Einleitung
Der Fall der Sowjetunion und das Ende des Kalten Krieges, der Globalisierungsprozess und die Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnologie haben zu einer Neudefinition des Konzepts "Geopolitik" beigetragen. Mit dem Fall der Sowjetunion sind nicht nur acht unabhängige Staaten in Zentralasien entstanden; zugleich ist auch ein gesamtes Weltordnungskonzept über das geopolitische Verständnis von Identität im politischen Raum auseinander gefallen. Im Gegensatz zum traditionellen Konzept der Geopolitik - der so genannten realistischen Schule der Internationalen Beziehungen -, das den Staat als wesentlichen Akteur ineiner anarchischen Weltordnung begreift, lehnt die Schule der "kritischen Geopolitik" oder "Neo-Geopolitik"
Ein wichtiger Bestandteil der gegenwärtigen internationalen Politik ist der Wettstreit zwischen Staaten und multinationalen Unternehmen um Erdöl- und Erdgasreserven in der Welt. Das Überleben eines Landes und seiner Gesellschaft, wirtschaftliche Dynamik und technologische Innovation hängen heute von den Energieressourcen Erdöl und Erdgas ab und nicht mehr von einem großen Militärapparat. Zugang zu den Erdöl- und Gasreserven eines Landes oder einer Region zu bekommen, ist damit ein essentieller Faktor in der Machtprojektion von Staaten geworden.
Seit dem Fall der Sowjetunion ist weltweit eine unipolare militärische Machtstruktur entstanden. Sie besteht aus den drei wirtschaftlichen Kernregionen Nordamerika, Westeuropa sowie Ost- und Südostasien. Davor gab es lediglich ein wirtschaftliches Kerngebiet, bestehend aus der Atlantischen Allianz zusammen mit Japan und unter Einbeziehung von Taiwan und Südkorea in Ostasien. Das Wirtschaftswachstum dieser beiden Randgebiete Eurasiens wurde von der Atlantischen Allianz gefördert und sollte der Sicherheit der westlichen Welt zugute kommen. Hier ist nun offensichtlich eine Veränderung eingetreten. Seit dem Aufstreben Chinas - nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte Erdölkonsument der Welt mit rasanter industrieller Entwicklung und den Bestrebungen nach Regionalisierung auch in Ostasien - gehen Wirtschaftswachstum und Sicherheit nicht mehr Hand in Hand. Der Strukturwandel der früheren Staatenordnung und die damit verbundenen Veränderungen in der Weltwirtschaft bilden für die Regierung von US-Präsident George W. Bush den politischen Handlungsrahmen seiner Machtprojektion auf die Region "Greater Middle East". Die Vereinigten Staaten haben es sich zum Ziel gesetzt, diese Region zu demokratisieren, gegebenenfalls sogar mit Gewalt. Sie unterliegt bereits faktisch US-amerikanischer Autorität.
Die Politik der Machtprojektion beinhaltet Kontrolldimensionen über die Staatsgrenzen industrialisierter und industrialisierender Gesellschaften hinaus und ist die entscheidendeKraft im Übergangsprozess einer Welt, in dereinzelne Gesellschaften zu einer einzigen Weltgemeinschaft des globalen Kapitalismus zusammenwachsen. Die Ziele der Machtprojektoren werden vom Raum und der Zeit der Machtprojektion, den ihnen zugesprochenen Ressourcen und dem Zielland oder der Zielregion, welche(s) der Machtprojektor unter seine Kontrolle bringen will, bestimmt.
Das post-sowjetische Zentralasien ist eine solche Zielregion.
Amerikanische Außenpolitik nach dem Kalten Krieg
Die neue Weltordnung, die sich nach dem Fall der Sowjetmacht allmählich herauskristallisiert hat, ist gekennzeichnet von militärischer Unipolarität, wirtschaftlicher Tripolarität und einer Neudefinition von Identität. Die USA sind die unbestrittene Militärmacht der Welt. Ihre Militärausgaben waren 2004 beträchtlich höher als das gesamte Bruttoinlandsprodukt Russlands. Insgesamt betragen die Militärausgaben der Vereinigten Staaten nicht mehr als 4 Prozent ihres eigenen Bruttoinlandproduktes. Auch die Beziehung zwischen militärischer Macht und Kontrolle über Freund und Feind hat sich seit dem Vietnamkrieg verändert.
