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Zwischen Funktion und Ästhetik | Das Auto | bpb.de

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Zwischen Funktion und Ästhetik Zur Geschichte des Autodesigns

Hans-Ulrich von Mende

/ 13 Minuten zu lesen

Autodesigner versuchen seit jeher, die notwendige Technik mit etwas Eigenem zu verbinden, um eine unverwechselbare Markenidentität zu pflegen. Im Design spiegeln sich sowohl der jeweilige Stand der Technik als auch gesellschaftliche Bedürfnisse wider.

Wenn Faulheit die Mutter der Erfindungen ist, dann ist das Auto das beste Beispiel. Mensch und Güter zu transportieren, war ohne Räder mühevoll. Erst zwei, dann vier Räder, erst ungefedert und offen, dann gefedert und überdacht, machten weite Reisen möglich, vorausgesetzt, die Zugtiere hielten durch. Die Idee, sich vom Tier zu trennen und die Kutsche zu einem "Automobil", zu einem "Sichselbstbewegenden", zu wandeln, verlangte die Technik eines Motors. Erst Dampf, dann Elektrizität und schließlich der Explosionsmotor waren die Lösung.

Schon lange vor dem bekannten Benz-Wagen (Abbildung 1, siehe PDF Version S. 40), patentiert 1886, gab es Motorkutschen. Es setzte sich der benzingefütterte Antrieb dank besserer Leistung durch. Kutschen als jahrhundertelang genutzte Transportmittel hatten beim Fahrgestell Nachteile für die automobile Entwicklung: Drehschemellenkung mit dem eigenwillig gebogenen Rahmen als sogenannten Durchlauf für eingeschlagene Fronträder, Reibbremsen und große Räder mit schmaler Aufstandsfläche waren gängiges Prinzip, kombiniert mit offenen oder geschlossenen Aufbauten. Doch schon für Kutschen galt: Je aufwändiger gestaltet, umso höher das Statussymbol.

Langsamer Abschied von der Kutsche

Der Benz-Wagen, ähnlich einem dreirädrigen Fahrrad, war noch kein Erfolgsrezept – zu schwach war sein Motor mit dreiviertel PS, zudem bot er keinen Wetterschutz. Gleiches gilt für den Daimler-Wagen von 1886: Noch ganz Kutsche, also vierrädrig ohne Dach, war auch er kein Automobil klassischer Bauart. Das zeigte erst 1891 der Franzose Émile Levassor: fast gleich große Räder mit der Achsschenkellenkung, wo der Raddrehpunkt an der Radnabe liegt, dazu Frontmotor. Ein Faltdach als Wetterschutz gab es zwar immer noch nicht, aber das automobile Design fand hier seinen Ursprung.

Die darauf folgenden beiden Jahrzehnte sollten die automobile Form stärker prägen als alles Spätere, angetrieben durch die technische Entwicklung. Aus Lenkhebeln wurden Lenkräder, aus Kutschenräder luftbereifte Räder, aus Karbidlampen elektrische Scheinwerfer. Die Leistung der Motoren wurde ebenso gesteigert wie die Zahl ihrer Zylinder. Röhrenkühler mit unförmigen Lamellen machten Platz für Wabenkühler, eine Erfindung des Ingenieurs Wilhelm Maybach. Das allein erlaubte den Herstellern, zumindest am Bug eine eigene Identität zu gestalten. Wie zuvor Kutschen waren Automobile etwas für Wohlhabendere: Ausdruck der modernen Zeit zum hohen Preis. Den neuen Trend entdeckten auch Fahrrad- und Nähmaschinenhersteller, so Opel in Rüsselsheim. Mercedes zeigte sich 1901 besonders fortschrittlich mit seinem 35-PS-Sportwagen (Abbildung 2, siehe PDF Version S. 40). Ohne Dach, aber mit dem Hauch einer Karosserie, konnte er dank Kotflügeln, die zu dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit waren, leicht die 80-Stundenkilometer-Marke brechen. Da Autos dachlos durch jedes Wetter mussten, brauchten Fahrer und Passagiere spezielle Bekleidung, die sie wie eine skurrile Mixtur aus Zombie und Gespenst aussehen ließ. Wetterfest waren auch die Sitzpolster: nämlich aus Leder.

