Einleitung
"Allzugut ist Heinrich Heine von den Deutschen nicht behandelt worden (...)."
Sein kritischer, hellsichtiger Blick auf die Zustände im Vormärz, der Epoche vor der Revolution von 1848, und seine seziermesserscharfe Sprache hatten dem Zwangsaußenseiter schon zu Lebzeiten, noch vor seiner Emigration 1831 nach Paris, übelste Beschimpfungen eingetragen: So überzog der Hamburger Gymnasiallehrer Eduard Meyer Heine und dessen Rivalen Ludwig Börne mit Schmähvokabeln wie "Unverschämtheit und Anmaßung", "Unsittlichkeit und Leichtfertigkeit", "vorlautes Wesen" und "gemeine Grundgesinnung" - "häßliche Eigenthümlichkeiten dieser Asiaten [gemeint: Juden, T.G.]", die "mit der Taufe nicht so leicht abgelegt" werden könnten.
Auf der anderen Seite gewann der politische Kopf Anhänger. So wollte ihm der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr, im Rezensionsstil so gezielt salopp wie Heine, zu seinem 50. Todestag (1906) ein Denkmal errichten. Hinter dem kämpferischen Aufruf "wider die Philister" und ihren wilhelminisch-kolossalen Geschmack versammelten sich Vertreter der kulturellen Moderne, Max Liebermann etwa, Gerhart Hauptmann oder Engelbert Humperdinck. Auch die Arbeiterbewegung entdeckte den Gesprächspartner ihres Propheten Karl Marx für sich, reklamierte ihn für die proletarische Revolution. Von dem Krawall-Nationalisten Adolf Bartels bekämpft, ging der Kerr'sche Denkmalsplan jedoch erst zwei Jahrzehnte später auf, in der brüchigen Weimarer Demokratie. Nach deren Zusammenbruch wurde die Hamburger Bronzestatue zunächst eingemottet, später eingeschmolzen für den "Endsieg".
In der DDR vereinnahmt
Etliche, die vor dem NS-Terror flohen, nahmen ihren Schicksalsgenossen geistig mit in die Emigration: zum Beispiel nach Mexiko-Stadt, wo Anna Seghers, Ludwig Renn und andere ihren Emigranten-Club wie selbstverständlich nach Heine benannten. Mit ihm kehrten viele nach dem Krieg nach Deutschland zurück, ein Teil davon in die Sowjetische Besatzungszone. Ausgerechnet die stalinistische UdSSR hatte als eines der ersten Länder der Welt den Vorkämpfer für Demokratie und Menschenrechte auf einen Ruhmessockel gehoben: als antifaschistischen Mitkrieger gegen Nazi-Deutschland.
Folgerichtig verleibte auch das SED-Regime in Ost-Berlin den "Vorläufer des sozialistischen Denkens" dem kommunistischen "Erbe" ein und führte ihn gegen Bonn und die NATO ins Feld. Allerdings nicht ungestraft: "Mit seinem Witz, seiner Respektlosigkeit, seiner Schärfe wirkte der Dichter animierend auf junge Köpfe", schrieb einer dieser jungen Köpfe im Rückblick auf die sonst drückenden Aufbaujahre in der SED-Diktatur.
Die Bilanz der "usurpierenden Rezeption" in der DDR, im Heine-Jahr 1956 in einer ideologischen Inszenierung sondergleichen gipfelnd, fällt gemischt aus: Einerseits fand die sozialistische Diktatur in Heine ein Erneuerung verheißendes Aushängeschild, das manchen auch im Westen milde stimmte beim Blick auf den SED-Staat. Andererseits führte die Kanonisierung Heines dazu, dass der Dichter der "Loreley" von weiten Bevölkerungsteilen endlich auch als politischer Kopf wahrgenommen wurde. Das "Wintermärchen" wurde Pflichtlektüre in den Schulen der DDR - eine Popularisierung, deren Wirkung sich im Herbst 1989 auf den Leipziger Montagsdemonstrationen zeigen sollte.
