Seit der Einführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende 2005 wächst stetig die Sorge, dass mit der zunehmenden Anzahl von Kindern unter den Leistungsbezieher*innen ganze Generationen heranwachsen, die genau wie ihre Eltern nie erwerbstätig sein werden und Sozialleistungsbezug als "Berufswunsch" entwickeln. Zwar ist die Annahme einer sich über Generationen fortsetzenden Fürsorgeabhängigkeit so prominent wie betagt; sie lässt sich mindestens bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückverfolgen. Doch wird häufig im Zuge von sozialpolitischen Reformen über die Merkmale von Leistungsempfänger*innen und nicht intendierten Wirkungen sozialer Sicherung diskutiert. Vor Hartz IV war es zuletzt die Sozialhilfereform in den 1990er Jahren, die zu einer umfassenden Debatte insbesondere über alleinerziehende Mütter und ihre Kinder als – möglicherweise lebenslange – Leistungsempfänger*innen führte.
Zwar lässt sich eine zwingend höhere Wahrscheinlichkeit, mit der Kinder, die mithilfe von Sozialhilfe aufgewachsen sind, als Erwachsene selbst wiederum dauerhaft von Sozialleistungen abhängig sind, nicht eindeutig nachweisen. Die Reproduktion sozialer Lagen ist jedoch in Deutschland besonders hoch, die soziale Aufwärtsmobilität entsprechend gering, und in den Sozialwissenschaften besteht hinsichtlich dessen, dass ein Aufwachsen in Armut die Chancen und Kompetenzen für eine erfolgreiche Lebensführung einschränkt, ungebrochene Einigkeit.
Dabei wird nicht (nur) von einer direkten ökonomischen Restriktion ausgegangen, sondern vielmehr davon, dass die hierdurch beeinträchtigten Sozialisationsbedingungen in benachteiligten Familien ungünstig für die Entwicklung von Handlungsorientierungen in Richtung Arbeitsgesellschaft sind. Daher wird selten von einer "Weitergabe" oder "Vererbung" gesprochen, gebräuchlicher ist der Begriff der intergenerationellen "Transmission" von Armut. Dieser betont die Sozialisation in Armut, steht also für die mittelbare Weitergabe von Werthaltungen, Deutungsmustern, Handlungsorientierungen, Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten. Es geht um die Frage nach einer kulturellen Reproduktion von Lebensweisen.
In den Sozialwissenschaften gibt es dafür im Prinzip drei theoretische Antworten: Die wahltheoretische, die psychosoziale und die kultursoziologische. Theorien rationaler Wahlen gehen dabei von Kosten-Nutzen-Abwägungen der Leistungsempfänger*innen sowie davon aus, dass der Bezug von Sozialleistungen – auch wegen ihrer vermeintlichen Generosität – eine günstige oder zumindest nicht abschreckende Lebensoption darstelle (disincentives). Erwachsene würden sich beispielsweise leichter für diese Möglichkeit entscheiden, wenn sie bereits in ihrer Kindheit Erfahrungen im Umgang mit den Leistungen und Ämtern gemacht hätten.
Im psychosozialen Ansatz steht dagegen die Beobachtung im Vordergrund, dass mit zunehmender Dauer des Leistungsbezugs Selbstvertrauen und Selbsthilfefähigkeit schwinden und sich Langzeitarbeitslose resignativ in einem Leben mit der Wohlfahrt samt ihren Kontrollen und ihrer Bevormundung einrichten würden (welfarization). "Erlernte Hilflosigkeit" ist ein prominentes Stichwort für diese Annahme, bei der sich das "Klima" der Hoffnungslosigkeit auch auf die Kinder übertrage. Als prominente Studien aus dieser Richtung sind nicht nur die frühe Marienthalstudie zu nennen, sondern ebenso die Arbeitslosenstudien der 1990er Jahre sowie auch neuere Arbeiten nach Hartz IV.
