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Aufbruch in die ökologische Moderne Vom Raubbau an der Natur zur Kooperation mit der Natur - Essay

Ralf Fücks

/ 13 Minuten zu lesen

Die liberale Gesellschaft braucht eine grüne industrielle Revolution, um dem Klimawandel zu begegnen. Mit demokratischer Politik, Erfindergeist und einer dynamischen Ökonomie lassen sich Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum entkoppeln.

Die Auseinandersetzung um den Klimawandel ist in eine neue Phase getreten: Die Alarmzeichen einer immer rascheren Veränderung der Ökosphäre nehmen zu, und gleichzeitig wird diese zu einem bestimmenden politischen Faktor. Hunderttausende junger Leute sind Vorreiter einer "Klima-APO", und sie ziehen die Älteren mit sich. Klimaschutz war bei der Europawahl 2019 ein zentrales Motiv und birgt auch mit Blick auf Deutschland das Potenzial, die politische Landschaft umzupflügen. Umweltpolitik ist kein Nischenthema mehr, sondern wird zur neuen Zentralachse der Politik.

Aktuell halten fast 60 Prozent der Bevölkerung den Klimawandel für das drängendste Problem unserer Zeit – so die Ergebnisse einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen aus dem September 2019. Dieser Wert wurde bislang nur übertroffen von früheren Sorgen vor Arbeitslosigkeit sowie der Unruhe um die Flüchtlingspolitik 2015/16. Während der Konflikt um die Flüchtlingspolitik durch ein Bündel von integrativen und restriktiven Maßnahmen eingedämmt werden konnte, ist eine Entschärfung bei der Klimafrage nicht in Sicht. Wie die Reaktionen auf das jüngst beschlossene "Klimapaket" der Bundesregierung zeigen, nimmt die Auseinandersetzung noch an Heftigkeit zu. Wenn die Kluft zwischen klimapolitischer Ungeduld in der Gesellschaft und der Trägheit von Politik und Wirtschaft tiefer wird, kann daraus eine Legitimationskrise unseres Gesellschaftsmodells entstehen, das auf der Kombination von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft beruht. Wer beide zukunftsfest machen will, muss sich der ökologischen Herausforderung stellen.

Die industrielle Moderne basiert bislang auf der scheinbar unbegrenzten Verfügbarkeit fossiler Energien. Sie waren der Treibstoff für eine ungeheure Steigerung von Produktion und Konsum und eine immer weiter ausgreifende Mobilität. Gleichzeitig haben die Industrialisierung der vormaligen "Dritten Welt" und der expansive Lebensstil der wachsenden globalen Mittelschicht zu einem dramatischen Anstieg des Energieverbrauchs geführt. Seine Hauptquellen sind Kohle und Öl. Rund die Hälfte aller fossilen Energieträger, die seit Beginn der Industrialisierung verfeuert wurden, fallen in die vergangenen 30 Jahre.

Historisch betrachtet sind die Vorreiter der industriellen Moderne – Europa und die USA – für den Löwenanteil der steigenden CO2-Konzentration in der Atmosphäre verantwortlich. Inzwischen sind die bevölkerungsreichen neuen Industrienationen Asiens an ihnen vorbeigezogen: China steht heute für rund 28 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen, Indien folgt nach den USA bereits auf Rang drei. Japan hat seinen CO2-Ausstoß seit 1960 verfünffacht. Deutschland ist das einzige Land unter den sechs weltgrößten "Klimasündern", dessen CO2-Emissionen in diesem Zeitraum in etwa gleich geblieben sind. Im Verhältnis zum Basisjahr 1990 sind sie sogar um rund 30 Prozent gesunken. Der Anteil der Bundesrepublik an der globalen Wirtschaftsleistung beträgt etwa 3,2 Prozent, an den Treibhausgasemissionen 2 Prozent. Dennoch liegen die deutschen CO2-Emissionen pro Kopf über dem europäischen Durchschnitt. Das liegt vor allem am hohen Anteil der Kohle am Energiemix. Schweden kommt mit seiner Kombination aus Wasserkraft und Atomenergie nur auf die Hälfte des deutschen Werts.