Von der Aufnahme Heines ins sozialistische Kulturerbe profitierte aber auch die Forschung. Die marxistische "Brille" klärte den Blick für die gesellschaftliche Bedingtheit seines Werks. George Lukács, der den sozialistischen Erbebegriff mitgeprägt hatte, deutete des Dichters "Schwankungen" nicht charakterlich, wie es bis dato Usus gewesen war in Deutschland, sondern als Spiegel gesellschaftlicher Widersprüche. Weltweit anerkannt wurden die Leistungen einer neuen Generation ostdeutscher Heine-Forscher. So legte Hans Kaufmann in den sechziger Jahren die bis zum Erscheinen der großen historisch-kritischen Editionen (Düsseldorf sowie Weimar/Paris) "maßgeblichste Werk- und Briefausgabe" vor.
In der Bundesrepublik verharmlost
Die Heine-Rezeption der jungen Bundesrepublik war zunächst wenig anspruchsvoll. Für die große Mehrheit der Westdeutschen stellte sich der Dichter bestenfalls so dar, wie ihn Arno Breker, der nachmalige "Hofbildhauer des Dritten Reichs", schon beim Düsseldorfer Denkmalswettbewerb 1932 hatte abbilden wollen: reduziert, als sinnende Jünglingsgestalt, schön anzusehen und herzergreifend dichtend. Einen deutschen Gedächtnisort für dieses unangemessen-romantisierende Poetenbild hat ungewollt der Stadtrat von Norderney geschaffen, als er Brekers Wiedergutmachungs-Heine 1983 gegen zahlreiche Proteste vor dem "Haus der Insel" aufstellte.
Und die "hässlichen" Stellen? Heines angeblich "verabscheuungswürdige Seiten", seit seinen Lebzeiten bei öffentlichen Auseinandersetzungen immer wieder beschrien? Wie hielt es die Mehrheit der Westdeutschen damit? Einen Hinweis gibt die offizielle Stellungnahme der Bundesregierung zum "Klassiker des Ärgernisses" anlässlich seines 100. Todestags am 17. Februar 1956: "Dieser Mann", heißt es im Bulletin, "hat so vieles geschrieben, was man, von welchem Standpunkt auch immer, unmöglich billigen kann, dass es in der Tat Schwierigkeiten bereitet, vor den Augen der uns gerade jetzt ironisch aufmerksam betrachtenden Welt das allzu Abscheuliche taktvoll zu übersehen und das Großartige und Schöne um so lauter zu loben (...). Heinrich Heine ist ein Phänomen, das als Ganzes genommen werden muss und dessen Vielfalt der Moralist nur gerecht werden kann, wenn er nach Motiven auch dessen sucht, was wirklich häufig recht anstößig dasteht."
Stimmt diese Interpretation, dürfte das Bild vom charakterschwachen und frankophilen Nestbeschmutzer beim deutschen Michel der unmittelbaren Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre zumindest unterschwellig fortgewirkt haben - auch wenn die wenigsten in ihrer Abneigung eine solche ideologische Tiefenschärfe aufgebracht haben dürften wie Heinz Politzer 1948. Für ihn trug der "Abenteurer Heine" viele Masken, hinter denen er seine "Neigung" verbarg, "sich der Verantwortung zu entziehen", besaß er den "bösen Blick des Gesellschaftskritikers", "fing sich in seinem eigenen Witz" und "fiel endlich auf das Judentum als auf den Punkt des geringsten Widerstands zurück".
Der alte Heine-Hass - feierte er also törichte Urständ im Westen? Der Eindruck trügt. Jedenfalls verloren die Wortführer der Anti-Heine-Partei nach dem ungeheuren Zivilisationsbruch die Meinungsführerschaft bei der Deutung der deutschen Geschichte und ihrer Kritiker. Friedrich Sieburg mahnte 1956: "Die Betrachtung dieser Figur (Heine) und seines Werkes sollte uns mit schärfster nationaler Selbstkritik verbunden sein (...)." Und Theodor W. Adorno sprach von der "Wunde Heine": Sie schmerze noch immer, weil der Außenseiter das deutsche Publikum auf Schwachstellen der bürgerlichen Gesellschaft stoße, vom "Warencharakter" der Kunst bis hin zum "Scheitern der jüdischen Emanzipation".