Das Bild des modernen Automobils war jedoch noch immer kutschenähnlich, wie der Schriftsteller Otto Julius Bierbaum 1903 beschrieb: "Die Ästhetik des Automobiles steckt noch im Anfangsstadium. Man kann sagen: Seine Schönheit leidet augenblicklich darunter, dass seine Konstrukteure noch nicht völlig das Pferd vergessen haben – nämlich das Pferd vor dem Wagen. Unsere Automobile sind ästhetisch noch keine Laufwagen. Sie sehen aus wie Zugwagen ohne Zugtiere."

Ein Jahrzehnt später, 1914, schrieb der Ingenieur und Gestalter Ernst Neumann-Neander im Jahrbuch des Deutschen Werkbundes über die "Architektur der Fahrzeuge": "Wenn man sagen kann, dass die Grundelemente der immobilen Architektur aus senkrechten und horizontalen Linien bestehen, so könnte die mobile Baukunst als Architektur der Kurven bezeichnet werden. Die Formen der Land-, Wasser-, und Luft-Fahrzeuge haben tatsächlich von Anfang an auf die würfelförmige Körperform verzichtet, und zwar einesteils infolge der Fortbewegung, andererseits den Formen zuliebe, welche vom menschlichen Auge verlangt werden. Bewegung ist bedingt durch motorische Kraft, motorische Kraft fordert die für sie günstigste Ausgestaltung der Form. Das menschliche Auge will nicht nur die Bewegung von Fahrzeugen optisch registrieren, sondern es will sie auch erleben, gleichsam demonstriert begreifen. So soll die Form von der Fortbewegung sprechen."

Hier wird bereits das Bauprinzip des Autos erkannt, aber auch ideelle Motive der Karosserieform: Tempo, Kraft, Wertigkeit und Mittel zur Selbstdarstellung – all das gilt bis heute. In Ansätzen zeigte dies bereits 1913 der A.L.F.A. 40/60 HP Aerodinamica vom Karosseriebauer Castagna in Mailand, damals eines der europäischen Kutschenbauzentren: Mit seinem geschlossenen Zeppelinkörper, Bullaugenfenstern und einer üppigen Panoramafrontscheibe war dieses Design seiner Zeit voraus. Lediglich die freistehenden Räder verraten die Zeit des Entstehens (Abbildung 3, siehe PDF Version S. 41).

Was gut für die Straße war, machte die Rennstrecke noch viel besser, denn hier galt nur eine Maxime für Autobauer: als Schnellster und Erster ins Ziel zu kommen. Das klappt, wenn der Luftwiderstand gemindert wird. Das entsprechende Design ging schließlich in Serie: Erst waren es schräg stehende Frontscheiben, bald die Vollverkleidung von Motor und Fahrerplatz, nur die Räder warteten noch länger auf eine Verpackung. Diese Ummantelung war zur Kutschenzeit ein Holzrahmen, beplankt mit Sperrholz oder imprägnierten Stoffen. Noch fehlten stabile, großflächige Bleche, lediglich für Motorhaube und Kotflügel wurde Metall genutzt: leicht verformbar und einfach herzustellen.

Weil Automobile dieser Zeit meist schwarz lackiert wurden, lieferten Hersteller und Zulieferer alles in dieser Farbe. Produktionszeit und -kosten sanken mithilfe ofengetrockneter, lackierter Bleche, was Holz beides nicht bieten konnte. Die neue Technik provozierte steigende Nachfrage und eine neue Herstellungsform: Der schlaue Henry Ford – der Produzent des lange Zeit meistverkauften Autos der Welt, des Modell T – hatte 1913 die Idee des Fließbandes. Diese Methode hatte in Deutschland zuvor nur Bahlsen für die Keksproduktion verwendet, seit 1924 nutzte sie auch Opel.

Formal konservativ, technisch verbessert, konnte der Einsatz von Stahl die Autostruktur optimieren. Der Lancia Lambda von 1922 war das erste Auto mit selbsttragender Karosserie, das heißt, Karosserie und Rahmen verschmolzen zu einer tragenden, räumlichen Struktur (Abbildung 4, siehe PDF Version S. 41). Das wiederum reduzierte die Bauhöhe, die Seitenansicht streckte sich, der tiefere Schwerpunkt stabilisierte das Fahrverhalten. Das Auto, inzwischen zuverlässiger und preiswerter, eroberte den Straßenalltag. Ende 1922 eröffnete in Hannover die erste öffentliche Tankstelle Deutschlands. Was sich bisher nur Gutverdienende gegönnt hatten, konnte sich jetzt in bescheidener Ausführung auch "der kleine Mann" leisten: etwa den deutschen Klassiker Hanomag 2/10PS "Kommissbrot" von 1925 mit flächiger, runder Bug- und Heckpartie, auf Wunsch mit kantigem Dach, aber schon fließbandgefertigt (Abbildung 5, siehe PDF Version S. 41). Die Reichen genossen derweil die Abkehr vom Schwarz: Für Luxuskarossen kam die Zweifarbenlackierung in Mode. Nach dem Kühler bot sich hier ein weiteres Motiv, um Markenidentität zu fördern – und natürlich das eigene Ego.

