Mit Ausnahme der militärischen Konflikte des Bürgerkriegs und des Zweiten Weltkriegs fand die extremste Gewalt in der sowjetischen Geschichte während der Zeit der "Zweiten Revolution" und dem Aufstieg Stalins zum allmächtigen Diktator - 1928 bis 1938 - statt. Doch selbst in der poststalinistischen Ära lebte die Bedrohung durch die Gewalt, die in der Oktoberrevolution ihren Ausgang genommen hatte, auf subtile Art weiter: in der Überwachung der Sowjetbürger; in der strengen Kontrolle der Ausreise, der Bewegungsfreiheit und der Kontakte mit Ausländern; im Zensurapparat sowie in der Infiltration des öffentlichen und privaten Lebens durch die Partei und die Geheimdienste.
Genozid
Der Ursprung des Begriffes "Genozid" ist auf die Arbeit von Raphael Lemkin zurückzuführen, ein polnisch-jüdischer Rechtsanwalt, geboren in der Nähe von Bialystok. Das Erstarken des Faschismus im Europa zwischen den Weltkriegen schürte seine Besorgnis. Schon vor dem Aufstieg Hitlers hatte er eine Vision von internationalen Institutionen, deren Aufgabe darin bestehen sollte, Angriffe gegen soziale oder ethnische Minderheiten abzuwehren.
Bei der Madrider Versammlung des Völkerbundes 1933 schlug Lemkin vor: "Wer aus Hass gegenüber einer rassischen, religiösen oder gesellschaftlichen Gruppe, oder mit der Absicht, eine solche auszurotten, eine strafbare Handlung gegen das Leben, die körperliche Integrität, Freiheit, Würde oder wirtschaftliche Existenz einer Person, die einer solchen Gruppe angehört, unternimmt, macht sich des Verbrechens der Barbarei schuldig (...)."
Hitlers Einmarsch in Polen zwang Lemkin zur Flucht in die USA. 1944 veröffentlichte er eine Dokumentensammlung für das US-Kriegsministerium, "Axis Rule in Occupied Europe". Darin erörterte er erstmals seine Definition von Völkermord: Die Ausrottung von Völkern und ethnischen Gruppen wird als "Genozid" bezeichnet, ein Ausdruck, der von dem griechischen genos (Stamm, Rasse) und dem lateinischen cide abgeleitet wird. Lemkin hatte indes Verbrechen gegen soziale oder politische Gruppen nicht erwähnt, um einerseits das Augenmerk auf die Schrecken des NS-Regimes in Europa zu lenken und andererseits Schwierigkeiten zu vermeiden, die seine offiziöse Publikation in der Sowjetunion, damals noch geschätzter Alliierter, hätte hervorrufen können.
Auch nach dem Krieg arbeitete Lemkin an der Aufnahme seines Begriffes und seiner rechtlichen Konsequenzen in die öffentliche und juristische Debatte. Doch in Nürnberg blieb der Begriff Genozid in der Schlusserklärung des Internationalen Gerichtshofes unerwähnt. Der zentralen Rolle, die die Sowjets in Nürnberg spielten, war es geschuldet, dass der Schwerpunkt auf den NS-Verbrechen gegen die Sowjetunion lag und nicht auf denen, die sich die Sowjets während des Krieges hatten zuschulden kommen lassen. Nach Ende der Nürnberger Prozesse gegen die Hauptkriegsverbrecher setzte sich Lemkin bei den Vereinten Nationen (UN) für die Verabschiedung einer internationalen Konvention ein. Seine Publikationen erwiesen sich als Motor für die Verabschiedung der UN-Konvention über den Völkermord. Der erste Schritt war die am 11. Dezember 1946 einstimmig von der Generalversammlung angenommene Resolution 96 (I): Sie verurteilte Völkermord als "Verbrechen nach dem Völkerrecht (...), ob er aus religiösen, rassischen, politischen oder irgendwelchen anderen Gründen begangen wurde", und beauftragte den Wirtschafts- und Sozialrat mit dem Entwurf einer Konvention. Im Juli 1947 sah ein Entwurf des UN-Sekretariats vor, "die Zerstörung rassischer, nationaler, sprachlicher, religiöser oder politischer Gruppen von Menschen zu verhindern".