Einem Zauberlehrling gleich hat die industrielle Moderne einen Prozess globaler Erwärmung in Gang gesetzt. Er führt uns in einer historisch kurzen Frist aus der relativ stabilen Klimazone der vergangenen zehntausend Jahre hinaus, in der sich die menschliche Zivilisation entwickeln konnte. In den zurückliegenden 200 Jahren stieg die mittlere globale Temperatur um 1,1 Grad; der Trend geht steil nach oben. Die Erwärmung der Arktis und das Schmelzen des Grönland-Eises verlaufen schneller als vermutet, ein Hitzesommer jagt den nächsten. Wir müssen um die künftigen Lebensbedingungen auf unserem Heimatplaneten fürchten. Wenn der Treibhauseffekt außer Kontrolle gerät, wird das die Lebenswelt von Milliarden Menschen gefährden. Die dramatischen Folgen eines sich selbst verstärkenden Klimawandels sind oft genug beschrieben worden, ebenso ihre sicherheitspolitische Dimension. Umweltbedingte Massenmigration und Konflikte um knappe Wasserreserven bergen ein erhebliches Gewaltpotenzial.

Neuer "Kulturkampf"

Jetzt, da sich erweist, dass die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas das Erdklima aus den Fugen hebt, gerät auch der Hedonismus der Moderne in die Kritik. In den wohlhabenden Ländern – vorneweg in Deutschland – wächst eine Bewegung, die eine radikale Veränderung des individuellen Lebensstils fordert. Die Freude am Fahren, der Urlaubsflug, die große Wohnung, die permanente Online-Kommunikation, die jährlich wechselnden Moden, die jahreszeitunabhängige Verfügbarkeit von Lebensmitteln aus der ganzen Welt und der hohe Fleischkonsum gelten als ökologischer Sündenfall. Für die Anhänger eines neuen Öko-Puritanismus ruiniert unser Streben nach "immer mehr" den Planeten. "Tuet Buße und kehrt um!", ist deshalb der neue kategorische Imperativ.

Der Philosoph Peter Sloterdijk hat diesen neuen "Kulturkampf" bereits vor Jahren vorausgesehen: "Die expressions- und emissionsfeindliche Ethik der Zukunft zielt geradewegs auf die Umkehrung der bisherigen Zivilisationsrichtung", sagte er 2009 in einer Rede auf der Klimakonferenz in Kopenhagen. "Sie verlangt Verminderung, wo bisher Vermehrung auf dem Plan stand, sie fordert Minimierung, wo bisher Maximierung galt, sie will Zurückhaltung, wo bisher Explosion erlaubt war, sie verordnet Sparsamkeit, wo bisher Verschwendung als höchster Reiz empfunden wurde, sie mahnt die Selbstbeschränkung an, wo bisher die Selbstfreisetzung gefeiert wurde. Denkt man diese Umschwünge zu Ende, so gelangt man im Zuge der meteorologischen Reformation zu einer Art von ökologischem Calvinismus."

Die bisherige Wirkung all dieser Bußpredigten ist allerdings sehr überschaubar. Zwar geht unter den Jungen und Gebildeten der Fleischkonsum ebenso zurück wie der Drang zum eigenen Auto. Zugleich steigen die Zulassungszahlen für SUVs ebenso wie die Zahl der Flugreisen und der Stromverbrauch der digitalen Kommunikation. Die Zahl derjenigen, die ihre persönliche CO2-Bilanz drastisch gesenkt haben, fällt kaum ins Gewicht.

Das liegt nicht nur an der Macht alter Gewohnheiten und individueller Bequemlichkeit. Unsere persönliche Klimabilanz hängt stark von Strukturen ab, die sich individuell nur sehr bedingt verändern lassen: von der Art der Energieerzeugung, den Gebäuden, in denen wir wohnen, den verfügbaren Alternativen zum Automobil und von den Berufen, in denen wir tätig sind. Für Geschäftsleute, Wissenschaftlerinnen, Angehörige des internationalen Kulturbetriebs, Politiker und die Eliten der globalen Zivilgesellschaft ist das Fliegen keine Frage der individuellen Moral, sondern ihres beruflichen Alltags. Selbst wo es sinnvoll und zumutbar wäre, den Zug statt das Flugzeug zu nehmen, scheitert das allzu oft an fehlenden Kapazitäten und zeitraubenden Verbindungen der Bahn.