Die bundesdeutsche Germanistik näherte sich Heine, wenn überhaupt, zunächst textimmanent-formalistisch und/oder altkonservativ-moralisierend. Doch eine neue Generation von Literaturforschern erkannte, dass man mit der Ausblendung der "deutschen Zustände" in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weder der Person gerecht wird noch bei der Werkinterpretation weiterkommt. Manfred Windfuhr wehrte sich nach eigenen Worten "gegen das damals weit verbreitete Bild vom Impressionisten Heine, die Vorstellung von angeblich diffusen und widersprüchlichen Strukturen, und arbeitete dagegen durchgehende Linien heraus, vor allem Heines Revolutionskonzept". Mit "Achtundsechzig" kam dann die gesellschaftskritische Neubewertung zum Durchbruch, wenn auch mit der für solche Umschwünge typischen Übertreibung: Einige Kollegen, erinnert sich Windfuhr, "wünschten sich von mir ein ideologisch strammeres Heinebild. Demokratisch reichte nicht, es musste radikal- oder linksdemokratisch sein."
Heine-Universität Düsseldorf?
Windfuhr war es auch, der einen Aufruf von zehn Dozenten der Universität Düsseldorf initiierte, die Hochschule nach dem berühmten Sohn der Stadt zu benennen. Der Appell vom 30. Oktober 1968 war überzeugend begründet, argumentierte mit dem Rang Heines, der ihm weltweit zuerkannt werde, seiner Universalität, mit dem "Nachholbedarf" an Ehrungen in Deutschland, der Mehrung des Ansehens von Hochschule und Stadt sowie der "guten Tradition", die die "Benennung deutscher Universitäten nach bedeutenden Vertretern des geistigen Lebens" habe.
Ein wesentlicher Grund war die Vor- und Entstehungsgeschichte der Universität. Die Hochschule ging aus der 1923 gegründeten Medizinischen Akademie Düsseldorf hervor und war zum Zeitpunkt der Windfuhr-Initiative, obgleich schon seit drei Jahren umbenannt, in ihrer Substanz kaum mehr als diese Akademie mit einigen wenigen nichtmedizinischen Lehrstühlen. Der nordrhein-westfälische Kultusminister Paul Mikat (CDU) wollte seine "schleichende" Universitätsgründung nicht durch eine Aufsehen erregende Namensgebung gefährden. Deshalb war ein erster Vorstoß für eine Heine-Universität - 1965 durch Düsseldorfs Oberstadtdirektor Gilbert Just (SPD), auf Anregung des in Düsseldorf geborenen und 1934 nach London emigrierten Juden Fritz Hellendall - im Sande verlaufen.
Mikat begründete seine Ablehnung außerdem mit der Hochschulautonomie. Nach seiner Rechtsauffassung konnte eine Regierung einer Universität keinen bestimmten Personennamen "dekretieren". Und dies hätte er wohl tun müssen, denn die Akademiemediziner plagten Statussorgen: Andere Fakultäten könnten die knappen Mittel beschneiden und die Identität der Medizinischen Akademie "umbiegen", befürchteten sie. Am liebsten wären die Mediziner, Professoren wie Studenten, wohl unter sich geblieben. Aber auch noch mit Germanisten unter einem Dichternamen firmieren - das schien den meisten Medizinern des Neuen zu viel.
Dieselben Gründe galten auch im Jahr der Studentenrevolte, 1968, allerdings in verschärfter Form: Die nächste Ausbaustufe mit nichtmedizinischen Lehrstühlen stand unmittelbar bevor (darunter der Germanistik-Lehrstuhl von Windfuhr). Überdies sahen die Noch-Hausherren in den im Umbruch befindlichen Geisteswissenschaften eine Einbruchstelle für eine ideologisierte Wissenschaft (durch "progressive" Professoren) und - schlicht - einen Unruheherd (durch die Studenten).