Diese frühen Entwürfe der Völkermordkonvention schlossen politische Gruppen ein. Doch die Sowjets, die Polen und einige nichtkommunistische Mitglieder der Ausschüsse und Kommissionen sträubten sich. "Politische Gruppen", beharrten die Sowjets, seien "in einer wissenschaftlichen Definition von Völkermord vollkommen unangebracht"; sie einzuschließen würde "den Kampf gegen den Genozid behindern". Die Polen betonten, sie seien gegen "die Auslöschung und Verfolgung von Menschen, aus welchen Gründen auch immer", und würden weiterhin gegen die Hinrichtung (linksradikaler) "Geiseln in Spanien, Griechenland und anderswo" protestieren. Doch das sei nicht dasselbe wie Völkermord. Als Genozid galt das, was an Polen, Russen und Juden während des Krieges durch die Nazis verbrochen wurde.
Am Ende höhlten die Sowjets die Beschlussfassung so weit aus, dass ein Kompromiss geschlossen und die Konvention einstimmig angenommen werden konnte. Das US-Außenministerium hielt es nicht für "angemessen", auf die Aufnahme wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Gruppen zu pochen, wenn sie damit die Unterstützung für die Konvention aufs Spiel gesetzt hätten. In der Völkermordkonvention, die von der UN-Generalversammlung am 9. Dezember 1948 einstimmig verabschiedet wurde, wurde Völkermord als "Akte" definiert, die "mit der Absicht begangen wurden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche, ganz oder teilweise, zu zerstören".
Stalinismus und Völkermord
Fortan war es schwierig für Wissenschaftler, über Genozid als Produkt des sowjetischen Systems zu sprechen. Die Sowjets waren bemüht, sowohl in der UNO als auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen "politische Gruppen" als zu wenig definierbar darzustellen. Und dennoch hat die Sowjetunion in den vielen Fällen stalinistischen Massenmordes gerade solche Kategorien geschaffen. Die über 30.000 "Kulaken", die erschossen wurden, und die zwei Millionen, die während der Kollektivierung in den Hohen Norden, nach Sibirien und Zentralasien deportiert wurden, sollten eine identifizierbare soziale und politische Kategorie reicher Bauern darstellen, im Gegensatz zu den armen und mittelständischen. In Wirklichkeit handelte es sich um eine erfundene Gruppe von echten und vermeintlichen Gegnern der Kollektivierung. Ebenso wurden die Millionen, die den "Großen Säuberungen" 1937/38 zum Opfer fielen, frei erfundenen Gruppen aus echten und vermeintlichen Gegnern zugeordnet. 700.000 Menschen wurden zwischen August 1937 und Anfang November 1938 hingerichtet oder auf andere Weise getötet, durchschnittlich 1.500 pro Tag. Nach objektiven moralischen Kriterien hätten die Angriffe der stalinistischen Regierung auf ihr eigenes Volk in die Völkermordkonvention aufgenommen werden müssen.
Es gibt eine zentrale Schwierigkeit bei der Diskussion der Frage, ob die stalinistischen Massenmorde als Genozid zu bezeichnen sind: der implizite Vergleich mit dem Holocaust. Niemand zweifelt daran, dass die Nazis Völkermord begangen haben. Gerade weil die Sowjetunion großen Anteil daran hatte, dass der Krieg gegen NS-Deutschland gewonnen wurde, und weil sie in diesem Kampf rund 27 Millionen Menschen verloren hatte, scheute man davor zurück, die sowjetischen Verbrechen in eine Reihe mit jenen der Nazis zu stellen.
