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Vom Sagbaren zum Machbaren? | Rechtsterrorismus | bpb.de

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Vom Sagbaren zum Machbaren? Rechtspopulistische Sprache und Gewalt

Astrid Séville

/ 14 Minuten zu lesen

Es wäre zu kurz gegriffen, einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen Worten und Taten herzustellen. Doch die Sprache des Rechtspopulismus delegitimiert bestehende Institutionen und führt zu einer Legitimierung gesellschaftlicher Verrohung und Enthemmung.

Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Juni 2019 hat eines in Erinnerung gerufen: Inmitten der deutschen Gesellschaft haben sich rechtsextreme Gewalttäter radikalisiert, und ihre Netzwerke funktionieren. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung blickt die Bundesrepublik auf eine kontinuierliche Geschichte rechtsterroristischer Gewalt zurück, deren Anfänge die Extremismus- und Terrorismusforschung bis in die 1970er Jahre verfolgt. Erst die Selbstenttarnung des "Nationalsozialistischen Untergrundes" (NSU) 2011 sowie die graduelle Radikalisierung der AfD haben eine Diskussion zum einen über Strukturen, Merkmale und Unterschiede von Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, zum anderen über ein politisches Klima ausgelöst, das rechter Gewalt zuträglich sein kann. Im Raum steht dabei die These, der öffentliche Diskurs zeichne sich heute durch sprachliche Verrohung, Brutalisierung, Enthemmung und eine politische Verschiebung nach rechts aus.

Als beispielhaft für den Wandel politischer Gesprächs- und Streitkultur ließe sich ein Urteil des Berliner Landgerichts anführen, das im September 2019 entschied, die Grünen-Politikerin Renate Künast dürfe durchaus als "Geisteskranke" und zu entsorgender "Sondermüll" bezeichnet werden. Diese und weitere vulgäre Hasskommentare im Internet seien als sachbezogene Meinungsäußerungen hinzunehmen. Das Urteil wurde sofort skandalisiert, da es die juristische Grenzziehung zwischen Meinungsäußerung und Schmähkritik verwische und einer "Verwahrlosung", ja einem Verlust an "Anstand" Ausdruck verleihe. Als weiteres Symptom einer solchen Verwahrlosung lässt sich an ähnlich gelagerte, vielzitierte "Entgleisungen" erinnern: Der Bundessprecher und heutige Fraktionsvorsitzende der AfD, Alexander Gauland, erklärte 2017 als Spitzenkandidat seiner Partei im Bundestagswahlkampf, man solle die Staatsministerin Aydan Özoğuz "in Anatolien entsorgen", und seine Parteikollegin Alice Weidel sprach im Mai 2018 im Deutschen Bundestag von "Kopftuchmädchen, alimentierten Messermännern und sonstigen Taugenichtsen". Wie lässt sich dieser verbale Furor erklären?

Gauland selbst gab als Devise seiner Partei an, "die Grenzen des Sagbaren auszuweiten". Seine Losung macht klar, dass Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten weniger um politische Gestaltung durch Regierungsbeteiligung als um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit im gesellschaftlichen und politischen Raum kämpfen. Im Sinne der Hegemonietheorie des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci ist es das Ziel, durch Präsenz in der öffentlichen Debatte, das heißt in liberaldemokratisch-bürgerlichen (Leit-)Medien ebenso wie in den Nischen des Internets – in sozialen Medien, in Chatrooms und in Gruppenchats –, den Diskurs zu prägen, zu verschieben und Agenda-Setting zu betreiben. Dabei nutzt die AfD das dysfunktionale Verhältnis von Medien und Medienöffentlichkeit für ihre Mobilisierungsstrategie aus: Die Partei will eine Normalisierung durch Enttabuisierung erwirken, denn Political Correctness grenze den Raum des politisch sanktionsfrei Sagbaren ein. "Political Correctness" dient dabei als Kampfbegriff, um jegliche Bemühungen zu diskreditieren, eine Sensibilität gegenüber marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen sowie ein größeres Bewusstsein für Diskriminierung anzuerkennen und sprachliche Routinen zu durchbrechen.

