Einleitung
Kaum ein Thema der osteuropaorientierten Politikwissenschaft ist trotz des starken öffentlichen Interesses in den vergangenen Jahren so vernachlässigt worden wie die Frage nach den Formen und Ursachen des politischen Extremismus. Namen wie Gennadij Zjuganov und Vladimir Zirinovski sind hierzulande den meisten Menschen ein Begriff, und das mediale Interesse wandte sich den antidemokratischen Kräften in Ostmitteleuropa nicht erst seit deren jüngsten Erfolgen bei den Parlamentswahlen 2005 bzw. 2006 zu. Dennoch existierte für den postkommunistischen Raum bislang keine länderübergreifende Darstellung der extremistischen Parteien aus Rechts- und Linksextremismus vergleichender Perspektive.
Dies hat mehrere Ursachen: Zum einen konzentrierte sich die wissenschaftliche Aufmerksamkeit vor allem in den vergangenen Jahren auf die EU-Beitrittsbemühungen der ostmitteleuropäischen Länder und die dominante Machtpolitik Vladimir Putins in Russland in Richtung einer defekten bzw. gelenkten Demokratie.
Bei dem Vergleich der extremistischen Parteien in Osteuropa geht es darum, strukturelle und inhaltliche Gemeinsamkeiten von extremistischen Parteien herauszuarbeiten, aber auch länderspezifische Unterschiede aufzuzeigen. Der vorliegende Beitrag geht der Frage nach, welche Ideologien und Taktiken antidemokratische Akteure in Osteuropa besitzen, auf welchen Nährboden diese in den Staaten Russland, Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn stoßen und welche Gefahren sich daraus für die demokratische Konsolidierung im postkommunistischen Raum ergeben.
Ursachen extremistischer Wahlerfolge
Hauptverantwortlich für das Aufkommen und Erstarken von Extremismus in Osteuropa sind die Probleme bei der Modernisierung und Transformation der postkommunistischen Staaten. Der Umbau von staatssozialistischen Gesellschaften zu Demokratie und freiem Markt verlangte nach Leistungen, welche sich in den meisten Staaten Osteuropas als schwieriger zu realisieren herausstellten als angenommen bzw. erhofft. Infolge des gewaltigen Umfangs einer dreifachen Transformation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft und ihres enormen Tempos entstanden zahlreiche Konfliktfelder, die eben nicht den erhofften Wohlstand für alle, sondern gravierende Unterschiede von Transformationsgewinnern und -verlierern als Ergebnis der marktwirtschaftlichen Demokratisierung brachten.
Es besteht eine auffallende Übereinstimmung zwischen den Faktoren, die einerseits für einen gelungenen Systemwandel notwendig sind und andererseits das Auftreten von Extremismus begünstigen, je nachdem wie erfolgreich bzw. erfolglos sie zur Verwirklichung der politischen Ziele beitragen. Gilt die Änderung von sozialistisch geprägten Mentalitäten zur Entwicklung einer Zivilgesellschaft als vorrangige Transformationsaufgabe, bietet gerade das Fehlen von demokratischem Verständnis eine Chance zur extremistischen Etablierung. Erbringt der politische Output der Transformation nicht die erhofften Leistungen, stärkt dies extremistische Protestler mit ihren vermeintlich populistischen Alternativen zu politischen Institutionen und marktwirtschaftlichen Bedingungen. Sollen die sozialen Nachteile des Wandels zum Gelingen der Transformation durch solidarischen Ausgleich und Verteilungsgerechtigkeit korrigiert werden, schaffen gerade diese Spannungen Angriffsflächen für Extremisten. Während die Orientierung der osteuropäischen Staaten an der Europäischen Union und an den globalen Märkten den Anschluss an internationale Konkurrenzfähigkeit und weltweite Vernetzung bedeutet, betonen Extremisten den Verlust von Arbeitsplätzen und nationaler Eigenständigkeit. Die Beispiele zeigen, dass zwischen der erfolgreichen Lösung der zentralen Transformationsaufgaben und den Mobilisierungsmöglichkeiten des Extremismus ein Zusammenhang besteht. Allen Fortschritten zum Trotz ergeben sich in Osteuropa aufgrund der Tiefe und Gleichzeitigkeit des Systemwandels zahlreiche Mobilisierungspotenziale für Extremisten.