Die Kosten zum Erhalt der sozialen Ordnung steigen, sobald die Legitimität abnimmt. Dies gilt auch für die internationale Ordnung. Die amerikanische Außenpolitik stützt sich seit der Präsidentschaft von Ronald Reagan vor allem auf militärische Macht und das "Erkaufen" von Freunden. Eine "Koalition der Willigen" beruht auf individuellen Vorteilen, während eine nachhaltige soziale Ordnung von Legitimität, kollektiven Vorteilen und der Achtung von unterschiedlichen Identitäten gekennzeichnet ist. Die USA scheinen nicht mehr in der Lage zu sein, Eliten in strategischen Gebieten zu vereinen. Auch eine von außen und mit Militärgewalt aufgezwungene "Demokratie" im "Greater Middle East" ändert daran nichts. Unter US-Präsident Jimmy Carter beschäftigten sich die Vereinigten Staaten zum ersten Mal intensiv mit Afghanistan. Sie bewaffneten sechs Monate vor dem Einfall der Sowjets die Mudschaheddin, die daraufhin russische Dörfer im Grenzgebiet beschossen. Nach Zbigniew Brzezinski haben sie mit dieser beabsichtigten Strategie die Invasion der Sowjets in Afghanistan provoziert, die hier ihr eigenes "Vietnam" finden sollten. Der Krieg in Afghanistan brachte hohe Verluste an Kriegsmaterial und - weitaus schlimmer - auch 1,8 Millionen afghanische Tote, 2,6 Millionen Flüchtlinge und 10 Millionen Landminen. US-Präsident George Bush Senior stellte 1990/91 noch den "status quo ante" wieder her, indem er die Iraker aus Kuwait vertrieb, aber das geschwächte Regime von Saddam Hussein an der Macht ließ. US-Präsident George W. Bush Junior dagegen hat den Weg einer neuen Weltordnung eingeschlagen. Diese Ordnung enthält Elemente aus der Zeit vor dem Kalten Krieg, die sich aber bereits unter Präsident Reagan abzeichneten. Zwei dieser Elemente sollen hier genannt werden:
Erstens sehen sich die Vereinigten Staaten von Amerika in der Rolle des Erlösers, welcher der Menschheit den Weg in eine bessere Zukunft weist. Auch die Regierung von US-Präsident Bill Clinton machte wiederholt deutlich, auf der "guten Seite" der Geschichte zu stehen. Der Historiker Francis Fukuyama hat diese Idee kurz und bündig in seinem berühmten Essay "The End of History" folgendermaßen zusammengefasst: Mit dem Ende des Kalten Krieges ist ein "Amerika des 19. Jahrhunderts" auferstanden.
Zweitens hat ein souveräner Staat das natürliche Recht auf einen Präventivkrieg. Schon bei den Staatsphilosophen Hugo Grotius, Thomas Hobbes und John Locke gehörten Naturrecht und Völkerrecht zusammen. Aus ihrer Lehre lässt sich folgern, dass ein Land seiner natürlichen Ressourcen beraubt werden kann, solange seine Bewohner es selbst nicht ausbeuten. Die praktische Seite idealistischer Politik beinhaltet also stets das Recht, Gebiete für wirtschaftliche Expansion zu "öffnen".
Die Politik der USA in Zentralasien
Die USA haben die Terroranschläge vom 11.September 2001 dazu benutzt, ihr Einflussgebiet auf Zentralasien auszudehnen, den Irak anzugreifen und somit eine neue Politik in den Ländern des "Greater Middle East" umzusetzen. Zu dieser Politik gehört auch die Privatisierung von Erdöl- und anderen Unternehmen. Doch beschränkt sich das Interesse der USA an Zentralasien nicht nur auf die dortigen Erdöl- und Erdgasreserven, sondern richtet sich auch auf die geographische Nähe dieser Region zu Europa, dem Mittleren Osten und Asien (China).
