Einleitung
Zum wiederholten Male bescherte ein Historiendrama dem Fernsehen einen Quotenhit: Als die ARD im März 2007 den Zweiteiler "Die Flucht" ausstrahlte, verfolgten durchschnittlich fast 11 Millionen Zuschauer den Fernsehfilm über den deutschen Exodus aus Ostpreußen im Winter 1944/45. Die hohe Zuschauerzahl freute nicht nur die Programmverantwortlichen des Senders, auch die deutschen Vertriebenenverbände zeigten sich zufrieden, war doch das große Zuschauerinteresse an der Leidensgeschichte der Heimatvertriebenen der vermeintliche Beweis dafür, dass der langjährige, von Verbandsseite erbrachte Einsatz für ein "Zentrum gegen Vertreibungen" im Einklang mit den Erinnerungswünschen der Bundesbürger stünde. Erfolgsquoten für ein mit Herzschmerz und dosierter Action beladenes Eventmovie wurden zum schlagenden Argument gegen "alle, die sich immer noch sträubten, ein sichtbares Zeichen zur Erinnerung an die Leiden der Deutschen durch Flucht und Vertreibung zuzulassen."
Dabei war soviel argumentativer Einsatz gar nicht mehr nötig. Die Politik hatte in der Frage eines möglichen Zentrums gegen Vertreibungen schon längst entschieden: Nach jahrelanger Debatte über das Für und Wider einer solchen Einrichtung hatte sich die Große Koalition im Jahre 2005 "zur gesellschaftlichen wie historischen Aufarbeitung von Zwangsmigration, Flucht und Vertreibung" bekannt und darauf verständigt, "im Geiste der Versöhnung in Berlin ein sichtbares Zeichen zu setzen".
Eine zentrale Aufgabe zur Konservierung von Erinnerung - diesen Rückschluss lässt das obige Beispiel zu - übernimmt hierbei die historische Ausstellung. Als "erinnerungskulturelle Ressource"
Doch welche konkreten Ziele verfolgt die von der Politik auf den Weg gebrachte museale Vermittlung von Geschichte in Deutschland? Handelt es sich dabei tatsächlich um den Versuch, für die Gegenwart eine Kontinuität mit einer positiv besetzten Vergangenheit aufrechtzuerhalten, also um jene bewusst betriebene "invention of tradition", die der britische Historiker Eric Hobsbawm als ein wesentliches Merkmal einer Nation im Umgang mit ihrer Vergangenheit betrachtet hat?
Ein Blick auf die in der Bundesrepublik in der jüngeren Vergangenheit stattfindenden Diskussionen um Museen und historische Ausstellungen soll helfen, die Frage nach der Rolle politischer Akteure und ihrer Ziele, aber auch nach deren tatsächlichen Einflussmöglichkeiten in der museal vermittelten Erinnerungskultur zu beantworten. So steht die Frage im Mittelpunkt, ob mit den jüngsten Plänen von Museumsgründungen in Deutschland auch ein neues Geschichtsbild verbreitet werden soll.
Zunächst aber sollen die Rahmenbedingungen von Kulturpolitik in Deutschland skizziert werden, jenes Politikfeld, das für Ausbau und Entwicklung staatlich geförderter Erinnerungsorte verantwortlich zeichnet:
Streitfall DDR-Geschichte
Getreu dieser Vorgehensweise verläuft seit Jahren auch die vom Bund intendierte und geförderte historische Aufarbeitung der SED-Diktatur. In diversen Konzeptionen zum erinnerungspolitischen Umgang mit der DDR hat die Politik seit 1990 auf das Fachwissen von Expertenkommissionen zurückgegriffen: von der vom Deutschen Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission über die sogenannte Vergin-Kommission, die Vorschläge für die Nutzung der ehemaligen Stasi-Zentrale in der Normannenstraße in Berlin erarbeitete, bis hin zu der 2005 von der Vorgängerin des jetzigen Bundesbeauftragten einberufenen Expertenkommission zur Schaffung eines Geschichtsverbundes "Aufarbeitung der SED-Diktatur". Letztgenanntes Gremium, bekannt auch als Sabrow-Kommission, hat in seinen nicht unumstrittenen Empfehlungen den Möglichkeiten einer künftigen musealen Gestaltung der DDR-Geschichte besondere Bedeutung zugemessen.