Doch beginnen wir unsere Skizze des stalinistischen Genozids mit einem Rückblick auf die Geschichte der ukrainischen Hungersnot (Holodomor). Robert Conquest hat Pionierarbeit geleistet; mittlerweile gibt es umfangreiche Dokumentationen und Analysen. Unmittelbarer Hintergrund der Hungersnot war die "Zweite Revolution", die von Stalin ab 1928 unternommen wurde. Der Staat finanzierte das halsbrecherische Tempo der Industrialisierung, indem er die Bauern in Kolchosen organisierte und die Getreideernten kontrollierte. Es sei unumgänglich, so das Regime, die "Kulaken" (Großbauern) anzugreifen (Dekulakisierung) und diese vermeintliche Oberschicht gewaltsam zu vertreiben. Im Zuge dieses blutigen und dysfunktionalen Prozesses wurden Getreidelieferungen blockiert, und mit zunehmender Selbstverständlichkeit wurde Getreide gewaltsam beschlagnahmt. 1931 machte das requirierte Getreide in den größten Anbauregionen der Ukraine und des nördlichen Kaukasus bereits bis zu 46 Prozent der gesamten Ernte aus. Viele Bauern mussten aufgrund der Getreideknappheit ihr Vieh schlachten. Passiver Widerstand von Seiten der Bauernschaft veranlasste Stalin dazu, ihr noch höhere Requirierungsquoten aufzuerlegen. Kolchosen, die noch Samenkornreserven für die Ernte im kommenden Jahr besaßen, mussten diese an die Behörden abgeben. Beinahe die Hälfte aller Bauernaufstände gegen die Kollektivierung im Jahre 1930 fanden in der Ukraine statt. Stalin befürchtete, dass es polnische Agenten und ukrainische Nationalisten auf die Sowjetrepublik abgesehen hätten: "Wir könnten die Ukraine verlieren", schrieb er am 11. August 1932 an Lasar Kaganowitsch.
Am 27. November 1932 betonte Stalin, wie wichtig es sei, "Kolchosenbauern und Kolchosen", die sich den Beschlagnahmen widersetzten, "KO zu schlagen". Inzwischen hatte die Hungersnot alle ländlichen Gebiete der Ukraine erfasst, im Norden auch das Gebiet um den Kuban, das einen großen ukrainischen Bevölkerungsanteil aufwies. Die Grenzen zwischen der Ukraine und Russland wurden abgeriegelt; Stalin war erbost, dass "mehrere Zehntausend ukrainische Kolchosenbauern" schon "in alle europäischen Teile der UdSSR" geflohen waren und "unsere Kolchosen mit ihrem Gejammer und Gewinsel demoralisieren". Ukrainischen Bauern wurde der Zutritt in die Städte verwehrt; Angebote aus dem Ausland für Lebensmittelspenden an die Ukraine wurden abgewiesen: Die Regierung bestritt, dass es eine Hungersnot gab. Als sich die Krise 1933 zuspitzte, schoben Stalin, Molotow, Kaganowitsch und andere die Schuld für die Hungersnot auf die Ukrainer. Die Qualen der Landbevölkerung drangen bis zum Kreml vor, doch Stalin tat nichts dagegen. Vier bis sechs Millionen Ukrainer starben.
Kann die ukrainische Hungersnot als Genozid bezeichnet werden? Es gibt viele Beweise dafür, dass die sowjetische Regierung die Umstände, die zur Hungersnot führten und es den Ukrainern unmöglich machten, sich Nahrung zu beschaffen, stillschweigend geduldet hat. Die internationale Rechtswissenschaft stellte jüngst im Zusammenhang mit den Prozessen gegen die serbischen Kriegsverbrecher, die das Massaker an bosnischen Muslimen in Srebrenica (Juli 1995) verübt hatten, fest, dass schon die Tat als Völkermord anzusehen sei, ohne dass nachgewiesen werden müsse, dass sich Einzeltäter schuldig gemacht hätten. Es scheint keine ausreichenden Beweise dafür zu geben, um Stalin persönlich des Völkermordes zu überführen, obgleich er verantwortlich handelte und gut unterrichtet über die schrecklichen Folgen seines Handelns war.