Führende Mitglieder des US-Central Command (USCENTCOM) wie z.B. der frühere Generalkommandant Tommy Franks erklärten öffentlich, wie wichtig die zentralasiatische Region im Kampf gegen Al-Qaida und im Krieg gegen den Irak sei.
Durch die militärische Zusammenarbeit und die Präsenz amerikanischer Unternehmen in Zentralasien bekommen die USA Zugang zu den dortigen Erdöl- und Erdgasvorräten und sind damit weniger abhängig von Erdöl aus der Golfregion.
Die Vereinigten Staaten sind der größte Erdölkonsument der Welt. Das Land erreichte schon 1970 den Höhepunkt seiner Erdölproduktion. Im Jahre 2001 verbrauchten die Amerikaner 19,6 Millionen Tonnen Erdöl pro Tag und 22,6 Trillionen Kubik-Feet Erdgas pro Jahr. Damit haben die Vereinigten Staaten nicht nur den höchsten pro-Kopf-Verbrauch an Energie, sondern auch das höchste Emissionsniveau. Schätzungen zufolge wird der Verbrauch bis 2025 auf 28,3 Millionen Tonnen Erdöl pro Tag und 34,9 Trillionen Kubik-Feet Erdgas pro Jahr ansteigen. Im Jahr 2000 importierten die Amerikaner bereits 53 Prozent ihres Erdölverbrauchs, ein Viertel davon kam vom Persischen Golf. Im Jahr 2020 wird die Erdölimportabhängigkeit der Vereinigten Staaten voraussichtlich auf bis zu 60 Prozent gestiegen sein. Schon diese Tatsachen lassen diese Region für die USA als geopolitisch äußerst wichtig erscheinen. Diversifikation von Energieimport ist aber nicht das einzige Motiv amerikanischen Engagements in der Region: alle potenziellen Mitkonkurrenten der USA schöpfen aus denselben Erdölquellen, und die liegen hauptsächlich am Persischen Golf. Eine wichtige Herausforderung für die amerikanische Politik ist es, eine Interessenkonvergenz zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren herbeizuführen, die an der Erdölgewinnung, dem Transport und der Verarbeitung und Verteilung von Energie beteiligt sind. Die Interessen der Erdölgesellschaften und die Energiepolitik von Regierungen sind nicht immer dieselben. Besondere Aufmerksamkeit in der Energiepolitik und -versorgung gilt dem Verlauf von Pipelines zum Transport von Erdöl und Erdgas. Die Vereinigten Staaten wollen nicht nur die Erdölgewinnung aus Zentralasien kontrollieren, sondern auch den Einfluss Russlands und Irans eindämmen sowie die Erdölquellen in und die Verschiffung aus der Region des Persischen Golfs verwalten und kontrollieren.
Pipelinediplomatie wird nicht von Transporteffizienz bestimmt. Pipelines erfordern große Investitionen über einen Abschreibungszeitraum von Jahrzehnten. Private Gesellschaften haben sowohl die Technologie als auch das Kapital zur Erdölgewinnung und zum Transport. Pipelinediplomatie erfordert eine aktive Teilnahme der Amerikaner bei Verhandlungen zwischen Unternehmen untereinander und zwischen Unternehmen und Behörden. Die Baku-Tbilisi-Ceyhan (BTC)-Pipeline und die Trans-Kaspische-Gas-Pipeline (TCGP), die beide sowohl Russland als auch den Iran umgehen, illustrieren diese Verflechtungen. Die BTC-Pipeline, die offiziell am 25. Mai 2005 eröffnet wurde, hat eine Länge von 1 730 km. Davon liegen 1 070 km in der Türkei. Die Baukosten betrugen 3 bis 4 Milliarden US-Dollar. Damit ist die BTC-Pipeline bei weitem die teuerste aller westlichen Optionen. Nach Meinung der Umweltbewegung Caucasus Environmental Network (CENN) ist die BTC aus wirtschaftlicher und (umwelt-)politischer Sicht nicht kosteneffektiv, weil die Nachfrage der Türkei an Erdöl unzureichend steigen wird. Die europäische Umweltgesetzgebung, die Korruption bestimmter Regierungen und die Tatsache, dass die BTC durch sieben Konfliktgebiete führt,
