Einleitung
Die Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Union (EU) mit Afrika vollzieht sich immer noch überwiegend in der Form einer vor fünfzig Jahren begonnenen vertraglichen Zusammenarbeit mit der aus den ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und im Pazifik gebildeten AKP-Staatengruppe.
Die im Cotonou-Vertrag erstmalig verankerte politische Konditionalität war allerdings nur teilweise wirksam, weil das Gewicht der EU-Hilfe und die Abhängigkeit von ihr nicht groß genug waren, um in schwerwiegenden Konflikten, in denen es um politische Macht oder Privilegien ging, die maßgeblichen Akteure zum Einlenken zu veranlassen. Trotz Verbesserungen in der Mittelverwendung und der Ausweitung der Budgethilfe auf 35 Prozent der Gesamtmittel erwies sich auch die Umsetzung des Vertrags im ersten Fünf-Jahres-Zyklus in Afrika schwierig. Der Vertrag entsprach auch nur noch teilweise dem neuen entwicklungspolitischen Konsens, der sich in den Millennium Development Goals der Vereinten Nationen, den Beschlüssen der G8-Treffen in Kananaskis 2002, Evian 2003, Gleneagles 2005 und Heiligendamm 2007, der UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monterrey 2002 und der Pariser Konferenz zur Effektivität der Entwicklungshilfe 2005 ausdrückt.
Beziehungen zwischen Europa und Afrika
Auf diesem Hintergrund kündigte die EU mit ihrer Afrikastrategie
Die Afrikastrategie spezifiziert die Umsetzung des Europäischen Konsensus in der Region, die auch in Zukunft Schwerpunkt der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit der EU bleiben soll. Ihre Zielsetzungen entsprechen dem heute allgemein anerkannten Katalog der internationalen Entwicklungspolitik. Hauptziel sind die Minderung extremer Armut, eine Grundschulausbildung für alle Kinder, die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rechte von Frauen, die Verringerung der Kindersterblichkeit und Verbesserung der Gesundheit der Mütter, die Bekämpfung von HIV/AIDS, Malaria und anderer übertragbarer Krankheiten, die Sicherung der Umwelt und der Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft. Voraussetzung dafür ist Friede und Sicherheit. Die EU will Maßnahmen gegen entstehende oder bestehende Konflikte in allen Phasen, der Prävention, Intervention und Rehabilitation, unterstützen. Sie will die politische Stabilität in den Partnerländern stärken durch die Förderung effizienter zentralstaatlicher Institutionen, mit denen diese die notwendigen Reformen durchführen können, und durch Strukturen, die eine breite Streuung der Entwicklungsanstrengungen und eine Teilhabe der gesamten Bevölkerung ermöglichen. Die Beachtung von Menschenrechten und Demokratie soll verbessert, Korruption und organisierte Kriminalität sollen bekämpft werden. Sie hält dafür ein rasches, umfassendes und nachhaltiges, auf die Beseitigung der Armut ausgerichtetes Wirtschaftswachstum für erforderlich, das durch makro-ökonomische Stabilität, marktorientierte Wirtschaftspolitik, Schaffung regionaler Märkte, besseren Zugang zum Weltmarkt und Stimulierung der Privatwirtschaft erreicht werden könne. Ferner sollen die Nahrungsmittelsicherheit, die Landwirtschaft und das Fischereiwesen gefördert und Infrastrukturprojekte des Verkehrs, der Wasserversorgung und der Energiegewinnung unterstützt werden. Schließlich will sie zur Erhaltung der kulturellen Vielfalt Afrikas, zur Bewältigung der zunehmenden Verstädterung, zur Kontrolle der Wanderungsbewegungen, zur Erhaltung der natürlichen Umwelt und Biodiversität und zur Wüstenbekämpfung beitragen. Dies ist ein breit gefächerter Katalog von Tätigkeitsfeldern, von denen jedes für sich genommen begründet und sinnvoll sein kann, der aber das Potential an finanziellen und personellen Ressourcen der Kommission weit übersteigt.
Zur Umsetzung der Strategie erarbeitete die Kommission deshalb einen Vorschlag, der eine bessere Verzahnung der Gemeinschaftspolitik und der bilateralen Politik der Mitgliedsländer unter ihrer Führung bewirken sollte.