Es herrscht also eine bemerkenswerte Gleichzeitigkeit: Auf der einen Seite wird dem "Establishment" und dem "Mainstream" vorgeworfen, den Bürgerinnen und Bürgern eine politisch motivierte Sprach- und Affektkontrolle zuzumuten – eine "Meinungsdiktatur" zu errichten, gegen die sich Widerstand rege. Auf der anderen Seite stehen jene, die eine Verrohung des Diskurses konstatieren und die Normalisierung des vorher Unsagbaren und politisch Verfemten anprangern. Tatsächlich führt die These einer eingeschränkten Meinungsfreiheit in die Irre; eine seit Jahren in digitalen (Halb-)Öffentlichkeiten wie auf Facebook beobachtbare Brutalisierung der Sprache und ein lang gärender Hass sind in den öffentlichen Raum und in Parlamente eingezogen. Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus, Elitenhass, Antiparlamentarismus und vielfältige Ressentiments sind deutlich sicht- und hörbar. Wir haben es mit einer Rhetorik gesellschaftlicher Polarisierung und Aufstachelung zu tun.

Auf dem jährlichen Kyffhäusertreffen 2018 der AfD erklärte Gauland etwa: "Die Bundesregierung will, dass wir für die Einwanderer arbeiten, damit die in Ruhe Kinder in die Welt setzen und den Bevölkerungsaustausch vollenden können." Dieses Zitat verdeutlicht, dass wir nicht nur über provokante Wortwahl, Tabubrüche und Stilmittel rechtspopulistischer Rhetorik diskutieren müssen, sondern auch über zugrundeliegende Deutungsmuster, Erzählungen, Weltanschauungen und programmatische Ansichten. Im besten Fall müssen Sprach- und Ideologieanalyse miteinander verschränkt werden, damit es gelingt, das Programm und das Gedankengut hinter oftmals strategisch ambivalenten, doppelbödigen Formulierungen und rhetorischen Manövern aufzudecken. Um das Verhältnis vom Sagbaren und Machbaren, von Sprache, Gesinnung und Gewalt im rechtspopulistischen und rechtsextremen Feld auszuleuchten, lassen sich Schlagwörter und Narrative herausarbeiten, die gewaltbereiten Bürgerinnen und Bürgern zur Legitimierung der eigenen Ansichten und Taten dienen können.

Vom Wort zur Tat?

Der Blick auf das Verhältnis von Sprache, rechtspopulistischer Politik und Rechtsterrorismus darf nicht dazu verleiten, einfache kausale und lineare Ketten vom gesprochenen Wort zur politisch motivierten Tat zu konstruieren und zu argumentieren, die Verwendung bestimmter Formulierungen führe zu physischer Gewalt. Allenthalben wurde nach dem Mord an Walter Lübcke im Juni 2019 und nach dem Anschlag in Halle an der Saale im Oktober 2019, bei dem zwei Menschen ermordet wurden, der Vorwurf erhoben, in Deutschland bereite die scharfe Rhetorik der AfD den Boden für Rechtsterrorismus. Zeichnet sich der gegenwärtige Rechtspopulismus generell durch eine Strategie der Provokation, der Grenzüberschreitung und anschließenden Relativierung aus, bedarf es doch eines bestimmten soziomoralischen Nährbodens der Radikalität und Kompromisslosigkeit, auf den eine solche Strategie fallen muss, um zur Legitimationsgrundlage für Gewalt zu werden. Bürgerkriegsfantasien, Gewaltaufrufe und Verschwörungstheorien animieren und motivieren erst dann zu politischem Handeln, wenn sie von Akteurinnen und Akteuren mit einer radikalen beziehungsweise fundamentalistischen Ideologie angeeignet und genutzt werden, die sich in einer Gemeinschaft mit Gleichgesinnten wähnen und organisieren. Es gilt, sowohl die zugrundeliegenden Gesinnungen und die Strukturen hinter Taten ins Blickfeld zu rücken als auch zu fragen, welche Parolen und Verschwörungstheorien als Trigger und Rechtfertigung fungieren.