Chinas Politik in Zentralasien
Im Jahre 2003 überholte China Japan als zweitgrößter Erdölkonsument nach den Vereinigten Staaten, im Jahr 2010 könnte es der größte Erdölimporteur der Welt sein. Eine der wichtigsten Ursachen für den rasanten Anstieg des Erdölkonsums in China ist die enorme Zunahme an Motorfahrzeugen, die sich nach Schätzungen bis 2020 verfünffachen wird. Eine weitere Ursache ist die Tatsache, dass China kaum Erfahrung mit Energiesparmaßnahmen hat. Viele Experten sind der Ansicht, dass sich China gerade deswegen große Sorgen über mögliche Energierestriktionen macht. Es entwickelt deshalb nicht nur seine eigenen Gasfelder im ostchinesischen Meer, sondern versucht vor allem auch, Zugang zu Erdöl und Gas in anderen Ländern zu bekommen. Der große Energiehunger Chinas könnte ein destabilisierender Faktor auf dem internationalen Energiemarkt werden. Dies wird auch erheblichen Einfluss auf Japan haben, dessen Erdöl- und Gaskonsum vollständig von anderen Ländern abhängt. Das Center for Safety and Security Research (CSSR), ein Forschungsinstitut des Erziehungs-, Wissenschafts- und Technologieministeriums in Japan, hat zwei Krisenszenarien zu Chinas Energiepolitik und deren Einfluss auf Japan entwickelt. Das erste Szenarium sagt einen Kampf um Erdöl- und Erdgasreserven voraus: Wenn China weiterhin Energie ohne Rücksicht auf deren Verfügbarkeit verbrauche, werde die Welt in einen Wettkampf um Erdöl geraten, wobei internationale Marktmechanismen ignoriert würden. Damit würden sich auch die politischen Spannungen zwischen China und Japan im Hinblick auf Energiereserven erhöhen. Das zweite Szenarium geht von einer Isolierung Japans aus. Wenn China freie Handelsabkommen mit südostasiatischen Staaten schlösse, würde die Abhängigkeit dieser Länder von China steigen - mit der Folge einer Isolierung Japans. Beide Szenarien sehen also eine düstere Zukunft für Japan voraus.
Trotz seiner Bemühungen, den Energieimport zu diversifizieren, konnte das Land bis jetzt seine Abhängigkeit vom Persischen Golf nicht reduzieren. Da China 60 Prozent seines Erdöls vom Persischen Golf importiert, kann es sich nicht länger erlauben, sich abseits von dieser stürmischen Region zu positionieren. Die chinesische Führung weiß, dass die kurzfristige Sicherung ihrer Energieversorgung von der Zusammenarbeit mit den USA abhängt. Chinesische Politiker sind sich jedoch auch im Klaren darüber, dass die Vereinigten Staaten den Persischen Golf dominieren und Chinas Position dort schwächen wollen. Dasselbe gilt für Zentralasien. China trifft nun auch an seiner Westgrenze auf die USA. Die Regierung in Peking hat ein aufwendiges Programm entwickelt, mit dem es den "fernen Westen" des Landes entwickeln will. Im Gegensatz zu Japan ergänzen China und die Vereinigten Staaten sich noch wirtschaftlich. Doch ist nicht anzunehmen, dass chinesische Unternehmen in Zukunft mit der Rolle als Subunternehmer ausländischer Unternehmen und Mitfinanzierer von Amerikas Überkonsum zufrieden sein werden. Noch ist nicht abzusehen, wann China weniger vom Export - insbesondere dem in die USA - abhängig sein wird. In Ostasien liegt das Wirtschaftswachstum über dem der Weltwirtschaft. Auch die regionalen Handelsverflechtungen nehmen zu. Trotz der Liberalisierung der Weltwirtschaft ist das durchschnittliche Jahreswachstum seit den siebziger Jahren gesunken, die Konkurrenz um den Zugang zum Weltmarkt hat damit zugenommen. Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und China scheinen unvermeidlich.