Der Wind zeichnet mit

Wer als Kind in schnellen Autos sitzen durfte, streckte die Hand raus. Die Wucht der Luft riss die Handfläche nach oben, nach unten, je nach Neigung. So lernt man Aerodynamik. Diese sollte auch bei Karosserieentwürfen von Autos eine immer größere Rolle spielen, ausgedrückt im sogenannten Strömungswiderstandskoeffizient, dem cw-Wert. Als ein Wegbereiter des möglichst aerodynamischen Karosseriedesigns gilt der Wiener Flugzeugingenieur Paul Jaray, der 1921 ein entsprechendes Patent anmeldete. Nachteil der physikalisch korrekten Form: Unter dem optimierten Blechmantel war die Pflege einer wiedererkennbaren Markenidentität kaum möglich. Das konnte der deutsche Aerodynamiker Wunibald Kamm korrigieren. Seine windschnittigen Modelle waren der Kompromiss von Kiste und Tropfen und boten damit speziell in der Baulänge ein Rezept für zukünftige windschlüpfige Karosserien.

Was Otto Julius Bierbaum und Ernst Neumann-Neander richtig erkannten, war dem Architekten und Bauhaus-Gründungsdirektor Walter Gropius fremd. Sein Credo, wie ein Auto zu gestalten sei, liest sich auch in bauhausgerechter Kleinschreibung recht konservativ: "das maß der schönheit eines automobils hängt nicht von der zutat an schnörkeln und zierat ab, sondern von der harmonie des ganzen organismus, von der logik seiner funktion, der inneren wahrhaftigkeit, der knappen phrasenlosen, der funktion entsprechenden durchbildung aller seiner teile zu einem technischen organismus, dies muß auch der gesamtem erscheinungsform des autos entsprechen, die sichtbare außenform hat also ästhetisch gesprochen genau so zu ‚funktionieren‘ wie der technische apparat." Dieses Credo setzte er 1931 im Auftrag des Frankfurter Autobauers Adler in den Modellen Standard 6 und 8 um: der Kühler wie ein Rolls-Royce-Adept, um die Räder kreisförmig geführte Kotflügel ohne Dynamik, der Aufbau kantig wie ein Haus. Aerodynamik-Rezepte eines Jaray schien Gropius zu negieren.

Der Architekt Buckminster Fuller glaubte, Aerodynamik richtig umgesetzt zu haben: Sein Dymaxion-Auto von 1933 ist jedoch ein klassischer Vertreter jener Konzepte, die Funktionsideen einseitig folgen. Dreirädrig, schwer lenkbar und optisch wie ein Flugzeug ohne Flügel konnte es nur krachend scheitern (Abbildung 6, siehe PDF Version S. 42). Anders die großen Hersteller: Schon 1927 erkannte General Motors, dass Stahlblech und Großserie, gewürzt mit Aerodynamik und schnellerem Modellwechsel, professionelle Gestalter braucht. So schuf das Unternehmen seine "Art and Color Section" – ein Studio, in dem Ingenieure und speziell Designer arbeiteten. Später bei Opel, schon damals GM-Tochter, war die Wortwahl bescheidener, hier wurde Anfang der 1930er Jahre der "Modellraum" eingerichtet.

Im Laufe jenes Jahrzehnts schmolzen einzelne Bauteile wie Motorhaube, Kotflügel, Scheinwerfer, Aufbau und Kofferablage zusammen. Wabenkühler verbargen sich hinter geneigten Kühlerattrappen, Scheinwerfer wuchsen in die Kotflügel oder versteckten als Klappscheinwerfer, Kotflügel wurden aus der Fläche zu bauchigen Hüllen verformt, Frontscheiben verneigten sich vor dem Wind. Wer den Trend übertrieb wie der Chrysler Airflow von 1934, ruderte beim nächsten Modellwechsel zurück. Hierzulande folgten der Opel Kapitän von 1938 (Abbildung 7, siehe PDF Version S. 42) und sein kleiner Bruder Kadett ebenso wie der "Buckeltaunus" aus den Kölner Ford-Werken von 1939 der Stromlinienform. Erwähnenswert ist auch der tschechische Tatra 77 mit starkem Heckmotor und prinzipientreuer Aerodynamikform, die bis in die 1950er Jahre modern blieb (Abbildung 8, siehe PDF Version S. 43).