Allerdings unterschlägt ein verengter Blick auf die Transformationsprobleme in Osteuropa die Nachwirkungen der totalitären Vergangenheit. Die Rückbesinnung auf die Ideologien des Vorkriegsnationalismus und auf die des Sozialismus ist vielmehr eine eigenständige Ursache, als Folge der tiefgreifenden Transformationsprozesse, denn selbst im Idealfall einer allseitig gelungenen, reibungslosen und vollendeten Transformation wäre es vermutlich zum Auftreten von Extremismus gekommen. Die offizielle Unterdrückung bzw. Denunzierung des Nationalismus seit der Teilung Europas und die ideologische Leere nach dem Ende des Sozialismus führten nach dem Zusammenbruch des Ostblocks zu jenem ideologischen Vakuum, das für Teile der Osteuropäer neu und fremd war. Die tatsächliche Instrumentalisierung des Nationalismus durch den Kommunismus und die "Autoritätsfixiertheit"
Formen des parteipolitischen Extremismus
Wie die Differenzierung der Extremismusursachen in historische und aktuelle Faktoren verdeutlicht, ist die Situation, in der Extremisten in Osteuropa ihre Ablehnung gegenüber Modernisierung und Demokratie profilieren, anders gewachsen als in Westeuropa. In Ostmitteleuropa folgte der Epoche des Nationalismus nahtlos der Übergang zum Kommunismus. In der Sowjetunion wurde unter Stalin der Nationalismus ersatzweise zum identitätsstiftenden Element der delegitimierten kommunistischen Ideologie. Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn und in besonderer Weise Russland waren also in ihrer jeweils nationalen Historie beiden zentralen Ideologien des 20. Jahrhunderts ausgesetzt, deren geistige Grundlagen den heutigen Rechts- und Linksextremismus definieren. Dies hat nachhaltige - positive wie negative - Auswirkungen auf die extremistischen Bewegungen.
Einerseits ist ein gewaltiges Heer an objektiven und subjektiven Wendeverlierern empfänglich für Alternativen zur Demokratie. Nationalistische Rückbesinnung, ethnozentrische Überbetonung, Diskriminierung von Minderheiten und an sie gerichtete Schuldzuweisungen für die aktuelle Misere sowie die Ablehnung internationaler Kooperationen sind scheinbar plausible Lösungen für die Benachteiligten des Wandels. Auch sozialistische Planwirtschaft statt kapitalistischem Ausverkauf und alte diktatorische Rechts- und Ordnungsvorstellungen werden mit zeitlichem Abstand von einem Teil der Osteuropäer als wünschenswert empfunden im Vergleich zum gegenwärtigen demokratischen System.
Andererseits haben die Jahrzehnte des selbst- und fremdbestimmten Nationalismus sowie des Sozialismus extreme Politik beider Richtungen delegitimiert. Trotz des Unmutes angesichts kultureller Verunsicherung und sozioökonomischer Unwägbarkeiten haben extremistische Parteien, die einen radikalen Systemwechsel fordern, kaum Chancen, mehr als marginale Minderheiten für sich zu gewinnen. Die meisten Akteure des extremistischen Spektrums sind sich dieser paradoxen Ambivalenz von Zu- und Abneigung gegenüber extremer Politik bewusst und ziehen daraus ihre Schlüsse. Auf den ersten Blick verbinden klassische Rechts- bzw. Linksextremisten ihre Ideologien und Forderungen mit denen des gegensätzlich extremen Lagers. Bei den ehemaligen kommunistischen Parteien liegt der Grund für die Aufnahme nationalistischer Positionen vor allem in der Suche nach neuer, variierter Legitimität. Die in Verruf geratene linke Ideologie wird zum eigenen Macht- bzw. Statuserhalt kompensiert und durch nationale Betonung erweitert. Für traditionelle oder vormals rechtsextreme Parteien ist es weniger die fehlende Legitimität, sondern vielmehr Machtpragmatismus, der sie zur Involvierung linker Themen und Thesen veranlasst. Mit ein wenig "Ostalgie", sozialistischer Produktionsweise, d.h. der Arbeit für alle, sozialer Gerechtigkeit und der Einbettung des Ganzen in einen nationalistisch legitimierten Kontext, sind eben nicht nur ehemalige überzeugte bzw. halbüberzeugte Sozialisten, sondern auch einstige Kommunismusgegner zu gewinnen. Für Extremisten ergeben sich daraus einerseits vielfältigere Möglichkeiten, Alternativen zur Demokratie zu präsentieren, andererseits doppelte Mobilisierungsmöglichkeiten von Wählern am rechten wie am linken Rand.