Damit wir uns recht verstehen: Es gibt keine Freiheit ohne persönliche Verantwortung. Es ist gut und richtig, mit Rad oder Bahn zu fahren und keine Produkte zu kaufen, für die Menschen geschunden werden oder Tiere leiden. Jedem steht es frei, das "gute Leben" in einem Mehr an Muße und sozialen Beziehungen statt in einer Steigerung von Einkommen und Konsum zu suchen. Aber ein nüchterner Blick auf die Größe der ökologischen Herausforderung zeigt, dass sie mit dem Appell zur Genügsamkeit nicht zu lösen ist. Eine Reduktion von Treibhausgasen um 90 Prozent und mehr ist nicht durch die Beschränkung von Mobilität und Konsum zu erreichen. Ohne eine grüne industrielle Revolution werden wir den Wettlauf mit dem Klimawandel nicht gewinnen. Ihr Kern besteht in einer Entkopplung von Wohlstandsproduktion und Naturverbrauch. Das ist ambitioniert, aber machbar.

Klimawandel und Demokratie

Die Kritik an der Langsamkeit der Demokratie mit ihrer Kompromissorientierung hat eine lange Tradition. Angesichts immer neuer Alarm-Nachrichten über schmelzende Gletscher, brennende Wälder und auftauende Permafrostböden wird der Ruf nach durchgreifenden Maßnahmen lauter. Es ist kein Zufall, dass prominente Umweltschützer wie der Norweger Jørgen Randers mit dem chinesischen Modell eines vermeintlich aufgeklärten Autoritarismus sympathisieren. Randers gehörte zu dem Team um den Ökonomen Dennis Meadows, das 1971 den berühmten Bericht zu den "Grenzen des Wachstums" für den Club of Rome verfasste. Bereits diese Urschrift der modernen Umweltbewegung war von einem autoritären Grundton durchzogen.

Wenn man die Rettung aus der ökologischen Krise vor allem in der Einschränkung von Produktion, Konsum und Fortpflanzung sucht, ist das konsequent. Autoritäre Regimes scheinen dann eher in der Lage, die notwendigen Verzichtsleistungen durchzusetzen, weil sie in geringerem Maße als parlamentarische Demokratien von der Zustimmung der Bevölkerung abhängig sind. Demokratie wird in dieser Lesart zu einem Luxus, den wir uns angesichts der Klimakrise nicht mehr leisten können.

Gegen die autoritäre Versuchung der Ökologie zu argumentieren, bedeutet nicht, die ökologische Krise zu verharmlosen. Wenn die Erderwärmung außer Kontrolle gerät und die Meere kippen, wird das große Verwerfungen nach sich ziehen, von wirtschaftlichen Einbrüchen bis zu weltweiten Wanderungsbewegungen. Insofern gefährdet die Umweltkrise auch die Demokratie. Wir müssen deshalb alles tun, um die ökologische Transformation der Industriegesellschaft voranzutreiben.

Wider eine Ökologie des Verzichts

Die Ökologie des Verzichts beruht auf einer statischen Sicht auf die Beziehungen zwischen Mensch und Natur. Sie begreift die Erde als einen fixen Raum, der nur ein begrenztes Potenzial an Ressourcen bietet, in dem sich die Menschen einrichten müssen. Überschreiten sie die von der Natur gesetzten Grenzen, droht die Selbstvernichtung der menschlichen Gattung. Ein Vorläufer dieses Denkens war der britische Theologe und Ökonom Thomas Malthus, ein Zeitgenosse von Goethe. Seine berühmt gewordene "Bevölkerungstheorie" postulierte, dass die Erde nur rund eine Milliarde Menschen ernähren kann. Ein Überschreiten dieser Schwelle führe zu katastrophalen Hungersnöten bis hin zum Zusammenbruch der menschlichen Zivilisation.

