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Ein Herz fürs Auto | Das Auto | bpb.de

Das Auto Editorial Ein Herz fürs Auto. Warum das Automobil weiterhin Zukunft hat Wider den Fetisch Auto. Warum die Zeit des Automobils vorbei ist Kleine Geschichte des Automobils in Deutschland Am Steuer? Instrumente und Anwendungsfelder der Verkehrspolitik Mit dem E-Auto in die Zukunft? Chancen und Herausforderungen der Elektromobilität Der Weg ist das Ziel: Verkehrswende als Kulturwende. Oder: Zur schwierigen Entwöhnung vom Auto Zwischen Funktion und Ästhetik. Zur Geschichte des Autodesigns

Ein Herz fürs Auto Warum das Automobil weiterhin Zukunft hat - Essay

Ulf Poschardt

/ 11 Minuten zu lesen

Das Auto wird als Mobilitätsroutine verschwinden, aber als Teil eines individualistischen Kultes bleiben. In der Debatte über die Verkehrswende wird es jedoch fahrlässig auf seine Funktion reduziert, dabei waren die stinkenden Blechkisten von Anfang an mehr.

Als die Dinge schnellstmöglich geschehen sollten, statt nur zügig, war das Auto noch ein Versprechen. Es schickte die Idee individueller Freiheit auf einen schier endlosen Beschleunigungsstreifen: voller Aufbruch, Abenteuer, Wohlstand und Schönheit. Diese Zeit scheint verloren, aber die Spannung bleibt. Denn das Auto muss sich neu erfinden. Aus einer einzelnen Blechkiste muss ein Teil einer neuen Mobilitätsinfrastruktur werden. Gelingt dies, könnte das Auto seine Symbolkraft als Agent der Beschleunigung ins 21. Jahrhundert retten. Gelingt dies nicht, hat es keine Zukunft, sondern könnte zum Schreckbild von Stillstand und Schmutz verkommen.

Deutschland, Europa, ja, der Westen stehen an einem entscheidenden Punkt, der auch eine Wende sein könnte. Alte Wohlstands- und Glücksvorstellungen kommen an ihr Ende, neue haben sich noch nicht recht entwickelt. Noch nie waren einige Autos so gut, noch nie so schnell, noch nie so sparsam, noch nie so nachhaltig, noch nie so aufregend. Dennoch brauen sich über den Autos düstere Wolken zusammen. Warum? Weil es zu viele sind, und weil aus den Straßen der Beschleunigung Stauräume der Frustration geworden sind. Zu viele Autos sind zu fett und dysfunktional geworden. Gleichzeitig gibt es nach wie vor Liebe für Oldtimer, Sportwagen und den mit schmerzhaften Leasingraten abgestotterten Familienkombi. Es bleibt schwierig, und statt einfacher Lösungen sind differenzierte Überlegungen angebracht. Sie sollten sich an den Wünschen und Anliegen der Bürger und Konsumenten orientieren – ohne die Mit- und Umwelt zu vergessen.

Konkret: Es geht im Zweifel um weniger Mobilität und um umweltverträglichere Mobilität. Es geht darum, dem Sportwagenfahrer freiere Straßen anzubieten, und denen, die gerne ohne Blechkisten leben würden, müssen Radwege und ein öffentlicher Nahverkehr angeboten werden, der den Alltag ohne Pkw gelingen lässt. Dazu kann und soll es auch privatwirtschaftliche Ideen geben. Die Städte sollen lebenswerter werden, der ländliche Raum seinen Anschluss nicht verlieren. Das alles ist machbar – aber nicht mit naivem Zeitgeistopportunismus, wie ihn die Grünen mitunter liefern, oder mit jener sturen Fixiertheit auf den Status quo, wie ihn insbesondere Rechtspopulisten erträumen.

In der Debatte dürfen weder die Autofahrer noch die Autoliebhaber, noch die Autoindustrie auf der Strecke bleiben. Aber sie sind allesamt gefragt, welche Rolle sie in diesem Prozess einnehmen wollen. Notorische Bremser sind ebenso hilfreich wie manische Vollgasaktivisten oder bequeme Nostalgiker. Die Klimakrise hat die Debatte nur verschärft, nicht aufgeworfen. Schon vor der Drohkulisse der Kinder und Jugendlichen von "Fridays for Future" waren die Staus zu lang, die Fahrradwege desaströs, der öffentliche Nahverkehr zu lückenhaft, die Infrastruktur im ländlichen Raum inakzeptabel. Jetzt aber geraten diese Probleme mit voller Wucht in die Brandung einer mitunter etwas überdramatisch akzentuierten Klimadiskussion. Technikfreunde freuen sich auf die Herausforderungen. Und wenn sogar so etwas in Teilen Gestriges wie das Auto in eine ökologische Moderne transferiert werden kann, ist die Zukunft keine futuristische Horrorvorstellung, sondern eine Chance, das Erhaltenswerte ins Morgen zu retten.