Von der Bundesregierung aufgefordert, "Eckpunkte eines DDR-bezogenen Geschichtsverbundes zu formulieren, der die dezentrale Struktur der Erinnerungslandschaft beibehalten, aber die Orte des Erinnerns konzeptionell und praktisch stärker aufeinander beziehen und vernetzen sollte",
Nun hatte die Kommission das Pech, in Zeiten einer politischen Machtverschiebung agieren zu müssen. Noch unter der Rot-Grünen Bundesregierung eingesetzt, hatte sie nach der Bundestagswahl im September 2005 nicht nur einem neuen, aus Reihen der CDU stammenden Bundesbeauftragten zu berichten, sondern sah sich darüber hinaus mit einem in der Öffentlichkeit wiedererstarkten konservativen Selbstbewusstsein konfrontiert. Neben einiger berechtigter Kritik erinnerten die erhobenen Vorwürfe an den Vorschlägen der Kommission doch auf erstaunliche Weise an frühere Argumentationsweisen aus der in den 1980er Jahren geführten Debatte um die Gründung des Hauses der Geschichte und des Deutschen Historischen Museums - nur diesmal von der anderen Seite. Waren es damals die Bedenken von Linken wie Linksliberalen gegenüber einem staatlich verordneten konservativen Geschichtsbild,
Hinter der von der Kommission befürworteten Schwerpunktsetzung auf den DDR-Alltag vermutete mancher Kritiker einen von Rot-Grün verordneten Paradigmenwechsel in der geschichtlichen Aufarbeitung des zweiten deutschen Staates, eine Weichzeichnung der SED-Diktatur.
Derartige Stellungnahmen zeugen von der Existenz einer Rivalität, die über die rein wissenschaftliche Auseinandersetzung hinausgeht; sie sind Ausdruck eines Gegensatzes zwischen den Fachvertretern als Angehörige bzw. Befürworter der unterschiedlichen politischen Geisteshaltungen. Darüber hinaus unterstreichen sie den Wettbewerb um materielle wie immaterielle Ressourcen: Wer als wissenschaftlicher Experte in den Dienst der Politik berufen wird, darf sich nicht nur über eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit für seine Person sowie für die beschäftigende Forschungseinrichtung, sondern nicht selten auch über zusätzliche Finanzmittel freuen.
In Anbetracht der teilweise doch geharnischten Kritik an den Empfehlungen der Sabrow-Kommission mag es erstaunen, dass der Kulturstaatsminister in seinem dem Ausschuss für Kultur und Medien im Sommer 2007 vorgelegten Entwurf zur Fortschreibung der Gedenkstättenkonzeption nicht wenige Vorschläge des Expertengremiums aufgegriffen hat - und sich dennoch im Hinblick auf die museale Präsentation von DDR-Geschichte vom Gutachten unterscheidet. Ausgehend von einer Erinnerungspolitik, die einerseits die Aufarbeitung von Ursachen und Folgen sowohl der nationalsozialistischen als auch der SED-Diktatur zu betreiben und "die Erinnerung an das Unrecht wach [zu] halten" habe sowie andererseits "das Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft und der SED-Diktatur vor allem am Ort ihrer Leiden in angemessener Weise [zu] würdigen und Wissen über die historischen Zusammenhänge [zu] vermitteln habe",
Von einem Museumsneubau in der Hauptstadt - Heimstätte einer Gesamtausstellung zur DDR-Geschichte, wie sie die Sabrow-Kommission, aber auch mancher Kritiker empfohlen hatte
Erinnerungspolitik der Großen Koalition
Weitaus weniger Diskussionsbedarf scheint dagegen in Deutschland hinsichtlich der staatlichen Aufarbeitung des Nationalsozialismus zu bestehen. Hier hat sich in der deutschen Erinnerungskultur bis heute ein Konsens über die Bedeutung von Holocaust und NS-Verbrechen ausgebildet. War es nach der Wiedervereinigung noch zu lebhaften Debatten über den Umgang mit dem Nationalsozialismus in der DDR und dessen Integration in ein Erinnerungskonzept des wiedervereinigten Deutschlands gekommen,
Die staatlich dirigierte Orientierung an diesem Grundprinzip bedeutet allerdings nicht, dass die museale Visualisierung des Themas "Nationalsozialismus" diskussionsfrei und ohne wissenschaftliche wie zivilgesellschaftliche Kontrolle abliefe. Denn ebenso wie beim Ausstellungsgegenstand "SED-Diktatur" konkurrieren hier unterschiedliche Geschichtsbilder, erinnerungskulturelle Sichtweisen und museumspädagogische Ansätze miteinander; dies zeigt beispielhaft die speziell auf die Darstellung des nationalsozialistischen Völkermords zielende Kritik an der im Juni 2006 eröffneten Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums mit dem Titel "Deutsche Geschichte in Bildern und Zeugnissen". Es waren dabei vor allem längst überholte präsentationstechnische Standards und die ungeschickte Platzierung der Thematik "Holocaust" innerhalb der Ausstellung, die bei manchem Beobachter für Unmut sorgten.