Was Malthus nicht voraussah, war die enorme Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität durch chemische Dünger, Pflanzenschutzmittel, moderne Maschinen und die Züchtung ertragreicherer Pflanzen und Nutztiere. Heute leben mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Erde, ihre Lebenserwartung hat sich seither verdoppelt und die verfügbare Kalorienmenge pro Kopf um mehr als die Hälfte erhöht. Ein Wunder? Ja, aber ein Wunder auf der Basis von Wissenschaft und Technik. Was Malthus außer Acht ließ, war die menschliche Erfindungskraft. Wir können die Naturgesetze nicht außer Kraft setzen, aber die wachsende Naturerkenntnis und der technische Fortschritt ermöglichen es, die "natürlichen Grenzen" immer weiter hinauszuschieben. Die "Grenzen des Wachstums" sind keine fixe Größe. Die Sonneneinstrahlung auf der Erde bietet ein fast unerschöpfliches Energiepotenzial für eine ökologische Industriegesellschaft, die auf der Kombination von natürlicher und technischer Photosynthese, von Bioökonomie und Wasserstoff beruht.

Auch der Report "Die Grenzen des Wachstums" huldigt einer linearen Logik. Für Dennis Meadows und seine Kollegen war Wirtschaftswachstum unvermeidbar mit einem wachsenden Verbrauch eng begrenzter Ressourcen verbunden. Nach ihren Hochrechnungen musste eine fortgesetzte Expansion der Weltwirtschaft bereits um das Jahr 2000 zur Erschöpfung der natürlichen Ressourcen führen. Öl, Gas, Kupfer, Bauxit, Zinn, Eisenerz und andere wichtige Rohstoffe würden versiegen, die Meere wären leergefischt, die Kontamination von Böden und Gewässern mit giftigen Stoffen würde irreversibel.

Womit sie nicht gerechnet hatten, war die steigende Effizienz im Umgang mit knappen Ressourcen, die Entdeckung immer neuer Rohstoffquellen und eine immer umfassendere Umweltgesetzgebung, die zumindest in den fortgeschrittenen Ländern dem Raubbau an der Natur Grenzen zog. Im Ergebnis hat sich die Weltbevölkerung seit 1970 glatt verdoppelt, die Lebenserwartung ist ebenso gestiegen wie das Bildungsniveau, die Kindersterblichkeit ist gesunken, und die Luft- und Gewässerqualität ist in Europa und Nordamerika deutlich besser als zu Beginn der 1970er Jahre, gleichzeitig sind die bekannten Vorräte der meisten Rohstoffe heute größer. Inzwischen ist unsere Sorge nicht mehr, dass der Industriegesellschaft die Rohstoffe ausgehen. Als zentrales ökologisches Problem haben sich die Dezimierung der biologischen Vielfalt sowie die Überlastung des Erdsystems mit den Schadstoffen des Industriesystems entpuppt, vorneweg die Überfrachtung der Atmosphäre mit Treibhausgasen.

Freiwilliger oder erzwungener Verzicht auf dieses und jenes wird die ökologische Krise bestenfalls verlangsamen, aber nicht stoppen. Das gilt erst recht mit Blick auf die Milliarden Menschen auf unserem Planeten, die nichts sehnlicher wollen als den Anschluss an ein modernes Leben: gut ausgestattete Wohnungen, Bildung und professionelle Gesundheitsversorgung, die Möglichkeit zu reisen, eine reichhaltige Ernährung. Für die große Mehrheit der Weltbevölkerung ist "Nullwachstum" keine Alternative. Für sie ist wirtschaftliches Wachstum nach wie vor der Hebel für höheren Lebensstandard, bessere Bildung und Gesundheitsversorgung. Es kommt deshalb alles darauf an, die Art und Weise unseres Wirtschaftens zu verändern: vom Raubbau an der Natur zur Kooperation mit der Natur. Das wäre der Modus für ein nachhaltiges beziehungsweise grünes Wachstum, das steigenden Wohlstand – zumindest für die große Mehrheit der Weltbevölkerung – mit der Treuhänderschaft für die natürlichen Lebensgrundlagen verbindet.