Alles bleibt anders

"Jede Epoche", schrieb der Designtheoretiker Niklas Maak im August 2019 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" richtig, "bringt eine Bauform hervor, die ihren Sehnsüchten und Obsessionen eine Form gibt." In der Mobilität kommt mit Elektroantrieb ausgestatteten Fahrzeugen im Augenblick jene Leuchtturmfunktion zu, die in den 1960er Jahren noch den Supersportwagen mit zwölf Zylindern vorbehalten war. Gleichzeitig aber gibt es Freiheits- und Mobilitätssymbole, die dem Auto neue Konkurrenz machen. Das Fahrrad ist längst zum Statussymbol geworden. Liberale lieben das Fahrrad als ein Fortbewegungsmittel radikaler Leistungsgerechtigkeit. Jugendliche träumen nun gleichberechtigt von schlanken, leichten Supersportwagen oder aber von italienischen Rennrädern der 1970er Jahre oder dem individuell designten Fixie-Fahrrad. Fahrradfahrer wollen heute ähnlich zügig vorankommen wie Sportwagenfahrer und fordern ihre Raserstrecken. Denn das Rad ist nur dann eine ernsthafte Alternative im Berufsverkehr, wenn ihm eigene Verkehrsbahnen zugestanden werden.

Ein weiteres Medium der Mobilität ist das Smartphone. Durch die Vernetzung von potenziellen Beifahrern und Fahrgemeinschaften können aus den Pendlermonaden aufregende Soziallotterien werden. Wer wohnt auf meiner Strecke? Wer will in einem alten Mercedes-Strich-Achter mitfahren? Wer bietet an, morgens ein paar Croissants für die Fahrgemeinschaft mitzubringen? Auf jeden Fall hat auch hier die Zukunft mehr Versprechen und Chancen denn Risiken. Die digitale Transformation der Wirtschaft ist ein zäher wie chancenreicher Prozess. Traditionsunternehmen sind herausgefordert, weil alles anders wird, die Konkurrenz blutjung und flexibel ist, aber die schweren Tanker der Industriemoderne kaum mit den Speedbooten der Start-ups konkurrieren können. Eigentlich.

Denn auch Erfahrung und Routine, Herstellungswissen und Führungskraft, Netzwerke und Innovationserfahrung sind wertvoll. Womit wir bei der deutschen Autoindustrie wären, die dem Land beim Weg in Demokratie und Freiheit 70 Jahre Wohlstand und Dynamik gesichert hat. Doch richtig geliebt werden Audi, Volkswagen, Mercedes, BMW oder Porsche schon länger nicht. Zumindest nicht von allen. Das ist durch die selbst angerichteten Schummel- und Betrugskaskaden nicht besser geworden. Um es klar zu formulieren: Das Sündenregister der Autoindustrie ist blamabel. Der destruktive Lärm des Öko-Jakobinertums aber hilft auch nur bedingt weiter. Es ist wie in vielen aktuellen Spielfeldern der Politik, dass sich die link(sliberal)e Mitte einer Art Luxusmoral verschrieben hat, die das ökonomische Fundament ihrer Werte und Ideale vollkommen außer Acht lässt. Knapp eine Million Menschen sind in der Autoindustrie beschäftigt, viele Bundesländer und Kommunen können nur deshalb sozial und fürsorglich sein, weil es die Autoindustrie gibt.

