pflicht, die Souveränitätsbehauptungen der TRNZ zu unterstützen. Zum anderen wurde spätestens auf dem Luxemburg-Gipfel 1997 durch die Ernennung Zyperns zum EU-Beitrittskandidaten die Lösung des Konflikts auf der Insel an die Frage des EU-Beitritts der Türkei gekoppelt.
Das Junktim zementierte sich, als Brüssel auf dem Helsinki-Gipfel 1999 die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Ankara an zwei Bedingungen knüpfte: Das Land musste Kompatibilität mit den Kopenhagener Kriterien erreichen und seine Nachbarschaftsprobleme mit Zypern (und Griechenland) dauerhaft lösen. Mit dem offiziellen Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der EU im Oktober 2005 wurde die Lage für die Türkei noch problematischer, da sie einen EU-Mitgliedsstaat völkerrechtlich nicht anerkannte. Auch verkleinerte sich der politische Handlungsspielraum Ankaras, als Zypern als Vollmitglied der Union neue Vetomöglichkeiten gegen die Türkei erhielt.
Die Republik Zypern lehnt den EU-Beitritt der Türkei so lange ab, wie Ankara den Inselnorden besetzt hält. Doch lehnt Nikosia einen Abbruch der Verhandlungen ab, da es hofft, durch die "Europäisierung" der Türkei deren Kompromissbereitschaft hinsichtlich der Insel zu erhöhen. Ansatzpunkt dieser Hoffnung ist die Tatsache, dass durch die Demokratisierung der Türkei im Zuge der EU-Annäherung der Einfluss der reaktionären politischen Kräfte - insbesondere des Militärs - geschwächt wird. Denn diese lehnen eine Regelung des Zypernkonfliktes unter Preisgabe der Souveränität Nordzyperns ab. In der Tat ließ sich in der türkischen Zypernpolitik ab 2003 ein neues Profil erkennen. Der Wandel von der Ansicht, dass die Aufrechterhaltung des Status quo als solche auch eine Lösung sei, hin zur Unterstützung des Annan-Plans wurde im EU-Fortschrittsbericht 2004 anerkannt.
Die Zypernkrise 2005
Die jüngsten Spannungen, welche beinahe die von Olli Rehn beschriebene "Zugkollision" ausgelöst hatten, waren die Streitigkeiten zwischen Brüssel und Ankara im Zuge der Zypernkrise 2005. Auf den ersten Blick ging es um die Interpretation der EU-Zollunion, im Kern aber um die völkerrechtliche Anerkennung Zyperns durch die Türkei. Brüssel forderte Ankara auf, das Zusatzprotokoll zum Abkommen über die Zollunion zu unterzeichnen, das den Freihandelsraum auf die neuen EU-Mitglieder ausdehnen und türkische Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge öffnen sollte. Die Türkei verweigerte kategorisch die Unterzeichnung, da sie einer indirekten Anerkennung der Republik Zypern als alleinige Inselvertreterin gleichkäme. Dies war für Ankara nur denkbar, wenn Brüssel im Gegenzug den Grundsatz der politischen Gleichheit der Inseltürken unterstrich und direkte Handelsbeziehungen mit Nordzypern aufnahm.
Innerhalb der EU wurde die Diskriminierung eines Mitglieds durch die Haltung Ankaras einstimmig kritisiert. Jedoch bestand kein Konsens, wie reagiert werden sollte. Die Stimmen reichten von einer Suspendierung des Beginns der Beitrittsverhandlungen (Österreich) bis hin zur planmäßigen Aufnahme der Verhandlungen, für die ja die Anerkennung Zyperns nie zur Vorbedingung gemacht worden sei (Dänemark). Die Türkei drohte mit dem Rückzug ihres Beitrittsgesuchs, falls neue Auflagen gestellt würden. In der türkischen Öffentlichkeit ließ die Haltung Brüssels am Bekenntnis der EU zur Türkei zweifeln und gab nationalistischen Kräften Anlass, die EU-Forderungen als Heuchelei der Union zu diffamieren. Unglaubwürdig war die EU insofern, als Brüssel einerseits den Alleinvertretungsanspruch der griechisch-zypriotischen Regierung akzeptierte, andererseits aber ihre volle Unterstützung für den Annan-Plan und Möglichkeiten der Handlungsbeziehungen mit dem Norden der Insel anbot.
Fazit und Perspektiven
Die Zypernfrage ist ein komplexes Problem. Angesichts der nach dem gescheiterten Referendum von 2004 neu eingetretenen Patt-Situation zwischen der Republik Zypern und der Türkei stellt sich die Frage nach der Zukunft des zyprischen Wiedervereinigungsprozesses.
Als positive Entwicklung ist die innenpolitische Öffnung Zyperns in den letzten Jahren hervorzuheben. 2005 wurde der pro-europäische Kandidat Mehmet Ali Talat zum neuen Präsidenten des türkischen Nordteils gewählt und löste Rauf Denkta? ab. Eine ähnliche Öffnung könnte bald auch in der Republik Zypern stattfinden, wo der Hardliner Tassos Papadopoulos vom populären Chef der Linkspartei AKEL Demetris Christofias herausgefordert wird. Letzterer will sich für eine Überwindung der Teilung der Insel einsetzen und hat bereits für Februar 2008 seine eigene Präsidentschaftskandidatur angekündigt.