Kennzeichnend für den Genozid an den Ukrainern war brutale Gewalt gegen die Bevölkerung. Jörg Baberowski vermutet, dass dieser Hang zur Gewalt aus dem kaukasischen Hintergrund Stalins und vieler seiner Handlanger herrührte, und dass der Anklang, den sie in den unteren Rängen der Partei und der Geheimpolizei gefunden hat, auf die Rückständigkeit der russischen Bauern zurückzuführen sei. Auffallend ist die Gleichgültigkeit gegenüber menschlichem Leid, die die sowjetischen Regierungskreise in der Zeit Stalins an den Tag legten. Während ukrainische Bauern täglich zu Zehntausenden verhungerten, zeigte der Kreml nicht das geringste Mitgefühl. Stalin, Molotow, Kaganowitsch und andere erklärten die ukrainischen Bauern zu "Feinden des Volkes", die den Tod verdient hätten.
Dieselbe Abgestumpftheit gegenüber dem Tod und dem Leiden herrschte in der Leitung des Gulag-Systems. Nicholas Werth hat die "Tragödie von Nasino" rekonstruiert: An die 5.000 "sozial schädliche Elemente" wurden als "Sondersiedler" nach Sibirien deportiert und nach ihrer Überstellung von Tomsk am 18. Mai 1933 auf der Insel Nasino ausgesetzt. Ein Drittel war bereits stark abgemagert und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Als der Hunger immer schlimmer wurde, breitete sich Kannibalismus aus. Die tragischen Umstände, die zur Entstehung der berüchtigten "Kannibaleninsel" führten, hinderten die Behörden nicht daran, am 27. Mai einen weiteren Konvoi von 1.200 "sozial schädlichen Elementen" aus Tomsk überzusetzen. Einige Deportierte versuchten zu fliehen, indem sie improvisierte Flöße bauten, aber die meisten ertranken oder wurden erschossen. Im Juli, als sich die Lage endlich besserte, waren nur mehr 2.200 Menschen am Leben.
Zwischen dem Beginn der "Zweiten Revolution" und 1953, dem Todesjahr Stalins, gingen rund 18 Millionen Menschen durch den Gulag; weitere sechs Millionen wurden als "Sondersiedler" ins Exil geschickt. Auf seinem Höhepunkt 1950 gehörten mehr als sechs Millionen einem Teil des weitläufigen "Archipels Gulag" an. Die Zahl der Toten in der Zeit zwischen 1934, als mit den Aufzeichnungen begonnen wurde, und 1953 betrug über eine Million; die meisten starben an Unterkühlung, Überarbeitung oder Hunger. Wie die schrecklichen Todesfälle bei der "Tragödie von Nasino" und während der ukrainischen Hungersnot war der Tod im Gulag von Gleichgültigkeit und lähmender Brutalität des Systems begleitet. Und doch unterschied sich der Gulag von den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten: "Im Gulag starben sowjetische Häftlinge gewöhnlich nicht aufgrund der Effizienz derer, die sie gefangen nahmen, sondern auch als Folge grober Ineffizienz und Vernachlässigung."
Das Vorgehen Stalins gegenüber als "feindlich" definierten Nationalitäten kommt dem Verständnis von Völkermord, wie er in der UN-Konvention von 1948 definiert wird, am nächsten. Im Februar 1944 ließen Stalin und Beria fast 500.000 Tschetschenen und Inguschen, die gesamte Bevölkerung dieser beiden verwandten Völker, nach Kasachstan und Kirgisien deportieren, weil sie angeblich mit den Nazis kollaboriert hätten. Nach Angaben tschetschenischer Historiker starben fast 40 Prozent der Deportierten unterwegs oder kurz nachdem sie an ihrem Zielort angekommen waren. Wie auf Nasino wurden auch die Tschetschenen in unbewohnte Gegenden verfrachtet, und der Proviant, der zur Verfügung gestellt werden sollte, kam nie an. Wie auf Nasino beklagten Berichterstatter des Geheimdienstes NKWD die Inkompetenz ihrer Kameraden und die mangelnde Effizienz der Annahmestellen. Die wahren Schuldigen waren jene, die an der Spitze des Systems standen, Stalin, Beria und andere, deren größtes Anliegen es war, die Tschetschenen und Inguschen aus dem Nordkaukasus zu vertreiben.