Und wenn Goethe oder Schiller statt Heine als Namensgeber vorgeschlagen worden wären? Dann hätte die zügige Benennung nach einem Dichter wohl eine deutlich größere Chance gehabt. Schleichende Gründung, Medizinersorgen, "Achtundsechzig" - die Benennungsinitiative scheiterte auch deshalb, weil Heine bis Ende der sechziger Jahre, vom Namen abgesehen, ein weithin Unbekannter war im bundesdeutschen Volk, auch unter Durchschnittsakademikern und solchen, die es werden wollten. "Der einzige Schulfreund, der Heine kannte und liebte", erzählte Bernhard Schlink in seiner Rede zur Entgegennahme der Heine-Ehrengabe 2000 über seine Heidelberger Gymnasialzeit, "war ein Linker, gegen die Atombombe, für den Verzicht auf die Ostgebiete, für die Anerkennung der SBZ/DDR und dafür, im Kommunismus etwas genuin anderes, Besseres als im Nationalsozialismus zu sehen."
Neuere Forschungen über die Medizinische Akademie "nach der Diktatur" lassen annehmen, dass das Lehrpersonal dort wie auch die Studenten bis in die frühen siebziger Jahre hinein überwiegend konservativ eingestellt waren, dass sie eine grundsätzlich positive Einstellung zu den bundesrepublikanischen Verhältnissen hatten, sich nicht sonderlich den Kopf zerbrachen über Vergangenheitsbewältigung, verkrustete Strukturen oder soziale Chancengleichheit, dass sie fleißig arbeiteten, das berufliche Fortkommen und die eigene Zukunft im Blick.
Und ausgeprägter Antisemitismus? Auch der könnte bei der Ablehnung durch die Professoren eine Rolle gespielt haben. Allerdings wohl nur in Einzelfällen, so bei dem Humangenetiker Heinrich Schade, ab 1931 NSDAP-Mitglied und offenbar bis zu seinem Tod 1989 ein Anhänger der NS-"Rassenhygiene". Verstrickt in die NS-Medizin gewesen war jüngeren Forschungen zufolge auch der Anatom Anton Kisselbach: als zumindest "aktiver" Mitwisser von Menschenversuchen im elsässischen KZ Natzweiler.
Doch "müssen" in NS-Verbrechen verstrickte Deutsche 20, 25 Jahre später gegen Heine gewesen sein? Nicht unbedingt. Ihr "typisch menschliches" Verhalten nach der Diktatur indes, der zumindest nach außen hin wenig kritische Umgang mit der eigenen Vergangenheit legen es nahe, anzunehmen, dass sie die Abgründe der deutschen Geschichte eher verdrängen als"aufarbeiten" wollten. Und der "Ruhestörer" Heine stand für ein unbequemes Deutschlandbild. Es ist kaum wahrscheinlich, dass sich Menschen, die ein schlechtes Gewissen, Sorgen um die Karriere und Angst vor einem Kesseltreiben plagten, sich diesen zusätzlichen "Stachel" ausgerechnet im eigenen Lehrkörper herbeiwünschten.
Der in London lebende deutsch-jüdische Emigrant Fritz Hellendall vermutete acht Tage nach dem Windfuhr-Vorstoß in einem offenen Brief pauschal "Kräfte der Reaktion" hinter der Ablehnung einer Benennung. Daraufhin formulierte Rektor Alwin Diemer, ein liberaler Philosophieprofessor, eine unglückliche Presseerklärung, deren Kern sich als ehrenwerte Verteidigung der "autonomen" Wissenschaft vor politischen Vereinnahmungsversuchen lesen lässt. Darin wurde aber wenig souverän mit den Benennungsinitiatoren umgegangen, sie wurden vielmehr als jugendlich-vorwitzige Verschwörer, die einer unausgegorenen Idee anhängen, abgekanzelt. Zehn Tage später beschloss der Hochschulsenat einstimmig, der Universität keinen sonstigen Namen beizugeben. Die autonomiebewussten Professoren hielten das Thema damit für erledigt, Windfuhr jedoch nicht: "Es liegt im öffentlichen Interesse, die Frage der Benennung frei zu diskutieren." In den Augen des Anatoms Kisselbach war das eine Anmaßung: "Ich verfolge die Entwicklung der Philosophischen Fakultät mit großem Unbehagen", sagte er im Januar 1969 in einem Zeitungsinterview, "umso mehr, als zum Beispiel ein Professor, der noch nicht zu unserem Lehrkörper gehört und hier noch keine Vorlesung gehalten hat, taktlos und dreist durch eine demokratische Vergewaltigung einen Namen für die Universität erzwingen will." Dieser scharfe Ton sollte sein Echo finden: auf Seiten einer linksorientierten politischen Bewegung, der "Bürgerinitiative Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf". Heine-Kenner