Muster politischer Radikalisierung sind oft beschrieben worden. Für den Zusammenhang von rechtsextremen Einstellungen und Gewaltbereitschaft ist vor allem relevant, inwiefern jemand folgende Auffassungen teilt und als Handlungsaufforderung begreift: eine geschichtsrevisionistische Relativierung, wenn nicht Glorifizierung des Nationalsozialismus, ein aggressiver Nationalismus mit einem ethnisch gewendeten, antipluralistischen Volksbegriff sowie ein politischer Autoritarismus, der Gewalt als legitim begreift und die Ordnung der liberalen Demokratie, Gewaltenteilung und Verfassungsstaatlichkeit ablehnt. Zudem kann die Vorstellung einer grundlegenden Ungleichwertigkeit von Menschen und Kulturen zu einem Überlegenheitsdenken, einem Kult der eigenen Selbstüberhöhung führen, der einer verbalen, affektiven und politischen Enthemmung zuträglich ist und Diskriminierung aufgrund verschiedener Merkmale wie Herkunft, Hautfarbe oder sexueller Orientierung rechtfertigt. Wann und unter welchen Bedingungen aus ideologisch motivierter gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und autoritärem Nationalismus die Bereitschaft zu politischen Taten erwächst, lässt sich zwar durch Sicherheitsbehörden beobachten und wissenschaftlich erforschen, ist aber letztlich kontingent, also nicht durch allgemeingültige Voraussagen bestimmbar.

Statt also eine kausale Beziehung von Gesagtem zu Gemachtem, das heißt hier von verbalen Tabubrüchen politischer Akteure zu rechtsterroristischen Taten herzustellen, lässt sich mit einer Diskursanalyse nach dem komplexen Zusammenhang von autoritären, nationalistischen Politikvorstellungen bei Rechtspopulisten und der Gefahr rechtsterroristischer Gewalt fragen. Der Begriff des "Diskurses" ist hier insofern hilfreich, als sich mit ihm untersuchen lässt, inwiefern Akteure mit ihren (durchaus auch spontan) gewählten sprachlichen Mustern, Deutungen und Formulierungen auf bestimmte Kontexte, Diskussionszusammenhänge oder Referenzpunkte verweisen. So verstanden stellt ein Diskurs Repertoires und ideelle Ressourcen in Form von mobilisierbaren Narrativen und Vorverständnissen bereit; er prägt Sinnstiftungs- oder Interpretationsmuster, die Problemwahrnehmungen und schlussendlich politische Zielsetzungen, Interessen, Werte und Normen von Akteuren formen. Kurz gesagt: Diskurse strukturieren Kommunikation und Entscheidungen vor – sie liefern Deutungsrahmen (frames) und formen den Raum des Sag- und Machbaren.

Eine Framing-Analyse zu betreiben, bedeutet zu untersuchen, inwiefern Akteure "bestimmte Aspekte einer wahrgenommenen Realität herausgreifen und in ihrer Kommunikation unterstreichen, um eine bestimmte Problemdefinition, Kausalinterpretation, moralische Bewertung und/oder Handlungsempfehlung voranzutreiben". Dementsprechend lassen sich spontane und vorgeblich unüberlegte Aussagen von Rechtspopulisten und rechtsradikalen Akteuren untersuchen und herausarbeiten, inwiefern diese ihre Kommunikation mittels Vorstellungen beziehungsweise Konzepten framen, also in Diskurse einbetten, die sie für adäquat und zutreffend halten. Mithilfe der Diskursanalyse lassen sich das Wechselspiel von Ideologie und Sprache in den Blick nehmen und exemplarisch wirkmächtige Narrative, Topoi und Semantiken im Denken der Neuen Rechten benennen.

Deutungsmuster und Legitimationsnarrative für rechtsextreme Gewalt

"Großer Austausch"

Eine der wirkmächtigsten Erzählungen für den heutigen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ist die des "großen Austauschs". Der französische Publizist Renaud Camus formulierte 2010 die These eines von Eliten gesteuerten "Bevölkerungsaustauschs". Gemäß dieser Verschwörungstheorie wird in Europa die weiße, christliche Mehrheitsgesellschaft durch muslimische Bevölkerungsgruppen beziehungsweise in den USA durch lateinamerikanische Einwanderer abgelöst. "Gebärungsunwillige" sowie allgemein emanzipierte Frauen und Feministinnen gelten als Totengräberinnen westlicher Zivilisation. Politikerinnen und Politiker komplettierten zudem den demografischen Wandel mit einer neuen, biopolitisch motivierten Einwanderungspolitik; geburtenstarke Migrantenkohorten führten den von Eliten forcierten "Untergang des Abendlandes" herbei.

Nun könnte man den eschatologischen Tenor dieser Verschwörungstheorie als irrationales Rauschen im Diskurs abtun. Doch die "Sorge" um ethnische, das heißt hier weiße Identität treibt auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um. Eric Kaufmann, Politikprofessor in London, publizierte 2018 mit "Whiteshift: Populism, Immigration, and the Future of White Majorities" ein viel beachtetes und durchaus gelobtes Werk, in dem er die These eines ethnischen Selbstinteresses vertritt, das mit Rassismus nicht deckungsgleich sei. Ein identitäres Interesse an der eigenen Kultur und "Ethnie", das Bevölkerungspolitik und Abgrenzung als politisches Motiv rehabilitieren will, gilt als sagbare Position.