Ob Talat und Christofias die nationalistischen Fußstapfen ihrer Vorgänger so einfach werden verlassen können, bleibt jedoch abzuwarten. Außerdem dürfte eine innenpolitische Wende kaum für einen grundlegenden Wandel ausreichen, wenn die EU nicht zusätzlichen Druck ausübt. Einige Experten sind der Meinung, dass die supranationale Rolle der EU eine wichtige Funktion bei der Überwindung der Teilung der Insel spielen könnte, da die Bedeutung von Souveränität dadurch relativiert wird, dass wesentliche politische Entscheidungen nun in Brüssel fallen.
Auch aus der Türkei werden nach den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Sommer 2007, aus denen die amtierende Regierung und Unterstützerin des Annan-Plans als Siegerin hervorging, verstärkt positive Signale erwartet. Die Regierung bekräftigte ihren Willen, nicht nur den innenpolitischen Reformprozess weiterzuführen, sondern auch den EU-Beitritt des Landes voranzutreiben. Dass damit unweigerlich weitere Konzessionen in der Zypernfrage verbunden sind, ist den politischen Akteuren in Ankara bewusst. Gegenwind könnten sie aber verstärkt vom Militär bekommen, dem seit Sommer 2006 der Hardliner Yasar Büyükanit als Generalstabschef vorsteht. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger mischt er sich vermehrt in die Politik ein und lehnt Zugeständnisse in der Zypernfrage ab.
Mangels eines umfassenden Plans hat die EU ihr Augenmerk unterdessen auf kleinere Projekte gerichtet, die eine Kooperation beider Volksgruppen in technischen Bereichen wie der Verwaltung des Abwassersystems und der Renovierung der Altstadt Nikosias fördern sollen. Besonders hervorzuheben ist die positive Entwicklung im Bereich des freien Personenverkehrs. Tausende von Touristen und Einheimischen besuchten seit der Öffnung der Grünen Linie an einigen strategischen Durchgangsstellen den anderen Inselteil.
Die "Politik der kleinen Schritte" der EU ist aber für eine politische Lösungsfindung letztlich unbefriedigend. Die zentrale (und längerfristige) Frage des zukünftigen politischen Status Zyperns wird damit bewusst umgangen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei drohen derweil immer wieder am Zypernproblem zu scheitern. Eine klare Linie ist von der EU, die zwischen den Extrempositionen ihrer Mitglieder gefangen ist, aber kurzfristig wohl nicht zu erwarten. Noch zu oft stehen die realpolitischen Nationalinteressen der EU-Mitgliedsstaaten im Vordergrund. Griechenland hat bisher in der Zypernfrage erfolgreich Druck ausgeübt, um die EU im Sinne der griechisch-zypriotischen Positionen zu beeinflussen. Zypern selbst hat als EU-Mitglied die Möglichkeit, unerwünschte Initiativen zu blockieren. Großbritannien unterstützt zwar die europäische Integration der Türkei, sein direktes Interesse liegt aber in der Beibehaltung des Status quo und des Systems des Garantievertrags von 1960, das ihm die beiden Militärstützpunkte Akrotiri und Dekelia zugesteht. Pessimistisch stimmt außerdem, dass sich die Positionen der Hardliner nach dem Scheitern des Annan-Plans auf lange Zeit verfestigt haben. Umfragen belegen, dass die Idee einer Zwei-Staaten-Lösung immer mehr Unterstützer auf beiden Seiten der Trennungslinie findet, und zwar vor allem bei der jüngeren Generation.
Trotz der vorherrschenden Schwierigkeiten und dem fortdauernden Zypernkonflikt kann die EU nicht untätig bleiben. Einerseits könnte es immer schwieriger werden, angesichts der verhärteten Fronten eine befriedigende Lösung zu finden. Die beiden Inselteile werden sich weiterhin wirtschaftlich auseinander entwickeln. Schon jetzt sind Zweifel berechtigt, ob die Einführung des gemeinschaftlichen Besitzstandes wirtschaftlich gesehen im Norden überhaupt realistisch ist. Andererseits wird die ungelöste Zypernfrage auch in Zukunft die Beziehungen zwischen Ankara und Brüssel vergiften. Zypern dürfte weiterhin seine Vetomacht innerhalb der EU gegen den Beitritt der Türkei nutzen, solange Ankara keine Zugeständnisse in der Zypernfrage macht. Die türkische Regierung wird jedoch die Republik Zypern nicht anerkennen, wenn sie im Gegenzug nicht die Zusage zum EU-Beitritt erhält.
Über kurz oder lang wird die EU eine Lösung des Zypernkonflikts finden müssen, der sich in ihren eigenen Grenzen abspielt. Es steht zuviel auf dem Spiel: Die Duldung einer international nicht anerkannten politischen Einheit innerhalb des EU-Raumes stellt nicht nur die Glaubwürdigkeit der europäischen Institutionen in Frage, sondern auch die Fähigkeit der EU, eine komplexe geopolitische Krise in ihrem eigenen Territorium zu lösen. Eine Abwendung der Türkei von Europa kann sich die EU aus geopolitischer Sicht auch nicht leisten. Um nicht tiefer im türkisch-zypriotischen Treibsand zu versinken, wird die EU von ihrer "Sowohl-als-Auch"-Politik Abschied nehmen müssen.