Für eine grüne industrielle Revolution

In einer stagnierenden oder gar schrumpfenden Ökonomie sinken auch die Investitionen und damit das Innovationstempo. Gerade weil die Zeit angesichts des Klimawandels drängt, brauchen wir umgekehrt ein höheres Tempo bei der Umstellung auf erneuerbare Energien, umweltfreundliche Landwirtschaft und klimaneutrale Mobilität. Der ökologische Umbau der Industriegesellschaft erfordert steigende Investitionen in alternative Energiesysteme und neue Produktionsanlagen, in den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die ökologische Modernisierung unserer Städte. Wenn wir es richtig anstellen, entsteht daraus eine neue ökonomische Dynamik, eine lange Welle umweltfreundlichen Wachstums.

Bei Lichte besehen, geht es ohnehin nicht um die Frage, ob die Weltwirtschaft weiterhin wächst. Angesichts einer auf zehn Milliarden steigenden Weltbevölkerung, der fortschreitenden Industrialisierung der Länder des Südens und des anhaltenden Wachstums der Städte lautet die alles entscheidende Frage, ob es gelingt, Wertschöpfung und Umweltbelastung zu entkoppeln. Bei einer jährlichen Wachstumsrate von drei Prozent wird sich die globale Wirtschaftsleistung in den kommenden 20 Jahren in etwa verdoppeln. Im gleichen Zeitraum müssen die Treibhausgasemissionen dramatisch sinken, um den Temperaturanstieg im Zaum zu halten. Das erfordert nichts weniger als eine grüne industrielle Revolution mit einer ähnlich durchschlagenden Wirkung wie die Erfindung der Dampfmaschine, die Elektrifizierung oder das Automobil. Im Kern geht es um eine dreifache Transformation der alten Industriegesellschaft: erstens von fossilen Energiequellen zu erneuerbaren Energien, zweitens um eine kontinuierliche Steigerung der Ressourceneffizienz (aus weniger Rohstoffen und Energie mehr Wohlstand erzeugen) und drittens um den Übergang zu einer modernen Kreislaufwirtschaft, in der jeder Reststoff wieder in die biologische oder industrielle Produktion zurückgeführt wird.

Wer Freiheit und Ökologie in Einklang bringen will, muss vor allem auf Innovation setzen und den Wettbewerb um die besten Lösungen fördern. Das ist keine Absage an staatliche Eingriffe in den Markt. Auch eine liberale Umweltpolitik kommt nicht ohne Grenzwerte und Verbote aus. Aber sie sind nicht der Königsweg für die Lösung der ökologischen Frage. Zielführender ist die Einbeziehung ökologischer Kosten in die Preisbildung. Marktwirtschaft funktioniert nur, wenn die Preise die ökologische Wahrheit spiegeln. Eine ökologische Steuerreform, die Treibhausgasemissionen und den Verbrauch knapper natürlicher Ressourcen verteuert, hat einen weitaus größeren Effekt als immer neue Ge- und Verbote. Die Mehrbelastungen, die durch Umweltsteuern entstehen, können in Form eines Öko-Bonus an alle Bürgerinnen und Bürger zurückerstattet werden. Ein solcher Pro-Kopf-Betrag hätte sogar einen sozialen Umverteilungseffekt, weil Geringverdienende in der Regel einen geringeren CO2-Fußabdruck aufweisen als Wohlhabende.

Der Weg über einen sukzessiv ansteigenden CO2-Preis ist der kostengünstigste Weg zum Klimaschutz – er setzt die Maßnahmen zur Senkung von Kohlendioxid-Emissionen frei, bei denen das günstigste Kosten-Nutzen-Verhältnis erzielt werden kann. Der zweite große Vorteil liegt darin, dass sie die Eigeninitiative von Unternehmen und Verbrauchern in eine nachhaltige Richtung lenkt, ohne ihnen Vorschriften zu machen. Zugleich liefert ein steigender CO2-Preis Anreize für klimafreundliche Investitionen und Kaufentscheidungen aufseiten der Produzenten und Konsumenten.

Klimaökonomen kommen auf lenkungswirksame Einstiegspreise von 50 bis 60 Euro pro Tonne, die nach und nach auf einen dreistelligen Betrag ansteigen. Der von der Bundesregierung beschlossene CO2-Tarif von 10 Euro pro Tonne bleibt weit unter dieser Schwelle. In Schweden, das bereits Anfang der 1990er Jahre eine nationale CO2-Steuer einführte, liegt der Preis gegenwärtig bei 115 Euro je Tonne. Er gilt für wirtschaftliche Aktivitäten, die nicht vom europäischen CO2-Emissionshandel erfasst werden.