Auch im Innenraum entwickelte sich das Design in jener Zeit entscheidend weiter: Armaturenbretter, langsam dem echten Brett entsagend, wurden jetzt blechgeprägt in die Karosserie integriert. Je nach Preis und Wagenklasse drapierte Chromschmuck notwendige Anzeigen, gewürzt mit Symbolen der dynamischen Art. Preiswert war die symmetrische Anordnung von Uhren und Ablagen, ideal für Links- oder Rechtslenker.

Design in Übergangszeiten

Die Zäsur des Zweiten Weltkriegs prägte Technik und Design des Automobils auch noch in der Nachkriegszeit. Deutschland hatte massiv aufgerüstet, und Ferdinand Porsche hatte im Auftrag Hitlers einen für die Masse erschwinglichen "Volkswagen" konstruiert. Im Krieg hatte der KdF-Wagen seine robuste Technik dem militärischen Kübelwagen geborgt, im Frieden mutierte er schließlich zum braven Käfer. Auch Hersteller wie Opel, Ford oder Mercedes retteten Vorkriegsmodelle in die Nachkriegszeit. Zum Urvater aller modernen Geländewagen wurde derweil ein US-amerikanisches Auto, das 1940 ursprünglich für das Militär geplant und gebaut worden war: der Willys MB, der schon bald als "Jeep" weltbekannt wurde. Sein wichtigstes Designermerkmal ist der schmale Bug mit Rundscheinwerfern, dazwischen neun, später sieben senkrechte Luftschlitze. Chrysler baut das Jeep-Gesicht, das im Laufe der Zeit von anderen Herstellern wie Suzuki kopiert wurde, bis heute so.

Ohnehin wurden die USA in der Nachkriegszeit zum Vorbild automobiler Gestaltung. Europa hatte zwar gute Ingenieure und bisweilen mutige Unternehmer, aber es fehlte an professionellen Designern. Die großvolumigen US-Modelle und ihre Üppigkeit an Chrom, Heckflossen und anderen Flugzeugmotiven stimmte den Chrysler-Chefdesigner Virgil Exner jedoch auch nachdenklich: "Wenn wir daran festhalten, weiter dem Fetisch und bauchiger Konturen zu huldigen, dann werden der Charakter und die Eigenart, die in der Vergangenheit die Autos untereinander differenzierten, verschwinden. Gediegenheit würde von überladenen, massigen Hollywood-Konzepten erdrückt werden, die im Autodesign Fuß gefasst haben."

Was in den 1930er Jahren begonnen worden war, perfektionierten die Designer in den Folgejahrzehnten schließlich mit der Pontonform: Die aufgesetzten Kotflügel fielen weg, die Seitenteile wurden glatt. Alle Karosserieelemente wuchsen zusammen in Aufbau – in der Designersprache greenhouse genannt – und Unterbau. Beim Stufenheckmodell sprach man vom three-box-system: eine Motor-Box, eine Passagierbox und eine Box für Koffer. In Deutschland vertraten etwa der Borgward Hansa und die Tochtermarke Goliath dieses Konzept seit 1949 in Reinkultur. In Italien, der Heimat der schönsten Einzelentwürfe, wurde die Pontonform durch den Fiat 1400 von 1950 populär (Abbildung 9, siehe PDF Version S. 43). Und Frankreich übernahm 1951 mit der Simca Aronde dieses Blechkleid.

Das "Wirtschaftswunder" förderte eine zunehmend mobiler werdende Gesellschaft. Wem Borgward oder Mercedes zu teuer waren, der fand seit Anfang der 1950er Jahre Ersatz bei den Kleinen: in reiner Pontonform den Gutbrod Superior, als "Knutschkugel" die BMW Isetta mit Fronttür und Panoramaheckfenster oder den Winzling Goggomobil mit dicken Backen über den Rädern. Den Traum der Großen im Kleinen bot der Glas Isar 600 mit drei Zutaten des großen 57er Opel Rekord: eine teure Panoramafrontscheibe, eine in den Flanken blechgeprägte "schnelle Linie" und Zweifarbenlackierung (Abbildung 10, siehe PDF Version S. 44). England, Hort unzähliger und wenig rentabler Marken, schwankte zwischen vorgestern und gestern. So lächelte man 1949 über den kleinen Triumph Mayflower und bewunderte große Marken, die das Blech scharfkantig formten und so den Begriff des razor edge designs prägten.