Windfuhr, der auf Überzeugungsarbeit gesetzt hatte, geriet in der am 13. Dezember 1968, dem 112. Geburtstag Heines, gegründeten Vereinigung schnell ins Abseits. Otto Schönfeldt nahm ihm das Heft aus der Hand, ein Mann aus dem (laut "Deutscher Volkszeitung") "antifaschistischen Widerstand": Schauspieler, 1936 Verhaftung und Berufsverbot, nach dem Krieg Theaterleiter in Hagen, Entlassung, weil angeblich zu linkslastig, danach "Kampf gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik". Schönfeldt sammelte im In- und Ausland hunderte Solidaritätsbezeugungen und Unterschriften für eine Heine-Universität, darunter die von so bedeutenden Schriftstellern wie Erich Fried, Günter Grass oder Erich Kästner. Zugleich jedoch führte der DKP-Sympathisant einen Feldzug gegen die Düsseldorfer Professoren, denen er mehr oder weniger pauschal unterstellte, aus antisemitischen Motiven einen mehr als 100 Jahre dauernden "Krieg gegen Heine" fortzusetzen. Damit brachte Schönfeldt die Hochschule weltweit in Misskredit, was dazu führte, dass ausgerechnet der liberale Philosophie-Ordinarius Alwin Diemer von einem Vortrag vor der Universität Houston/Texas ausgeladen wurde.
100 Jahre Krieg gegen Heine? Antisemiten, von Heines Zeitgenossen Meyer über den Denkmal-Stürmer Bartels bis hin zu den Heine-Hassern vom "Stürmer" - sie alle hatten einen Krieg geführt gegen Heine und sein fortschrittliches Werk. Doch für die Düsseldorfer Professoren war dieser Krieg Geschichte - wenn sie überhaupt davon wussten. Denn den meisten war wohl kaum die Tragweite ihrer Ablehnung bewusst, weder der Rang Heines in der Weltliteratur noch die feindliche Rezeptionsgeschichte hierzulande. Mit dem Kriegsvorwurf schoss Schönfeldt weit übers Ziel hinaus - mit der Folge, dass fast eine ganze Generation Düsseldorfer Medizin-Professoren die Benennung der Universität nach Heine nicht einmal mehr diskutieren wollte.
Anfang der siebziger Jahre fand der nach links gerückte Allgemeine Studentenausschuss (AStA) in Düsseldorf Gefallen an der Strategie, mit Heine die "massenhafte Diskussion" über das Selbstverständnis einer Universität zu forcieren: Die Studentenvertreter nahmen den Dichter für den Wissenschaftsbegriff der Neuen Linken in Dienst, für eine Vulgärversion der Kritischen Theorie, die "Wissenschaft, wie sie Heine versteht: praktisch, im Dienste des Menschen, die politische und soziale Revolution befördernd". So veranstaltete der AStA im Heine-Jahr 1972 ein bundesweit beachtetes "Heine-Hearing", auf dem PEN-Präsident Hermann Kesten Schönfeldts "Krieg dem Krieg" mit dem Dutschke-Heine der Studenten zusammenrührte: "Man wird mit Recht in aller Welt die Universität in Düsseldorf, die Stadt (...) verurteilen, dass sie einen großen deutschen Dichter verwerfen, weil er der Freund des Volkes war (...), weil er öffentlich ausgesprochen hat (...), wer ein Feind der sozialen und politischen und sexuellen Aufklärung ist, wer die Wissenschaften und die Literatur, Kunst und Religion und Volkserziehung zu Instrumenten willkürlicher Macht von wenigen, von kriminellen Tyrannen, von asozialen ökonomischen Herren machen will." In den stürmischen Beifall hinein warnte der Historiker Wolfgang J. Mommsen als Vertreter der Dozenten: "Wenn Sie den Namen Heinrich Heine für eine Politisierung der Universität missbrauchen und gegen die dort arbeitenden Professoren, die Sie außerdem in Bausch und Bogen zu Antisemiten erklären, dann brauchen Sie sich nicht zu wundern, wenn Sie auf Widerstand stoßen." Mommsens Warnung war prophetisch: Der Satzungskonvent der Hochschule, der die Umbenennung bereits im März 1972 abgelehnt hatte, sagte erneut im Januar 1973 und auch im Februar 1982 Nein zu einer Heinrich-Heine-Universität. Erst im Dezember 1988 beschloss der Senat nach klugen Sondierungen die Umbenennung - als die Kämpfe um eine "demokratisierte Wissenschaft" und die so genannte Gruppenuniversität geschlagen, die während der Nachrüstungsdebatte aufgebrandeten "neuen ideologischen Wellen" verebbt und neue Generationen in Professoren- und Dozentenstellen gelangt waren.