Nach dem Amtsantritt der Regierung Bush Junior wollte Amerika eine regionale Koalition mit Indien, Japan und Australien gegen China bilden, seit dem 11. September jedoch haben sowohl China als auch die Vereinigten Staaten ein großes Interesse daran, im Krieg gegen den Terrorismus ("War on Terror") zusammenzuarbeiten. Die Konkurrenz um Energiequellen zwischen beiden Ländern beschränkt sich nicht nur auf Zentralasien; sie reicht bis Saudi-Arabien, in den Iran und Sudan. Der Iran liefert 14 und der Sudan 6 Prozent des chinesischen Erdölimports. Im Oktober 2004 schlossen Chinas Erdölgesellschaft Sinopec und Iran einen Vertrag zur Lieferung von iranischem Erdöl und Erdgas an China im Wert von 70 Milliarden US-Dollar.
Russland, Iran und China teilen sich die eurasische Landmasse. Damit sind Erdöl- und Erdgaspipelines über Land eine attraktive Option für den Energietransport. Zentralasien ist für China aus verschiedenen Gründen strategisch wichtig: erstens, um Zugang zu den Erdölreserven der Region zu bekommen; zweitens, um die politische Stabilität in Zentralasien zu sichern; drittens, um sich der Anwesenheit amerikanischen Militärs sowohl in Zentralasien als auch im Persischen Golf entgegenzustellen; und viertens als neuer Absatzmarkt für chinesische Produkte. Der "Go West"-Politik Chinas folgend, haben chinesische Erdölgesellschaften damit begonnen, in Kasachstan zu investieren. 2002 beendeten China und Russland eine Durchführbarkeitsstudie für eine sino-russische Pipeline von Angarsk nach Daqing. Der Bau sollte im Juli 2003 beginnen. Doch auch die Japaner sind am russischen Erdöl und Erdgas interessiert und boten Russland 8 Milliarden US-Dollar, um in die Far East Erdöl und Erdgas-Projekte Sakhalin-1 and Sakhalin-2 zu investieren. Im Juni 2003 schlug die Russische Transneft Open Joint Stock Oil Transporting Co. eine alternative Pipeline von Angarsk nach Nakhodia vor. Der russische Industrie- und Energieminister Victor Khristenko zog die Angarsk-Daqing-Route der Angarsk-Nakhodka-Route vor, und der russische Präsident Vladimir Putin bekräftigte, dass die Angarsk-Daqing-Route strategisch wichtig sei. Im März 2004 schlug Transneft dann eine neue Route vor, diesmal von Taishet nach Nakhodka, die auch bis Daqing verlängert werden könnte.
Bisher ist Kasachstan das einzige Land in Zentralasien, das Erdöl nach China exportiert. Es stellt ungefähr ein Prozent des gesamten Erdölimports Chinas. Bis jetzt wird das Erdöl aus Kasachstan über Land transportiert. Dies wird sich jedoch ändern, wenn das Übereinkommen zum Bau einer 1 000 Kilometer langen Pipeline von Kasachstans Karaganda-Region nach Westchina in die Tat umgesetzt wird. Von dort wird die Pipeline bis zum Kenqiyaq-Erdölfeld in der Aqtobe-Region und bis zum Kaspischen Meer reichen. Peking hat bisher ungefähr 1,3 Milliarden US-Dollar in das Kenqiyaq-Erdölfeld investiert, das es seit 1997 mit der kasachischen Staatserdöl- und Erdgasgesellschaft modernisiert.
Die Politik der EU in Zentralasien
Es ist zu erwarten, dass die neue Weltordnung die nach innen gekehrte Europäische Union zwingt, eine aktivere Außenpolitik zu betreiben. Die Sicherheit der europäischen Gesellschaften wird eher von innen als von außen bedroht, doch ist die interne Bedrohung grenzüberschreitend. Die EU ist noch stärker als die Vereinigten Staaten vom Erdöl aus der Golfregion abhängig. Im Jahre 1999 erreichte die Erdölproduktion in der Nordsee ihren Höhepunkt, und Großbritannien ist ein Netto-Importeur geworden. Eine gesicherte Erdölzufuhr durch Diversifikation steht weit oben auf der europäischen Agenda. Dies zeigt sich auch in der Entwicklung einer eigenen Energiepolitik der Union. Die EU importiert 70 Prozent ihres gesamten Erdöls und 40 Prozent ihres Erdgases. 40 Prozent des importierten Erdgases kommt aus Russland, das dadurch hofft, wieder Einfluss in Osteuropa zu gewinnen. Die OPEC liefert 45 Prozent des heutigen Erdölimports der Europäischen Union. Sowohl die strategische Energiepartnerschaft zwischen der Europäischen Union und Russland als auch das große Energiepotenzial Zentralasiens haben zu der Interessenverlagerung Europas beigetragen.