Was das Luxus- beziehungsweise Sportwagensegment angeht, kam vielen Deutschen 1948/49 der Porsche 356 wie Phönix aus der Asche vor. Mit seiner klaren Aerodynamik wurde er zu einer Art Urbild des modernen, formtreuen Sportwagens. Die parabelförmige Seitenfensterfläche bei ihm und seinen Nachfolgern, zuvorderst dem 911 seit 1963, ist bis heute unverwechselbar. Sie steht auch noch dem elektrisch betriebenen Taycan, den Porsche im September 2019 vorgestellt hat.

Die große Überraschung der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt 1955 waren ebenfalls zwei Supersportler. Mercedes zeigte beim 300 SL Flügeltüren, die wegen des Fahrgestellrahmens aus Stahlrohrgespinst notwendig waren. Hier wurde ein Funktionsmerkmal – ausgerechnet das von Türen – zum Erkennungszeichen. Dies wiederum machte der BMW 507 des Designers Albrecht Graf Goertz mit seltener Eleganz und zeitloser Linienführung wett. Beiden Autos gemeinsam waren der horrende Preis und die geringe Stückzahl – sowie ein Image neuer, noch ungewohnter Weltläufigkeit.

Suche nach dem Optimum

Ebenfalls aus den 1950er Jahren stammen zwei weitere Ikonen der Autodesigngeschichte, die die Phrase "form follows function" bis zur letzten Schraube beherzigten: Der französische Citroën DS und der englische Mini. Der Bildhauer Flaminio Bertoni bewies dabei 1955 mit dem Citroën DS – sprich "de es", im Französischen déesse, Göttin –, dass man kein Designer oder Ingenieur sein muss, um sich einen Platz in dieser Geschichte zu sichern. Der Wagen bestach unter anderem durch eine ölhydraulische Federung, einen Frontmotor mit Frontantrieb und ein Einspeichensicherheitslenkrad vor neuinterpretiertem Armaturendesign. Außen definierten klar gelegte Trennfugen die Funktionen von Hauben und Türen, aus den Regenrinnen streckten sich Heckblinker (Abbildung 11, siehe PDF Version S. 44). Die Verlässlichkeit der "Göttin" konnte mit ihrem Äußeren allerdings nicht mithalten. Der englische Ingenieur Alec Issigonis hingegen reduzierte beim Mini der British Motor Corporation von 1959 alles auf 305cm Länge, um vier Personen samt Gepäck von A nach B zu bringen. Dazu sortierte er das package, die Anordnung der Elemente, neu: quer liegender Frontmotor, minimierte Gummifederung, maximaler Innenraum. Ein zentrales Rundinstrument reichte, der Rest wuchs zur üppigen Ablage.

In Deutschland sollte einige Jahre darauf der NSU Ro 80 von 1967 stilbildend für spätere Autodesigns wirken: Dank Wankelmotor und langem Radstand neigte sich die Haube und hob sich das Heck – so ergab sich eine Keilform, die schon länger hubraumstarke Sondermodelle speziell in Italien prägte (Abbildung 12, siehe PDF Version S. 45). Der "singende" Motor war das akustische Pendant zur Form. Entworfen hatte das Auto Claus Luthe, der später zum BMW-Chefdesigner wurde.

Wenig gönnen konnten sich die Länder des Ostens. Ideologische Grenzen, Materialeinschränkungen und mangelnder Zugang zur internationalen Designszene waren den Trabanten, Wartburgs und Škodas anzusehen. Russische Staatslimousinen nahmen sich ausgerechnet die US-amerikanischen Modelle von Lincoln zum Vorbild. Bei Lada behalf man sich mit Lizenzen vom Fiat 124, in Rumänien bei Dacia mit Renault-Adepten. Japan fand rasch Anschluss und vertraute der US-Designsprache, was die untere Mittelklasse hart an die Grenze zur Lächerlichkeit trieb. Und China verdaute noch lange die Kulturrevolution, ehe die Volksrepublik Anlauf nahm, um schließlich zu einem der gegenwärtig größten Autoländer der Welt zu werden – bei eigener Designleistung auf Westniveau.