Ein Liberaler - oder ein Linker?
Heine hatte es inzwischen auch in der Bundesrepublik zu einem allseits anerkannten, ja beliebten Dichter gebracht. In den siebziger Jahren, dem Jahrzehnt der "konsolidierten Heine-Renaissance", erhielten Forschung und Vermittlung eine breitere institutionelle Grundlage, stiftete die Stadt Düsseldorf den Heine-Preis, wurde der Dichter durch Revuen, Schallplattenproduktionen, Rezitationsabende und den Buchmarkt regelrecht populär.
Während rechtsliberale Interpreten wie Golo Mann oder Carl Zuckmayer "ihren" Heine zu einem politisch ambivalenten Dichter "zwischen allen Stühlen" verschwimmen ließen, instrumentalisierte die Linke - von Bundespräsident Gustav Heinemann bis zu den Intellektuellen - den Dichter als Verbündeten im Kampf für sozialdemokratischen Fortschritt. "Zuckererbsen für jedermann!" (Heine 1844) und "Mehr Lebensqualität!" (Willy Brandt 1969), beide Parolen harmonierten, aus dem Zusammenhang gerissen, bestens miteinander, ebenso "Emancipation" und "Emanzipation", die "große Aufgabe" im Vormärz wie während der Kanzlerschaft Brandts. Zudem begann sich das kritischer werdende Selbstbild der Deutschen mit Heines Vaterlandsanalysen zu decken.
Die "Entdeckung" Heine entpuppte sich für Germanisten wie Literaturfreunde, für Politiker wie Intellektuelle als ein Schatz, der, erst einmal gehoben, in seinen Bann zieht. Statt des "Französlings" kam der Vorkämpfer für eine Aussöhnung zwischen Deutschland und Frankreich zum Vorschein, statt des "Dekadencejuden" der in seiner deutsch-jüdischen Identität mit Vaterland wie Judentum Ringende, statt des "gehässigen" Außenseiters der oppositionelle Intellektuelle, der uns die Augen öffnet. Heine wurde vervollständigt, auch biografisch: Nach dem jungen Liebeslyriker und dem furchtlosen Trommler für Freiheit und sozialen Fortschritt geriet der sich in seiner "Matratzengruft" quälende Mensch verstärkt in den Blick, der Zweifelnde, der in der Religion Halt sucht. Bert Gerresheims 1981 eingeweihtes "Fragemal" am Düsseldorfer Schwanenspiegel gibt Zeugnis davon: eine aufgesprengte Gesichtslandschaft mit Totenmaske, Trommel, Schere und weiteren Symbolen, die auf Leben und Werk, politischen Kampf und Zensur anspielen.
Heute herrscht Einmütigkeit darüber, dass Heine die Moderne in Deutschland ästhetisch wie politisch mitbegründet hat.
Deshalb hat der Dichter auch seine Mega-Vermarktung im Jubeljahr 1997 schadlos überstanden: das "eventige" Düsseldorfer Multi-Media-Spektakel, den "Heine-Duft", die Heine-Kochbücher und sonstiges Merchandising rund um den Kurzzeit-Popstar.