Auto-Bosse übertreiben nur ein wenig, wenn sie über einen "Feldzug gegen individuelle Mobilität" klagen und darauf hinweisen, dass bei dieser Hatz und der gestörten CO2-Fixiertheit bei Autos Deutschland am Ende eine innovative Kernindustrie verlieren könnte. Vorbildlich Fahrrad fahrende Journalisten sympathisieren verständlicherweise mit Mobilitätskonzepten, die eher in ihren urbanen Blasen funktionieren. Die Autoindustrie auf der anderen Seite hat den Kulturwandel der bürgerlichen Eliten verpennt. Die Deutschen haben keine zweite Schlüsselindustrie im Kofferraum und sollten fürsorglicher die Folgen einer Zertrümmerung der Autoindustrie bedenken. Die ausländische Konkurrenz kann ihr Glück nicht fassen, wie breit der PS-Antipatriotismus geworden ist. Es muss eine Mobilitätswende geben, Städte mit mehr Radwegen und U-Bahnen – aber am besten kann das gestaltet werden, wenn die Deutschen jede Form von Mobilität auf innovativem Niveau anbieten können. Dazu gehören auch gute, haltbare Autos.

Vorfahrt für die Freiheit

Neben der Ökobilanz der Autos wird inzwischen auch ihre Kraft als Freiheitssymbol problematisiert. Dabei macht sich auch eine Mehrheit der Journalisten, die offenkundig keinerlei empathische Beziehung zu unseren Blechdoubles haben, für ein Tempolimit auf Autobahnen stark und verstärkt damit eine Tendenz der Verbots- und Regulierungslyrik, die ein neues (ökologisches) viktorianisches Zeitalter ankündigen könnte.

Die Autobahn symbolisiert einen Raum maximaler Freiheit – in einem Land, das weitgehend lahmreguliert worden ist. Wer will, darf auf einigen Strecken sein Motorrad oder seinen Sportwagen in die Raserei treiben. Vollkommen unstrittig darf man darin Unvernunft, ökologische Barbarei und rauschhaften Hedonismus identifizieren, aber so richtig weltbewegend sind diese Millisekunden für den CO2-Prozess nicht. Es sind Freiheitsfenster. Und jeder, der Freiheit liebt, wird auf ihnen bestehen wollen. Die Streckenkilometer, in denen das gestattet ist, schrumpfen, der Verkehr wird dichter. Die Existenz solcher Freiräume aber provoziert den Gegenwartspietismus. So wie die Steuererhöhungswünsche fast ausschließlich von jenen geteilt werden, die keine, kaum oder nur wenig Steuern zahlen, so finden sich unter den Freunden des Tempolimits Bahnfreunde, Entschleunigte und jener Teil des Moralestablishments, der mit seinen armseligen Kisten schon heute auf der Überholspur auf Einhaltung der Richtgeschwindigkeit dringt, auch um ungeduldigere Menschen auf das eigene, mittelmäßige Tempo einzubremsen. Genötigt wird auf deutschen Autobahnen öfter von den Lahmen als von den Rasanten.

Die verbitterten Autobahn-Pädagogen haben in der Politik viele Anhänger. Die Tempofeindschaftskoalition propagiert eine egalitäre Entschleunigung, bei der ein Überstaat möglichst umfassend in die Freiheitsrechte seiner Bürger eingreift, um diese zu einem lahmen, anständigen und naturgefälligen Leben ohne luxuriöse Extravaganzen zu zwingen. Dort haben sich die Dinge aber geändert: Auch die Besitzer von Limousinen und Sportwagen mit viel PS bevorzugen komfortable Reisegeschwindigkeiten abseits des Rennsportlichen. Der mündige Bürger entscheidet sich für maßvolle Zügigkeit, so wie er sich für Biomärkte und Passivhäuser begeistert.

Umweltverbände, die ein Tempolimit fordern, haben oftmals keine Ahnung, wie das Best-of einer Presserklärung verrät: "Wie [sic] brauchen ein Ende des Schaufahrens [Was ist das?] gegen den Klimaschutz. Die Einführung eines generellen Tempolimits auf Autobahnen [wäre] der Lackmustest für die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung in Klimafragen [Warum?]. Ein Tempolimit noch in diesem Jahr ist auch zwingende Voraussetzung für die Entwicklung moderner, digitaler Fahrzeuge [Hä?]. Die Kehrseite des fehlenden Tempolimits auf deutschen Autobahnen ist eine auf analoge PS-Boliden setzende Automobilindustrie [Stimmt, siehe die deutschen Firmen Ferrari, Lamborghini, Aston Martin, Jaguar, McLaren, Shelby etc.]. Auch die Autos der Zukunft brauchen eine Höchstgeschwindigkeit [Gibt es auch Autos ohne? Hätte ich gerne]. Die Batterien von Elektroautos entleeren sich bei hohen Geschwindigkeiten extrem schnell [Ach so]. Die Sensorik für autonomes Fahren ist bei hohen Geschwindigkeitsunterschieden auf Autobahnen überfordert."