Westlicher Wohlstand differenzierte das Angebot. US-Autos wie der langhaubige Ford Mustang oder der Chevrolet Camaro samt Stallbruder Corvette boten eher formale denn technische Abwechslung. Das Heer der monströsen "Brot- und Butter-Autos" – jener Großserienmodelle von GM, Ford und Chrysler – musste nach dem Chromrausch der 1950er Jahre kürzer treten. Da fiel 1960 ein kompaktes Auto auf: der Chevrolet Corvair, eine gefährliche Heckschleuder, aber mit vorbildlicher, einfacher Pontonform mit horizontaler Chromspur in Höhe der Gürtellinie (Abbildung 13, siehe PDF Version S. 45). Derartige Designelemente fanden sich später auch im deutschen NSU Prinz 4, im italienischen Fiat 1300, im englischen Sunbeam Stiletto, im ukrainischen SAS 968 und selbst im BMW 1600/2. Das Motto: Nur das Beste kopieren.

Anders bei VW: Der Käfer verkaufte sich wie geschnitten Brot – bis die Opel Kadetts, DKW Juniors oder Ford Taunus 12M dieser Welt die Vorteile der Pontonform ausspielten. Dutzende Prototypen in diversen Package-Auslegungen wurden verworfen, bis ein Modell des italienischen Industriedesigners Giorgio Giugiaro 1974 alles neu machte: Statt Heckmotor Frontmotor, statt Heckantrieb Frontantrieb, statt Käferform eine gerundete Kiste mit verbessertem Cw-Wert. Um die Käfer-Gene nicht zu missachten, setzte VW-Designchef Herbert Schäfer Rundscheinwerfer als "Augen" im "Gesicht" des Autos durch. Heraus kam der Golf, der den Käfer sogar überflügelte und bis heute zu den drei meistverkauften Autos der Welt zählt.

Was kann man als Autohersteller designtechnisch besser machen im gesättigten Markt? Man kann zum Beispiel versuchen, den Cw-Wert weiter zu drücken. Im konservativen Kleid gelang das dem Audi 100 von 1982 meisterlich mit einem Wert von 0,3. Mercedes kam 2016 mit der C-Klasse sogar auf einen Wert von 0,23. Oder man macht aus Feld- und Waldarbeitern Dschungelkämpfer der Großstadt, sogenannte sport utility vehicles, kurz SUV, die in den vergangenen Jahren viel gekauft werden. Während die einen die hohe Sitzposition und die Sicherheitszelle loben, ärgern sich die anderen über den gesteigerten Platzverbrauch – ein begründetes Wohlstandsübel. Doch nicht nur SUV, sondern viele andere Autoklassen auch werden weiter mit immer mehr PS ausgestattet. Zugleich werden aus Armaturenbrettern "Cockpits", aus Fahrern "Piloten" ohne Zukunft. Und vor allem: Der automobile CO2-Ausstoß wächst weiter. Die erklärten Ziele zum Thema Umwelt und Klima werden durch diese Entwicklung konterkariert.

Der perfekte Elektroantrieb wird irgendwann kommen, der Weg dahin aber braucht Zeit. Eines scheint jedoch schon sicher: Designer werden das Auto weiterhin so gestalten wollen, dass es auch selbstfahrend und elektrobetrieben keine gesichtslose, anonyme Kiste wird.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Otto Julius Bierbaum, Eine empfindsame Reise im Automobil, Eschborn 2000 (1903), Kap. 21.

  2. Ernst Neumann-Neander, Architektur der Fahrzeuge, in: Deutscher Werkbund, Jahrbuch 1914, hier zit. nach Hans-Ulrich von Mende, Meilensteine des Automobildesigns, in: Hans-Hermann Braess/Ulrich Seiffert (Hrsg.), Automobildesign und Technik, Wiesbaden 2007, S. 2–28, hier S. 9.

  3. Zit. nach Joachim Petsch, Geschichte des Auto-Design, Köln 1982, S. 87.

  4. Zit. nach von Mende (Anm. 2), S. 20.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Hans-Ulrich von Mende für Aus Politik und Zeitgeschichte/bpb.de

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ist Architekt, Illustrator und Autor mehrerer Bücher über Autodesign. Externer Link: http://www.architekt-vonmende.de