Die Deportationen der "bestraften Völker" und deren hohe Todesrate im Exil kommen dem Wesen und rechtlichen Status eines Genozids sehr nahe. Noch bedeutsamer sind die Hinrichtungen einer beträchtlichen Zahl von Angehörigen nationaler Minderheiten, die während der "Großen Säuberungen" zahlenmäßig mehr gelitten haben als die Russen. Das ungeheuerlichste Beispiel stalinistischen Genozids dieser Art war die von Stalin und Beria angeordnete Hinrichtung von 22.000 polnischen Offizieren und Funktionsträgern im März 1940. Als die Sowjets 1939 Ostpolen (das heutige westliche Weißrussland und die westliche Ukraine) besetzt hatten, internierten sie polnische Männer und deportierten deren Familien nach Kasachstan und Zentralasien. Beria behauptete, die Offiziere seien "Todfeinde der Sowjetmacht" und müssten eliminiert werden. Offiziere des NKWD und der Roten Armee exekutierten die Polen in Ostaschkow, Starobelsk und Katyn; Stalin beschuldigte die Nazis. Erst nach dem Ende der Sowjetunion wurden Beweise für Stalins und Berias Beteiligung an den Hinrichtungen offen gelegt.
Der Rote Terror
Die Russische Revolution war von extremer Gewalt geprägt, die "sich über kurz oder lang mit kaum abgestufter Intensität gegen alle nichtbolschewistischen Akteure" richtete. Als der Bürgerkrieg auf die Revolution folgte, prägte sich diese Kultur der Gewalt tief in die neuen staatlichen Institutionen ein. Lenins radikale Antworten auf die Probleme der Revolution trugen dazu bei. Am 11. August 1918 erteilte er, erzürnt über einen Bauernaufstand von "Kulaken" in Penza, folgenden Befehl:
"Kameraden! Der Aufstand der fünf Kulaken-Bezirke muss erbarmungslos niedergeschlagen werden. Die Interessen der gesamten Bevölkerung machen dies erforderlich, denn der letzte entscheidende Kampf mit den Kulaken ist bereits überall im Gange. Es muss ein Exempel statuiert werden.
1. Mindestens einhundert bekannte Kulaken, Reiche, Blutsauger, sind zu erhängen (öffentlich, damit die Leute es sehen).
2. Ihre Namen sind zu veröffentlichen.
3. Ihr gesamtes Getreide ist zu konfiszieren.
4. Geiseln sind zu bestimmen - wie im gestrigen Telegramm angeordnet.
Das alles hat auf solche Weise zu geschehen, dass in einem Umkreis von mehreren Hundert Werst die Leute sehen, zittern, wissen, schreien; sie strangulieren die Kulaken, diese Blutsauger!
Telegramm-Empfang ist zu bestätigen und auszuführen.
Lenin
Finden Sie wirklich harte Leute" Solche Aussagen finden sich wiederholt in Lenins Anweisungen. Am 28. April 1919, im Zusammenhang mit einem Druckerstreik, hieß es: "Die Moskauer Tscheka muss unter den Streikenden und deren Delegierten, ohne Rücksicht auf frühere Bedenken, erbarmungslos Verhaftungen durchführen"; als Antwort auf den Widerstand von Priestern gegen die Konfiszierungen von Kirchengütern (19. März 1922): "Je mehr Repräsentanten der reaktionären Priesterschaft und der reaktionären Bourgeoisie wir (...) hinrichten können, desto besser." Lenin begründete den rhetorischen und moralischen Tenor für die Brutalität Stalins in den 1930er Jahren und schuf die Institutionen, die sie ausführten, allen voran die Tscheka, die politische Polizei (7. Dezember 1917). Sie wurde vom Sownarkom (Innenministerium) mit weitestgehenden Befugnissen ausgestattet: "1) um alle Versuche und Akte der Konterrevolution und Sabotage in ganz Russland, aus welchem Viertel sie auch immer kommt, zu unterdrücken und zu liquidieren. 2) um alle Saboteure und Konterrevolutionäre an das Revolutionsgericht zu überführen und Maßnahmen auszuarbeiten, um sie zu bekämpfen (...)."