In den USA verunglimpft der Präsident Donald Trump derweil Migrantinnen und Migranten als "Invasoren", als "Verbrecher", deren Zuzug orchestriert sei, und redet der Bewegung der White Supremacists das Wort. Hierzulande wandte sich Gauland im Juni 2016 auf dem Marktplatz von Elsterwerda gegen den "Versuch (…) das deutsche Volk allmählich zu ersetzen durch eine aus allen Teilen der Erde herbeigekommene Bevölkerung". Und der Fraktionsvorsitzende der AfD im Thüringer Landtag, Björn Höcke, deklamierte 2017 in Dresden: "Unser liebes Volk ist im Inneren tief gespalten und durch Geburtenrückgang sowie Masseneinwanderung erstmals in seiner Existenz tatsächlich elementar bedroht." Höcke beschuldigte ebenda die Funktionseliten des Landes: Sie "löschen unser liebes deutsches Vaterland auf", und versprach: "Wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen."

Manche deuten derlei Verlautbarungen und die entsprechende Literatur als Angebot einer Rationalisierung eigener Affekte und Ressentiments. Tatsächlich dienen derartige Thesen der Rechtfertigung des eigenen Opfergangs, der rechtsradikalen Kollektivorganisation und damit der politischen Werbung. Sie liefern einen politischen Bezugsrahmen, eine kollektive Erzählung für die Idee einer Schicksalsgemeinschaft, die es notfalls mit Gewalt zu verteidigen gelte. So erscheinen die eigene Verunsicherung und der eigene Hass satisfaktionsfähig, das Ressentiment anschlussfähig. Die Versprachlichung rechtsradikaler und rechtsextremer Gesinnung durch Abgeordnete, durch politische und öffentliche Akteure droht, Ressentiments, Brutalität und Verrohung zu legitimieren.

Dies hat Folgen: Sowohl der Attentäter von Christchurch, der im März 2019 in zwei Moscheen der neuseeländischen Stadt 51 Menschen ermordete, und der Attentäter im texanischen El Paso, der im August 2019 gezielt mexikanische Besucherinnen und Besucher eines Einkaufszentrums erschoss, als auch der zweite Beschuldigte im Mordfall Lübcke bezogen sich nachweislich auf die vermeintliche Gefahr einer "Invasion" von Migranten und Flüchtlingen und die These des "Bevölkerungsaustauschs".

Was macht nun diese sagbare Verschwörungstheorie des Bevölkerungsaustauschs zu einem Legitimationsnarrativ für machbare rechtsextreme Gewalt? Zum einen wird eine Elitenverschwörung gegen "das Volk" unterstellt. Dieses werde ausgelöscht, seiner Identität, Kultur, Traditionen und Geschichte beraubt, sodass Gewalt als Gegengewalt eines vermeintlichen Opfers, ja als existenzielle Kollektivnotwehr gegen den "Volksverrat der Eliten" und gegen eine "Invasion" gerechtfertigt erscheint. Kriegsmetaphorik, Selbstviktimisierung und heroische Pose eines quasi-märtyrerischen Rechtspopulismus und Rechtsterrorismus gehen Hand in Hand. Vor dem eschatologischen Szenario des untergehenden Abendlandes wird echter Widerstand, wenn nicht gar Bürgerkrieg beschworen.

Zum anderen konturiert diese Verschwörungstheorie religiöse und ethnische Identitäten gegeneinander; bisherige Minderheiten werden als ein Fremdes, nichtzugehöriges Anderes erzählt und einer organisch gewachsenen, homogenen Mehrheitskultur gegenübergestellt, die ihrerseits minorisiert werde. Demografische Veränderungen werden zu kulturellen Identitätskämpfen erklärt.

Logik der Abgrenzung und Spaltung

Die Zuschreibung von ethnischen und religiösen Gruppenidentitäten leistet einer sozialen Fragmentierung Vorschub und schafft erst die Gruppen jener Bürgerinnen und Bürger, die durch Religion und Herkunft als ein desintegriertes "Anderes", ein "Außen", ja als invasive Fremdkörper in der vermeintlich homogenen Mehrheitsgesellschaft inszeniert werden. Diese politische Fremdheitskonstruktion evoziert die Fiktion einer natürlichen Volksgemeinschaft statt der Idee demokratischer Staatsangehörigkeit. Zugleich lassen sich so bestimmte Gruppen sehr einfach zu Sündenböcken für alle möglichen gesellschaftlichen Probleme erklären.