Größere Effektivität der Hilfe
Durch die die Europäisierung der Hilfe bremsenden Entscheidungen des Ministerrats werden die Bemühungen um eine bessere Koordination der Hilfe erst recht vordringlich. Entsprechend der "Paris Declaration on Aid Effectiveness",
Die Bemühungen der Kommission reichen aber über die Geberkoordination hinaus. Letztlich hängt die Wirkung der Hilfe von außen von der Beendigung der gewaltsamen Konflikte, von Fortschritten in der subregionalen Zusammenarbeit und von der Funktionsfähigkeit der Staaten und ihrer Bereitschaft zu einer zweckentsprechenden Reformpolitik ab. Nach den wenig ermutigenden Erfahrungen mit der Konditionalität kehrte die EU durch eine Revision des Cotonou-Vertrags
Zur Realisierung der neuen Strategie
Die Umsetzung der Strategie steht am Anfang. Die Kommission erarbeitet zurzeit die Strategien für die einzelnen Länder und Regionalorganisationen. Die EPAs sind noch nicht zu Ende verhandelt. Für die Zusammenarbeit mit schwierigen Partnerländern, wie die unstabilen oder vom Zerfall bedrohten Länder bezeichnet werden, bereitet die Kommission gerade erst Richtlinien vor.
Natürlich hat die Kommission Recht, dass nur durch die Bündelung aller Kräfte, vor allem durch die Einbeziehung der Entwicklungspolitiken ihrer Mitgliedsstaaten, widerstrebende Regierungen und Akteure motiviert und in die Lage versetzt werden können, Reformen zu beginnen. Die von der EK direkt verwalteten Mittel sind hierfür zu begrenzt und verteilen sich zudem auf alle Länder Afrikas südlich der Sahara. Die erforderliche enge Koordination hängt aber davon ab, ob die Mitgliedsländer wie etwa Frankreich, das die neue Strategie maßgeblich beeinflusst hat und deshalb auch für die EU-Afrikapolitik eine Führungsrolle beansprucht,
Die von der Kommission in den Vordergrund gestellte Forderung nach Koordination verliert allerdings an Bedeutung, wenn die Zweifel, ob der von der Kommission bevorzugte Weg geeignet ist, die großen politischen und wirtschaftlichen Hindernisse auf dem Weg Afrikas zu Frieden, Demokratie und wirtschaftlichem Wachstum zu überwinden, ernst genommen werden. Nur Benin, Botswana, Ghana, Lesotho, Madagaskar, Mali und Senegal mit einer Bevölkerung von gerade 52 Millionen weisen bisher gute oder befriedigende Werte der "Governance" auf. In vier Fünftel der Staaten Afrika südlich der Sahara sind die Governance-Probleme nach wie vor ungelöst. 84 Prozent der Bevölkerung Afrikas - ohne Südafrika - lebt in Staaten mit unbefriedigender oder schlechter Governance. Fortschritte fehlen vor allem bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung, der Effizienz der Regierung und Korruptionsbekämpfung.
Auf vielfältige Kritik stößt auch der technokratische Charakter der EU-Konzeption. Die EU gibt der Budgethilfe den Vorzug, weil diese dem Grundsatz der "ownership" und der Verantwortung des Empfängerlands für die Koordination der Hilfe am besten entspreche. Tatsächlich sind in Afrika aber im Unterschied zu den andern Kontinenten dazu nur wenige Regierungen willens oder in der Lage. Deshalb bleibt es eine Fiktion, dass die Geber sich darauf beschränken können, darüber zu wachen, dass die Regierung auf einem guten Weg ist, sich aber ansonsten deren Koordination und Vorstellungen zur Arbeitsteilung unterwerfen. In vielen Fällen müssen sie in Koordinationsgremien die Initiative ergreifen, um mit der Regierung zu entsprechenden Vereinbarungen zu gelangen. Ihre Umsetzung mittels des Instruments der Budgethilfe kann jedoch nicht nur die ihr zugeschriebenen positiven Wirkungen entfalten, sondern auch zur Schwächung demokratischer Institutionen führen, vor allem der Parlamente, deren Haushaltsbewilligungsrecht umgangen wird. Sie kann die Macht der zentralen Bürokratie gegenüber den lokalen und zivilgesellschaftlichen übermäßig stärken, sie kann Programme, welche die Vorlieben und Interessen der Geber reflektieren, begünstigen. Vor allem aber kann sie die Anstrengungen der Regierungen und dominierenden Eliten lähmen, sich selbst um Reformen, Steigerung der wirtschaftlichen Produktivität und Staatseinnahmen, um eine Minderung der Hilfeabhängigkeit und um Exitstrategien zu kümmern. All diese Gefahren werden zwar in den entsprechenden Verlautbarungen der Kommission angesprochen. Die Kernfrage, ob damit nicht bürokratisch in komplexe politische und gesellschaftliche Prozesse und Macht- und Interessenstrukturen mit unkalkulierbaren Konsequenzen eingegriffen wird, stellt sich aber wohl dringlicher, als dies aus den Richtlinien der EU hervorgeht.