Von jenen elf extremistischen Parteien in Russland, Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn, die bei den jeweils jüngsten nationalen Parlamentswahlen die meisten Stimmen gewannen, sind zehn nicht den klassischen Kategorien Rechts- und Linksextremismus zuzurechnen. Lediglich die Ungarische Partei der Wahrheit und des Lebens (MIÉP) weist ausschließlich rechtsextreme Merkmale auf. Ihre Ideologie idealisiert und überhöht das historische Ungarntum. Programmatisch setzt sie vor allem auf Ausländer- und Minderheitenfeindlichkeit.
Denn auch die tendenziell nationalistischen Kräfte Ostmitteleuropas berufen sich zwar meist eindeutig auf nationalistische Vorbilder, verbinden aber in aktuellen Fragen national übersteigerte Forderungen mit sozialistischen - vor allem antikapitalistischen - Lösungen. Entgegengesetzt zu den vormals linksextremen Parteien, welche nun in nationalistischen Gewässern fischen, versuchen Teile der Rechten, die mit wachsender zeitlicher Distanz immer positiver beurteilte linkstotalitäre Vergangenheit für den eigenen Erfolg zu instrumentalisieren. Um zugleich ihre strikte Antikommunismusposition nicht zu verlassen, bemühen sich Parteien wie die Republikaner in Tschechien, die Slowakische Nationalpartei (SNS) und Polens Familienliga (LPR), wohlkalkuliert zwischen eigenen nationalen Errungenschaften und einer von ausländischen Mächten verschuldeten linkstotalitären Verschwörung zu differenzieren.
In Russlands roter Nationalgeschichte sind diese Gräben nach über 70 Jahren Staatskommunismus indessen fast zugeschüttet, die Siege und Niederlagen, die Errungenschaften und Verfehlungen, die Freund- und Feindschaften der Sowjetunion sind ungefiltert in das nationale Erbe Russlands übergegangen. Wer sich im heutigen Russland antidemokratisch inszenieren möchte, kommt nicht darum herum, historische Bezüge zur linkstotalitären Vergangenheit zu suchen. Die fast ein Jahrhundert zurückliegende zaristische Epoche übt allein nicht mehr genügend Anziehungskraft aus, um als zweifaches Gegenmodell zum demokratischen System und zum Kommunismus bestehen zu können. Ihre Daseinsberechtigung gewinnen Russlands Extremisten nicht durch die Befehdung entlang der Konfliktlinie rechts und links, sondern durch die konstruierte Zuspitzung des Gegensatzes nationalistisch-kommunistisch versus demokratisch-kapitalistisch. Alle drei extremistischen Parlamentsparteien Russlands - die KPRF, Zirinovskis LDPR und Rodina - gründen ihre heutigen Weltanschauungen auf Ideen des russischen Nationalismus und des sowjetischen Kommunismus, sie verbinden somit sozialistische mit ethnozentrischen bzw. rassistischen Politikzielen.