Ein solches Denken der Abgrenzung und Spaltung wird auch in der Sprache vermeintlich moderater Rechtspopulisten offensichtlich: Wie der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering konzise ausführt, nutzte Gauland beispielsweise einmal die unverdächtige gärtnerische Metapher des "Aufpfropfens" und artikulierte damit die Vorstellung, heute bedrohe ein fremdes ein organisch gewachsenes, deutsches Volk.

Zur Konstruktion unterschiedlicher homogener Gruppen wird heute zumeist kein offensiver Rassismus mehr vertreten, sondern ein "Neorassismus", der ohne den expliziten Begriff "Rasse" auszukommen scheint. Identitäre Neorassisten verwenden keine biologischen Merkmale wie Hautfarbe, sondern beziehen sich auf Religion und/oder Kultur. Diese Kategorien werden als stabile und vermeintlich natürliche, organische Differenzkriterien betont, die dazu dienen, kulturelle Räume sowie Loyalitäten zu unterscheiden und damit letztlich Staatsbürgerschaft im Sinne einer völkischen Ideologie zu begrenzen. Die neorassistische Ideologie beruht auf der Idee distinkter menschlicher Gruppen, die man ihrem Wesen nach unterscheiden und im Sinne eines "Ethnopluralismus" abgrenzen könne. Doch bereits der Philosoph Theodor W. Adorno wusste: "Das vornehme Wort Kultur tritt anstelle des verpönten Ausdrucks Rasse, bleibt aber ein bloßes Deckbild für den brutalen Herrschaftsanspruch."

Widerstand gegen "Kanzlerdiktatur"

Eine rechtspopulistische Partei wie die AfD inszeniert sich als eine Widerstands- und Protestbewegung, die das angebliche "Kartell" der "Altparteien" infrage stelle und daher politisch und medial in besonderem Maße angegriffen werde. Jede scharfe Kritik und Analyse bestätigt demnach den eigenen Sonder-, das heißt Opferstatus als "fundamentaloppositionelle Bewegungspartei".

Konsequenterweise riefen Vertreter der AfD auf dem Kyffhäusertreffen 2019 zum "Widerstand" gegen die etablierten Parteien und ihre Politik auf. Der Deutungsrahmen "Widerstand" verdeutlicht, dass sich die AfD nicht als verfassungstreue parlamentarische Opposition begreift. Entsprechend formulierte Gauland in einem Interview: "Wir sind der Pfahl im Fleische eines politischen Systems, das sich überholt hat." Dabei bejahte er zwar die Notwendigkeit der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung", doch es erfordere eine größere Veränderung als die bloße Abwahl der Regierung: eine "friedliche Revolution" gegen das "politische System".

Mit dem semantischen Feld von Widerstand, Aufstand und Revolution werden die Regierung und die politische Ordnung als ein Regime der Unfreiheit delegitimiert, die Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Kanzlerdiktatorin" diffamiert. Dass die Möglichkeit ihrer Abwahl besteht und in der parlamentarischen Demokratie die Überarbeitung und gar Revision von Entscheidungen durch Beschaffung neuer Mehrheiten offenstehen, wird dabei ausgeblendet. Für Höcke gilt: "Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen, aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen, dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt."

Diese Verlautbarungen beschwören eine Zeitenwende, ein historisches Gelegenheitsfenster des Wandels, eine revolutionäre Rückabwicklung gesellschaftlicher Liberalisierung: Demnach gelte es, im Sinne Machiavellis virtú (Stärke) zu beweisen und angesichts politischer necessità (Notwendigkeit) die occasione (Gelegenheit) zu nutzen. Für politisch geneigte Zuhörerinnen und Zuhörer erfolgt hier ein Aufruf zur Tat, sich dem Schicksal des eigenen Volks zu stellen und zu handeln. Zwar inszenieren sich Rechtspopulisten als bürgerlich-konservative Renegaten, die ihre harsche Kritik an der Politik der vergangenen Jahre vorbrächten, weil ein moralisch korruptes und politisch nicht repräsentatives Establishment herrsche. Tatsächlich bedienen sie eine Bandbreite rechtsradikaler und neofaschistischer Politikvorstellungen. Heute müsse sich das Volk gegen Feinde im Inneren und Äußeren verteidigen. Nur so könne die Wiedergeburt des dekadenten, weil selbstvergessenen Westens ihren Anfang nehmen. Es herrscht eine Lust am Untergang, denn politische Eskalation spiele den eigenen Interessen in die Hände: Komme es erst einmal zum Konflikt zwischen verschiedenen Nationen, würden sich diese auf ihre Ethnizität und damit auf Praktiken der Abgrenzung und Abschottung besinnen.