Sowohl mit dem Ansatz strategischer Wahlen als auch mit dem der Resignation vereinbar ist der kultursoziologische Ansatz. Dabei wird fast ausnahmslos die Habitustheorie des Soziologen Pierre Bourdieu herangezogen, wenn es um die familiale Reproduktion sozialer Ungleichheit geht.
Gemeinsam sind diesen Ansätzen im Wesentlichen zwei Annahmen, die sozialpolitisch relevant sind: Zum einen wird davon ausgegangen, dass Personen durch die in ihrer Kindheit erlebten Lebensbedingungen und Lebensweisen ein Leben lang unwiderruflich geprägt würden. Zum zweiten werden die Wirkungen des Sozialhilfebezugs ausnahmslos negativ beschrieben: Der Bezug wohlfahrtsstaatlicher Leistungen scheint die Handlungs- und Integrationsperspektiven von Menschen in jedem Fall einzuschränken und sie vom Wunsch und der Fähigkeit abzubringen, zu arbeiten und ihr Leben entsprechend zu planen.
Dabei wird die Transmission wohlfahrtsstaatlicher Abhängigkeit auch immer schon vorausgesetzt und nicht direkt empirisch untersucht. Besonders die Argumentation eines "Habitus", mit dem Kinder aus benachteiligten Familien stets erkannt werden und sich ihrem sozialen Aufstieg selbst im Weg stehen, ersetzt inzwischen auch in der qualitativen Forschung mehr und mehr offene empirische Rekonstruktionen. Bereits Bourdieu setzte in seinen Arbeiten die interaktiven Prozesse wie auch die Symbole voraus, in beziehungsweise mit denen der Habitus dargestellt, die Überzeugungsarbeit an den Wahrnehmungs- und Bewertungsschemata geleistet und milieuhafte Zusammengehörigkeit hergestellt werden muss. Folgt man dem Soziologen Karl Mannheim, beeinflussen sich Generationen permanent wechselseitig und kommen nicht ohne kommunikative "Arbeit" in der jeweiligen Gruppe zustande. In Familien bestehen aufgrund der unterschiedlichen – familialen wie auch gesellschaftlichen – Generationen auch unterschiedliche Perspektiven: Familienmitglieder kommen zu verschiedenen Zeitpunkten in die Familie, was ihre Sichtweisen bestimmt. Ebenso gibt es beispielsweise voneinander abweichendes Arbeitsmarktwissen und unterschiedliche Sozialstaatserfahrungen. Also müssen Familien kontinuierlich zusammen eine gemeinsame Perspektive aushandeln, und sie tun dies – ihr Leben lang – in Interaktionen.
Weil es sich hierbei um kommunikative Prozesse handelt, lassen sie sich mithilfe qualitativer Verfahren, deren zentrales methodisches Prinzip die Kommunikation ist, rekonstruieren und müssen nicht theoretisch gesetzt werden. Denn um die Wirkungen zu studieren, die Sozialpolitik gerade dann entfaltet, wenn Privilegien "von Haus aus" fehlen, bedarf es eines offenen Zugangs, der Möglichkeiten kultureller "Erbschaften" ebenso nachvollziehen kann wie kulturelle Dissonanzen und Brüche innerhalb von benachteiligten Familien. Wie also werden Deutungsmuster und Handlungsorientierungen im Generationenverbund wohlfahrtsstaatlich abhängiger Familien durch kommunikative "Gruppenarbeit" miteinander geteilt oder aber zurückgewiesen?
Um diese Frage zu beantworten, haben wir familiengeschichtliche Mehrgenerationeninterviews mit alleinerziehenden und (ehemals) dauerhaft Sozialleistungen beziehenden Eltern (im Alter von 50 bis 65 Jahren) und deren heute erwachsenen Kindern (im Alter von 25 bis 30 Jahren) geführt, die entweder ebenfalls fortdauernd Sozialleistungen beziehen oder (in unterschiedlicher Reichweite) aufgestiegen sind. Die Interviews fanden mit maximal dreiköpfigen Familien statt: Auf der Seite der Eltern nahmen stets die (alleinerziehende) Mutter, auf der Seite der Kinder maximal zwei Geschwister teil. Oft konnten nicht alle Familienmitglieder an dem Gespräch teilnehmen, worauf wir noch einmal zurückkommen werden.