Erhebliche Zweifel werden auch an der Wirksamkeit des Dialogs zwischen der EU und der Afrikanische Union (AU) geäußert. Ob die AU auf die innere Entwicklung der afrikanischen Staaten Einfluss nehmen kann und will, ist fraglich. Die Bereitschaft ihrer Mitgliedsstaaten zur Einigung auf konkrete Maßnahmen endet, wo deren nationale Interessen in Konflikt mit den gesamtafrikanischen Interessen geraten. Deshalb fällt es der AU schwer, auf eklatante Verstöße ihrer Statuten durch ihre Mitglieder angemessen zu reagieren. Ihr jüngstes Verhalten gegenüber Sudan und Zimbabwe zeigt dafür deutlich die Grenzen. Auch ist die Relevanz der wenigen Peer Reviews, die NEPAD bisher erarbeitet hat, bescheiden.
Der schwerwiegendste Einwand gegen die Strategie ist jedoch ihr geringer Realitätssinn bezüglich der zukünftigen Entwicklung der afrikanischen Wirtschaft und Gesellschaft. Nur wenige Experten glauben noch daran, dass es mit einer massiven Erhöhung der Entwicklungshilfe in absehbarer Zeit möglich ist, den Anschluss Afrikas an die weltwirtschaftliche Entwicklung zu erreichen. Ohne einen kräftigen Zuwachs an Beschäftigungsmöglichkeiten für eine wachsende urbane Bevölkerung kann es kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben. Freier Handel und freie Märkte allein genügen dazu nicht, auf eine industrielle und intensivere landwirtschaftliche Produktion für die lokalen Märkte kann nicht verzichtet werden. Die mangelnde Produktivität und der wachsende Wettbewerb mit den asiatischen Schwellenländern erschweren das Aufholen immer mehr. Ohne Aussicht auf mittelfristige Erfolge dürfte es aber schwierig sein, die dominierenden politischen Eliten zu überzeugen, Machtbeschränkungen hinzunehmen und selbst Initiativen für die dringendsten politischen Reformen zu ergreifen. Meistens sind sie zu Zugeständnissen nur insoweit bereit, wie davon der Erhalt von Subsidien der Entwicklungshilfe und ihr politisches Überleben abhängen. Der zwischen Gebern und dominierenden Eliten mit der Budgethilfe gefundene Kompromiss blockiert die wirtschaftlichen Potentiale des Kontinents und droht die Marginalisierung Afrikas und seine Ausbeutung als bloßer Rohstofflieferant zu verewigen. Die Fähigkeiten seiner wirtschaftlichen und technischen Elite werden nicht ausreichend genutzt, das Arbeitskräftepotential eines Großteils der Bevölkerung liegt ohnehin brach. Mikrokreditprogramme, die in Asien großen Erfolg haben, werden bisher in Afrika nur wenig genutzt, obwohl sie wenigstens ansatzweise zur Lösung der Probleme beitragen könnten. Gelingt es nicht, die wachsende Ungleichheit zu verhindern
Die Realisierung der anspruchsvollen Afrikastrategie der EU hängt von Einflüssen und Bedingungen ab, auf die die Kommission nur geringen Einfluss hat. Das ein Jahrzehnt alte Diktum Christopher Claphams, "the problems of African governance run by far too deep to be seriously affected by external tinkering",