Der extreme Zentralismus der KPdSU, der dem hierarchisch organisierten Terror der stalinistischen 1930er Jahre innewohnte, ging auf Lenin zurück. Ebenso ließ Lenin Konzentrationslager errichten, in denen echte und vorgebliche Feinde interniert wurden. 1921 gab es bereits 84 Lager in 43 Provinzen, in denen "unzuverlässige Elemente" inhaftiert und "rehabilitiert" wurden. Bereits im September 1918 waren 25 zarische Minister und höhere Beamte gemeinsam mit 765 Weißgardisten erschossen worden. Im Frühsommer 1920, während sich die Weiße Armee und ihre Anhänger aus der Krim zurückzogen, holten die Bolschewiki 50.000 Flüchtlinge ein und ermordeten sie alle. Allein in Sewastopol wurden etwa 12.000 Menschen getötet.
Um den allgegenwärtigen Klassenfeind zu zermalmen, der oft als Laus, Parasit, Küchenschabe oder sonstiges Insekt bezeichnet wurde, forderten Lenin, Sinowjew und andere von der Tscheka, zu foltern, Geiseln zu nehmen und zu töten. Am 16. Juli 1918 massakrierten Bolschewiki aus Jekaterinburg mit Lenins Einverständnis den Zaren und seine Familie, entstellten ihre Gesichter und begruben sie in Massengräbern. Während der Entkosakisierungskampagne von 1919 wurde in Parteierlassen zur Anwendung von "Massenterror" und totaler "Ausrottung" am Don und am Kuban aufgerufen.
Lenin überwachte auch die Umwandlung des Rechtssystems in eine "Waffe des Massenterrors" gegen Klassenfeinde. Als die Revolutionstribunale in ihrem Umgang mit politischen Feinden nicht hart genug vorgingen, erließ Lenin die Verordnung "Das sozialistische Vaterland in Gefahr!", in der befohlen wurde, alle "feindlichen Agenten, Profiteure, Hooligans und konterrevolutionäre Agitatoren" "auf der Stelle" zu erschießen. Die Tscheka gab den Gerichten spezielle Anweisungen, nicht kleinlich zu sein: "Zuerst müssen Sie ihn fragen, welcher Klasse er angehört, nach seiner sozialen Herkunft, Ausbildung und Beruf. Das sind die Fragen, die das Schicksal des Angeklagten bestimmen müssen. Das ist die Bedeutung des Roten Terrors."
Aus der Literatur, die den Streit um Lenins Nachfolge nach seinem Tod im Januar 1924 dokumentiert, scheint hervorzugehen, dass Lenin trotz einiger Zweifel Stalin als seinen Nachfolger ansah. Zudem entsprach Stalin mehr als jeder andere den Wünschen der Parteimitglieder, als er Ende der 1920er Jahre in Lenins Fußstapfen trat. Wir wissen nicht, wie Lenin gehandelt hätte, wenn er länger gelebt hätte. Wie wir gesehen haben, war er nicht weniger brutal als Stalin und nicht weniger willens, zur Erreichung seiner Ziele Gewalt einzusetzen. Man könnte einwenden, dass bei Lenin noch eine Art von Beziehung zwischen gewalttätigem Mittel und Zweck bestand, was den Genozid unwahrscheinlicher machte, als das unter Stalin der Fall war.
Trotz der Argumente, mit denen der hohe Blutzoll im Stalinismus bisweilen erklärt wird - der bevorstehende Krieg, Stalins Angst vor Terrorismus, die Notwendigkeit, die Wirtschaft aufzubauen, soziale Ambitionen der unteren und mittleren Parteiränge -, die Massenmorde unter Stalin waren ein zutiefst irrationaler und psychotischer Akt. Lenin mag bereit gewesen sein, leichtfertig zu töten, um seine Ziele zu erreichen. Stalin besaß die Persönlichkeit eines Völkermörders. Durch die bolschewistische Revolution, die er angeführt hatte, hatte Lenin Stalin mit den Institutionen und der Ideologie ausgestattet, die das Furchtbarste möglich machten.
Übersetzung aus dem Amerikanischen: Doris Tempfer-Naar, Krustetten/Österreich