Stärke und Schwäche extremistischer Akteure
Betrachtet man die extremistischen Parteien hinsichtlich Ihrer Größe und gesellschaftlichen Relevanz, dann fällt auf, dass gerade die erfolgreichen extremistischen Parteien in Osteuropa nicht den eindeutigen Kategorien Rechts- und Linksextremismus zuzuordnen sind. Nur nahezu irrelevante Bewegungen existieren an den unvermischten Enden der politischen Topographie. Große Zustimmung bei Wahlen erhalten momentan geschichtlich unvorbelastete Nachwendeparteien wie die Familienliga (LPR) und Samoobrona (Selbstverteidigung) in Polen sowie Rodina (Heimat) in Russland. Die beiden ersteren gelangten nach den Wahlen 2005 in die polnische Regierung, bevor die national-konservative Koalition aufgrund von Streitereien und Korruptionsvorwürfen zwischen Premierminister Jaroslaw Kaczynski und seinem Vize Andrzej Lepper im Sommer 2007 zerfiel. Dem neuen russischen Parteibündnis um Rodina werden für die Zukunft gute Aussichten bescheinigt, eine feste Position als dauerhaft zweitstärkste parlamentarische Kraft in Russland einnehmen zu können. Die Chancen, welche aus ihrer vermeintlichen historischen Unschuld resultieren, gefährden die Demokratie doppelt: Die Parteien erzielen Wahlerfolge, weil sie ideologisch unvoreingenommen einen populistischen rechtslinksextremen Politikmix kreieren und zugleich jede eigene Verantwortung für die nationalistischen und kommunistischen Unrechtsregime abweisen können. Somit gelten sie für die demokratischen Parteien im Gegensatz zu den historisch belasteten antidemokratischen Parteien als koalitions- und regierungsfähig.
Der ideologisch und programmatisch durchmischte Charakter der extremistischen Parteien ist entscheidend verantwortlich für dessen Ausmaß. Die erfolgreichsten antidemokratischen Akteure in Osteuropa sind alle als populistisch zu bezeichnen. Mit wenig offensichtlicher Demokratiefeindschaft, aber vereinfachten Lösungsansätzen und stereotypen Feindbildern gelingt es "gemäßigten" Extremisten, wesentlich mehr Zuspruch zu finden als den klar antidemokratischen und radikal autoritären Parteien. Die Kategorien rechts oder links spielen für die Stärke und die Richtung der jeweiligen Populismen kaum eine Rolle. Das beantwortet jedoch nicht die Frage, warum es in Polen und Russland gleich mehrere erfolgreiche extremistische Parteien gibt; warum in der Slowakei die klar extremistische SNS mit den zumindest demokratisch fragwürdigen Populisten der HZDS und Smer regiert; in Tschechien indessen mit der KSCM nur eine nennenswerte antidemokratische Kraft existiert und in Ungarn extremistische Parteien fast überhaupt nicht vorhanden sind, obwohl auch die dortigen Extremisten populistisch agieren und argumentieren.
Aufschlussreich ist es, die Gelegenheitsstrukturen extremistischer Etablierung für die fünf Staaten zu vergleichen. In Tschechien und Ungarn liegt das Pro-Kopf-Einkommen weit höher als in allen anderen postkommunistischen Ländern - mit Ausnahme Sloweniens. Die Arbeitslosenquoten befinden sich mit etwa acht Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt. Der Wandel von veralteten Ökonomien mit unrentablen primären und sekundären Sektoren zu modernen Dienstleistungsgesellschaften scheint weit fortgeschrittener als in Polen, der Slowakei und vor allem in Russland. Dort sind noch immer überdurchschnittlich viele Menschen in der nur bedingt konkurrenzfähigen Landwirtschaft beschäftigt. Daraus resultieren deutliche Einkommens- und Wohlstandsunterschiede zwischen den prosperierenden Metropolen und den östlichen Landesregionen. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung liegt in Tschechien und Ungarn unter dem EU-Durchschnitt, in Polen und der Slowakei dagegen deutlich darüber, von Russland ganz zu schweigen.
Neben diesen aktuellen Gründen ergibt sich allerdings auch aus dem historischen Erbe ein signifikanter Unterschied für das Ausmaß von parteipolitischem Extremismus. Der Zusammenbruch des Kommunismus wurde in den Zwangsdiktaturen der Ostblockstaaten als Akt der nationalen Befreiung wahrgenommen. Abgesehen von Tschechien, dem einzigen Land mit einer gewissen kommunistischen Tradition, verschwand die marxistisch-leninistische Ideologie so schnell aus den Köpfen der Menschen wie sie nach Ende des Zweiten Weltkrieges über sie hereingebrochen war. Die positive Verklärung der realsozialistischen Situation vor 1989 unterlag nach der historischen Wende einer gründlichen, wenn auch nicht lückenlosen Revision des eigenen Geschichtsbildes. Die Situation in Russland ist anders: Das Ende des Kommunismus, noch mehr der Zerfall des sowjetischen Imperiums wurde nie als Sieg über die Diktatur, sondern als Niederlage einer ganzen Nation wahrgenommen. Die anschließende historische Aufarbeitung erfolgte nur halbherzig und jenseits der breiten Bevölkerungsmassen. Die Konsequenz daraus, dass antidemokratische Politik nie angemessen gewürdigt bzw. verurteilt wurde, ist ein starker Hang der meisten Russen zu diktatorischen und kollektivistischen Ordnungsvorstellungen, wie sie extremistische Parteien vertreten: 43 Prozent der Russen halten heute die Diktatur für die beste Regierungsform, 54 Prozent sprechen sich sogar für die Abschaffung des Parlamentes zu Gunsten eines starken Führers aus.