Obwohl Zentralasien die Einfuhr aus OPEC-Ländern nicht ersetzen kann, stellt es dennoch einen wesentlichen Zusatzanbieter dar. Die Europäische Union hat eine günstige Position im Hinblick auf die zentralasiatische Region: Sie ist nicht mit der Reputation einer Supermacht mit globalen Ambitionen belastet, und ihre geografische Position macht sie zu einem interessanten, nahen Importeur von Erdöl und Gas. Ein wichtiges Instrument der EU in Zentralasien ist das bilaterale Abkommen des "Partnership and Cooperation". Mit Ausnahme Tadschikistans hat die Union mit allen Staaten der Region ein solches Abkommen geschlossen. Die verschiedenen Länder kommen damit ins Spiel und geben zugleich ein Signal an alle weiteren Akteure in der Umgebung. Weitere wichtige Abkommen sind: Die Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States (TACIS), Transport Corridor Europe-Caucasus-Central Asia (TRACECA), Black Sea Regional Energy Center (BSREC) und Interstate Oil and Gas Transport to Europe (INOGATE).
Die regionalen Ambitionen der EU werden nur erfolgreich sein, wenn das Projekt einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik Erfolg hat und es weiter reicht als zwischenstaatliche Zusammenarbeit. Wo US-Präsident Dwight D. Eisenhower "hoped to live long enough to see a United States of Europe come into existence", sieht die heutige amerikanische Regierung das Streben nach einer multipolaren Ordnung - in den Worten der früheren Sicherheitsberaterin und heutigen US-Außenministerin Condoleezza Rice - als ein Projekt der "enemies of freedom". Veränderungen in der internationalen Ordnung richten sich nicht so sehr nach den Wunschvorstellungen von Politikern als vielmehr nach der Interessenlage der jeweiligen Akteure. Vermutlich zieht die Bush-Regierung die Politik von US-Präsident Franklin D. Roosevelt vor, der auf eine "radical reduction in the weigth of Europe" hoffte, wodurch "the retirement of Europe from world politics"
Amerikanisch-russisch-chinesische Beziehungen in Zentralasien
Es ist schwierig, zu beurteilen, wie die amerikanische Präsenz in Zentralasien seit dem 11. September von den Russen aufgenommen wird. Während des Kalten Krieges gab es kein Missverständnis über die Lage der Grenzen, deren militärische Überschreitung unweigerlich zu Eskalationen geführt hätte. Es scheint, als habe die russisch-amerikanische Zusammenarbeit in der zentraleurasischen Region einen Ad-hoc-Charakter. Für Russland ist es von Vorteil, im Krieg gegen den Terrorismus an der Seite der USA zu stehen, allerdings nur dort, wo es ihm nützt. Ohne Anbindung an die Weltmacht Amerika könnte Russland seinen Machtstatus nicht länger aufrechterhalten. Ein weiterer Einfluss der USA in den Baltischen Staaten, dem Kaukasus und um das Gebiet am Schwarzen Meer würde jedoch Russlands Ziel, in Zentralasien eine eigene "Monroe Doktrin" durchzusetzen, untergraben.