Das Datenmaterial wurde sequenzanalytisch ausgewertet, bevor Fälle und Typen vergleichend herausgebildet und überprüft wurden. Auf diese Weise konnte ein Kontinuum der intergenerationellen Reproduktion, Transformation und Auflösung wohlfahrtsstaatlicher Abhängigkeit gezeigt werden. Die Typen, die im Folgenden vorgestellt werden, sind sogenannte Idealtypen: Es handelt sich um systematische Abstraktionen von den Einzelfällen, mit denen theoretisch fortgeschrieben und geklärt wurde, was sich empirisch nur "diffus" oder "diskret" andeutet. Wir überschreiten damit bewusst die Perspektiven, die wir im Feld erfahren oder eingenommen haben und buchstabieren so den Möglichkeitsraum zur Forschungsfrage möglichst breit aus.
Teilen von Lebensweisen im Hartz-IV-Generationenverbund: Eine Typologie
Um die Modi zu verstehen, anhand derer sich benachteiligte Generationenverbünde als solche kulturell reproduzieren, transformieren oder aber auflösen, haben wir auf der Grundlage der familiengeschichtlichen Gespräche und ihrer sequenzanalytischen Rekonstruktion drei Grundmuster herausgearbeitet (Abbildung).
Im ersten Muster ("kulturelle Reproduktion") zeigt sich eine klare "Vererbung" des Lebensstils, wobei sich Eltern und ihre Kinder nicht einfach in einer ähnlichen Situation befinden. Vielmehr teilen Eltern und Kinder ihr Leben direkt miteinander und binden sich "schicksalhaft" aneinander. Es handelt sich somit um eine sowohl kulturelle wie auch materielle Lebensgemeinschaft.
Beide Generationen zeichnen sich durch einen langfristigen Bezug von Sozialleistungen und beinahe lebenslange Arbeitslosigkeit aus, ebenso sind schulische und berufliche Qualifikationen kaum vorhanden. Darüber hinaus lassen sich keine generationsspezifischen (jeweils eigenen) Erfahrungen finden – aus generationssoziologischer Sicht ist eine Revision der elterlichen Lebensweise erforderlich, damit eine neue kulturelle Generation aufgebaut werden kann. Doch dies unterbleibt bei diesem Muster. Stattdessen kommt es zu einer fast bewundernden Übernahme der Geschichte des anderen. In der Regel handelt es sich um die Übertragung eines biografischen Traumas (etwa sexuelle Missbrauchs- oder Erfahrungen anderer extremer Gewalt), dessen Verbindungskraft auch durch eine gewisse "Verzauberung" zustande kommt: Die Familie wird zu einer Schicksalsgemeinschaft, indem schreckliche Geschichten "gefeiert" und zu einem "Spektakel" gemacht werden, als handle es sich um helden- oder märchenhafte Geschichten. Dies kann als Ritual verstanden werden, der den Zusammenhalt von Gemeinschaften stärkt und bestehende Ordnungen transzendiert. Sofern aber die zelebrierten Geschichten, trotzdem sie feierlich vorgetragen werden, buchstäblich schockieren, werden durch diese Praxis gleichzeitig Handlungen und Lebensperspektiven immer wieder gelähmt.
Dieses Ineinanderrücken und Zelebrieren traumatisierender Lebensgeschichten wird noch zusätzlich durch das Zusammenleben der Generationen in einer symbiotischen Gemeinschaft intensiviert. So werden, obwohl teilweise eigene Wohnungen vorhanden sind, kaum getrennte Haushalte geführt und nicht nur die Tage, sondern auch die Nächte weitgehend gemeinsam miteinander verbracht. Ebenso ist ein gewisses "Einschwören" aufeinander zu beobachten: "Wir haben ja uns", "uns bringt niemand auseinander".