Das ist eigentlich der schönste Punkt: Könnte es trotz Tempolimits auch Menschen geben, die dennoch schneller als 120 Stundenkilometer fahren? Werden die dann von Öko-Avengers mit Laserraketen aus dem Verkehr gezogen? Das ist derart schlicht und realitätsfern, dass sich mündige Bürger nur wundern können. Umweltverbände neigen dazu, alles, was nicht ihrem öden Fahrverhalten entspricht, als "Schaufahren" zu verstehen. Sie haben kein Verhältnis zur Freiheit und verstehen nicht, was andere am Auto haben. Sie wollen den einfachsten Weg über ein Verbot gehen. Es geht ihnen auch darum, die Lebensentwürfe jener einzubremsen, die sie bisher mit Umverteilungssozialismus oder moralischer Ächtung drangsaliert haben.

Das Tempolimit wird irgendwann kommen, aber die Gegner des Tempolimits sollten den Preis dafür hochsetzen. Dabei hat sich auch in den fundamentalistischsten Nischen der Autoliebhaberei ein ökologisches Bewusstsein entwickelt, in dem der eigene Mobiliätsmix problematisiert und optimiert wird. Das Auto wird als Mobilitätsroutine verschwinden, aber als Sportwagen und Teil eines individualistischen Kultes bleiben. In der aktuellen Debatte über die Verkehrswende wird das Auto fahrlässig auf seine Funktion reduziert, dabei waren die stinkenden Blechkisten von Anfang an mehr: Double des Piloten, Adrenalinlabor, Erotikmassage, Statussymbol, Lustobjekt, Projektionshorizont. All das ist in der Absurdität täglicher Staualbträume nicht kleiner, sondern größer geworden. Wie sehr Sportwagen auch kulturelle Ikonen sein können, dokumentiert zum Beispiel der Fotograf und Filmemacher Stefan Bogner in seiner Zauberzeitschrift "Curves", und immer wieder auch in dicken Kunstbänden, die sich Petrolheads, zu Deutsch Benzinköpfe, in ihre Garagen und auf den Nachttisch legen. In den Büchern riecht es nach Benzin. Es gibt eine Caspar-David-Friedrich-Landschaft auf dem Cover. Statt zweier einsamer Mönche stehen dort zwei weiße Sportwagen und vor ihnen die Berge und ein wolkiger Himmel. Sie sind einsam vor der Natur. Gleich geht es los.

Liebe in Zeiten der Verfolgung

Autohasser und Autoliebhaber scheinen sich unversöhnlich gegenüberzustehen. Umso wichtiger sind die Menschen dazwischen, die Autos benutzen, aber es nicht wollen, die Mobilität schätzen, aber nicht verklären. Auf der großen öffentlichen Bühne setzen die Entzauberer den Ton. Nicht ohne Fortune. Und auch die heitere Eleganz vieler radelnder Klimaaktivistinnen (nicht ihrer senioralen Fanklubs), auf Instagram gepostet, lässt speckhüftige Erwachsene in SUV noch älter aussehen. Dennoch gibt es dieselbe heitere Eleganz, zum Teil mit identischen Looks, oft auch Fahrrad liebend und vegan, bei den Petrolheads. Junge, grinsende Vollgasverrückte, vor allem Jungs, drahtig, minimalistisch, die eine romantische Beziehung zu ihrem Auto haben. So wächst die Liebe zum Auto in Zeiten der Verfolgung.