Regimewechsel in den Gebieten, die Russland als sein "near abroad" betrachtet, würden eher durch bewaffnetes Eingreifen der Amerikaner als der Russen stattfinden. Eine irakische Regierung wird auf längere Sicht nur mit Hilfe der USA und ihrer Verbündeten überleben können. Das Land erhält auch neue Waffenlieferanten, zu denen Russland vermutlich nicht gehören wird. Amerika und seine Verbündeten werden in einem abhängigen Irak die Kontrolle über den Umfang und damit auch den Preis der Erdölproduktion bekommen. Russland ist gerade vom Energieexport abhängig. Um amerikanischen Aktivitäten in der Region geostrategisch Paroli zubieten, ist Russland strategische Allianzen mit Iran und mit China eingegangen. Russland ist in dieser Konstellation ein Waffenlieferant Irans und auch am iranischen Nuklearprojekt in Bushier beteiligt. Im Iran trifft Russland auch auf Japan, das entgegen amerikanischer Interessenlagen wie China aktiv an der Ausbeutung der Erdölfelder Irans beteiligt ist. Neben Erdölabkommen arbeitet Russland mit China auch in der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) zusammen. Die SCO konkurriert mit den westlichen Ländern als Sicherheitsorganisation. Bei einem Treffen der SCO-Mitgliedsstaaten (China, Russland, Kasachstan, Kirgisien, Usbekistan und Tadschikistan) in Kasachstans Hauptstadt Astana am 5. Juli 2005 wurde erstmalig ein anti-westlicher Ton angeschlagen. Die SCO-Mitgliedsstaaten schlugen nicht nur vor, dass die unter der Leitung der USA in Afghanistan stationierte Truppenkoalition einen Zeitplan zum Abzug nennen sollte, sondern forderten auch eine Begrenzung der Einmischung von außen in die internen Angelegenheiten eines Landes.
Infolge der "Farbrevolutionen" in Ländern der ehemaligen Sowjetunion und der US-Invasionen in Afghanistan und im Irak scheint es, als wolle die SCO den Einfluss der Vereinigten Staaten in Asien zurückdrängen, so Vyacheslav Nikonov, Präsident der Politika Stiftung in Moskau.
Am 29. Juli 2005 forderte der usbekische Außenminister in einer Note an die US-Botschaft in Taschkent die USA auf, den Karschi-Khanabad-Flugstützpunkt zu verlassen, ihre Truppen und Materialien aus Usbekistan abzuziehen und das bilaterale Übereinkommen von 2001 innerhalb von 180 Tagen zu beenden. Die sechsmonatige Deadline entspricht der Zeitspanne, die der außenpolitische Berater Putins, Sergei Prikhodko, beim Gipfeltreffen der SCO am 5. Juli 2005 vorgeschlagen hatte.
Eine andere interessante Entwicklung ist, dass die SCO Iran, Pakistan und Indien einen Beobachtungsstatus in ihrer Organisation eingeräumt hat. Sie geht davon aus, dass sie damit eine multilaterale und für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit fördern könnte. Auch wenn dieser Schritt damit begründet wird, dass es sich um eine Übung für ein "multipolares Weltkonzept" und für "Multilateralismus" handle, so ist die Akzeptanz Irans als Beobachter dennoch als Affront gegen den Westen zu verstehen. Es bleibt abzuwarten, wohin diese scheinbar anti-westliche Haltung der SCO führen wird.
Erdöl und Erdgas sind seit Jahrzehnten die Hauptenergiequellen der Welt und damit auch Quellen der Macht. Die Kontrolle über die Produktion und den Transport von Erdöl und Erdgas aus Zentralasien und auch aus dem Persischen Golf wird sowohl die politische und wirtschaftliche Zukunft beider Regionen als auch die Beziehungen der drei rivalisierenden Mächte in diesen Regionen, nämlich die der USA, der EU und Chinas, bestimmen. Die Interessen der einen Macht stoßen immer auch auf die Interessen der anderen; im schlimmsten Fall kommt es zwischen ihnen zu einer direkten Konfrontation. Eine regionale Krise in Zentralasien (und auch im Persischen Golf) könnte zu einem weltweiten Erdöl- und Erdgasmangel führen, der sich nur schwerlich durch andere Quellen kompensieren ließe. Erdöl und Erdgas werden bis 2020 voraussichtlich etwa 70 Prozent des gesamten Weltenergiebedarfs decken - dies wird große Auswirkungen auf den Weltfrieden und die Weltsicherheit haben.