Die Tatsache, dass eine biografische Version der einen Generation von der anderen übernommen wird und eine symbiotische Gemeinschaft existiert, bedeutet allerdings nicht, dass sie nicht mühsam in Kommunikationen ausgehandelt werden muss und dass das Einschwören der Generationen aufeinander nicht zu Konflikten führt. Denn gerade auf diese kommunikative Aushandlung kommt es bei der "Übertragung" der Sicht- und Lebensweisen zwischen den Generationen an. So sind es auch nicht Traumata und Belastungen als solche, die zur Lähmung der Perspektiven führen, sondern es hängt davon ab, ob sich einzelne biografische Versionen bei anderen Familienmitgliedern nachhaltig durchsetzen können und die Familiengeschichte sowie die sich um sie versammelnde Gemeinschaft anerkannt, wenn nicht sogar verehrt werden.
So zeigen sich auch im zweiten Typus, der "kulturellen Transformation", Versuche von Familienmitgliedern, bei den anderen Bewunderung und Solidarisierung für eigentlich schockierende oder zumindest wenig amüsierende Episoden zu wecken. Im Unterschied zum ersten Typus der Reproduktion erfolgt hier jedoch ein systematisches Entzaubern der Geschichten durch die anderen Familienmitglieder, infolge derer es zu Veränderungen der biografischen Sicht- wie auch der tatsächlichen Lebensweisen in der Familie kommt. In diesem Typus sind die Kinder (in unterschiedlichen Reichweiten) erfolgreich aufgestiegen und distanzieren sich (allerdings ebenfalls in unterschiedlichen Graden) deutlich von den Handlungs- und Sichtweisen ihrer Eltern und Geschwister.
Dabei kommt es jedoch nicht zu einem Abrücken der Generationen voneinander, sondern zu einer wechselseitigen intergenerationellen Angleichung. So lösen sich die Kinder hier nicht vehement von ihrer Mutter, um allein den eigenen Weg zu gehen und aufzusteigen, sondern sie nehmen ihre Eltern mit: Wir finden hier Töchter, die ihren Müttern Arbeitsstellen vermitteln, weil sie aus der Sozialhilfe aussteigen wollen und ihre Mütter aktiver sehen wollen, oder Kinder, die die biografischen Sichtweisen ihrer Mutter durch Ergänzungen und Korrekturen erfolgreich verändern, aber auch Mütter oder Schwestern, die ihre Kinder oder Geschwister daran erinnern, dass sie Optionen auf dem Arbeitsmarkt haben und ihre Leben im Hartz-IV-Bezug daher kein Schicksal ist. Obwohl also auch hier die Mütter zunächst sich selbstrechtfertigend das Gespräch dominieren, wird ihnen im familiären Kontext erfolgreich widersprochen; ihre Versionen haben keine beständige Geltungskraft.
Neben diesen kulturellen Abgrenzungen und tatsächlichen Veränderungen der gemeinsamen Lebensweisen gibt es auch klare räumliche Distanzierungsbemühungen, wie den Wunsch nach einer eigenen Wohnung, einem separaten Raum und nach unbedingter finanzieller Unabhängigkeit von der familiären Unterhalts- beziehungsweise Bedarfsgemeinschaft. Entscheidend ist hier, dass es wohlfahrtstaatliche Leistungen wie Wohngeld, Bafög wie auch die Sozialhilfe beziehungsweise das Arbeitslosengeld II selbst und Stipendien sind, die die Individualisierungsbestrebungen und Veränderungen innerhalb der Familie antreiben. Gleichzeitig sind die darin verankerten Unterhalts- und Bedarfsgemeinschaftsbestimmungen für die Kinder Hemmschuhe, die sie am Sinn des Generationenverbunds beziehungsweise starker familialer Beziehungen zweifeln und ihren Wunsch wachsen lassen, diese aufzulösen. Zum Beispiel schildert eine Tochter, wie verzweifelt sie gewesen sei, als zunächst nicht klar war, ob sie – aufgrund ihrer Eltern – vom Hartz-IV-Bezug in den Status einer Bafög-Empfängerin wechseln und ihr eigenes Leben in die Hand nehmen könne. Auch wurden uns in den Interviews Diskussionen über Individualisierungsbestrebungen einzelner Kinder beziehungsweise Geschwister gezeigt, die als "wunde Punkte" innerhalb der Familie gelten können. Und so ist schließlich zu beachten, dass sich die Transformationsprozesse und insbesondere die Distanzierungsbestrebungen der Kinder in diesem Typus in unterschiedlichem Ausmaß vollziehen können, was bedeutet, dass es neben relativ starken Verbindungen zum elterlichen Milieu und absolut friedlichen Diskussionen auch "lodernde" Probleme und unerfüllte Forderungen nach mehr Autonomie seitens der Kinder gibt, sodass sich hier die Möglichkeit einer vollständigen Trennung von den Eltern und das Ende der gemeinsamen Kompromisse zeigt.