In Anbetracht der Tatsache, dass Museumsprojekte in Deutschland mit erhöhter politischer, wissenschaftlicher und medialer Aufmerksamkeit begleitet werden, ist es erstaunlich, dass ein Vorhaben wie die eingangs erwähnte Errichtung einer Dokumentations- und Ausstellungsstätte gegen Flucht und Vertreibung nach jahrelanger kontrovers geführter Debatte heute nahezu unbemerkt in die konkretere Planungsphase eingetreten ist. Anders als bei der Sabrow-Kommission ist es hier bisher nicht zu Diskussionen gekommen - weder um die Zusammensetzung des den Kulturstaatsminister beratenden Expertenkreises, noch um die inhaltliche Ausrichtung der Empfehlungen. Als Projekt der Großen Koalition scheint das in Berlin zu errichtende "sichtbare Zeichen" zumindest in der Entwurfsphase auch ein Ausdruck eines Konsenses in der Erinnerungspolitik der Koalitionspartner zu sein.
Es bleibt aber abzuwarten, ob die Ruhe in dieser Angelegenheit die regierungsinterne Abstimmung überdauern wird und inwieweit Opposition und Öffentlichkeit das Planungskonzept, von dem bis Redaktionsschluss noch nichts verkündet worden ist, rezipieren werden. Es bedarf aber keiner hellseherischer Fähigkeiten, um vorhersagen zu können, dass es nach Bekanntgabe des geplanten Ausstellungskonzeptes - wie immer es aussehen mag - einmal mehr zu einem politisch motivierten Kampf um das "richtige Gedächtnis"
Fazit
Der Blick auf die in Deutschland betriebene Erinnerungspolitik, wie sie sich anhand der dargestellten Beispiele der jüngeren Vergangenheit präsentiert, erweckt tatsächlich den Eindruck, als würde mit der musealen Vermittlung von Geschichte einer bewussten "invention of tradition" Vorschub geleistet. Die Initiativen seitens der Politik auf diesem Gebiet - von der Gründung des Deutschen Historischen Museums über das Haus der Geschichte bis hin zu den Gedenkstätten- und Museumskonzeptionen der Gegenwart - legen den Schluss nahe, historische Ausstellungen dienten dem Staat zum Aufbau, zur Verbreitung und Konservierung bestimmter nationaler Geschichtsbilder, stünden mit der beabsichtigten Konstruktion nationaler Identität im Dienste der Aufrechterhaltung einer "imagined communitiy".
Auch wenn es heute schwierig erscheint, nationale Mythen im historischen Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern und der von der Politik an historische Ausstellungen gestellte Auftrag zur Herstellung einer nationalen Identität angesichts der Existenz von "Identitätsbündeln" als kaum realisierbar angesehen werden muss,
Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang das Engagement der Zivilgesellschaft, die mit eigenen Ausstellungen oft ein Gegengewicht zu den staatlich geförderten Geschichtsbildern liefert und alternative Erinnerungsmuster im kulturellen Gedächtnis wach zu halten vermag. Die Zivilgesellschaft, aber auch der plurale Charakter von Wissenschaft und Medien, die als wachsame Beobachter der Erinnerungspolitik in Erscheinung treten, wirken regulierend auf die Absichten staatlicher Akteure. Eine vom Staat angeordnete museale Verbreitung bestimmter, neuer Geschichtsbilder, ein staatlich erlassener Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur, wird sich in der pluralistischen Gesellschaft immer mit anderen, konträren Deutungsmustern messen lassen müssen.
Anstatt "von oben herab" verordnet, findet ein Wandel in der Geschichtsdeutung vielmehr durch einen Generationenwechsel innerhalb der deutenden Gruppen statt. Die Nutzung der neuen Museen als Manipulationsmittel zur Herstellung einer gewünschten nationalen Identität scheint im 21. Jahrhundert wenig aussichtsreich - wenn sie es überhaupt je gewesen ist. Die Initiatoren und Fürsprecher einer musealen Vermittlung von Geschichte müssen sich die Frage gefallen lassen, ob historische Ausstellungen heute überhaupt noch ein zeitgemäßes und damit auch wirksames Instrument zur Schaffung und Erhaltung nationaler Identität sind - und ob entsprechende Geschichtsbilder inzwischen nicht eher von anderen Medien transportiert werden; Medien, die weitaus deutungsmächtiger zu sein scheinen. Museen stehen hier in direkter Konkurrenz nicht nur zu den Quoten bringenden Histotainment-Produktionen der TV-Anstalten sowie aufwendig inszenierten Kino- und Fernsehfilmen, sondern auch zu den unzähligen Internet-Angeboten.
Hinsichtlich einer möglichst breiten Rezeption von Geschichtsbildern droht das historische Museum als ein Relikt des 19. und 20. Jahrhunderts im Vergleich mit den neuen Massenmedien ins Hintertreffen zu geraten. Tatsächlich wird sich zeigen müssen, inwieweit historische Ausstellungen den menschlichen Wahrnehmungsbedürfnissen im 21. Jahrhundert, einer lebendigen Inszenierung von Geschichte, gerecht werden können - ohne dabei zum bloßen multimedialen Erlebnispark der Vergangenheit zu mutieren.