Schlussfolgerungen
1995 resümierte der Vorsitzende der liberalen Partei Jabloko, Grigorij Javlinskij: "Armut in Russland bringt immer Kommunismus und Faschismus."
Gleichwohl blieb die bisweilen hysterisch prophezeite Rückkehr des Nationalismus in Form sich epidemisch ausbreitender extremistischer Organisationen auch fast zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa aus. Nicht nur das: In Anbetracht der wesentlich günstigeren Entstehungsbedingungen - verglichen mit Westeuropa - ist der Extremismus in den postkommunistischen Ländern sogar eher schwach ausgeprägt. Extremistische Parteien, die bei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielen, gab und gibt es auch in Westeuropa. Der Argumentation folgend, dass die dreifache Transformation von Politik, Gesellschaft und Ökonomie gewaltige soziale Spannungen produziert, hätte es daher eigentlich zu einem noch massiveren Auftreten extremer Akteure kommen müssen. Dies ist nicht eingetreten und legt den Schluss nahe, dass die sozialistischen Gesellschaften unter dem angestaubten Mantel ihrer politischen Führungen weit moderner waren, als allgemein angenommen wird. Abseits der Staatspropaganda entwickelten die Bevölkerungen vielleicht kein umfassendes Demokratieverständnis, dafür aber eine latente Ablehnung dogmatischer und antidemokratischer Politik. Die historischen Hinterlassenschaften - einerseits delegitimierte antidemokratische Herrschaftspraxis, anderseits autoritär geprägte Mentalitäten - fördern und hemmen somit paradoxerweise gleichermaßen den heutigen Extremismus Osteuropas.
Die entscheidende Frage, ob der Extremismus in Osteuropa weiter wachsen, stagnieren oder zurückgehen wird, hängt wesentlich mit der künftigen sozioökonomischen Entwicklung zusammen. Eine sichere Wachstumsprognose zu geben, ist sehr schwierig. Auf lange Sicht werden sich die nationalen Volkswirtschaften Osteuropas festigen und die Staaten im Wohlstandsniveau weiter zu Westeuropa aufschließen. Dauer und Ausmaß der Verbesserungen sind jedoch kaum vorhersehbar. Der Prozess könnte unter dem Einfluss weltweit möglicher Rezessionen und neuer politischer Krisen noch einige Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, in Anspruch nehmen. Von der EU-Mitgliedschaft versprechen sich viele Bürger Ostmitteleuropas dagegen eine schnelle Verbesserung der Lebensqualität. Diese Hoffnungen könnten vielerorts (und besonders in den armen östlichen Regionen der einzelnen Länder) enttäuscht werden. Der Beitrag der 15 EU-Altmitglieder zur ökonomischen und gesellschaftlichen Integration der neuen Staaten wird somit entscheidende Auswirkungen auf die Entwicklung des Extremismus in den ostmitteleuropäischen Ländern haben. Fest steht aber auch, dass der EU-Finanzrahmen spätestens seit der Aufnahme Bulgariens und Rumäniens Anfang 2007 neu zu verhandeln ist und die Milliardentransfers innovativer als bisher auf die subventionsbedürftigen Industrie- und Agrarsektoren verteilt werden müssen. In Russland bleibt abzuwarten, ob der Kreml die momentan sprudelnden Staatseinnahmen aus dem Erdöl- und Erdgasverkauf auch für die Beseitigung der sozialen Probleme ausgeben wird. Doch die deutliche Verbesserung der Lebensbedingungen für 25 Millionen Russen kann nicht von heute auf morgen gelingen. Es bleibt die Hoffnung, dass die Menschen in Osteuropa nicht die Geduld verlieren.