Ein solcher "Bruch" zeigt sich in unserer Untersuchung naturgemäß nur theoretisch: Durch die Methode des familiengeschichtlichen Interviews konnten wir keine Familienmitglieder einbeziehen, die an einer solchen Diskussion mit ihrer Familie nicht mehr teilnehmen wollen oder können. Die Deutungs- und Handlungsalternativen eines vollständigen Bruchs mit dem Herkunftsmilieu haben sich uns jedoch nicht nur in den oben erwähnten Konflikten ungewissen Ausgangs gezeigt. Auch haben oftmals einzelne Geschwister explizit die Teilnahme am Gespräch verweigert oder haben gar keinen Kontakt mehr zu denjenigen Familienmitgliedern, die mit uns gesprochen und darüber berichtet haben. Mit diesem dritten Modus der "kulturellen Ausstiege" beschreiben wir also die in den Interviews wie auch in der Familie abwesenden Kinder.
In der Regel beginnt das (freiwillige) Verlassen der Mütter durch die Aussteiger*innen relativ früh. Sie ziehen aus und/oder leben mit dem Vater oder den Großeltern als Vertreter*innen einer "Gegenkultur" zusammen. Ebenso begleiten Aufenthalte in Kinderheimen, häufiges Ausreißen von zu Hause und Selbstmordversuche die Kindheit und Jugend, bis die Volljährigkeit die Möglichkeit zu einem (wenn auch zunächst sozialarbeiterisch betreuten) selbstständigen Leben bringt und sogar zu äußerst erfolgreichen Karrieren führt.
Folgt man der Literatur, sind es genau die frühen Fluchten aus dem Familienklima, die zu den außergewöhnlichen Erfolgen dieser Kinder führen. Ihr Gespür, sich bedrohlichen Situationen rechtzeitig zu entziehen, sorgten für den nötigen Antrieb und die ständige Bewegung ihres Karriereweges; sie ließen sich nicht blockieren. Und sofern es sich bei den Gefahren in der Familie teilweise um echte Lebensbedrohungen handelt (Vernachlässigung, Gewalt und sogar auf ihre Kinder erweiterte Suizidversuche der Eltern), wird genau dies es sein, was die Entwicklung des Neuen bei den Kindern so massiv befördert: Das Erleben von körperlicher Gewalt ist ein starkes Motiv für die Konstitution neuer Generationen. Nichts führt stärker zu einem Vertrauensverlust in den Schutz und die Überlegenheit der Erfahrungen der Älteren als die Erkenntnis, dass sie grundlegende physische Bedrohungen zulassen oder sogar daran teilnehmen. Und so werden diese erfolgreichen Aussteiger*innen in der Literatur auch "Überlebende" genannt.
Während also im ersten Typus die Familiengeschichte und -gemeinschaft "verehrt" wird, wird sie im zweiten Modell systematisch, aber kooperativ "desillusioniert", wobei unklar ist, wie weit die Kooperationen gehen und sich nicht doch ein Bruch beziehungsweise Ausstieg seitens der Kinder ankündigt. So ist im dritten Typus eine gemeinsame Aushandlung offensichtlich nicht mehr möglich, und es verbleibt nur der vollständige, aber ausgesprochen erfolgreiche Ausstieg aus dem Generationenverbund.