Konstruktion von Handlungsdruck

Die hier nur kurz beleuchteten Legitimationsnarrative schüren den Eindruck, das Zeit- und Handlungsdruck bestehe. Es sei an der Zeit, sich "Deutschland zurückzuholen", es sei Zeit für eine "Jagd". Dieser Diskurs schafft ein Klima der Handlungsnotwendigkeit – und so einen Nährboden, einen Resonanzraum für rechtsextremistische Gewalttaten. Der aufrichtige, rechte Bürger wird als Mann der Tat charakterisiert, dessen "Hass keine Straftat" sein könne.

Zugleich bewirken diese Erzählungen und Verschwörungstheorien eine "Hermeneutik des Verdachts". Sie kultivieren eine Sprache des Vorwurfs und der Denunziation, in der die Rede von Betrug, Verrat und Lüge Wirkung entfaltet. Ihr gegenübergestellt wird der immer wieder proklamierte "Mut zu Wahrheit" der AfD. Der Begriff der Wahrheit zeigt abermals, dass rechtspopulistische Sprache durchaus auf bürgerliche Schlüsselbegriffe setzt. Das Sprachspiel des Populismus besteht ja in einer Doppelbödigkeit, um eine Strategie der "Selbstverharmlosung" zu verfolgen, sodass die AfD eine Scharnierfunktion für Rechtsradikalismus und Rechtsextremismus ins Parlament erfüllen kann. Es bleibt ein gemeinsamer Geist: ein Antipluralismus, antidemokratische, antiegalitäre und rassistische Positionen, autoritäre Ordnungsvorstellungen, ein fundamentales Misstrauen in Institutionen liberaler Demokratie, eine tiefe Abneigung gegen "das Establishment" sowie ein gärender Nationalismus.

Doch Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sind nicht identisch. Als rechtspopulistische Partei spricht die AfD eine heterogene Wählerschaft an und offenbart eine Mosaikstruktur rechter Sprache und Politik, die statt einem kohärenten ideologischen Gebäude verschiedene politische Elemente und Versatzstücke kombiniert, um Wählerinnen und Wähler mit unterschiedlichen Interessen, Prioritäten und Präferenzen zu mobilisieren. Diese Ansprache verbindet allgemein anschlussfähige Phrasen, Binsen und Plattitüden mit rechtsextremen Slogans. Die Ideologeme, Narrative und Fantasien rechten Denkens führen zu einem losen Kanon rhetorischer, politischer und sozialpsychologischer Topoi und Figuren. Letztlich lässt sich eine Ideengeschichte rechter Radikalität erkennen und festhalten: Die Sprache des Rechtspopulismus delegitimiert bestehende Institutionen und führt zugleich zu einer institutionellen Legitimierung gesellschaftlicher Verrohung und Enthemmung.

Nun lassen sich vulgäre Pöbeleien und Hassreden auf politischen Veranstaltungen, in sozialen Medien, in Chatrooms oder an Stammtischen nie vollständig eindämmen. Aber eine liberaldemokratische Öffentlichkeit muss sich einer Kultur der Enthemmung, der Schamlosigkeit und Brutalität, der persönlichen Angriffe entgegensetzen. Beleidigungen, Herabsetzungen und Schmähungen sind mit gesellschaftlicher Ächtung zu strafen. Das heißt nicht, politische Positionen auszuschließen. Es heißt, Anforderungen an einen politischen Diskurs und an ein soziales Miteinander zu formulieren, das Streit und Konflikt nicht scheut, zugleich aber Anstand, Respekt und Taktgefühl als fragile soziomoralische und kulturelle Ressourcen unserer Gesellschaft begreift.

ist promovierte Politikwissenschaftlerin und Akademische Rätin auf Zeit am Lehrstuhl für Politische Theorie des Geschwister-Scholl-Instituts für Politikwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. E-Mail Link: astrid.seville@gsi.uni-muenchen.de