Neuer Anlauf

Die Pariser Klimakonferenz von 2015 hat sich nicht als der große Durchbruch erwiesen, den sich viele erhofft hatten. Die globalen Treibhausgasemissionen steigen weiter, die meisten Staaten bleiben hinter ihren Absichtserklärungen zurück. Das gilt auch für die Bundesrepublik. Die Trägheit von Politik, Wirtschaft und Alltagsgewohnheiten bremst rasche Fortschritte. CO2-intensive Industrien wehren sich gegen die Entwertung ihres Kapitals. Viele Entwicklungsländer setzen nach wie vor auf Kohle zur Deckung ihres Energiehungers. In Schlüsselländern wie den USA und Brasilien ist ein klimapolitisches Rollback im Gang. Für Trump und Bolsonaro ist das Pariser Abkommen nur lästiger Ballast. Die russische Führung setzt auf die Steigerung der Öl-, Gas- und Kohleexporte als Geschäftsmodell. Auch in China steigen die CO2-Emissionen weiter an, trotz des beeindruckenden Ausbaus erneuerbarer Energien und der Elektromobilität. Dieser Trend kann nur umgekehrt werden, wenn die fortgeschrittenen Industrieländer zeigen, dass es auch anders und besser geht.

Die ökologische Krise erzwingt einen fundamentalen Umbau der Industriegesellschaft. Die rasche Entwicklung digitaler Technik, von Hochleistungsrechnern und superschnellen Datennetzen bis hin zu selbstlernenden Robotern und 3D-Druck im industriellen Maßstab, bietet auch neue Potenziale für ressourcenoptimierte Produktion und eine vernetzte Kreislaufwirtschaft. Ohne intelligente Verbundnetze wäre die Energiewende, die eine Verknüpfung von Millionen dezentraler Anlagen erfordert, undenkbar. Auf diesem Weg voranzugehen, ist die besondere Verantwortung und Chance der hochindustrialisierten Länder.

Die deutsche Energiewende hat dazu beigetragen, die Lernkurve erneuerbarer Energien zu finanzieren. Heute sind Solar- und Windkraftanlagen vielerorts kostengünstiger als neue Kohle- und Atomkraftwerke. Diese Pionierrolle sollten wir auch bei Stromspeichern und intelligenten Netzen, der Umwandlung von Regenerativstrom in Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, bei Elektromobilität und Biotechnologie übernehmen. Nur wenn wir zeigen, dass Klimaschutz und wirtschaftlicher Erfolg zwei Seiten einer Medaille sind, kann Europa zum Modell für andere werden. Gleichzeitig sichern wir damit unsere eigene wirtschaftliche Zukunft.

Angesichts einer drohenden Zuspitzung ökologischer Krisen stehen wir vor drei absehbaren Optionen. Die erste liegt in der Radikalisierung einer Umkehrbewegung, die die Rettung in der freiwilligen oder erzwungenen Schrumpfung von Produktion und Konsum sucht, in Verzicht und Verbot. Ihr Gegenpol ist ein trotziges "Weiter so", die Verlängerung des fossilen Industrialismus bis zum Kollaps. Die dritte Möglichkeit liegt in einer neuen Synthese zwischen Natur und Technik. Angesichts der Belastungsgrenzen des Erdsystems bleiben uns zwei Quellen des Fortschritts: Die Einstrahlung von Sonnenenergie auf die Erde und die menschliche Kreativität. Auf einer Kombination von beidem muss eine freiheitliche und nachhaltige Gesellschaft aufbauen. Wir können die drohende Selbstzerstörung der Moderne mit den Mitteln der Moderne bewältigen: mit demokratischer Politik, Wissenschaft, einer dynamischen Ökonomie und einer aktiven Zivilgesellschaft.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine überarbeitete Fassung von Ralf Fücks, Letzte Chance, in: Internationale Politik 5/2019, S. 8–14.

ist Gründer und Geschäftsführer des Think-Tanks Zentrum Liberale Moderne in Berlin. Von 1996 bis 2017 leitete er die Heinrich-Böll-Stiftung. E-Mail Link: office@libmod.de