Sozialpolitische Schlussfolgerungen
Mit der Typologie lässt sich zeigen, dass das direkte Miteinanderteilen wohlfahrtsstaatlicher Abhängigkeit zwischen den Generationen bestimmten Bedingungen unterliegt und nur einen Modus des Umgangs von Familien mit ihrer Hartz-IV- oder Sozialhilfegeschichte darstellt. Die Armutskarrieren der Familien werden ebenso auch transformiert oder unter- beziehungsweise abgebrochen. Entscheidend scheint dabei die Stärke der familialen Gemeinschaft zu sein. Man kann sagen: Je fragiler der Generationenverbund zwischen den Eltern und ihren Kindern, desto erfolgreicher wird die "Sozialhilfekarriere" gemeinsam oder aber durch die Kinder überwunden – gerade auch durch wohlfahrtsstaatliche Unterstützung.
Tatsächlich sind familiale Generationenbeziehungen und individuelle Lebenswege auf das Engste miteinander verwoben, auch wenn Familie und soziale Ungleichheit häufig wie zwei unglücklicherweise wie zufällig miteinander Verwandte behandelt werden. So hat (nicht erst) Bourdieu die Familie als zentralen Schlüssel der Klassen- beziehungsweise Kapitalreproduktion beschrieben, weshalb sie allein für Privilegierte Sinn ergebe. Daher profitieren ökonomisch "gespannte" Familienbeziehungen, wenn sie durch wohlfahrtsstaatliche Leistungen vom Druck der finanziellen Abhängigkeit weitgehend entlastet werden. Zwar können sich, wie in unseren Typen, die Kinder mit wohlfahrtsstaatlicher Unterstützung erfolgreich von ihrem Herkunftsmilieu lösen. Sie müssen dies aber auch, weil sie hinsichtlich ihrer Lebensoptionen durch die familienorientierte Sozialpolitik und das Unterhaltsrecht immer wieder an sie verwiesen werden und die Sozialleistung sonst nicht für sich beziehungsweise das Ingangsetzen ausgesprochen erfolgreicher Karrieren nutzen können. Sie kämen sonst buchstäblich nicht von ihrem Herkunftsmilieu los. Besonders unser zweiter Typ zeigt sehr deutlich, wie stark sich Kinder mit ihren Eltern an ihrer gemeinsamen ökonomischen Verbundenheit reiben und der Sozialstaat ihr verlässlicher Partner bei der sozialen Platzierung ist, wenn Privilegien und Kompromisse "von Haus aus" fehlen. Dabei kann die Energie, die diese Kinder ohnehin schon deutlich mehr aufbringen müssen als Kinder aus gut situierten Familien, jederzeit kippen; wie sich in unseren Interviews zeigt, ist zwischen Durchhalten und erfolgreichem Aufstieg auf der einen und der Kapitulation auf der anderen Seite nur ein schmaler Grat, und es lässt sich erahnen, dass die Aufsteiger*innen in ihrer Verzweiflung nicht immer rechtzeitig abgeholt werden.
Für benachteiligte Familien stellt sich das enge Binden von ökonomischen Chancen und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen an die Familie, wie sie im Zuge der Hartz-IV-Gesetzgebung noch einmal verstärkt worden ist, also als Paradoxie, wenn nicht sogar als Perfidie dar. Um ihre Aufstiegs- und Integrationswirkung zu erhöhen, müssten Sozialleistungen demnach so ausfallen, dass sich unterprivilegierte Einzelne aus unzumutbaren Abhängigkeiten ohne Sanktionen und Abstiegsrisiken lösen können. Dies setzt nicht nur eine deutlich umfassendere, sondern auch eine entsprechend defamilialisierte Sozialpolitik voraus.