Früher waren nahezu alle selbstbewussten, jungen Menschen beschleunigungssüchtig, heute ist das nur eine aufgeklärte Minderheit. Noch nie gab es so gute Blogs über Autos, noch nie so gute Videokolumnen, noch nie eine so tiefschürfende, kulturell und philosophisch fundierte Essayistik über Sinn und Wesen des Automobils. Auch eine heruntergekommene S-Klasse aus den 1990er Jahren, ein klappriger, nur mehr von Rostbeulen zusammengehaltener Alfa Romeo, ein über zwei Generationen in der Familie gehaltener Golf GTI – jedes Auto, das eben nicht der vernünftige Alles-und-jeden-von-A-nach-B-Bringer ist, hat die Chance, ein Mitglied der Familie oder eines Clans zu werden. Autos sind rollende Tempel für die individuelle Bewegungsfreiheit. Dennoch: Zumindest in den Städten liegt die Hochzeit automobiler Funktionalität hinter uns. Staus, Umweltverschmutzung und Parkplatzverknappung machen auch für junge Familien das einst selbstverständliche "eigene Auto" zu einem oftmals unsinnigen Objekt. In lebensweltlichen Avantgardemetropolen wie Berlin wächst die Zahl der Radfahrer erfreulich. Aber da ginge noch mehr. Die Zukunft der lebenswerten Stadt kann von zwei Seiten gleichermaßen gedacht werden: von den Radfahrern und Fußgängern, die auch Busse und Bahnen benutzen, und von jenen, die auf ihrem Auto bestehen und dafür auch bereit sind, mehr zu zahlen.

Die ideale Mobilitätswende sortiert Mobilität entlang von Lebensqualitäten. Wer nicht fahren will, sollte baldmöglichst darauf verzichten können. Auf dem Land ist das noch schwierig, aber auch hier kann mit künstlicher Intelligenz und innovativen Mobilitätsanbietern jenen Milieus geholfen werden, die keinen Bock auf Kfz-Steuer, Tanksäulen und schlechtes Gewissen haben. Autoliebhaber bekommen leerere Straßen, und aus Autobahnen werden wieder Freizeitparks für jene Menschen, die Schönheit und Geschwindigkeit lieben. Deswegen sollten auch Güter runter von der Straße, rauf auf die Schiene. Das "Geh doch rüber" der Gegenwart ist, selbst den Schritt in eine autofreie Zukunft zu wagen – statt sich an der ewigen Denunziation des Autos zu beteiligen. Die Politik muss auf kommunaler, regionaler, aber auch nationaler Ebene die Alternativen zum Auto privilegieren. Gleichzeitig sollten die Sammler, Jäger und Führer prächtiger rollender Kulturgüter mit Wertschätzung behandelt werden, weil sie das Leben der Anwohner in der Stadt bereichern. Symphonien aus flachen Zwölfzylindern oder grölenden Sechszylinder-Boxern können ebenso erfreuen wie der Anblick von alten Käfern, polierten Pagoden und antiken Landrovern. Wer das Auto benutzt, ist in der Bringschuld, die Stadt schöner und aufregender zu machen.

Stattdessen klettern auf der Internationalen Automobilausstellung Aktivisten während des Kanzlerinnen-Rundgangs bei VW auf die glänzend gewienerten Autodächer und protestieren. Auch das ist eine zähe Routine, die nur zementiert, was es an Debattenstillstand gibt. Dabei bewegt sich die Autoindustrie: Porsche bringt den elektrisch betriebenen Taycan auf den Markt, VW den ID.3, Opel den Corsa-E Rally. Und während die unzähligen E-Neuheiten den Kühlergrill nur mehr als Science-Fiction-Attrappe haben, wie die gigantomane Mercedes-Limousine EQS, radikalisieren die letzten Verbrenner ihre optische Aggressivität, so wie BMW mit seiner 4er-Studie, in der die einst zierlichen Nieren-Markenzeichen zu King-Kong-Nüstern aufgebläht sind. Die großen Kisten werden größer und statussymbolistischer, die kleinen Autos erinnern immer mehr an Stempelkissen und Schlüsselanhänger. Bis auf den Smart sind sie ein optischer und kultureller Offenbarungseid. Sie riechen nach Langeweile, nach einem öden Leben, in dem alles funktionieren muss. Sie verraten die Träume der Menschen.

Anders die PS-Geschosse, die Ungetüme, die eine Aufregung evozieren, die nur in den wenigsten Fällen tatsächlich ausgelebt wird. Die Superautos stehen in Sammlergaragen oder werden von reichen Erfolgreichen behutsam durch die sanften Kurven des Villenviertels geschaukelt. Es ist im Großen und Ganzen zu viel falsch. Es muss neu sortiert werden. Warum nicht entlang von Schönheit, Aufregung und einer ökologisch verdienstvollen Nachhaltigkeit?

Dieser Essay ist ein Kondensat meiner teilweise bereits an anderen Stellen veröffentlichten Überlegungen zu einer ökologisch-dynamischen Rettung der Autoliebe.

ist Chefredakteur der "Welt"-Gruppe und Autor der Bücher "Über Sportwagen" (2002) und "911" (2013).